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Nr. 300.
Sonntag, den 22. Dezember 1889.
6. Jahra.
Berliner Volksblatt
Organ für die Interessen der Arbeiter.
Das Berliner Volksblatt"
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erfcheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 Pf. Bei Abholung aus unserer Expedition Zimmerstraße 44 1 Mart pro Monat. Postabonnement 4 Mart pro Quartal. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1889 unter Nr. 866.) Für das Ausland: Täglich unter Kreuzband durch unsere Expedition 3 Mark pro Monat.
Redaktion: Beuthffraße 2.
Der hentigen Nummer liegt für unsere Abonnenten Nr. 51 des Sonntags- Blatt" bei.
Olfafrikanisches.
Unsere Tagespresse ist entzückt von der„ Schneidigkeit" des Majors Wißmann, der den gefangenen Häuptling Bushiri friegsrechtlich hat erschießen lassen. Man bezeichnet diese That als nothwendig und erhofft von ihr die beften Folgen für die Bustände in Ostafrita.
Wir sind anderer Meinung, denn die Dinge, die in Oftafrika vorgehen, scheinen uns nicht geeignet, diesem Lande in nächster Beit eine glückliche Zukunft zu verbürgen.
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Um die Hinrichtung Buschiri's zu rechtfertigen, beruft man sich auf die Greuelthaten, die derselbe verübt hat. 3weifelsohne hat Buschiri eine schwere Schuld auf sich ges laden. Aber, fragen wir, mußte man nicht, indem man die ganze ostafrikanische große Aktion" in Szene fezte, im Voraus wissen, daß man es mit Leuten zu thun haben würde, die gewohnt sind, in einem Kriege grausam und blutig zu verfahren? Man hätte unseres Erachtens Alles aufbieten sollen, um den Kampf zu vermeiden, dessen Urfachen, soweit man unterrichtet ist, mehr in dem Verhalten einiger Angestellten der oftafrikanischen Gesellschaft, als in der Initiative der Eingeborenen zu suchen sind. Selbst die Post", welche die Hinrichtung Buschiri's sonst durchaus billigt, läßt sich in dieser Beziehung ein bemerkenswerthes Beständniß entschlüpfen. Es ist schon insofern zu beEs ist schon insofern zu bebauern, sagt das freifonservative Blatt, daß dieser zielbe wußte energische Mann fallen mußte, als er uns, wäre er zu 3eiten richtig behandelt worden, vielleicht ein sch ätbarer Bundesgenosse hätte werden können."
Ja, wäre er richtig behandelt worden!
Aber glaubt man nun, daß die Eingeborenen richtig behandelt werden, indem man den Führer erschießt, der seine Heimath gegen die Europäer vertheidigt hat?
Wir glauben es nicht.
Die Frage der Bestrafung der von Buschiri begangenen Morbihaten laffen wir aus dem Spiel, da sie bei rein politischen Erwägungen nicht besonders in die Wagschale fällt. Ohnehin ist ja in allen Blättern hervorgehoben, daß Buschiri auch großmüthig sein konnte. Er hat Dr. Meyer und Baumann preisgegeben, allerdings gegen ein Lösegeld; dann hat er die englischen Missionäre frei gelassen und der fatholischen Mission zu Bagamoyo kein Leid zugefügt. Was ihn so sehr gereizt hat, daß er die Deutschen mtt wildem Saffe verfolgte und sich zu einer Mordthat hinreißen ließ, wissen wir nicht. Vielleicht kommt darüber noch Aufflärung.
Wir erinnern nur daran, daß andere Kolonialmächte für staatsflug hielten, gefangene Insurgentenhäupter
Madbrud verboten.]
Germinal.
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Sozialer Roman von Emile 30la. Einzig autorifirte Uebersehung von Era Siegler. Ich kenne Leute," fing Chaval herausfordernd an, die sesagt haben, daß ich ein Spion sei, und ich warte darauf, daß fie es mir in's Geficht wiederholen, damit man sich endlich mal auseinandersetzen kann."
Niemand antwortete. Die Männer wandten sich ab und blickten auf die Wand.
Chaval fuhr lauter fort:
Es giebt Heuchler und solche, die es nicht sind. Ich hab nichts zu verstecken. Ich hab die schmußige Bude von Deneulin verlassen, und fahr morgen in dem Vore ur ein, mit zwölf Belgiern, die man unter mein Rommando gestellt hat, weil man mich schäßt; wenn das Jemand nicht recht ift, so soll er es sagen, wir werden dann weiter reben." Daffelbe verächtliche Schweigen beantwortete diese Herausforderung. Er ließ seinen 3orn darüber an Räthen aus: Willst Du trinken, zum Teufel! Stoß mit mir an: alle Schubjads, die nicht arbeiten wollen, soll der Henker holen!"
Sie stieß an, doch mit so ängstlicher Hand, daß die Gläser an einander zitterten. Chaval hatte aus seiner Tasche eine Handvoll Silbermünzen gezogen, warf sie mit fruntener Prahlerei auf den Tisch und rief:
einer von den Heuchlern nur zehn Sous herzeigen!" Das verdient man mit seinem Schweiß! soll mir mal Die ruhige Haltung der Kameraden reizte ihn, er schritt Ju birekten Angriffen:
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Also des Nachts triechen die Maulwürfe heraus; nur
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Insertionsgebühr
beträgt für die 4 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und VersammlungsAnzeigen 20 Pf. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Zimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen- Burequr, ohne Erhöhung des Preises, angenommen. Die Expedition ist an Wochentagen bis 1 Uhr Mittags und von 3-7 Uhr Nachmittags, an Sonn- und Festtagen bis 10 Uhr Vormittags geöffnet. Fernsprecher: Amt VI. Mr. 4106.
Expedition: Bimmerftraže 44.
in überseeischen Ländern, die die Unabhängigkeit ihrer Heimath von Europa zu erhalten strebten und zu diesem 3wed zu den Waffen griffen, nicht mit dem Tode, sondern mit Verbannung oder Haft zu bestrafen. Als der berühmte Rabylenhäuptling Abdel Kader, der den Franzosen so viel zu schaffen gemacht hat, in die Hände seiner Feinde fiel, ward er nicht getödtet, sondern nur internirt. Und doch waren in den Kämpfen zwischen Franzosen und Rabylen alle Grausamkeiten erschöpft worden.
Aehnlich verhielten sich die Russen gegenüber dem bes rühmten Tscherkeffenhäuptling Schamyl, der einen so furchtbaren Widerstand gegen Rußland im Kaukasus organifirt hatte. Schamyl kam nicht an den Galgen.
Auch in der neuesten Beit hat man aus Klugheitsrücksichten Milde walten lassen. Der Rafferntönig Cetewayo wurde von den Engländern nicht mit dem Tode, sondern nur mit Haft bestraft; das Haupt der legten ägyptischen Insurrektion, Ar a bi Pascha, wurde zwar der Form nach zum Tode verurtheilt, aber das Todesurtheil wurde in Verbannung umgewandelt. Man hatte seine guten Gründe für dieses Verhalten. Denn eine Bevölke rung, die ihr Gebiet von einer ausländischen Macht in Besitz genommen wird fieht, fich an eine solche Offupation viel leichter gewöhnen, wenn sie mit Milde, als wenn wenn sie mit Strenge behandelt wird.
Und an Strenge fehlt es in Ostafrika nicht; man scheint sich sehr viel davon zu versprechen, wie ja unlängst aus einem Schreiben des Lieutenants von Gravenreuth
hervorging, in dem es hieß, das Aufhängen eines gefangenen Anhängers von Bushiri habe einen sehr guten Eindrud" gemacht. Man hat alle Gründe, diesen guten Eindruck bei den Landsleuten des Gehängten stark anzuzweifeln.
Die rasche Hinrichtung Buschiri's wird unserer Meinung nach nicht die Folgen haben, welche die optimistische kolonialpolitische Presse von ihr erwartet.
Der hingerichtete Häuptling war ein einflußreicher Mann und sein Tod wird bei vielen Tausenden von Eingeborenen eine schmerzliche Erinnerung zurücklaffen, die sich zu einem dauernden Hafſſe gegen die Europäer gestalten wird. Wenn auch die Feindseligkeit der Eingeborenen nicht wird. Wenn auch die Feindseligkeit der Eingeborenen nicht mehr in offenem Aufstand sich geltend machen sollte, so wird sie dennoch für die Ansiedelungen empfindlich genug sein. Man lebt und arbeitet nicht behaglich in einem Lande, wo wo die Ruhe und Sicherheit von der Tragweite der Schiffsgeschüße abhängt.
Der unerquickliche Zustand in Ostafrika ist durch den Fall des Insurgentenhäuptlings keineswegs aus der Welt geschafft. Zum Kolonifiren gehört eben nicht nur ,, Schneidig= feit", sondern auch milde und kluge Ausnutzung der Verhältniffe.
Wir werden sehen, ob die Zukunft uns Recht giebt.
wenn die Gendarmen schlafen, kann man die Banditen treffen!"
Stephan erhob sich, er war ruhig und entschloffen: Genug!... Jawohl, Du bist ein Spion; das Geld da riecht nach irgend einem Verrath, und es widersteht mir, Deine verkaufte Haut zu berühren. Aber immerhin, ich bin Dein Mann. Es ist lang genug, daß wir einander im Weg stehen!"
Chaval ballte die Faust:
Ah, Dir muß man's derb sagen, um Dich in die Hige zu bringen, Du feiger Schuft! Gut, mit Dir allein ist mir's recht, und Du sollst mir zahlen, was Ihr Alle mir ange than habt."
Katharina stürzte mit aufgehobenen Händen zwischen sie. Jedoch sie sah selbst ein, daß der 3weikampf unvermeidlich sei; fie trat langsam zurück bis an die Wand, so schreckgelähmt, daß sie nicht einmal zitterte; ihre großen starren Augen waren auf die beiden Männer gerichtet, die sich ihretwegen tödten wollten. Frau Rasseneur nahm einfach die Schoppen vom Schänktisch, damit nichts zerschlagen werde, dann fegte sie sich wieder auf ihren Platz. Ihr Mann wollte vermitteln, meinend, man könne doch nicht zugeben, daß sich zwei frühere Kameraden um's Leben brächten; aber SouDas ist nicht Deine Sache... Einer von den Beiden Einer von den Beiden ist zu viel; der Stärkere wird leben."
varine nahm ihn bei der Schulter:
Ohne das Signal abzuwarten, begann Chaval mit wuchtigen Fauftschlägen. Er war der Größere, zielte in's wuchtigen Fauftschlägen. Gesicht, beide Arme einen nach den andern vorwerfend, als wenn er mit ein paar Stoßdegen fechte. Dabei sprach er unaufhörlich mit laut herausfordernder Stimme, um sich vor den Zuschauern ein Ansehen zu geben, und überschüttete Stephan mit einer Fluth gemeiner Schimpfworte, mit wel chen er sich selbst immer mehr aufreizte.
Ah, verdammter Lausbub, ich werd' Dir Deine Nase breithauen; Dein verfluchtes Maul will ich Dir zu Brei
Politische Uebersicht.
Welche entlehlichen Blüthen der Elberfelder Prozeß treibt, zeiat so recht deutlich eine Auslaffung, die wir in dem in Bant- Wilhelmshaven erscheinenden Nordd. Boltsblatt" finden. Das Blatt schreibt unter dem 18. Dezember: Ein Bubenstreich ist gegen Heren Paul Hug in Form eines Uriasbriefes geführt worden, welcher dahin zielte, denselben entweder in den Elberfelder Prozeß zu verwickeln oder in Wilhelmshaven so einen fleinen Geheimbundsprozeß zu züchten. Wer das Spigelfunftstückchen verübte, wird schwerlich herauszubekommen sein. Um die Gemeingefährlichkeit bes Subjekis, das den Brief geschrieben, anschaulich zu machen, sei ermähnt, daß er den Brief an einen Herrn Robert Kaiser, im Elberfelder Geheimbundsprozeß verwidelt, adreffirt hat, freilich so, daß er nicht zu bestellen war, also geöffnet werden mußte, um den Absender zu ermitteln. Las nun der öffnende Beamte den Brief, so mußte der Polizei davon Mittheilung gemacht
werden, und ber Hug faß in der Falle. Der Brief tam aber troß der zu Düffeldorf erfolgten amtlichen Deffnung an Bug, als angeblichen Absender, zurück. Der Brief hat folgende Adresse: Herrn Robert Kaiser in Elberfeld am Rhein und
lautet:
Wilhelmshaven , den 12. Dezember 1889. Mein lieber Freund Robert!
Ich theile dir nur kurz mit das ich oder doch einer unferer Arbeiter und Partei Freunde nach dort mit die jeßtigen in den legten Nächten angefertigten Schriften kommt sehet euch vor das die Blätter nur Nachts verbreitet werden damit wir nicht damit herein fallen, vor allen Dingen halte feft an unserem Glauben wir wollen Kaiser und Reich noch viel Kummer machen wir haben auch neue ber hiefiaen Werft_angehörige Vorarbeiter u. Meister als Bundesgenossen be fommen bu mußt am Montag Abend am Bahnhof sein Renntzeichen rothes Taschentuch wenn ich nicht selbst tomme.
Unser Fischer war unvorsichtig? Bolizeispigelmache von A bis 3. Die stilistischen Fehler sowohl, wie auch der Inhalt und die Verstellung der Hmdschrift erinnern lebhaft an einen Brief, auf Grund deffen WalMuſtern gearbeitet worden zu sein. Es werden die nöthigen Schritte gethan werden, um den Briefschreiber zu ermitteln und wäre schon im Intereffe der Moral zu wünschen, diesen Buben der würdigen Sammlung der Schröder, Thring u f. w. an reiben zu können. Gleichzeitig mahnen wir alle Freunde zur Vorsicht.
Hoffentlich bleiben die Schritte zur Ermittelung des anonymen Lumpen nicht erfolglos.
Die„ Nordd. Allg. Btg." sucht wieder sozialdemokratische Symptome in der Bergarbeiterbewegung zu entdecken. Sie erblickt dieselben in der Thatsache, daß bei der Gelsenkirchener Delegirtenverfammlung der auf dem Pariser Sozialistentongreß erfchienene Bergmann Diedmann zum Borfißenden gewählt worden ist; ferner in der tumultuarischen Art und Weise, mit der von einem Theil der Versammlung der zum Frieden
schlagen; dann wollen wir sehen, ob Dir die Frauenzimmer noch nachrennen."
Stumm mit zusammengepreßten 3ähnen stand sein Gegner ihm gegenüber, deckte Geficht und Brust mit seinen Fäuften, wartete, parirte, faltblütig und sicher; dann, wie auf einer Sprungfeder, schnellte plöglich seine Faust in furchtbaren, gerade auf die Brust gezielten Stößen.
Buerst thaten fie fich wenig; das wilde Dreinhauen des Schlotterigen Chaval und die kalte Nuhe des Andern vers längerten den Kampf. Ein Stuhl wurde umgerissen; ihre schweren Schuhe zermalmten den weißen Sand auf den Fliesen. Aber nach und nach begann ihr Athem erhißt zu feuchen, und die rothen Gesichter schwollen, wie von einem inneren Feuer geheizt, deffen Flammen aus ihren Augen blitten.
Getroffen!" schrie Chaval,„ Trumpf Deinem Skelett!" Er hatte mit einem Seitenhieb des Gegners Schulter berührt. Stephan verbiß den Schmerz; man vernahm nichts als den dumpf knirschenden Schlag. Ein gerader Hieb war die Antwort, der Chaval's Brustkorb zertrümmert hätte, wenn derselbe nicht mit einem seiner ewigen Bodssprünge ausgewichen wäre. Doch ein zweiter traf ihn so kräftig in die Seite, daß er taumelte und ihm der Athem verging. Coll vor Born warf er sich wie ein reißendes Thier auf seinen Gegner und versuchte ihm mit dem Absatz einen Stoß in den Leib zu versetzen.
Deine Eingeweide will ich haben! schrie er wuthschäumend.
Stephan parirte den Fußtritt. Aber er war über diese Verlegung der Kampfregel so entrüftet, daß er sein Schweigen brach:
Nicht mit den Füßen, Du roher Gefelle! oder ich nehm einen Stuhl und schlag' Dir den Schädel ein!"
Jegt wurde der Kampf noch heißer. Rasseneur wollte wieder interveniren; doch seine Frau hielt ihn zurück: haben zwei Gäste nicht das Recht, ihre Angelegenheit bei ihm zu