2. Beilage zum Berliner Volksblatt.
Nr. 301.
Elberfelder Sozialistenprozeß.
25. Tag der Verhandlung.
Nach Eröffnung der Verhandlung erhält das Wort R.-A. Lenzmann zur Fortseßung der Vertheidigungsrede.
R- A. Lenzmann( fortfahrend): Ich hörte gestern mit der Charakteristik Röllinghoffs auf. Die geftrige Vernehmung hat ergeben, daß Polizeisergeant Jäckel hat zugeben müssen, in Vohwinkel mit Röllinghoff verkehrt zu haben, während er bei feiner vorigen eidlichen Vernehmung dies bestritten hat.
Die Berichte der Gewährsmänner enthalten eine Menge Unwahrheiten, allerdings auch einige Wahrheiten. Wenn wir aber Unrichtigkeiten nachweisen, so wird alles Nichtbewiesene wegfallen müffen. Zunächst berichtet der Gewährsmann des Rammhoff, daß an der Versammlung auf Mathildenblick die Gebrüder Finte Theil genommen. Es ist nun gelungen, lau beweisen, daß zu dieser Beit die Gebrüder Finke nach Magde burg waren. Herr Rammhoff feste fich allerdings elegant darüber hinweg, indem er sagte: Nun dann hat sich eben mein Gewährsmann geirrt!" Das fontraftirt aber auffallend mit der behaupteten„ Buverlässigkeit der Gewährsmänner". Unrichtig find ferner die Berichte, daß Ullenbaum sen. bei Simons Erben gearbeitet habe und das Gedenkblatt bei Grimpe gedruckt sei. Lekteres wird von mehreren Zeugen bestimmt und mit Recht beftritten. Auch mit der Broschüre Unschuldig zum Tode verurtheilt" verhält es sich so. Da ist ferner das von der Anflage angezogene Sparkaffenbuch Thielmanns, bas,.wie nachgewiefen, gar nicht dem Angeklagten Thielmann gehört, sonbern einem Thielmann, der der Anflage ganz fern steht. Auch über die sogenannten Parteitage ist falsch berichtet. Wenn so ein Gewährsmann zwei bis drei Mann zusammensah, so ent widelte fich dies in seiner polizeilich erregten Phantafie zu einer Tompletten geheimen Versammlung. Den Berichten der Gewährsmänner ist also fein Glauben beizumessen. Ein Münchener Urtheil hat auch die Berichte von Gewährsmännern, die nicht vor Gericht erscheinen, als für unglaubwürdig erklärt.
Es fragt sich also, ob wir außer den Polizeiberichten noch anderes Beweismaterial für die geheime örtliche Verbindung haben. In den Augen der Gewährsmänner wurden Wirths hausgespräche zu geheimen Verhandlungen aufgebauscht. Die Wirthe haben aber bekundet, nichts Auffallendes und teine Geheimnißkrämerei bemerkt zu haben, nur ein Gespräch zwischen politischen Freunden. Das Geset verbietet aber solche Gespräche nicht, auch nicht Spaziergänge. Die Leute haben einfach stait unerlaubter Versammlungen den gefeßlichen Weg der Privatbesprechung gewählt.
Es ist viel Aufhebens gemacht worden von den Versamm. lungen wegen der Fr. Pr." und deren Verhältniß zur Fraktion. Harm hatte sich jedesmal dagegen gewehrt, wenn man fein Privatunternehmen expropriiren und zum Parteieigenthum machen wollte. Eine Breßkommission fann ja bestanden haben, wenn man Bleckmann Glauben schenken will, aber weder Harm noch Grimpe wollten etwas davon wissen. Zu den Besprechungen wurden auch Leute von der demokra tischen Partei zugezogen, dies beweist, daß es keine Patei- Besprechungen, sondern Verhandlunden über ein Privat- Unter nehmen waren.
Wenn Wimmers über die Versammlung bei Boß berichtete, hat er entweder sich oder die Polizei getäuscht. Es kann ja über eine beliebige Person in Zürich gesprochen worden sein, ohne daß dies den„ Sozialdemokrat" betraf.
Was den Parteitag in Blankenstein betrifft, so haben wir hier bis zum Ueberdruß davon gehört. Aber alle vierzig Beugen haben die Polizeiberichte nicht bestätigt. Eine Rebe wurde allerdings zu halten versucht, nämlich von dem Zeugen Happe, dem„ Eifinder der Schloßfabrikation", wie er sich nennt. Aber Happe ist, wie ihn ein Zeuge richtig bezeichnete, ein Duaffeltopf".
Der Ausflug nach Langenhaus war ein verbotener Aufzug, wie er ja durch gerichtliches Urtheil festgestellt worden, aber feine politische Versammlung. Ueber die sogenannte Ver fammlung in der Beet ist unrichtig oder übertrieben berichtet worden. Der Staatsanwalt ist nicht Gedankenleser und kann also nicht behaupten, daß im Neanderthal eine Versammlung ftattgefunden hätte, wenn die Polizei nicht eingeschritten wäre. In der Dechenhöhle bei Iserlohn kann kein Parteitag gewesen sein, da nur einige Personen da waren, aber nicht einmal die Führer der dortigen Sozialdemokraten.
Da nach dem Ausspruch Montecucculis zum Kriegführen Gelb gehört, fo sammeln auch die Sozialdemokraten Geld, gerade wie andere Parteien. Wenn aber eine straffe Ver bindung" bestände, so würde man feste Beiträge erheben und fich nicht auf so unzuverlässige Geldquellen füßen, wie Ertrag von Konzerten, Festen u. bgl.
Der Verkehr mit Abgeordneten war nichts anderes als der Verkehr zwischen Person und Person. Wenn ein anderer existirte, so würden die Berliner, Magdeburger und andere Polizeibeamten mehr davon zu befunden wiffen.
Der Staatsanwalt zieht das Abonnement auf den Sozialbemokrat" an. Dies geschah aber nicht, um das Unternehmen zu stüßen, sondern ber pikanten Leftüre wegen. Wir wissen, daß viele Personen den„ Sozialdemokrat" direkt aus der Schweiz bezogen. Anbere haben wohl Abonnementsgelder hier entgegen genommen. Das Abonnement ist ein vielgestaltiges und eine allgemeine Verbindung zur Verbreitung des Sozialdemokrat" eristirt nicht.
Was die Flugblätter betrifft, so ist hier durch zwei Zeugen bekundet, daß folche auch von wenigen Personen herausgegeben worden. Daß fich zu einer Flugblattverbreitung eine Menge freiwilliger Rolporteure melben, kommt daher, daß die Leute glauben, dadurch die Interessen ihrer Partei zu fördern. Eine Verbindung braucht es dazu nicht.
Wir haben gar nichts gehört, wie die Klubs fich rekrutiren. Der von Röllinghoff angegebene häufige Wechsel der sogenannten Borfizenden beweist, daß das Ganze nur eine sehr ephemere Sache war und man gewöhnlichen Zusammenkünften den hoch trabenden Namen Klub" beilegte. Alles das wissen wir nur von Röllinghoff, den ich gestern als unglaubwürdig genügend tennzeichnete. Das Darlehen Kamhoffs an Bleckmann bedarf auch noch der Aufklärung, da Polizeibeamte sonst wenig geneigt sein dürften, an Sozialdemokraten Darlehen zu geben. Ueber das Elberfelder Komitee ist gar nichts Bestimmtes bekundet. Wenn dasselbe Vergnügen veranstaltet haben soll, so weise ich auf das Verfahren von Komitees anderer Parteien hin, die noch mehr thun.
Die Mitgliedschaft an der Verbindung ist noch nicht er wiesen durch das Halten des„ Soz." Wenn dies wäre, müßten fämmtliche Abonnenten des Soz." unter Anflage geftellt werden und wir bekämen einen Eiffelthurm- Prozeß" in zweiter Auflage. Auch die Betheiligung an Sammlungen beweist keineswegs die Bugehörigkeit zu einer Verbindung. Viele Menschen freunde, die nicht Sozialdemokraten find, gaben z. B. für den Hafencleverfonds.
Dienstag, den 24. Dezember 1889.
Es bleibt noch die Verbreitung verbotener Druckschriften.| Es hieße aber das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn man aus dem Bezug oder Besiz verbotener Druckschriften die Ver breitung herleiten wollte. Kammhoff, Buttkamer, auch ich hielten den Sozialdemokrat"; so werden Viele sein, die ihn zur Information hielten. Alle diefe würden ausscheiden; einige würden ja wegen Verbreitung des Soziald." bestraft werden fönnen.
Ich komme nun zu den auswärtigen Angeklagten. Als der Staatsanwalt feine Strafanträge motivirte, ging er davon aus, daß ein gewiffer Zusammenhang zwischen Anarchismus und Sozialismus bestehe. Aber gerade in Elberfeld hat die Sozialdemokratie das Aufkommen des Anarchismus verhindert, der nur in einzelnen unflaren Röpfen, wie Röllinghoff, spukt. Das Argument des Staatsanwalts paßt nicht, um die exorbitant hohen Strafanträge zu begründen.
Es wäre bedauerlich, wenn Herr Bebel wegen seiner öffentlichen Thätigkeit, woraus er gar kein Hehl macht, ver urtheilt würde als Vorsteher einer geheimen Verbindung. Was sollte denn Herr Bebel noch thun? Der Staatsanwalt meinte allerdings, er hätte die Verbreitung des Soz" verhindern sollen. Wer aber glaubt, Bebel würde sich zum Handlanger der Polizei machen, ber fennt Auguft Bebel nicht. Die Zumuthung, daß er fich als Sozialdemokrat a. D. penfioniren laffen und auf öffentliche Thätigkeit verzichten sollte, tann man an Bebel nicht stellen. Es ist zu berücksichtigen, daß der Brief von ihm an Schumacher, vom 9. April 1888, zur Evidenz dar thut, daß Bebel von den Vorkommnissen im Wupperthal nichts wußte. Dieser Brief ist nicht gemacht, er war ja nicht bestimmt, in die Hände der Polizei zu fallen. Es wäre eine Be leidigung für Bebel, wenn ich noch weiter seine Unschuld darthun sollte.
Die Unschuld Grillenberger's liegt auf der Hand; seine Wahrheitsliebe steht außer Zweifel und man muß dem Glau ben schenken, was er über seine Person sagt. Der Woerlein sche Verlag ist nichts, als ein Parteiunternehmen. Seine Reise nach Elberfeld ist genügend erklärt; er sprach geschäftlich mit seinem Freund Harm und mit Grimpe. It denn die Freundschaft den Sozialdemokraten verboten? Auf den ominösen Brief aus Ohligs legt das Gericht keinen Werth und ich auch nicht.
Wenn es noch eine Potenz der Unschuld giebt, so laborirt baran der junge Herr Dertel, der nichts anderes gethan, als die Aufträge feines Prinzipals auszuführen. Mit dem gleichen Recht hätte auch das gesammte Druckereipersonal hierher ge laden werden müssen.
daß ihnen aus Rendsburg Packete zugesandt wurden. Eine ganze Anzahl anderer Angeklagten laboriren daran, daß ihnen aus Rendsburg Badete zugesandt wurden. Der Rathstammerbeschluß nimmt mit Recht an, daß gar kein Be weis dafür da sei, daß diese Packete verbotene Schriften ent hielten. Wenn bei einem Mann verbotene Schriften gefunden werden, so soll er nach der Anklage die Verbreitung beabfichtigen, und wenn keine bei ihm gefunden werden, soll er sie bereits verbreitet haben. Es ist erwiesen, daß die Pacete an Leute tamen, die gar nicht Sozialdemokraten waren; das beweift, daß die Padete nicht auf Bestellung famen. Was Breuer betrifft, so kann das Packet nur an Drüge gekommen fein. In diefem Falle foll man es also mit einer Decabreffe zu thun haben, während die andern Angeklagten es direkt er hielten. Cramer, der bekannte Darmstädter Sozialdemokrat, sollte so unvorsichtig gewesen sein, fich die verbotene Waare direkt kommen zu laffen?- Bezüglich Hagedorns liegt nur eine Packetabreffe vor. Das Packet soll an seine Frau geTommen sein, obgleich er feine hat. Das beweist die Unzuverläffigkeit der Bescheinigungen von Postbeamten. Es ist bloße Bermuthung, daß der Name Hagedorn auf der Schumacherschen Liste ihn als Empfänger des„ Soz." bezeichnet.
Gegen Nielsen liegt nur ein Raffiber vor, den ich für ganz harmlos, ja entlastend halte. Balduin Weiß hat das Glück, daß noch eine Dame Georgine Weiß eristirt, die ebenfalls Ronfumsvereinsvorstand ist. Nun fommt ein Padet an G. Weiß, daß der Postbote an Balduin Weiß abgegeben haben will. Das beweist wieder, daß der Rendsburger Absender nicht auf Bestellung oder systematisch verschickte, sondern auf gut Glüd. Gegen Herrn Iserloh liegt gar kein Grund zur Verurtheilung vor. Er hat aus gutem Herzen 50 M. für den Hasencleverfonds gegeben und ich freue mich jedesmal, wenn ich von auten Menschen in meinem Wahlkreise höre. Er hat der Polizei einen knabenhaften Streich gespielt, worüber er fich sehr freute: Die Abreffen hat er fich aufgeschrieben, weil er als sehr jung sich noch über die Sozialdemokratie be lehren will.
Gegen Herrn Meist liegt weiter nichts vor, als daß er Reichstagskandidat ist und sich auf seinen Geschäftsreisen über Politik unterhält. Das ist aber fein gutes Recht. Gegen Reins dorff spricht nur das Zeugniß der Frau Wind. Dieselbe hat aber felbft fich an der Verbreitung des Soz." betheiligt. Sie ift verdächtig in den Augen jebes Unbefangenen, von der Wahrheit abgewichen zu sein. Ich bedauere, baß fie zum Zeug niß veranlaßt wurde, nicht gerichtsseitig, sondern polizeifeitig. Durch entstellte Hinterbringung einer Neußerung ihres Manes ist fie von Rammhoff zum Zeugniß veranlaßt worden, eine Handlung, die ich für ebenso unschön halte, wie die Vorführung des achtjährigen Knaben Pfeiffer.
Ein hoher Gerichtsbeamter soll gefagt haben, es wäre beffer gewesen, aus diesem Prozeß zehn bis zwölf Schöffen gerichts- Verhandlungen zu machen. Der Prozeß wird bedauerliche und unerfreuliche Folgen haben. Die Angeklagten find in ihrem Erwerbsleben auf Wochen gestört worden; da es wadere Leute find, werden sie zu ihrer Arbeit zurückkehren. Aber der Prozeß wird die Folge haben, daß die Sozialdemokratie fich in noch weitere Kreise ausbreitet. Das Rechtsbewußtsein des Boltes würde durch eine Freisprechung ge stärkt; überall, in den Salons wie in der Bürgerstube, ist bie Sympathie auf Seiten der Angeklagten. Ich schließe mit dem Wunsche, daß man überall jagen möge: Es giebt noch Richter in Elberfeld ! Möge die Freisprechung froß aller Polizeimachinationen erfolgen. Das wünsche ich den Angeklagten.
Hier tritt eine Pause ein, da R.-A. Dr. Schweizer vor zieht, fein Plaidoyer ohne Unterbrechung zu halten. Bei der Wiedereröffnung ist R.-A. Lenzmann abwesend.
Präsident: Von R.-A. Lenzmann wurde behauptet, Rommissar Rammhoff hätte sich eine Unrichtigkeit zu Schulden kommen lassen, indem er bei einer Vernehmung sagte, er fäme von einer Untersuchung, wo er 15 Zeugen gehabt hätte.
R- A. Dr. Schweizer: An demselben Tage, wo Rammhoff vernommen wurde, hatte ich eine Verhandlung vor der Straffammer, in welcher Rommiffar Rammhoff als Letter von 15 Beugen war. Ich glaube, daß die Sizung am 13. war, bas fann leicht festgestellt werden.
Der Präsident erklärt, daß diese Vernehmung Rammhoffs am 5. Dezember stattfand.
R.-A. Dr. Schweizer: Nach den Ausführungen Nach den Ausführungen
6. Jahrg.
Lenzmanns fönnte es mir leicht sein, mich ihm anzuschließen. Aber ich werde mir erlauben, das vorgekommene Material noch einmal fachlich zu behandeln. Der Staatsanwalt hat auf eine Reihe von Artikeln des Soy." hingewiesen und ausgeführt, daß die Sozialdemokratie revolutionär fei. Er ist weiter gegrngen, als nothwendig war zur Prüfung ber hier vorliegenden Strafthaten. Die Sozialdemokratie als solche arbeitet nicht auf den Umsturz hin: das Sozialistengefek bekämpft auch nicht die Sozialdemokratie als solche, sondern nur umstürzlerische Bestrebungen. Darauf wurde auch bei Bes rathung des Sozialistengefeges hingewiesen, wie fich auch aus einer nationalliberalen Broschüre über diese Verhandlungen er giebt. Man kann den Sag aufstellen, daß die Theorie der Sozialdemokratie revolutionär fei; daß hat fie aber gemein mit vielen Theorien. Das heutige Staatswesen ist nicht mehr das, wie vor einigen Jahrhunderten. Damals waren die Be ftrebungen zur Aufhebung der Leibeigenschaft auch revolutionäre. Ich will nicht untersuchen, ob die Biele der Sozialdemokratie Utopien oder in absehbarer Zeit zu verwirklichen sind. Ich will aber die Angeklagten dagegen in Schuß nehmen, daß fie als Sozialdemokraten ipso facto auch Revolutionäre feien. Auf den Kongreffen haben fich die Sozialdemokraten entschieden gegen den Anarchismus erklärt. Am 20. Mai 1888
hat Bebel, als er von der Anklage gegen ihn noch nichts wußte, fich im Reichstage dahin ausgesprochen, daß im Programm der Sozialdemokratie nichts enthalten sei von dem, was die LockSpigel behaupten. Eine Aenderung der Gesellschaftsform strebe die Sozialdemokratie an, über das Wie sei aber die Partei nicht einig. Gerade das unterscheide die Sozialdemokratie von früheren Bestrebungen, daß fie auf dem Boden der Entwide lung stehe. Das Revolutionsmachen überlasse sie den königlich preußischen Lockspiteln. Das ist der Gedankengang Bebels und es ist ihm voller Glauben zu schenken.
Den Angeklagten wird Vergehen gegen die§ 128 und 129 vorgeworfen. Welches ist die Definition von Verbindung? Das ist in Reichsgerichtsentscheidungen festgestellt. Die Ber bindung" verlangt einen Bersonenverband, einen dauernden 3wed und die Unterordnung des Einzelwillens unter den Gesammtwillen. Wenn allein die Vereinigung mehrerer Ber sonen die Verbindung ausmacht, so müßte jebe organisirte Partei als Verbindung aufgefaßt werden, und organisirt sind alle Parteien. Sie fönnten also, wenn fie ungefeßliche Ver bindungen wären, auf Grund des preußischen Vereinsgefezes bestraft werden. Das ist bis jeßt Niemanden eingefallen; alle diese Organisationen bestehen unangefochten unter den Augen der Behörden.
Den Angeklagten wird nun vorgeworfen, fie feien Theilnehmer an einer allgemeinen geheimen Verbindung, die gefeßwidrige Zwede verfolge. An deren Spize soll Bebel stehen. Ich habe bereits gesagt, daß es unmöglich ist, aus der allge meinen Parteiorganisation auf eine allgemeine Verbindung zu schließen. Die Anklage geht davon aus, daß der Sozialdemokrat" Bentralorgan der Partei sei und im Zusammenhang mit der Verbindung stehe. Es ist hinreichend aufgeklärt, daß der Soz." einzig und allein eine Privatunternehmung einzelner Leute ist.
In dem von der Anklage angezogenen erften Artikel ist lebiglich eine Aufforderung zum Abonnement enthalten. Die Anklage geht weiter und sagt, der Soz." fei offizielles Parteiorgan. Die Schlüsse, welche die Anklagefchrift zieht, find unzulässig. Ein späterer Artitel geht nur von der Redat tion aus. Der Artikel in Nr. 11 sagt, daß der Soz." den 3wed habe, der Partei eine sichere Einnahmequelle zu bieten; das schließt aber nicht aus, daß das Blntt nach wie vor Privatunternehmen bleibt. Warum soll der Soz.", wenn er gute Geschäfte macht, nicht der Partei etwas zukommen lassen? Auf dem Wydener Rongreß wurde gefagt, daß die sogenannten Lokalblätter der Partei reine Privatunternehmen seien, in die der Rongreß nichts hineinzureden habe. Die Blätter werden in Gegensaß gefeßt zu dem Zentralorgan, dem Soz." Der Staatsanwalt hat Bezug genommen auf den Aufruf, welcher unterzeichnet ist: Deutschland , Ende Juni 1882." Daraus will die Anklage den Schluß ziehen, daß das Blatt Partei unternehmen sei. Der Aufruf ist aber nur eine buchhänd lerische Reklame und Renommifterei.
Aus dem Aufrufe zum Wydener Kongreß will die Anflage auch die geheime Organisation herleiten. Es ergiebt sich aber daraus, daß eine Organisation nicht bestand. Es heißt, man solle zusammentreten und berathen, wen man als Ver trauensmann schicken solle und wie die Mittel beschafft werden follen. Aus der Nachschrift geht das von mir Gesagte hervor. Es heißt, daß etwa bestehende Organisationen nur lokaler Natur und der Redaktion unbekannt seien. Die Anklage mußte auch die Nachschrift zu einem Theil ihres Gefüges machen; ba mit fällt aber das ganze Gefüge auseinander. Aus der Notiz geht gerade hervor, daß einzelne Genossen sich an den Soz. um Rath wandten, und es wurde hervorgehoben, daß eine Organisation nicht bestehe, daß örtliche Organisationen die Redaktion gar nicht kenne. Das widerlegt schlagend die Annahme der Anklage.
Mit dieser Nachricht stimmt vollständig überein, was später auf dem Kopenhagener Kongreß vortam. Die Leute, die es am besten wissen müßten, wissen nichts von einer Organisation. Es ist nicht gelungen, den Nachweis zu führen, daß auf den Rongressen noch Anderes verhandelt wurde, als was in den Protokollen steht. In Kopenhagen wurde über mehrere Organisationsvorschläge, mit der Eintheilung Deutsch lands in Rorrespondenzbezirke, zur Tagesordnung übergegangen, ba über kurz oder lang eine folche Organisation der Polizei bekannt würde. Sei die Partei bisher ohne Organisation ausgekommen, so würde sie es auch ferner fönnen, da der Geist ber Zusammengehörigkeit noch stärker sei. Wenn man nicht annehmen will, daß die Männer, die in Kopenhagen waren, die bornirtesten Männer von der Welt waren, so kann man nicht glauben, daß fie 24 Stunden nachher eine große Ver bindung über ganz Deutschland gründen würden. Das wäre ja geradezu ein Wahnsinn.
Davon, daß die Rongreßtheilnehmer ein Mandat von örtlichen Organisationen haben mußten, steht nichts im Protokoll. Die im Protokoll erwähnten Bezirke sind nicht die örtlichen Organisationen, sondern die Bezirke, wo die Partet Anhänger hat, und, wie an anderer Stelle es flar heißt, die deutschen Wahlbezirke.
In dem Leitartikel vom 1. April 1888 ist darauf hinge wiesen, daß nur das geistige Band die Genoffen verbinde und eine eigentliche Organisation überflüssig sei.
Die als Zeugen vernommenen früheren Reichstags- Abgeordneten wußten nichts davon, daß der Soz." Geschäftsüber schüsse an die Fraktion ablieferte. Wenn es aber der Fall wäre, so wäre es natürlich; viel zu weitgehend wäre es, baraus zu schließen, daß der Soz." Parteiunternehmen sei. Um fich zu entlasten, mag Schlüter, dem die Gefahr der Verfolgung in der Schweiz drohte, gesagt haben, er habe das Manuskript zum Rothen Teufel" aus Deutschland bezogen und den Ueber