2. Beilage zum Berliner Volksblatt. Nr. 803. Mittwoch, den 35. Dezember 1889. 6. Jahrg. LoKsles. Augenlprache. Einer der ersten Pfadfinder, welcher die Augensprache auf eine wissenschaftliche Grundlage zmuckfüdrte. ifi der große Physiologe Johanne« Müller, und wa« man letzt über die Augensprache, eigentlich ub,r den Blrck, weiß, find die Krüchte dieser Forschungen. Es find nämlich die Nerven der Augenmuskeln, wie auch der GcfichtSnerv(aerviis facialis). welche, in unmittelbarer Nähe de« Geistesorgans ent- springend, leicht durch Geisteserregungen beeinflußt und zu Bewegungen veranlaßt werden. Duchenne hat in seinem Werke: Mecanisme de la Physiognomie nachgewiesen, daß der Verkörperung aller Seelenaffekte der Augapfel so gut wie gar nicht sich an den phyfiognomischen Vorgängen betheilizt. mag wenig berührt wie eme Glasperle, in deren Wölbung ein Licht aufblitzt: der seelische Ausdruck entsteht lediglich durch die da« Auge umgebenden Weichtheile. Da« Thierauge ist mindesten« ebenso glänzend, aber all' die feinen Abstufungen de« Geistes« und Gemüthsleben«, welche dem Menschen allein gehören, finden ihren Ausdruck nur in den Bewegungen des Geficht« und in derm wechselndem Spiel. Je höher der Mensch an Geist und edler Bildung steht, um so charakteristsscher und individuell auSdruckifähiger wird sein Geficht, und erst durch diese Mienensprache erhält da« Auge seinen oft bewunderten Ausdruck. Wenn man eine Anzahl der an Cbarakter und Bildung verschiedensten Menschen hinter eme Wand treten läßt, in weicher ein schmaler Emschniit oben nur die durch den- selben hervorblickenden Augen sehen läßt, so wird eS fast Niemand gelingen, auch selbst die einem nächststrhenden, bekannten Per- jonen herausfinden; man sieht eben nur eine Rech» ganz ähnlich, ja fast gleich erscheinender Augen; der beste Beweis, daß da« Auge nicht das Unterscheidende und Bestimmende in dem menschlichen Gesichte rst. Besonders strahlend sind die Augen rm jugendlichen Alter, wenn der Organismus empor- blüht in üppigster Lebenskraft, und die Leichtigkeit, mit welcher GersteSzuflände auf den Glanz des Auae« einwirken, ist der Grund, daß lebhafte und geistreiche Menschen sich durch den stärkeren Glanz ihrer Augen au»zeichnen. Je stumpfsinniger em Mensch ist, desto glanzloser find auch die Äugen. Der ver- änderliche Glanz des Augapfels ist auch abhängig von der größeren oder geringeren Meng» der Tbränenfeuchtigkeit und, wie bereits erwähnt, von der Farbe der Iris. Feuchtglänzende Augen findet man vorzugsweise bei erregbaren leidenschaftlichen Menschen, bei sogenannten GemüthSmenschen, während man bei kälteren Naturen, also bei Verstandesmenschen, einen mehr trockenen Glanz der Augen beobachtet. Aus demselben Gmnde haben Kinder und Frauen im Allgemeinen feuchtere Augen als Männer und daher mag es auch wohl kommen, daß es im schönen Geschlecht wahre Virtuofinnen giebt, welche durch Talent und fleißige Neben im Weinen eine merkwürdige Geschicklichkeit erlangt haben und solche als Angriffs- und Ver« theidiqungSwaffe meisterlich in Anwendung zu bringen wissen. Das Augenfeuer ist also«in« r«in physikalisch« Erscheinung, das, zumeist von der oberen Lidbewegung abhängend, zur CHarakieri- firung aller stärkeren Affekte, wie Freude, Begeisterung, Kampflust, Zorn, Wutb wesentlich beiträgt. Dre Redensart:Die Freude ver- klärt das Auge", und der von Aristophanes   gebrauchte Vergleich, der die Augen de« zürnenden AeschyluSStieraugen" nennt, sind sehr zutreffend. Alle Affekle dagegen, welche die Seele zu sanften, erhebenden oder druckenden Gefühlen stimmen, wie Wohlgefallen, Bewunderung, Liebe, getäuschte Hoffnung, Kummer, Gram, Schmerz zeigen sich mehr oder weniger in der Senkung des «iern Lides, wodurch der Lichtspiegel, das Augenfeuer ver- mindert wird.Der Gram umflort das Auge." Die Senkung des oberen Lides kennzeichnet auch die Scham. So steht das Kind, wenn es für feine kleinen Sünden gescholten wird, nut gesenkten Lidern da; eS liegt hierin der letzie adgeschwächteste Ausdruck der Meinung, wie die« beim Strauß vorkommen soll, daß, wenn e« selbst nicht sehe, e« auch nicht gesehen werde. Auch die Demuth äußert sich in dieser Augenhaltung; wenn aber dieser Blick dauernd von Personen beibehalten wird, so sind wir geneigt, Heuchelei dahinter zu ver- rnuthen, denn schwerlich kann Jemand beständig im Zustande der Scham oder Demuth verharren. Reben der Bewegung der Lider sind für den Ausdruck der Augen auch die Brauen von giößter Bedeutung; sie bilden die Grenze zwischen Augen und Stirn und eine der beweglichsten und beredtsten Partien der palhognomischen Theile der Physiognomie. Die Augenbrauen geben dem Gesicht und besonders dem Auge sein größere« oder geringeres Relief, und bei Menschen, in denen die Leidenschaften noch schlummern oder nur selten in die Erscheinung treten, beim Kinde, dem Jüngling und auch beim Weibe, bilden die Augen- brauen im Allgemeinen einen schönen, reinpezeichneten Bogen, der, nach den Schläfen hinaufsteiaend, das Gepräge der Kind- lichkeit, der Weiblichkeit und der Unmittelbarkeit trägt. Flachere, mehr über das tiefliegende Auge herabgezogene und auch eckige Brauen find mehr dem scharfen Denker, dem gefestigten Streiter >m Kampfe des Leben« eigen, Menschen von Klarheit und Schnelligkeit der Auffassung. Sind die Brauen nach der Rasenwurzel zusammen gezogen und biloen dort scharfe, senk« rechte Falten, so zeugen diese für eine angestrengte Denkthatig- teil, auch für Gram und Kummer, ja selbst für ernen Aus- »ruck des Trotzes. Das Hm- und Herrollen der Augen, wenn auch in einem milderen Sinne, zeigen die Aengstlichen, Ästigen und Neugierigen und für Letztere heißt es dann: Einem Augen machen", wa« man in Thüringen  »on einem Mädchen sagt, wenn es mit einem Manne zusammengeführt wird; denn dannschielt" e«, das heißt, es thut, als ob eS sich gar nicht um ihn kümmere, blickt aber ver- Sohlen unter den Wimpern nach ihm hin. um zu sehen, was !r für ein Gesell ist. Gefällt nun der Mann dem Madchen so von außen, dann macht eS ihmOhren", d. h. eS hört auf leine Rede, und gefällt ihm diese, dannmacht e« ihm Augen", d. h.«s blickt ihn dann plötzlich mit großen Augen an, um sich zu überzeugen, ob er's so meint, wie er spricht. Ist diese lleber- zeugung nicht zu Gunsten des Liebhaber«, so geht esihm aus den Augen", im anderen Falle aber ist der Schatzeine Augenweide. Anter solchen Umslänoen tritt eine mäßige Dämpfung des Horn- hautspiegel« ein.welche dem Auge etwa« ungemein Sanftes, Weiches Siebt, dasSchmachtende", da« eng verwandt ist mit dem Ausdruck sinnlicher Liebe, der in der antiken Kunst m den Augen der Venus mit gesenktem Lid und verkieinerter Lid» spalte dargestellt wurde und das charakteristische Merkmal der Augen aller antiken Venusstatuen ist. Beim Verliebtsem nchie« sich die Augen nicht auf das geliebte Mmlchenkind, sndern gehen, gleichsam die Abstrakt-on von dem Nahen, das »vlle Aufgegangensein in den süßen Wahn ausdrückend, mehr *r die Höhe, die leicht sich schließenden Lider decken da« Auge »nd machen es feucht. Daneben zeigen sich oft kleine seitliche, gleich- !v» tanzende Bewegungen, das Augentanzen der Venus, von dem ApulejuS bei der Beschreibung emer pantomimischen Darstellung de« Göttinnenstreitet um den Apfel der Schönheit so erwärmend berichtet. Und die sanften, tanzenden, wellenartigen Bewe- gungen der Augen, mit leichterem Neigen des Kopfes verbünd«, sind zweifellos ein Ausdruck angenehmer Gefühlsempfindungen, wie denn überhaupt der sanfte, weibliche Blick sich durch Wellen� linien, durch seine wellenförmige Richtung charakterisirt, aber auch leicht durch eine kleine Abweichung als Zeichen der Koketterie aufgefaßt werden kann, wenn die Augen einer Schönen unter dem Deckmäntelchen des etwas gesenkten oberen Lide« von einem Manne zum anderen emsig wandern, und wenn die« sogar schnell und schlagartig geschieht, so daß man fast em Geräusch zu hören glaubt, so giebt eS wirklich böse Zung<n, die sich zuflüstern:Sie klappert mit den Augen." Zleber Diphtherie«ud Tqphu« während de« vorigen Jahre« enthält der ärztliche Bericht des städtischen Kranken­hauses Moabit   folgende Angaben: Die Diphterie   nahm unter den im Krankenhause behandelten Infektionskrankheiten die erste Stelle ein; sie betrug 145, davon 39 Erwachsene und 106 Kinder. Außerdem ist es mehrfach vorgekommen, daß auf der Kinderstation einzelne Kinder von der Diphterie ergriffen wurden; höchst wahrscheinlich ist durch besuchende Personen da« Koytagium von außen hereingetragen worden, denn im Krankenhause desteht zwischen der Diphteriestation einem besonderen Gebäude und der Kinderstation strenge Jsolirung. Daß durch gesunde Personen ein Ansteckungsstoff übertrügen werden kann, darüber kann nach einer Anzahl sicher geftellier Beobachtungen ein Zweifel nicht mehr bestehen. Die Sterb- lichkeitSziffer der Diphterie   betrug im Berichtsjahre 29,6 pCt. Eine Abnahme in der Höhe der ErkrankungSziffer an Diph- therie scheint in Berlin   nock nicht bemerkbar zu sein, dagegen nimmt die Häufigkeit der bösartigen Fälle ein wenig ab. Die Zahl der Typhus erkrankungen war niedrig; sie betrug nur 43. Der Westen und Nordwesten von Berlin  , wel- cher dem Moabiter   Krankenhause seine Kranken zuführt, war nur wenig vom Typhus befallen, während dagegen im Osten von Berlin  , welcher seine Kranken nach dem Krankenhause FriednchShain schickt, eine ziemlich große Typhukverbreiwng bestand. Es ist auch eine Häufung bösartiger TyphuSerkran- kungen nachweisbar gewesen. Eine interessante Beobachtung, welche mehrfach in dem Laboratorium des Krankenhauses ge- macht worben, wird in dem Bericht noch besonders eiwähnt, daß nämlich die Typhusbazillen noch in der Rekonvaleszenz des Kranken im Harn sich finden, in einem Falle konnten sie sooar noch 23 Tage nach abgelaufenem Fieber in vollkommenster Lebensfähigkeit nachgewiesen werden. Datz steruntergelrommene Adelige sich mit Damen zweifelhaften Rufes verheirathen, blos um diese gegen eine Ab- findungssumme zur Führung ihre« adligen Namen« zu berech- tigen, gehört nicht zu den Seltenheiten und hat sich vor nicht langer Zeit wieder in Berlin   ereignet. Der Träger eine« alten Namens", ein ehemaliger Rittergutsbesitzer sah ein, daß sich seine Lage von Tag zu Tag trüber gestaltete; um so freu- diger wurde er überrascht, als an ihn, der Wittwer war, durch einen Agenten die Ansrage gerichtet wurde, ob er sich unter günstigen Bedingungen wieder verehelichen wolle. Di«gün- stigen Bedingungen", unter denen X. eine zweite Ehe eingehen sollte und thatsächlich später auch einging, bestanden darin, daß er eine bestimmte Summe erhielt, wogegen er sich verpflichtete, nach Schließung der Ehe vor idem Standes- beamtea sich aller Rechte und Pflichten seiner zweiten Frau gegenüber zu begeben. Der Verzicht auf eine gemein- same Wohnung stand dabei obenan. Auf dieser Grundlaqe wurde die etwas zweideutigejunge Dame", Frau von T, während Herr v. X., trotzdem er wieder verheiralhet war, die Fieuden des Junggesellenlebens m vollen Zügen genoß, aller- Vings eben nur so lange, als jene Abfindungssumme reichte. Heute ist er damit fertig, seine elegante Junggesellenwohnung hat er mit einer bescheidenen Schlafstelle vertauschen müssen, sein Kredit beim Schneider und Schuhmacher ist wieder auf Null gesunken, jede Annäherung an seine Frau hat diese mit kaltem Hohn von sich gewiesen; nicht einmal in eine Scheidung zu willigen, ist sie geneigt. Solcher Scheineben, wie diese in allen ihren Einzelheiten dem Leben nacherzählte, mag es in Berlin   noch Viele geben, wenn auch anzunehmen ist, daß der Schwerpunkt der Gegensätze häufig noch auf einem ganz an- deren Gebiete zu suchen ist. Gerichks�Beikmtg. Die Ueberschreltung de« Züchtigungsrecht« dl» Lehrer kommt m den seltensten Fällen zur Kognition der Ge- richte, da der Staatsanwalt bei allen deshalb gestellten Straf. antrügen sich immer erst mit der Provinzialschulbehörde des betriffenden Lehrers in« Benehmen setzen muß, die gegen diesen, falls eine Ueberschreltung des ihm zustehenden Züchtigung«. rechts nicht m Abrede gestellt werden kann, im Di«. ziplinarwege vorgeht und meistens nur eine leichte Ordnungsstrafe festsetzt. Der Staatsanwalt und folge- messe der Straflichter kann erst dann einschreiten, wenn m dem Vorverfahren eine durch den Mißbrauch de« Züchtigungsrechts dem Kinde zugefügte Verletzung festgestellt wird, die der Gesundheit desselben schädlich geworden ist. Wegen einer solchen halte sich am letzten Sonnabend der Lehrer Böhm aus Rixdorf   vor der zweiten Strafkammer des Land- gerichts II zu verantworten. Er wurde zu 30 Mark Geldstrafe, ev. 6 Tagen Gefängniß verurtheilt, weil er den Knaben Panne- mann, der öfters die Schule schwänzte, deswegen so durch. gehauen halte, daß der untersuchende Arzt noch nach 3 Wochen tbeils eitrige, theils vernarbte Schwielen auf dem Rücken und Gesäß, sowie an den Arm-n und Beinen de« Knaben vorfand. Zum Kapitel der Ausverkäufe lieferte eine Verhand- lung, welche gestern vor der 91. Abth. des Schöffengerichts stattfand, einen bemerkenswerthen Beitrag. Der Kaufmann Mette hatte im September d. I. in verschiedenen Stadtgegen- den gerade leerstehende Läden auf kurze Zeit gemiethet und in denselben Ausverkäufe veranstaltet. In einem Laden in der Ocanienstraße nahm der Kaufmann Heinrich Plos- die Stellung eines selbstständigen Verwalter««in. Der Letztere pries die Waaren durch Annonzen und durch Zettel an dem Schau- fenster an. Einer dieser Zettel durch den Ver- werk:Beste Stettiner Kronen- Kerzen pro Pfund 48 Pfennig, sonst 80 Pfennig." Dem Vertreter der Stettiner Kerzenfabrik kam diese Ankündigung zu Gesicht und da ihm bekannt war, daß da« genannte Fabrikat unmöglich für den angezeigten killigen Preis verkauft werden konnte, so folgerte er daraus, daß dem Publikum eine ander« minderwerthige Waare untergeschoben werden solle. Er ließ durch seine Schwester 5 Pfund Kerzen holen, wobei derselben von dem bedienenden KommiS ausdiücklich versichert wurden daß es beste Stettiner Waare fei. Es stellte sich heraus, daß die verkauften Kerzen nicht au« der angegebenen Quelle stammten, sondern au« einer billigeren KompofitionSmaffe Hergestelb waren. Der Engros- Preis für diese Kerzen betrug 40 bis 42 M. Auf Grund dieser Feststellungen wurde gegen Prof« und dessen Verkäufer, den HandlungSkommiS Feige, An» klage wegen Betruges, beziehungsweise wegen Beihilfe dazu erhoben. Profs wollte von dem verführerischen Plakat an dem Schaufenster nichts wissen, e« sei dies Sache seines jungen Manne« gewesen, der das Fenster dekorirt habe. Äußer- dem habe er dem letzteren ausdrücklich aufgegeben, beim Verkaufe zu betonen, daß es nicht Stearin-, sondern Kompositionskerzen seien und drittens sei die BezeichnungStettiner Kronen- Kerzen" eine in Berlin  allgebräuchliche, auch wenn die Waare nicht au« Stettin   stamme. Die elfteren Behauptungen wurden durch den Mitangeklagten HandlungSkommiS widerlegt und die letztere wollte der Staatsanwalt als stichhaltig nicht gelten lassen, da dem Betrüge dadurch Thür und Thor geöffnet werde. Es liege im vorliegenden Falle aber kein vollendeter, sondern nur ein versuchter Betrug vor, denn der Käufer ging von der VoiauSsetzung au«, daß er getäuscht werden sollte. Er bean- tragt« gegen Prose   eine Geldstrafe von 50, gegen Feige 20 M. Der Vertheidiger begründete seinen Antrag aus Fressprechung darauf, daß der Angeklagte an einem Pfund Kerzen nur 6 Pfennige verdient habe, was als ein rechtswidriger VermögenSvoriheil nicht angesehen werden könne. Der Gerichtshof hielt aber für erwiesen, baß immerhin eine falsche Vorspiegelung gemacht und dadurch ein Betrug versucht sei. Pros« wurde izu 20 Mark oder 4 Tagin Ge­fängniß verurtheilt, der Mi'angeklagte Feige, dem geglaubt wurde, daß er lediglich aus Unerfahrenheit gehandelt, wurde dagegen freigesprochen. Euischeiduuge« de« Reichsgericht«.(Nachdruck vec- boten.) Leipzig.(Vom Postaesetze.) Zu einer genauen In- terpretation des§ 2 des Postgesetze« vom 28. Oktober 1872 gab eine Verhandlung Anlaß, welche heute vor dem 1. Straf­senate des Reichsgericht« stattfand. Während der§ 1 de« erwähnten Gesetzes das alleinige Recht des Staates feststellt, Briese und Zeitungen von einem Postorte nach einem anderen zu befördern und bei Zeitungen für den zweimeiligen Umkreis des PublikationSorteö eine Ausnahme zuläßt, gestattet der§ 2 die Beförderung von Briefen und Z Hungen ohne weitere Einschränkungen durch expresse Boten oder Fuhren. Wegen Uebertretung diese«§ 2 war nun Herr Beer, der Ver- leger derKleinen Presse" in Frankfurt   a. M., von der Ober- postdirektion in Darmstadt   in eine Strafe von 200 M. genom­men, weil er sein Blatt durch Boten hatte befördern lassen, die Nicht alsexpreß" im Sinne des Gesetzes angesehen werden. Die Beförderung des betr. Blattes geschah, so weit sie hier in Betracht kommt, in der Weise, daß ein Expreßbote mit den für mehrere Orte bestimmten Exemplaren jeden Abend nach Darm- stadt fuhr und daß dann dort die Exemplare lür Diburg und Großzimmern zwei Fabrikarbeitern aus diesen Orten mitgegeben wurden, die tagsüber in Darmstadt   arbeiteten und Abends mit der Eisenbahn nach ihrem Wohnorte, fuhren. Die Obnpost- direktion aber war der Meinung, daß diese beiden Ardeiter, welche die Essenbahnfahrt ohnedies gemacht haben würden, nicht alsexpresse" Boten im Sinne de«§ 2 anzu­sehen seien und begründete damit ihren Strafbefehl. Auf die erhobene Beschwerde de« Betroffenen bestätigte da« Schöffengericht die Strasoerfügung. Desgleichen verwarf da« Landgencht Frankfurt a. M. die Berufung des Herrn Beer. In den Gründen wurde folgende« angeführt: Wo die Be- förderung der Zeitungen durch den Boten nicht die Hauptsache ist, sondern zur Nebensache wird, da kann von ci ,emexpressen Boten keine Rede sein. Die beiden hier in Be- tracht kommenden Boten sind Arbeiter, welche die ZeitungSpackete gelegentlich milnahmen. Die Ver- theidigung hat eingewendet, der expressen Boten nicht abhalten, über Absender könne einen seine ursprüngliche Auf- tragschätigkeit hinaus thätig zu werden, aber um etwas Der artiges handelt es sich hier gar nicht. Die bilden Leute machten die Fahrt in ihrem eigenen Interesse und bei dieser Gelegen- heit nahmen sie die Packet« mit. ES ist aber erforderlich, daß der Bote von dem Absender zunächst und besonders angenom- men worden ist, wenn er als expresser Byj? angesehen wer- den soll.. Herr Beer hatte gegen das landgerichtliche Ur» theil Revision eingelegt(bei Strafsachen, in denen es sich um Gelder handelt, die in die Reichskasse fließen, giebt«s bekannt­lich drei Instanzen) und rechtSirrthümliche Auffassung des Be­griffesexpresser Bote" gerügt. Es wäre falsch, so wurde argu- mentirt, einen Menschen, welcher Gänge gegen Bezahlung macht, nicht als Boten anzusehen, weil er auch ohne den Auf- trag, der ihn zum Boten macht, den fraglichen Weg durch- messen haben würde. Der Reichsanwalt erklärte die Revision für unbegründet. Nach dem§ 2, so sagt« er, muß ein Bote expreß" abgeschickt werden vom Absender, wenn dieser da« Gesetz nicht verletzen will. Die Benutzung eines Gelegenheit«. boten steht im direkten Gegensatze zur Beförderung durch einen Boten, der expreß zu dem betr. Zweck abgeschickt wird. Daß in diesem Falle Gelegenheitsboten benutzt worden find, ergiebt sich daraus, daß die beiden Arbeiter ohnedies an die betr. Orte sich begaben. Daß dies auch dem Angeklagten anzurechnen ist, er- piebt sich daraus, daß er wußte, die beiden Arbeiter würden den Weg machen auch ohne einen besonderen Austrag seinerseits. Es liegen somit die objektiven und subjektiven Voraussetzungen zur Anwendung des§ 2 vor. Im Einverständniß mit diesen Ausführungen verwarf schließlich das Reigsgerirbt die Reo fion und erklärte'damit die Auslegung, welche die Ober- postdirektion dem§ 2 Hatte zu Theil werden lassen, für zu- treffend. Leipzig.(Ein verurtheilter Arzt.) Als am 28. Oktober v. I. der praktische Arzt Dr. Konrad Müller aus Krackow  durch den Ort Groß-Gcabow fuhr, wurde er durch eine Hebeamme zu einer Frau G. gerufen, welche soeben einem Kinde das Leben gecreben hatte. Obgleich Dr. Müller tele- graphisch zu einem Patienten in einem Nachbarorte gerufen war und obgleich er nicht der gewöhnliche Arzt der Frau G. war, so unternahm er es doch derselben Hilfe zu leisten. Bei den nunmehr nothwendigen Mani- pulationen offenbarte er so wenig Geschicklichkeit, daß die vorhandene Blutung nicht gestillt wurde. Al« er dann nach geraumer Zeit fortging und schließlich der ordentliche Arzt Dr. W. herbeigerufen war, zeigte die Frau G. infolge des andauernden Blutverlustes eine solche Schwäche, daß ihr Leben nicht erhalten werden konnte. Drei Stunden nach der Entbindung war sie todt. Doktor Müller wurde nunmehr der fahrlässigen Tödtung angeklagt und trotz der Einwendung, er sei wegen einer Wunde an der rechten Hand an der Ausführung aller nothwendigen Mani- pulationen behindert gewesen, vom Landgerichte Güstrow   am 11. Juli d. I. verurtheilt. Er hatte Revision eingelegt und den Nachweis versucht, daß ihm eine Fahrlässigkeit deshalb nicht W" Last gelegt werden könne, weil er vor dem Erscheinen de« Dr. W. die Frau verlassen habe, da er als sicher annehmen mußte, daß