Beilage zum Berliner Voltsblatt.
r. 303.
Situng vom Freitag, den 27. Dezember.
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Sonnabend den 28. Dezember 1889.
Der Stadtverordneten- Vorsteher, Stadto. Dr. Stryd, röffnet die Sigung um 5 Uhr mit einer Reihe geschäftlicher Mittheilungen. Ein Ausschuß ist von den Abtheilungen gewählt worden. Gegen brei Wahlen der legten Ergänzungswahl ist, wie der Magistrat mittheilt, Widerspruch erhoben worden, und zwar gegen die Wahl im 11. Wabbezirk 3. Abtheilung( gewählt Bubeil); gegen die Wahl im 42. Wahlbezirk 3. Abtheilung( gewählt Gründel) und gegen die Wahl im 7. Bahlbezir 2. Abtheilung( gewählt Lüben). Nach der Verfügung des Oberpräsidenten bleiben die alte Mandate beftehen, hs die Versammlung die Proteste geprüft hat. Die alten Mandate sind in Händen der Stadtverordneten Pilzmann, Frmer und Fläsche. Stadtv. Jemer nimmt daraufhin bis auf Weiteres I laub.
Nach Eintritt in die Tagesordnung nimmt die Versamm Tung die Wahl der Mitglieder und der Erfaßmänner zur Einschägunas Rommiffion für die flaffifizirte Einkommensteuer pro 1890/91 vor.
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Einige Rechnungen werden auf Antrag des Ausschuffes für Rechnungsfachen becharairt.
Es folgt die Berichterstattung über die Vorlagen, betreffend die Skizzen zum Neubau a) einer Gemeinde. Doppelschule, b) einer höheren Bürgerschule auf dem ehemaligen fä fifchen Friedhofe an der Friedenstraße, c) einer Gemeinde- DoppelIchule in der Friedenstr. 33.
Der Ausschuß beantragt: Die Verfammlung genehmigt bie Stizzen für den Bau der höheren Bürgerschule und der Gemeindeschule mit der Maßgabe, daß folgende Bunkte be. rüdfihtigt werden: 1. In der höheren Bürgerfchul: soll ein 3ummer zur Aufbewahrung der chemischen Unterrichtsmittel in ber Nähe der ptyfifalifchen Klaffe eingerichtet werden. 2. Die ehrerwohngebäude folen neben einander gelegt werden. 3. Für die Gemeindeschule soll eine Umlegung in der Weise tattfinden, daß der innere Hof fortfällt und so mehr Hofraum gewonnen wird. Herbei muß zugleich die Turnballe der Gemeindeschule umgelegt werden. Gegen die Slizte zum Neubau einer Gemeinde- Doppelschule in der Friedenstraße 33 wurden im Ausschuß Einwendungen nicht erhoben, wohl aber wurde aufs Neue der Antrag gestellt: statt der projeftirten 36 Klaffen 40 zu bauen". Von Seiten der Schulbehö: be, fowie von bautechnischer Seite wurde dieser Antrag zwar befämpft, boch zugegeben, daß es hier möglich sei, tatt 36 Klaffen 38 zu errichten. Eine vorgenommene AbHimmung ergab: bem Plenum der Versammlung zu empfehlen, nuf dem Grundstücke Friedenstraße 33 eine Doppelschule mit 38 Aloffen einzurichten."
Stadto. Singer wünscht die prinzipielle Frage, die im Ausschuß erö tert worden ist, ob 18 oder 20 Riaffen einem Melior unterstellt werden sollen, im Plenum einer Be fprechung zu unterziehen. Leider sei die Haltung des Magistrats in der vorliegenden Angelegenheit schwankend und widerforuchsvoll gewefen. Bei der erften Gemeindeschule babe der Magiftrat erklärt, daß es nicht möglich fei, mehr als 18 Rlaffen einem Rektor zur Aufsicht zu überlaffen, hernach aber sei von ihm bei der zweiten in Frage stehenden Gemeindedoppelschule zugegeben worden, die Errichtung von 38 ftatt 36 Klaffen fei angängig. Es sei dringend geboten, daß die Berlammlung einmal prinzipiell zu der Frage Stellung nehme. Bisher habe er( Redner) den Ansichten des Magistrats in dieser Angelegenheit zugestimmt, daß die Zahl der Klaffen unter cinem Neftor nicht übermäßig erhöht werden dürfe. Das sei gerade im Interesse der Bevölkerung, aus der die Schüler der Gemeindeschulen hervorgehen, nothwendig. Dekonomische RüdFichten dürften hierbei nicht maßgebend sein. Die Schweiz wurde zwar von den Offiziösen als wildes Land verschrieen, tie Bersammlung werde aber zugeben, daß fie ein ausges Sie verdante dieses Erzeitvetes Schulwesen befize. nie bem Umstande, daß fie gefpart habe, gebniß wenn es Ausgaben für die Schule galt, Sparsamkeit, bei den Gemeindeschulen angewandt, trage feine guten Zinsen. Er( Redner) sei nicht Sachverständiger genug, um ein endgiltiges Urtheil abzugeben; seine eigenen Esfahrungen fagten ihm, daß es über die Fähigkeit eines Mannes hinausgehe, soviel Schulflaffen zu beauffichtigen. Redner beantragt, daß die Magiftratsvorlage betreffend ber Skizzen zum Neubau einer Gemeindeboppelschule in der Friedenstr. 33 wieder hergestellt werbe und daß der Magißrat vielleicht ersucht werde, durch zine prinzipielle Vorlage diese Angelegenheit bündig und gründ lih zu erledigen.
Stadibaurath Blantenstein eklärt, daß nur von bautechnischer Seite seitens des Maaifirats zugegeben worden sei, daß bie Errichtung von 38 Klaffen möglich sei und bittet im übrigen, bem Antrag Singer zuzuftimmen.
Stadtschulrath Bertram giebt zu, daß es sich im vorTiegenden Falle um ein Rompromiß handele. Wenn es dem Stadtv. Singer gelingen follte, die Versammlung dahin zu bringen, einen prinzipiellen Beschluß in dieser Angelegenheit 3a faffen, fo wäre Schul- und Bauverwaltung dankbar bafür.
Stadtv. Haefide weift darauf hin, daß gerade für die Gemeindeschulen enorm viel Geld" ausgegeben werde und beantragt deshalb für beide Gemeindedoppelschulen statt 36 und 38 die Errichtung von 40 Klaffen.
Stabiv. Langerhans beftreitet bie Richtigkeit der Singa'jden Vorausfegungen und weift den Vorwurf zurüd, baß die Gemeinde jemals nothwendige Ausgaben für GemeindeJulen zurückgewiefen habe.
Stadto. Singer erwidert, der Vorredner habe abfichtlich Tein praktische Differenspunkte als altuelle Gegenfäße hinge fei tein hellt. In feinen( Redners) Ausführungen jei Wort des Vorwurfs zu finden, daß die Stabt ihre Pflicht im Bau von Gemeindeschulen vernachläffige.
Nachdem 1och einige Redner gesprochen, Stabischulrath Bertram hierbei u. a. eillä: t, baß den Magiftrat Erfahrungen, bie er im Stillen gemacht, veranlaßt hätten, auf eine Bermin berung der Bahl der Kloffen zu bringen, werden die Anträge bes Ausfcuffes unter Ablehnung aller AbandeTungsantrage angenommen. Die eine Gemeindedoppelfule wind bemgemäß 36 die andere 38 Klaffen umfaffen.
Eine Reihe weiterer Vorlagen wird unverändert ange
nommen.
Eine Anfrage der Stadtv. Ekmann und Genoffen, betreffend den Umbau der Rottbuser brüde wird Dom Stadtbaurath Hobrecht dahin beantwortet, daß die Noth wendigkeit des Umbaus anerkannt werde und daß im Etat von 1890/91 die erfte Rate von 100 000 M. für den Umbau gefordert werde.
Enige Rechnungen werden an den händigen Ausschuß
vermicfen.
Damit ist die Tagesordnung erschöpft. Schluß 74 Uhr.
Es folgt eine nicht öffentliche Sigung.
Lokales.
Weihnachtsabend im Irrenhante. Der kurze Wintertag neigt fich feinem Ende zu. In dem hohen schönen Ge mach, welches zur Abhaltung gemeinschaftlicher Feierlichkeiten beftimmt ist, herrscht tiefe Stille. En Anstaltsdiener hat fo eben den großen Kronenleuchter angezündet, eine wohlthuende gedämpfte Helle burdfluthet den Saal. Es ist ein länglich vierediger, einfach ebler Raum, der fich dem Beschauer bietet. Die hohen Bogenfenfter find sein schönster Schmud. Zwei Reihen Bänke mit hohen Lehnen theilen ihn in zwei gleiche Hälften. Am Ende des Saales eine Erhöhung mit einem einfachen Altar und davor ein herrlicher, mit hunderten von Kerzen geschmückter Tannenbaum. Er strömt jenen eigenthümlichen Er strömt jenen eigenthümlichen würzigen Duft aus, den kein anderer Wohlgeruch, und sei es ber foftbarfte der Welt, zu ersehen vermag. Die Flügelthüren werden eröffnet, durch die mit Matten belegten, hellen, luftigen Korridore nähern sich die Kranken der Dalldorfer Jrenanstalt. Zuerst die weiblichen Infaffen. Sind das Kranke, die in so würdiger, feineswegs überhafteter Weise den Saal betreten, welche rubig die Pläge auf der rechten Seite einnehmen? Welcher Nichteingeweihte foll es bemerken, daß sich unter ben etwa 150 weiblichen Besuchern mindestens 20 Wärterinnen befinden, die fich so unter die Sigenden vertheilen, daß fie die ihrer Dbhut Anvertrauten stets im Auge behalten fönnen? Gleich darauf erscheinen die männlichen Kranken. Welch' reiche Ausbeute für einen Maler von Charakterköpfen! Da ist ein etwa 60jähriger Mann in ärmlicher, eigener Kleidung, mit prächtigem lang herabwallendem Vollbart; ein wahrer Apostelfopf! Jungen feingetleideten Männern mit aristokratischem Gesicht, wohlgepflegten Händen und in elegantefter Toilette folgen wetterharte Arbeiter geftalten, bie fich beim Anblicke des Tannenbaumes eine Thräne gestalten, die fich beim Anblicke des Tannenbaumes eine Thräne aus dem Auge mischen; da kommt ein Mann, dem man den Bö fianer auf den ersten Blick anfieht und dann wieder eine hübsche jugendfrische Erscheinung. Er ist Schauspieler gewesen. Welch eine Menge von unverdientem Unglück und unbeschreiblichem Jammer, weld' traurige Resultate von verkehrter Erziehung, welch' zügellose Leidenschaften mögen diese Wermsten aller Armen an diesen Ort gebracht haben? Die Wärter, welche nur an einer feinen weißen Schnur auf der Achsel tenntlich find, wenden tein Auge von ihren Pflegebefohlenen, fann doch der Anblick des Tannenbaums und die Macht auftauchender Erinnerungen gar leicht den schlummernden Dämon und wachrufen eine unliebſame Szene herbeiführen. Aber alles verläuft rahig und ohne Störung, die anfängliche Aufregung legt sich bald. An der Ausgangsthür haben der Direktor der Anstalt, der Medizinalrath Dr. Sanders und Die der Oberinfpektor Hagemeier Plaz genommen. Kranken unterhalten fich flüsternd mit ihren Nachbarn. Da mächtig brauft der Gefang kräftiger, fonorer Männerftimmen durch den Saal, helle, füß flingende Frauenstimmen fallen ein und in unbeschreiblich schöner Harmonie tönt die bekannte Weihnachts- Motette in dem Und den Menschen ein Wohlgefallen" aus. Geiftestranke find die Sänger, welche unter der Leitung bes Anfaltslehrers ausgebildet worden find. Beim Beginn des Gesanges drehen sich hunderte von Röpfen nach der Empore um, auf welcher der gemischte Chor Aufstellung genommen, die Augen glänzen unruhig, bie Gefichter find erregt, die Wächter verdoppeln ihre Aufmerksamkeit. Aber auch diese Aufregung geht ohne Störung vorüber, andächtig hören die unten Sigenden dem Vortrage ihrer stimmbegabten Leibensgenossen zu. Dann tritt ein junges, etwa 18 jähriges Mädchen vor den Tannenbaum. Sie ist in Weiß gekleidet, eine Fülle schwarzer Locken umrahmt das feingeschnittene, hübsche Geficht. Sie bellamirt ein einfaches Weihnachtsgedicht; fie fühlt, was fie fagt, die Buhörer falten die Hände. Sie ist geifteefrant wie ibre Nachfolgerin, eine etwa 40jährige Frau in blauleinenem Gewande, die ein anderes Gedicht vorträgt, welches von stiller Ergetung und Entsagung predigt. Wer fönnte da ungerührt bleiben? Stille Nacht, heilige Nacht!" Als der gemischte Chor nach beendigter Predigt einstimmig ein fekt, fingt Alles mit; viele laffen ihren Thränen freien Lauf. Wie viele Väter und Mütter mögen unter den Anwesenden fein, welche ihrer von ihnen getrennten Rinder gedenken? Nun zur Befcheerung. We fie gekommen, fo verlassen die Kranken die Kapelle, zuerst die Frauen, dann die Männer. An der Ausgangsthür haben der Direk or und der Oberinspektor Aufstellung genommen, welche die bescheidenen, theils achtungsvollen, theils barmlos vertraulichen Grüße der Kranten in der freundlichsten Weise erwidern. Mit welch' aufrichtiger Freude, mit welch' unbegrenztem Vertrauen bliden bie Armen zu ihren Beschüßern und Wohlthätern empor! Der Oberinspektor giebt Vielen die Hand, besonders den Armen und Alten. Wie ihre Augen dann leuchten vor Stolz und Dankbarkeit! Die weiblichen Kranken mußtern den ihnen unbekannten Saft mit unverhohlener Neugierde. Alles Fremde beunruhigt fie," erklärt der Oberinfpeltor, wir suchen den Besuch deshalb möglichst zu befchränken." In 4 aneinander stoßenden Sälen ist den Kranken aufgebaut. Jeder von ihnen ist aufgefordert worden, feine Wünsche vorher auf einen Bettel zu schreiben und so weit es ar gängig war, find fie berücksichtigt worden. Hier fieht man freilich, daß die Befcheerten fich nicht wie geistig normal ver anlagte Menschen benehmen. Allerdings leuchtet Freude und Bufriedenheit auf den meisten Gesichtern, aber wie sonderbar ist das Benehmen der Beschenkten. Einer versucht mit ernster Miene, ob die ihm zuertheilte lange Pfeife auch Luft hat, da er dabei aber gleichzeitig mit großem Eifer an einem Apfel fout, so bereitet ihm das Experiment einige Schwierig teiten. Ein anderer steht wiel verzüdt vor all' den Herrlichkeiten, die ihm aufgebaut wurden, er wagt nicht fie zu berühren und ihm muß eindringlich zugeredet werden, fie an fich zu nehmen. Ein Dritter hat sich einen Sack mitgebracht, in welchen er alle ihm zu Theil gewordenen Gegenfände bunt durcheinander und mit fabelhafter Schnelligkeit bincirpadie, frampfhaft hält er seinen Schaß in der Rechten fest und eilt damit noch seiner Stube, um ihn in Sicherheit zu bringen. Hier ist Alles drin, Herr Oberinfpektor", meint er triumphirend im Vorbeigehen. Auch den Wünschen der weiblichen Kranten ist möglichst Rechnung getragen worden. Sie erhalten Tücher, Handschuhe, Schleifen, Rüschen und Kämme oder was fie fich fonft gewünscht haben, außer Stollen, Aepfeln und Nüffen. Der Oberinspektor hat viele Danksagungen entgegenzunehmen. Faft alle Krante find anscheinend glücklich und zufrieden. Nur eine ältere Dame fißt in einer Fensternische und starrt theilnahmlos vor sich hin. Ihre Rechte wühlt frampfhaft in den ergrauenden Haaren, ihr Blid ift wirr, sie ist ein Bild der Verzweiflung. Der Besucher will an
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6. Jahrg.
den freundlichen Oberinspektor eine Frage richten, dieser kommt ihm zuvor und zieht ihn vorüber an der Unglücklichen. Schonung den Kranten", steht auf seinem milden Gesicht ges schrieben und Schonung, Liebe und Geduld find die leitenben Grundsäße, welche in der Dalldorfer Irren- Anstalt in erster Linie zum Ausdruck gelangen.
Auch eine Weihnachtsbescheerung. Die verflossenen Weihnachtsfeiertage haben der arbeitenden Bevölkerung Berlins wiederum gezeigt, wie ihnen jebe Erleichterung beim Einkauf der Waaren genommen wird. Wohl in den meisten Kolonialwaarenläden prangte ein Plakat, daß Weihnachtsgeschenke nicht mehr gegeben werden. Keine Arbeiterfrau wird nun das sonst zu Weihnachten gegebene halbe Pfund Zucker oder Kaffee als Gefchent, sondern nur als fleinen Rabatt auf die im ganzen Jahre gekauften Waaren genommen haben. Geschenkt war nie etwas dabei, da jede Frau der sogenannten besser fituirten Klaffen, welche ihren Bedarf in größeren Quantitäten einkauft, die Waaren weit billiger erhält, wie die arme Frau, welche nur nach Pfennigen laufen kann. Auch auf einen Rabatt ver zichten die Arbeiter, aber fie verlangen, daß sie die Waare nicht theurer bezahlen wie die Bourgeoisie, denn menn die Proletarierfrau auch nur in fleinsten Quantitäten einkauft, fie verbraucht, namentlich bei einer großen Familie, nicht weniger wie die Bürgersfrau, welche den Zucker im Hut oder andere Waare ich Kilogrammen fauft. Niederträchtig ist jedoch, wenn ein Rolonialwaarenhändler im Süd- Westen einem Mädden auf die Frage nach bem Weihnachtsgeschenk bie Antwort aiebt: Ja, einen Budel voll Prügel fannst Du triegen." Mögen die Berliner Arbeiter die Antwort nicht schuldig bleiben und die Handlungsgehilfen und Hausdiener, welche nach Neujahr einen Boykott derjenigen Geschäfte eröffnen, welche Sonntag Nachmittag und Wochentags nach 8 Uhr Abends nicht schließen, thatkräftigst unterftüßen.
Die Neujahrsdichter haben die Weihnachtspoeten abgelöst und ihre Werke find die gesuchtesten. Die Neujahrsdichter sind entschieden glücklicher daran, als ihre Pfeffertuchen- Kollegen, denn das Feld ihrer Thätigkeit ist ein bebeutend erweitertes, und während die Weihnachtspoeten ihre Hauptpointe in einer derben Komit zu suchen haben, glänzen die Neujahrsdichter durch eine feine Satyre und stilvollen Humor. Tie Neujahrsindustrie hat einen ungeahnten Aufschwung erhalten, die Luruspapierfebrifen find emsig bemüht, burch Engagement der tüchtigsten Kräfte das Hervorragendfte zu leiften. Einige der diesjährigen Wißesfunken mögen hier Blak finden, deren Illustration man sich leicht aus den be treffenden Bersen vergegenwärtigen kann. Den unvermeidlichen Pantoffelhelden behandelt folgende Karte:
Du bist fürwahr ein braver Mann! Zu Allem man Dich brauchen fann Und wär' es schlimmster Falles Als Mädchen auch für Alles.
Der alten Jungfer sind folgende zwei Strophen gewibmet: 1. Pautft Du's Klavier auch noch so sehr
Und fingst, gleich wie' ne Wachtel
In Dich verliebt fich Reiner mehr Du bleibst' ne alte Schachtel.
2. Einst ließest Du sie alle steh'n,
Heut nimmst Du Jeben unbefeh'n
Es tomm', was will- it's nur ein Mann, Der bietet Herz und Hand Dir an!
Von den stiller Ehestandsfreuden plaubern folgende Verse: 1. Der Menschen alücklichster auf Erden Wirst mit der Zeit Du sicher werden, Da Dir ein Hausfreund mit Geschick Hilft fördern das Familienglück.
2. Frau Storch ist doch ein liebes Thier, Sie meint das wirklich gut mit Dir! Sie bringt Dir auch in diesem Jahr Ein freuzvergnügtes Swillingspaar! Die Liebe behandeln folgende Strophen: 1. Spiele nicht mit Männerherzen, Fürchte stets verschmähte Liebe! Jeder läßt nicht mit sich scherzen, Schließlich feßt es berbe Siebe! 2. Die Männermelt zwar nach Dir rennt Und ist von Deinem Reiz entzückt Jedoch, wer Dich erst näher fennt Der weiß bald, wo der Schuh Dich drückt! 3. Ein Jüngling hier fich vor Dir stellt
Er ist, wie aus dem Ei gepellt!
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Kannst Dich an seinem Anblick laben Du liebst ja folche Musterknaben! Zum Schluffe möge auch der Trinker nicht vergessen sein, welchem folgende Verse gewidmet find:
Deine Sorgen froh ertränke Ja des Beres brauner Fluth Doch die Folgen ftets bedente Gräßlich ist des Katers Wuth!
Noch ist die Untersuchung gegen den jugendlichen Mörder Cartsburg nicht abgeschloffen, noch sind die Thäter des grauenvollen Mordes in der Eberswalderstraße nicht entdeckt, und abermals verbreitet sich die Kunde von einem Raubmord. Die blutige That ist in dem benachbarten Tempelhof auf dem Gehöft des Ackerbürgers Hennia, Lankwizerweg 2, verübt worden. Bei Hennig pflegte der Milchfuhrmann Lust, ein noch junger Mensch, welcher auf dem Rittergut Groß- Rienig beDienstet war, auszufpannen, wenn er von Berlin nach Tempel hof zurückkam. Am Montag Morgen kehrte Luft, wie gewöhn lich und zwar um fünf Uhr, bei Hennig ein und legte sich im Stall an gewohnter Stelle zur Ruhe. Nur wenige Schritte davon entfernt schlief der Knecht Hennig's Christian Groß. Mit einem Kartoffelfe älmesser hat dieser bei dem Schein der rechts von bem schlafenden Luft hängenden Stalllampe demselben zwei Stiche in die linke Schläfe verseßt. Ais Frau Hennig um fechs Uhr nach dem Stalle fam, wunderte sie sich, daß nur der Knecht ihren Gruß erwiderte, während Luft nur dumpf röchelte. Frau Hennig ahnte indeß noch nichts und bereitete ben Raffee; als fie diesen nach dem Stalle brachte, fand fie den Luft nicht mehr auf seiner Lagerstätte. Groß, mit dem fie darüber sprach, meinte: Wenn dem nur nichts paffirt ist, der hat gestern ein paar hundert Thaler geholt." Inzwischen war es fieben Uhr geworden. Als Frau Hennig beunruhigt, ihren Schwiegerfohn Herrn Hecht rufen ging, tam ihr der Knecht Groß entgegen und führte fie nach einer 200 Schritte hinter dem Grundstücke liegenden Riesgrube, wo er ihr den in einer Blutlache liegenden Leichnam des Luft zeiate. Nunmehr wurde der Gendarm Tänzer gerufen. Die bei Frau Hennig gerade anwesende Frau Bierverleger Schneider hatte mittlerweile ben Groß be obachtet, wie derfelbe Geld zählte, fie theilte sofort dem an der Riesgrube stehenden Gendarm ihre Beobachtung mit. Da auch die zur Grube führenden Fußspuren mit den Bantinen des Groß übereinstimmten, fagte ber Gendarm Tänzer dem Groß den Mord auf den Ropf zu. Jegt gekanb Groß die That ein. Der Mörder ist am 1. Mai 1868 zu