Beilage zum Berliner Voltsblatt.
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Lokales.
Gesundheit und Mode. Man sollte es faum für möglich halten, daß es dieselben Menschen find, welche auf der einen Seite für Hygiene, für eine rationelle Lebensweise schwärmen und auf der anderen Seite gegen die eigene Ueberzeugung auf das ärgfte fich verfündigen als Stlaven der herrschenden Mode. Die Mode steht häufig auf dem geSpannteften Kriegsfuße mit den ersten Anforderungen der Hygiene, dennoch nimmt Niemand Anstoß daran- es ist ja Mode! Eine immer weiter um fich greifende Modenarrheit find z. B. die Buzenscheiben, jene bunten Fensterverglasungen in Bleieinfaffung, welche die Weltgeschichte auch äußerlich um einige Jahunderte zurückgeschraubt erscheinen laffen. Damals, als noch die pelaverbrämten Hauben, das Barett, das geschliste Wams und bieSchnabelschuhe getragen wurden, ftand dieKunst der ( lasmacherei tineswegs auf der jeßigen Höhe, denn man fonnte weder die großen Tafeln herstellen, wie sie heute fabrizirt merden, noch war man im Stande, so schönes weißes durchfichtiges G as zur Berglasung der Fenster zu fertigen, wie es heute aus den Glashütten hervorgeht. Deshalb mukte man fich an de kleinen Buzenscheiben halten, die nur ein gedämpftes
Don
cht einlaffen und suchte, da die grünen Glasfnollen feine Musfidt in die belebte sonnenbeschienene Natur gestatteten, fich badurch einen heitern Anblick zu verschaffen, daß man die hüben Fensterungen mit ergößenden bunten Scheiben ein alten Fenster find nun wieder mode fußte. Diele geworden und gehören nicht allein Stilvollen zur Wohnräumen, sondern auch Musj& müdung von Ballwirthschaften, in denen Menschen nach des Tages Laft und Hye Erholung fuchen und finden wollen. Daß sich bie heutig n modernen Menschen in diesen dem Mittelalter nahgebildeten Lokalitäten utkomisch ausnehmen, scheint man nicht zu bementen. Die Mode ist nicht zu enthronen, weder burch den Fluch der Lächerlichkeit, der auf ihr ruht, noch durch bas Unbeil, welches fie anrichtet. Die größten Feinde der Trar fmachenden Diganismen, der Bakterien, Pilzkeime 2c. find befan thich Luft und Licht. Die Bußenscheiben hindern jedoch bem Lichte den ungehinderten Zutritt in die Wohn- und Schlafräume bezw. in die Gafträume, in welchen fich Menschen in größerer Bahl anzufammeln pflegen, in deren mittelalterlichem Dämmerscheine die Keime schädlicher Lebewesen trefflich zur fönnen. Damals, als bie Eatwidelung gelangen und dumpf Räume eng waren, als nur genannten Spärlich Licht in dieselben zu bringen vermochte, als die icht wieder gefeierten Bußenscheiben den niedrigen Entwidelungsgrab ber Fensterglasfabrikation fennzeichneten, hielten bie Beft, oer schwarze Tod und andere Seuchen reiche Ernten in ben Wohnungen, bie, wie wir i kt immer mehr erkennen, trineswegs den Ges zen der Hygiene, den Geboten der Ge fundheitslebre entsprachen, da fie weder Licht noch Luft in genügendem Maße einließen. Dennoch werden dieselben heute wieder bergestellt modern ist das Bauberwort, welches bas VerMlte, Ueberlebte aus wohlverdienter Ruhe und grffenheit einem Scheindasein hervorzerrt. zu Den Bußenscheiben entsprechend, das heißt ebenso gefundhitsmidrig wie diese sind zumeist auch die inneren imichtungen der hochherrschaftlichen" Wohnungen, meift fchwer bewegliche, mit Eden und Kanten, Vorsprüngen, Reh hungen und Schnißwerk versehene Erzeugnisse der Tischlerei. Alle diese Eden und Erhabenheiten find im wahren Sinne bes Bo tes Staubfänger. Ebenfalls sind die Winkel unter Tarybemigen Schränken, Sophas 2c. Staubfänger, in denen ich leicht ein ftaubiges Gewöit, das eine beliebte Herberge für Die lebenszähen Krankheitsteime von Diphtheritis und ähnlichen anfteckenden Krankheiten abgiebt. Desgleichen häuft fich ein folches Gewölf außer unter den Decken, wie Cocosläufen 2c., gern auf den Gurten der Polstermöbel an, weil dem Staube and ben fleinen Fasern, die von jedem Gewebe abgestoßen merden, ber Zutit in die Polsterungen vom Fußboden her offen steht. Um die aus folchen Schädlichkeiten entIpringenden Gefahren für die Gesundheit zu vermeiden oder wenigstens zu verringern, empfiehlt es sich, die Polstermöbel mit einer dichten Leinwand gegen das Eindringen feimbegenden Staubes zu schüßen, und die anderen Möbel berart zu konftruiren, daß fie leicht abzuwischen sind und nicht durch unnüßes Geschnö fel oder durch silvolle Anbringung von Zierroth zu geradezu bösartigen Staubfärgern werden. Die Beine der schwerbeweglichen Möbel müffen so hoch und so lang gemacht werden, daß fie eine bequeme uno gründliche Reinigung auch des Fußboders und der kleinsten Winkel mit
neuen
Sonntagsplauderet.
R. C. Die Weihnachtsfeiertage find glücklich genossen. Nach dem allgemeinen Fefttrubel ist eine gewisse Erschlaffung eingetreten, und Jeder, der vom Weihnachtsfest einige Marktüde übrig behalten hat, rührt sich, dieselben am Sylvefterabend den Weg allen Mammons gehen zu lassen. In dieser schönen Welt ist bekanntlich nichts so schwer zu ertragen, als eine Woche von vierzehn Tagen aber eine Fülle von Festagen wird dem Arbeitsmenschen von heute beinahe
ebenso läftig.
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Im Laufe der Jahrhunderte hat man sich daran gewöhnt, Das Weihnachtsfest als etwas ausgezeichnet Schönes zu betrachten. Gewiß hat auch in dieser Beziehung der Besitzende das Vorrecht, dem Besiglosen aber wird der Schmachtriemen gerade an Tagen allgemeiner Freude um so unangenehmer und fühlbarer. Man darf sich nicht durch die Berichte in den Zeitungen täuschen lassen, die von eitel Glück und Glückseligkeit überschäumen wer die heutige Gerichtsrubrik unseres Blattes aufmerkjam verfolgt, der wird einsehen, daß in manchen Zeitungs. Berichten häufig ein bitterer Kern steckt. Die Wahrheit ist befanntlich auch bitter, noch bitterer wie Galle und es und hätten sie noch so giebt nur wenig Herrschaften Schöne Pelzträgen welche dieselbe zu hören vermögen. Eine Beleidigung schreit nach Rache, fie ftinft zum Himmel, und es ist nicht mehr wie recht nnd billig, daß Jemand, der einem Unternehmer etwas Böses nachsagt, da für Jahre lang im Rerter schmachten sollte. Ist es nicht unerhört, daß man für Missethäter genannter Sorte die Man sollte Jeden, Folter bereits abgeschafft hat?
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bas ein
der es wagt, den holden Frieden und die süße Eintracht, die Unternehmer und Arbeiter mit Rosenbanden verknüpfen, zu zerstören, in einen finsteren Thurm werfen, wo faules Stroh und Ungeziefer vom Floh bis zur Ratte zige Mobiliar bilden. In Schillers Räubern findet sich auch die Epeisekarte, in welcher ein solcher Verbrecher sein tägliches Menue zusammenzustellen hat; dann würde es
Sonntag den 29. Dezember 1889.
Besen und feuchtem Lappen zulaffen. Doch was fragt bie Mode nach den Anforderungen der Hygiene? Wie hier, so stehen fich noch auf vielen anderen Gebieten die Intereffen von Mode und Gesundheit gegenüber und überall sehen wir die Mode herrschen, selbst auf Kosten der Gesundheit.
Der Weihnachts- Päckereiverkehr bei den hiesigen Postanstalten in auch in diesem Jahre von außerordentlich großem Umfange gewesen und hat den vom vorigen Jahre be beutend überfliegen. So sind in der Zeit vom 18. bis 25. Dezember der bei den hiesigen 6 Bahnhofs. Postanstalten im Ganzen 1732 731 Padete zu bearbeiten gewesen, was eine Steigerung von 252 475 Stüd gegen die gleiche Zeit des vorigen Jahres eraiebt. Am stärksten zeigte sich der Bäckereiverkehr auf dem Schlesischen Bahnhofe, bei welchem allein am 22. Dezember 86 019 Stüd zu behandeln waren. Bestellt wurden durch das Packet. Poftamt in der Weihnachtszeit 227 321 Stüd, am 22. Dezember allein 48 592 Stüd.
Neujahrsbriefbestellung der Packetfahrt- AktienGesellschaft. Em Abonnent schreibt uns: Wie im vortgen Jahre, so fündigt auch in diesem die Direktion der Pocketfahrt- Attien- Gesellschaft den Verkauf von kunstvoll ausge statteten Neujahrsbriefen an. Früher verkaufte die Gesellschaft diese Briefe mit 5 Pf. pro Stück, während dieselben jetzt ( wahrscheinlich infolge des foloffalen Umfages, den die Gesellschaft damit erzielte) 10 Pf. pro Stüd foften sollen. Schreiber dieses übergab im vorigen Jahr dieser Gesellschaft die Zahl von zwölf mit ganz genauen Adressen versehenen Briefen zur Bestellung, machte jedoch die bittere Ecfahrung, daß nur die Hälfte am Neujahrstage ihr Ziel erreichten; brei weitere tamen nach einigen Tagen an, und die übrigen blieben verschwunden. Aehnlich wird es wohl vielen Anderen ergangen sein. Ich möchte deshalb die Leser dieses Blattes ersuchen, ihre NeujahrsGratulationen durch die Reichspoft bestellen zu laffen, denn nur diese bietet einigermaßen die Garantie für pünktliche und richtige Bestellung.
Der scharfe Frost hat in den verflossenen Nächten alle stehenden Waffer mit einer dicken Eisschicht bedeckt und selbst im fließenden Waffer, wie im Spreelauf treiben große Eis maffen, welche, wenn der Frost anhält, fich in furzer Zeit zu einer vollständigen Eisbecke verdichten und prächtige Eisbahnen bilden werden. Der Humboldthafen ist fest zugefroren und der Spandauer Schiffahrtskanal wird den Berlinern in furzer Zeit die prächtigste Distansbahn nach Saatwinkel und Spandau bieten.
Die fliegenden Flurhändler, jene regelmäßig zwischen Weihnachten und Neujabr erscheinenden Saisonhändler von Neujahrsfarten, haben sich seit Freitag wieder in den Hausfluren etablirt, und hat die Zahl derselben in diesem Jahre bedeutend zugenommen. Das Hauptgeschäft in diesem Artikel entwickelt fish im Norden und Osten der Stadt. Einen erheb lichen Rückgang hat in diesem Jahre erfreulicher Weise der Handel in jenen scherzhaften" Ratten genommen, welche die Bolizei zu beschlagnahmen pflegt. Der Umjak in Neujahrsfarten nimmt übrigens von Jahr zu Jahr zu und beträgt derjelbe innerhalb Berlins allein zirka Millionen Mart. Mit der Herstellung der Karten beschäftigen sich zirka 40 größere und linere Berliner Fabriken, denen nur München RonFurrenz macht, und die ihre Waaren über ganz Deutschland , Defterreich, Schweden , sowie Nord- und Süd- Amerika ver breiten.
Sonderbare Weihnachtsgeldjenke. Zvei junge Mädchen in der Oranienstraße, Töchter einer Beamtenwittwe, die für Konfektionsgeschäfte arbeiten, haben einen im Alter von 20 Jahren stehenden geistesgeftörten Bruder zu ernähren, ber bei ihnen lebt. Derfelbe wird scharf beobachtet, kommt höchst felten allein aus dem Hause und wenn er fortkommt, nur bis zur Nachbarschaft. Auf bisher unerklärliche Weise hat sich der junge Mann nun Geld zu verschaffen gewußt, und mit diesem Gelde feinen Angehörigen, nach dem Deutschen Tgbl." ein ganz sonderbares Weihnachtsgeschent gemacht. Am Heiligabend, während die jungen Mädchen noch in bester Arbeit saßen und der Bruder bereits zu Bette war, tamen nacheinander drei Boten. Der erfte brachte 10 Flaschen Getreidekümmel, der zweite einen ganzen Korb Perleberger Glanswichse und der brute eine Molle dampfender Eisbeine. Nach den mit der
richtigen Adreſſe verschenen und quittisten Rechnungen hatte der Bruder dafür im Ganzen 25 M. 60 Pf. ausgegeben. Ferner batte jeder Bote im Voraus 1 M. Tantgeld erhalten und der Ueberbringer der Eisbeine, wie er sagte, togar für den ersten Feiertag Vormittag noch Bestellung auf 12 Pfund Bratwurst. Als man den Bruder weckte, schrie er:„ It Alles
bald zu Ende sein mit der luftigen Beitungsschreiberei, und jeder Unternehmer könnte ruhig sein müdes Haupt spät Abends niederlegen, um es Morgens nicht allzufrüh wieder zu erheben.
Unsere Beit ist von einer geradezu schwächlichen Milde. Nicht einmal die Influenza verläuft tödtlich, die Krankheit ist schon mehr Modefache geworden, und mit einer Kleinigkeit von Antifebrin hilft man sich heute über die größten Schwierigkeiten hinweg. Es sollen die
Taschentücher bedeutend im Kurse gestiegen sein, weil alle Nafen so furchtbar geschwollen waren; die meisten Leute, die sich von der Influenza hatten beeinflussen lassen, sahen schon von Weitem aus, als wären sie Ehrenmitglieder des Kupferrings. Unter diesen Umständen konnte es nicht ausbleiben, daß sich der Berliner Wit des neuen Wortes bemächtigte und aus der Influenza eine Insolvenza machte. zu einer epidemieartigen Um lettere Krankheit nun zu machen, dazu bedurfte es allerdings kaum berjenigen Ursachen, die uns das förperliche Unbehagen verursachte. Wenn die Influenza längst zu dem Uebrigen gelegt sein wird, wird die Insolvenza wahrscheinlich immer noch ihre Orgien feiern, und gegen dieses Uebel hilft aller dings fein Antipyrin oder Antefebrin, die Krankheit kann nur durch metallhaltige Arzneimittel beseitigt werden. Das weiß übrigens jedes Kind, und es würde schwer sein, das Gegentheil zu beweisen. Huften wir uns also ruhig in die fieberfreie Beit hinein, und harren wir in Geduld, was uns wir stehen ja so wie so an einem das Schicksal bringt bedeutsamen Zeitabschnitt, am Ende eines Jahres und am Ende eines Jahrzehnts.
Entschieden fordert ein solcher Beitabschnitt zu ernsteren Betrachtungen heraus, ba für heitere faum genügender Stoff vorhanden sein dürfte. Im nächsten Jahre sehen wir allerdings den neuen Reichstag, und an seiner Spize wird eine Größe aus dem vergangenen Jahrzehnt marschiren, die Bartkotelettes des Herrn von Puttlamer werden den Ultrafonservativen als leuchtendes Banner vor
6. Jahrg.
bezahlt, glatt wie'n Mal!" drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter.
Die Diebe und Ganner haben vor dem WeihnachtsFefte mit erhöhiem Eifer gearbeitet. Ein Hausdiener der Fuma Lehr u. Sohn fubr mit einem Handwagen, der mit Woll maare voll gepadt war, nach der Brunnenstraße, wo er bei einem Kaufmann, einem Runben des Geschäfts, anhielt. Als er nach furzer Zeit zu seinem Wagen zurücklehren wollte, war derselbe verschwunden. Der Werth der noch auf dem Gefährt befindlichen Waaren betrug über 200 Mart. In der nächsten Nacht fand ein Wächter den Wagen, der natürlich seines Ins balts entledigt war, in der Chariteestraße. Plumper angelegt
war ein Schwindel, dem ein Schlächtermeister in der Koppenstraße zum Opfer gefallen ist. Bei demselben ersten ein junger Mann, ber fich als Hausdiner eines großen Restaurants in der Andreasftraße ausgab und für dasselbe vier fette Gänse und einen Schinten bestellte. Der Säter wunderte fich zwar über diese Bestellung, denn er hatte früher für das Restaurant geliefert, diefes hatte aber infolge von Differenzen die Beziehungen mit ihm abgebrochen, ineffen führte er den Auftrag aus und sandte die bestellte Ware durch seinen Gefellen nach dem Restaurant. Vor der Thür desselben tauchte plöglich der Hausdiener wieder auf, der den Gellen anfuhr, warum er so lange ausbleibe. Dabei nahm er dran Schlächtergesellen die Gänse und den Schinken ab, und schickte denselben mit dem Auftrage zu seinem Meister zurüd, schleunigst noch einen Kalbsbraten zu holen. Als derselbe mit diesem im Restaurant anlangte, wußte man von der ganzen Bestellung nichts. Ein Schwindler hatte demnach zu einem recht alten und abgenutten Manöver gegriffen, das ihm aber überaus gut gelungen ift.
In der Tempelhofer Mordaffäre hat sich am zweiten Weihnachtsfeiertage Vormittage eine Gerichtskommiffion, beftehend aus dem Staatsanwalt, dem stellvertretenden Unter suchungsrichter und einem Gerichtsschreiber des Landgerichts II nach dem Thatorte begeben, nachdem man zuvor den Mörder Groß mit seinem Opfer tonfroniit hatte. Die im Laufe des Lokaltermins festgestellten Thatsachen decken fich vollständig mit unserer Darstellung des entschlichen Falles. Auf dem Hennigfchen Grundstücke, woselbst der Mord vollbracht wurde, erläuterte der Mörder der Gerichtskommiffion faltblütig alle Details feiner graufigen That, wie er den im Stalle schlafen den Knecht Luft mittelst eines Rüchenmessers bie beiden tödtlichen Stiche in die linke Schläfe beigebracht, wie er sich dessen Uhr und Geldbeutel angeeignet und vorläufis verborgen, und wie er bann die Leiche in eine Pferdedecke gehüllt, auf die Schubfarre Hennigs geladen und nach der Riesarube transportirt habe. Wahrhaft grauenerregend war das Geständniß des verthierten Menschen, daß er mit dem zum Morde gebrauchten Küchenmesser, nachdem er die Klinge desselben im Stroh oberflächlich vom Blute feines Opfers gereinigt, wenige Stunden nach der Blutthat sein Fühllüd zerlegt habe. Bei Groß wurde übri gens noch eine filberne Zylinderuhr vorgefunden, welche er von feiner Braut, einer in Mariendorf dienenden Maad, erhalten haben will; diese bestätigte feine Angabe bei ihrer Vernehmung mit dem Hinzufügen, daß fie die Uhr in Berlin gefunden habe. Zweifelsohne rührt die Uhr aus einem Diebstahle her. Bon den Angehörigen des Ermordeten, welche, mie berichtet, in Groß- Rienik wohnen, nahmen die Mutter, ein Bruder und die Braut des Luft, mit welcher sich derselbe zu Neujahr verheirathen wollte, die Leiche des durch Mörderhand aus dem Leben Ge schiebenen in Augenschein. Der Ermordete soll heute, Sonna tag, nach erfolgter Obduktion auf dem Kirchhofe zu Groß- Rieniz beerbigt werden.
3wet blutige Straßenhenen werden aus der Nacht vom ersten zum zweiten Weihnachtsfeiertag gemeldet. Gegen 1 Uhr Nachts gerieth der in der Gartenstraße wohnende Schloffer N. einiger Mädchen wegen in dem Café Victoria in der Invalidenstraße mit einer Anzahl Zuhälter in Streit und verließ, um sich vor Mißhandlungen zu schüßen, das Lokal; faum jedoch betrat St. die Straße, als er sich plöglich von etwa sechs feiner fragwürdigen Gegner umringt sah, die nun mit Söden und Schlagringen auf den Wehrlofen einhieben, bis er schließlich, über und über mit Wunden bedeckt, zusammens brach, während die Strolche, durch herannahende Polizeibeamte Fast zu der verscheucht, die Flucht ergriffen und entkamen. selben Zeit paskirte ber Körnerstraße wohnende Kaufmann L., von einer Gesellschaft kommend, den Karlsp az, als er plöglich von zwei ihm entgegenkommenden Individuen angerempelt wurde, und ehe er noch eine Aeußerung machen fonnte, erhielt er von den Strolchen mittelst stumpfer Gegenstände
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aufflattern, und wahrscheinlich soll wohl jene 3eit wiederaufleben, wo Thring- Mahlow und Naporra sich eklatante Genugthuungen verdienten.
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Es ist nur natürlich, wenn ein so wichtiges Ereignis seine Schatten vorauswirft und es ist ebenso natürlich, daß es fich jeder hinterpommersche Wahlkreis Ehre gemacht hätte, Herrn von Puttkamer als geeigneten Vertreter in den Reichstag zu schicken. In Stolpe wird das welterschütternde Faktum vor sich gehen; es braucht deshalb aber nicht gesagt zu werden, daß Herr von Putt kamer
in den Reichstag hineinstolpern wird. Ganz Gegentheil, er wird mit Glanz durchkommen, und seine unvergleichlichen Posen werden leider nicht den Regierungstisch, sondern einen Sessel der äußersten Rechten zieren.
Nur zu, es wird immerhin erfreulich sein, auch die Privatmeinungen des ehemaligen Staatsmannes fennen zu lernen, und es ist immer lehrreich, zu erfahren, wie groß veranlagte Männer über die diffigilsten Punkte unserer Politik denken. Daher freuen wir uns auf den Augenblid, wo es uns vergönnt sein wird, die erleuchtete Weisheit allem Volf zugänglich zu machen, und alles Volk wird sich mit uns freuen, aus diesem unergründlichen Brunnen schöpfen zu dürfen.
Der menschlichen Natur ist es leider versagt, in die Zukunft zu sehen, und so können mir Unglücklicher Weise noch nicht voraussagen, wann die eleganten Stiefel des Herrn von Buttkamer wieder in den Wandelgängen des Reichstages blinken werden. Aber fommen wird der Tag ohne 3weifel, und die nationalen Parteien werden stolzer als je bas Haupt erheben. Eine würdelose Muße ziemt sich allerdings auch nicht für den thatkräftigen Mann; es wäre in der That ein unerseglicher Verlust, wenn das Vaterland immer auf eine so hervorragende Kraft hätte verzichten müssen. Doch der Bann ist gebrochen ein neuer Kämpfer tritt in die Arena.