Nr. 305.
Dienstag, den 31. Dezember 1889.
6. Jahre.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
Das„ Berliner Volksblatt"
erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 Pf. Bei Abholung aus unserer Expedition Zimmerstraße 44 1 Mart pro Monat. Postabonnement 4 Mart pro Quartal. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1889 unter Nr. 866.) Für das Ausland: Täglich unter Kreuzband durch unsere Expedition 3 Mart pro Monat.
Redaktion: Beuthffraße 2.
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Arbeiter, Parteigenossen!
Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann angenommen werden, daß die Reichstagswahlen dicht vor der Thür stehen. Es find das die ersten, welche für die Dauer von fünf Jahren vorgenommen werden. Kein einfichtiger Arbeiter wird sich der hohen Wichtigkeit verschließen, welche gerade diesen Wahlen
innewohnt.
Wir bitten daher unsere Gefinnungsgenoffen und Freunde, Alles aufzubieten, um das Berliner Volksblatt" durch
Gewinnung neuer Abonnenten in immer weitere Voltskreise hineinzuführen. Der Wahlkampf wird diesmal ein ganz befonders heftiger werden, alle Barteien werben die größten Anstrengungen machen, ihre Preffe zu verbreiten; wir dürfen daher unter keinen Umständen zurückbleiben. Persönliche Empfehlung ist für die Verbreitung einer Zeitung am wirtsamsten.
Für den Monat Januar eröffnen wir ein neues Abonnement auf das
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mahnte, man solle alle Hetzereien und Gewaltthätigfeiten vermeiden und namentlich Niemand der anfahren wolle, mit Gewalt abhalten. Neun Stunden unserer schweren Arbeit," meinte er, sind genug, und es muß uns gestattet werden, auch ein wenig am Sonnenlichte zu leben. Die rührende Einfachheit dieser volksthümlichen Logik muß alle Herzen bewegen; nur, wie es scheint, diejenigen der belgischen Grubenbesizer nicht, die sich hartnädig gegen die Forderungen der Bergleute sperren.
Nichts ist verständlicher, als die Forderung der BergIeute, ihnen ein wenig mehr 3eit zum Aufenthalt am Sonnenlicht zu gewähren. Seit Jahren dreht sich der Rampf zwischen Arbeitgebern und Arbeitern um diesen Punkt und die Hartnäckigkeit, mit welcher sich die Grubenbefizer wehren, wäre wirklich einer besseren Sache würdig. Welche Werthe sind in diesen langwierigen Kämpfen vernichtet, welche Drangfale über ganze Bevölkerungsschichten verhängt worden!
Wir verehren die ,, gute alte 3eit" nicht besonders, aber wir wollen anerkennen, daß sie manche Vorzüge hat. Auch die Herren Grubenbesizer wollen moderne Menschen sein; fie müssen sich aber beschämt fühlen, wenn sie sehen, daß man in alter Beit den Bergleuten das als selbstverständlich gab, was ihnen heute mit dem Aufgebot aller Machtmittel verweigert wird.
Der Habsburger Ferdinand I. war gewiß fein besonderer Arbeiterfreund, aber das Recht der Bergleute auf eine achtstündige Schicht war für ihn keine Frage. In feiner um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts erlassenen allgemeinen Bergordnung für Oesterreich allgemeinen Bergordnung für Oesterreich war vorgeschrieben:
" Jeder Arbeiter soll, wie von Alters Hertom men, Vor- und Nachmittags jedesmal, mit Ausnahme des Sonntags und Samstag Nachmittags, eine halbe Schicht, d. h. vier Stunden, arbeiten."
Hier haben wir also den vollkommenen Achtstundentag mit Sonntagsruhe und freiem Sonnabend Nachmittag. Dieser treffliche alte Brauch, den auch Ferdinand I. aus drücklich als solchen anerkennt, ist nur verdrängt worden
Dom schwarzen Land. burch die moderne Spekulation mit ihrer freien Konkurrenz,
Die Bewegungen unter den Bergarbeitern kommen nur zeitweilig zum Stillstand; immer regt es sich wieder und wird der alte Kampf um die Verkürzung der Arbeitszeit neu aufgenommen. Man stößt immer Während die und überall auf die gleichen Forderungen. Während die Arbeiter der Bergwerke im Saargebiet und im Ruhrkohlenbeden abwarten, wie man ihnen die gemachten 3usagen erfüllen wird, haben die schlesischen und sächsischen Bergleute
welche gerne jede, Minute ausnuten möchte.
Ueberhaupt hatte die mittelalterliche und spätere Berggesetzgebung dem Bergknappen prinzipiell weit mehr Schuß eingeräumt, als die Grubenbefizer heute zulassen wollen. Maßgebend war der Grundsaß, der in der Kutten= berger Bergordnung enthalten ist und der besagt: berger Bergordnung enthalten ist und der besagt:
Jeder soll seiner Arbeit froh werden und es soll teiner, was ein anderer mit Müh und Arbeit schuf, sich aneignen dürfen, denn der Mühe und Arbeit
Bezug auf die Arbeitslöhne. Es sollte keiner mehr oder weniger Lohn als der andere zahlen, dann aber heißt es: Die Bergmeister sollen ein ehrbar christlich Bedenken haben, daß sie den Bergarbeitern ein ziemlich Lohn machen und ordnen, auf daß sie nicht aus Mangel ihres Enthalts zu stehlen verursacht werden, und wahrlich,
man den Arbeitern und Gesinde an Lohn und Kost abbricht, da werden Hausdiebe und Straßenräuber daraus."
In die moderne Sprache übersetzt würde das heißen: sie verfallen dem Bettel und der Vagabondage". Denn den deutschen Bergleuten wird schon lange am Lohn abgebrochen; aber Straßenräuber und Diebe werden sie deshalb nicht.
Die Vorschriften der alten Zeit dürften auch manches Bedenkliche aufweisen und die Kirche hielt ihre schwere Hand über die Arbeitergenossenschaften des Mittelalters. Aber die angeführten Grundsäge und Thatsachen sind anzuerkennen und die modernen Grubenbefizer mögen sich darin spiegeln, wie das Mittelalter die Lohnkürzung verurtheilte.
Man könnte diese Sache noch weiter ausspinnen und zeigen, wie die alte Bergpolizei eine reine Wohlfahrtspolizei war. Doch genug.
Wie kläglich erscheint jenen Thatsachen gegenüber die bornirte Behauptung, die Bewegung unter den Bergleuten und ihre immer wiederkehrenden Forderungen feien nur eine Folge von böswilligen Agitationen, fremden Einflüssen und fyftematischen Verhegungen!
Wir wissen wohl, daß so Manches, was früher möglich war, heute nicht möglich ist. Aber zu diesen Unmöglichteiten gehört die a chtstündige Schicht durchaus nicht; fie ist heute so gut möglich, wie früher, und nur eine elende Sophisterei kann behaupten, der heutige Geschäftsbetrieb könne nicht existiren, ohne den Arbeitern genügende Beit zur Erholung zu geben.
Möge man doch endlich die in so langen Kämpfen gemachten Erfahrungen beherzigen und überall den Arbeitern der Bergwerke die achtstündige Schicht gewähren. Dann wird die unaufhörliche Beunruhigung bald schwinden.
Korrespondenzen.
London , 27. Dezember 1889. Ist der Streit der Südlondoner Gasfeuerleute verloren? Nach den Berichten der Tagespresse wäre es leider zu fürchten, die Arbeiter selbst aber geben ihre Sache noch nicht verloren. Erstens soll es in den Gaswerfen durchaus nicht so glänzend aussehen, wie die von ber Direktion ausgehenden Berichte glauben machen wollen,
ihre Forderungen neu formulirt. Eine große Bewegung sollen die Geseze Schirm und Schut sein." unter den angeworbenen Blacklegs" sollen sehr viele nur mit
herrscht in Belgien , in dem Kohlenbecken von Charleroi . Die Bergarbeiter verlangen dort den neunstündigen Arbeitstag. In einer großen Versammlung rieth einer der Führer seinen Genossen dringend zur Besonnenheit, er
Feuilleton.
Rachbruc verboten.]
Germinal
166
Sozialer Roman osx Emile Bola. Einzig autorifirte Ueberfegung von Era Siegler Aber was besonders das Land beschäftigte, waren gelbe Plakate, welche die Rompagnie in Massen auf die Mauern fleben ließ, und auf denen in großen Lettern folgendes stand: Arbeiter von Montsou, wir wollen nicht, daß die Verirrungen, deren traurige Folgen Ihr in diefen Tagen erlebt habt, die besonnenen und vernünftigen Arbeiter ihres Brotes beraube. Darum also werden wir am Montag früh alle Gruben öffnen und sobald die Arbeit wieder aufgenommen sein wird, wollen wir sorgfältig und von den wohlwollen dften Absichten geleitet untersuchen, was an den Wir bestehenden Verhältnissen verbessert werden könnte. werden mit einem Worte alles, was recht und billig ist und in unseren Kräften steht, thun."
Am nächsten Morgen defilirten die Behntausend vor diefen gelben Papieren. Reiner sprach, Viele schüttelten den Kopf, Andere entfernten sich mit ihrem schürfenden Schritt, ohne daß auch nur eine Muskel in ihrem Gesicht gezuckt hätte.
Bisher hatte das Dorf des Voreux hartnädig in seinem Widerstande beharrt. Es schien, als ob das Blut der Kameraden, welches den Schmuß des Vorhofes geröthet hatte, den Andern den Weg in die Grube versperre. Kaum 3ehn waren eingefahren, Pierron und seines Gleichen, welche die Uebrigen mit finstern Blicken, doch ohne eine Drohung zur Grube aufbrechen und von der Arbeit heimkommen fahen.
Die Bergwerkseigenthümer sollten sich nicht zu ,, Grundherren der Arbeit" aufwerfen und Aktionäre gab es damals noch nicht.
Interessant ist eine Anweisung an die Bergmeister in
Das an die Kirche geklebte Plakat wurde mit Mißtrauen entgegen genommen. Es war darin nicht die Rede von den zurückgegebenen Arbeitsbüchern; hatte die Kompagnie die Abficht, deren Wiederannahme zu verweigern? Und die Furcht vor Repreffalien, der brüderliche Gedanke, gegen die Ausschließung der am meisten Kompromittirten zu protestiren, ließ fie noch weiter in ihrer Auflehnung verharren. Diese Proklamation sei zweideutig, sagten sie, man werde warten und werde einfahren, sobald die Herren Regisseure deutlich erEin todtes Schweigen flärt haben, was sie thun wollen. lag über dem ganzen Dorf; sie waren stumpf und gleichgiltig selbst gegen den Hunger geworden; mochten sie ster ben, sie fürchteten den Tod nicht, seit er in ihre Reihen gebrochen war.
Doch düfterer wie alle andern war das Haus Maheu's in dem stummen Schmerz seiner Trauer. Seit die Maheude ihren Mann auf den Kirchhof hinausgeleitet hatte, sprach sie fein Wort mehr, war sie gleichgiltig gegen Alles, fie gleichgiltig gegen Alles, was um sie herum vorging. Sie hatte nichts dagegen gehabt, daß Stephan am Abend des Kampfes Katharinen, welche halbtodt und mit Schmutz bedeckt war, wieder in's Haus führte, doch weder mit ihm, noch mit ihr wechselte sie eine Silbe. Auf die Gefahr hin, arretirt zu werden, schlief Stephan wieder mit Jeanlin; denn der Gedanke, in das Stephan wieder mit Jeanlin; denn der Gedanke, in das Dunkel des Réquillard zurückzukehren, flößte ihm solchen Widerwillen ein, daß er noch das Gefängniß vorgezogen hätte. Es schauderte ihn, wenn er an die unterirdische Höhle dachte, deren schwarze Nacht ihn mit Schreck erfüllte und mit Furcht, sobald er sich des kleinen Soldaten erinnerte, den sie dort unter dem Felsen begraben hatten. Auch kam ihm das Gefängniß wie eine Zuflucht vor, wie eine Rettung vor den Gewissensqualen seiner Niederlage. Doch Niemand stellte ihm nach, und er schleppte sein Leben Doch Niemand stellte ihm nach, und er schleppte sein Leben traurig dahin, nicht wissend, womit seinen Körper ermüden.
vieler Mühe vom Davonlaufen zurückgehalten werden können, und zweitens soll es mit den Rohlenvorräthen der Gesellschaft bereits sehr schlecht stehen, während die Zufuhr nicht im Entferntesten den Konsum deckt. Die Gewerkschaft der Matrosen
Die Maheude warf zuweilen aber auf Stephan und Ratharinen einen grollenden Blick, als wenn sie frage, was die Beiden eigentlich bei ihr wollten.
Und wieder schlief Alles zusammen in der engen Stube. Der alte Bonnemort lag im Bett der beiden Kinder, welche jetzt bei Katharinen schliefen; nur die Mutter empfand die trostlose Leere des Hauses; denn sie hatte jetzt ganz allein das große Ehebett inne. Vergeblich nahm sie manchesmal die kleine Estelle zu sich, um sich nicht so vereinsamt zu fühlen, es half ihr nichts; sie weinte stundenlang vor sich hin.
Die Tage folgten einander wie vorher, ohne Brot und ohne daß sie das Glück gehabt hätten, endlich einmal zu verhungern. Es fanden sich immer noch von Zeit zu Beit Kleinigkeiten, zusammengebettelt, geschenkt von guten Leuten, Almosen, die den Armen den zweifelhaften Dienst leisteten, das Elend ihrer Existenz zu verlängern. Es war nichts in ihrer Lebensweise verändert; nur der Vater fehlte.
Am Nachmittag des fünften Tages verließ Stephan, den das ewige Schweigen der Maheude zur Verzweiflung brachte, das Haus und schritt die Straße des Dorfes auf und nieder. Schon eine Beitlang währte seine Promenade, da fiel ihm auf, daß die Männer unter die Thüren traten und ihm nachschauten, während die Frauen die Vorhänge an ihren Fenstern zurückschoben. Niemand sagte ihm ein Wort; aber er las etwas wie drohenden Groll in diesen Blicken. Seit der Katastrophe im Voreur war der letzte Rest seiner Popularität geschwunden, und unter der stummen Anklage all dieser Blicke, die der Hunger und die Thränen noch starrer und noch bitterer machten, wurde er verlegen und wußte nicht mehr, wie er gehen sollte. Immer mehr Augen schauten ihm nach, es wurde ihm unerträglich; er fürchtete, das ganze Dorf möchte plötzlich auf die Straße stürzen und