Nr.«.
Mittwoch, den 8. Ia««ar 1890.
7. Jahrg.
MimMKMlltt. Brgan für die Interessen der Arbeiter.
Eine nrilde Vetrnrhknng. Die Arbeiterbewegung hat die Köpfe revolutionirt, eine Fülle neuer, fruchtbringender Gedanken ist auf dem Kultur- acker aufgegangen, die Bourgeoisie sieht durch die Macht der Thatsachen sich gezwungen, den großartigsten Emanzi- Patronskampf, welchen die Geschichte je gesehen hat, grollend Zwar, aber trotzalledem doch anzuerkennen. Die herrschenden Klassen sind in der Zwangslage, irgendwie zur sozialen Frage und zu ihrem Erzeugmß, der sozialen Demokratie Stellung zu nehmen. Mögen sie zu den mechanischen Mitteln der Unterdrückungspolitik, zu Ba- ionnetten und Ausnahmegesetzen greifen, oder mögen sie mit Palliativen an den Schäden des Kapitalismus herumkuriren m der Hoffnung, ihre Pillen und Latwergen seien Allheil- Wittel, mögen sie den Fehdehandschuh aufnehmen, welchen die Theorettker der Arbeiterklasse ihnen hinwerfen, Eins steht unerschütterlich fest: Der Block des Sozialismus versperrt den Weg. Konservative KropatschekS und Kamillenthee-Liberale von der Oechelhäuser'fchen Richtung, ulttamontane Sozial- Politiker wie Vogelsang und die Schüler des Schulze von ?dlitzsch, sie alle machen in Sozialismus, sie deklamiren über Arbeiterschutz, über Fabrikgesetzgebung, über die soziale Reform, als ob sich dies Alles von selbst verstände. Und wie lange ist es denn her, daß die Parteigenossen der Baumbach, Richter den Bahnbrecher der deutschen Arbeiterpartei �bekämpften mit den nichtswürdigen Waffen böser Gassenbuben? Wie viele Jahre sind verflossen, seit- dem die Berliner Fortschrittler unseren Ferdinand L a s s a l l e nach der berühmten Versammlung im Eden- Theater angespien haben? Hört man die Kämpen des Deutschfreisinns, hört man c und Schlotbarone, so sollte man meinen, die für die Armen und Elenden sei ihnen in rbpacht gegeben. Und doch ist ihr Gebahren nur ein Angstprodukt. Die Fluthen der proletarischen Bewegung wachsen immer mehr, sie breitet sich aus und sie vertieft sich, den Priestern des Mammon wird um ihre Gottähnlichkeit bange und sie suchen auf diese und jene Weise mit dem Kommenden sich abzu- finden. List, Gewalt, Heuchelei, Scheinzugeständnisse, lächerliche Abschlagszahlungen, Schachern, Feilschen, ein wahrer Markt der Eitelkeiten.... Man bemüht sich, den grund- sätzlichen Gegensatz zu bemänteln, zu vertuschen und zu verwischen, der zwischen der Partei der Besitzenden und der Partei der Besitzlosen sich aufthut. Ein Fandango auf Eiern wird getanzt, um sich und die Anderen über die wahre Sachlage hinwegzutäuschen. Auf jeden Fall prositirt die Arbeiterklasse. Sie macht sich keine Illusionen über die sozialpolitische Leistungsfähigkeit der herrschenden Kreise, sie überschätzt aber auch die eigenen
die Junker Fürsorge Erbvacht
Feuilleton.
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Germtnsl. Sszialer»,»(iwilt Silo. Einzig antoristrte Uebers-tzung v»»«»»st Ziegle«. Der Eingang des Schachtes wurde nun von dem alten Gebälk und Schutt befreit, die Bäume wurden gefällt, die Himbeer- und Hagedorn-Sträucher ausgerissen, und nachdem die zerbrochenen Leitern ergänzt worden, stieg Ncgrel mit zehn Arbeitern hinab und ließ sie an gewissen, von ihm be- zeichneten Stellen mit ihren Hauen an die Kohlenwand klopfen. Dann legten sie das Ohr an den Fels und horchten. Aber vergeblich durchforschten sie alle passirbaren Wege der alten Grube: kein Zeichen gab Antwort. Wo sollten sie einen Einschnitt in die Kohle machen, in welcher Richtung vordringen? wie konntm sie hosten, daß ihre Mühe mit Erfolg belohnt werde, wenn kein einziger der im Voreux eingeschlossenen Kameraden ihnen durch das Roth- signal zu erkennen gab, daß er lebte und wo er sich be- fand? Sie fuhren fort, mit immer hartnäckigerem Eifer zu suchen. Seit dem ersten Tage kam die Maheude jeden Morgen zum Requillart, setzte sich vor dem Eingang des Schachtes auf einen Balken und blieb dort bis zum Abend. Sobald ein Mann hervorstieg, stand sie auf, ging ihm entgegen und blickte ihn fragend an:„Nichts?"„Nein nichts!" Wortlos nahm sie wieder ihren Platz ein und wartete; die Züge ihres Gesichtes waren hart geworden und verschlossen. Zeanlin, als er sah, daß man in sein Versteck gedrungen, schlich um die Grube mit dem ängstlichen Blick eines RaubthiereS, in
Kräfte nicht. Noch weit tiefgründiger muß das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit im werkthätigen Volke sein, ehe daS Ringen nach umfassender Verbesterung der Sozial- zustände einen Erfolg aufweisen wird. Aber die Riesen- arbeit, welche noch zu thun ist im Interesse der allgemeinen Wohlthat, des Friedens, des wirthschaftlichen, geistigen, sittlichen Fortschritts, diese Riesenarbeit ist des Schweißes der Edeln werth. Unverdrossen, unverzagt fortzuschaffen ist die Losung. Die ReichStagSwahlen stehen vor der Thür. Der Kampf mit dem Stimmzettel ist ein bewundernSwertheS Mittel, die Masse« mit politischen Ideen zu erfüllen, daS Volk aus dem Traumdasein aufzurütteln, zu welchem ökonomische Unterdrückung und politisch-bureaukratische Bevormundung es verurtheilen. Nachdem der Kartell-ReichStag dem deutschen Michel die fünfjährigen Legislaturperioden befcheert hat, ist es eine um so dringendere Pflicht, die Sturmglocke zum Wahlkampf zu läuten. Fort mit den Hurrah- b rüd ern! Das ist das Zeichen, unter welchem die 1890er Wahl vor sich gehen wird. Die deutschen Wähler haben für ihre Zaghafttgkeit, für ihre Piepmeierei, für ihre Melinitbombenfurcht gebüßt. Sie müssen zeigen, ob sie endlich in sich gegangen sind, ob sie es satt haben, sich von den Brotvertheuerern und FreiheitS feinden noch länger anführen zu lassen. Sache der zielbewußten Arbeiter ist es, dafür zu sorgen. daß möglichst viele Vertreter des Proletariats in den Reichstag einziehen. Unabhängige, scharfe, thatkräftige Vor- fechter des arbeitenden Volkes brauchen wir, die den alten Parteien die ungeschminkte Wahrheit sagen, auf kein Tüpfek chen von dem ökonomischen und politischen Programm der Arbeiterpartei verzichten, und den Gegnern auf die Finger sehen, damit sie nicht im Dunkeln gegen Volksfreiheit und Volkswohl manischen und munkeln. Das Massenaufgebot der nächsten Wahl wird der Welt zeigen, wie die Sozialdemokratie in Deutschland Wurzel gefaßt hat. Die Sozialreform von Oben mit ihren VersicherungS- aesetzen, die Leistungen strebsamer Staatsanwälte, die Wirk- samkeit des Sozialistengesetzes, die Mißwirthschaft des Kar teils und die großartige Entwickelung der bürgerlichen Pro duktionSweise, die Auflösung des Kleinbetriebs und die Fort- schritte der Milliardäre, die Lohnkämpfe der Grubenarbeiter und die Geheimbünde der Monopolgesellschaften, die ener- gische Agitation der Arbeiterpartei und ihrer Gegner, welch eine Menge von Kräften thätig im Dienste der Sozialdemo kratie! ES geht vorwärts.
Novrek�rrnvenzen. Zottd»«, 5. Januar 1890. Ich lese in deutschen Zeitungen von den wüsten Szenen, die sich in der Neujahrsnacht im Zentrum Berlrns abgespielt. Merkwürdig,auch hier haben Tausende und Abertausende den Anbruch des neuen Jahres auf den Straßen
dessen Höhle man das geraubte Gut aufstöbert. Er dachte an den unten im Fels begrabenen kleinen Soldaten und fürchtete, daß derselbe gefunden werde. Doch dieser Theil der Grube war überschwemmt, und die Nachforschungen Negrel'S wandten sich außerdem mehr nach links in die westlich gelegenen Gallerien. Zuerst war auch Philomene gekommen, um Zacharias zu begleiten, der sich unter den mit dem Ingenieur suchenden Arbeitern befand. Dann aber wurde sie es überdrüssig, hier resultatlos zu warten und blieb im Dorfe, müde, gleichgiltig gegen Alles, hustend vom Morgen bis zum Abend. Zacharias hingegen war fieberhaft aufgeregt und hätte Alles gethan, um seine Schwester zu retten. Er rief im Schlaf, träumte, daß er sie gesehen, halbverhungert, die Kehle zerrissen von ihrem ungehörten Hilferufen. Zweimal hatte er ohne Befehl einen Gang in die Kohle hauen wollen, erklärend, dort müsse seine Schwester sein, er fühle eS. Der Ingenieur ließ ihn nicht mchr hinabsteigen; drum blieb er dicht beim Schacht; doch er setzte sich nicht neben seine Mutter, er rannte herum, war bald hier, bald dort, von einer ruhe- losen Angst zu unaufhörlicher Bewegung getrieben. ES war am dritten Tage. Nögrel hatte sich, verzweifelnd, etwas zu finden, entschlossen, am Abend die Nach- forschungen abzubrechen. Als er auf Mittag mit seinen Leuten wieder hinabsteigen wollte, um einen letzten Versuch zu wagen, kam ihm Zacharias sehr roth und aufgeregt ent- gegengelaufen, indem er rief: „Sie ist da, sie hat mir geantwortet- kommt! kommt!" Er hatte sich trotz des Verbotes hmabgeschlichen und schwor, daß man ihm im zweiten Stollen der WtlhelmSader ein Zeichen gegeben habe. „Aber wir haben schon zweimal dort versucht," entgegnete Negrel ungläubig.„Nun, wir wollen sehen!" Die Maheude war an alle« Gliedern zitternd auf-
abgewartet, aber obwohl London wegen seiner„RoughS" berühmt oder berüchtigt ist, haben die Zeitungen von Belästi- gungen des Publikums, Konflikten mit der Polizei u. dergl. nichts zu berichten gehabt. Die Menschenmenge, die fich in der Nachbarschaft der St. Paulskirche ansammelte, um das Neu- jahrsgelaute der größten Glocke Englands zu hören, war dies Jahr erheblich stärker, al» je zuvor, aber sie vertrieb fich die Zeit mit dem Abfingen von Volksliedern und begrüßte die von verschiedenen Seiten aus aufsteigenden bengalischen Flammen, die die mächtige Kathedrale und ihre Umgebung zeitweise in ein magisches Licht hüllten, mit lautem Jubel. Gesang und Hurrahrufe wurden zeitweise so laut, daß fie selbst die G lecken übertönten, aber das war auch Alles. Im übrigen trennte fich die Menge schnell, nachdem fie das neue Jahr mit verschiedenen Hochs bewillkommnete. Nachdem das vergangene Jahr der Arbeiterbewegung ein Auffchwung gebracht, wie ihn selbst die kühnsten Optimisten kaum geträumt, beginnt das neue unter ziemlich ernsten Vor- zeichen. Die Gegner der Arbeiter treten wieder breister auf, und auf Seiten der Arbeiter scheint die Spannkraft etwas nachgelassen zu haben. So prinzipiell wichtig der Gasarbeiter- streik in Slld-London auch ist, so theilnahmlos steht ihm, nach dem Besuch der zu seinen Gunsten veranstalteten Meetings und den einlaufenden Unterstützungen zu schließen, die große Masse der Londoner Arbeiterschaft gegenüber— einige rühm- liche Ausnahmen abgerechnet. Woher diese Erscheinung? Ist es die Abspannung, die so oft nach größeren Aktionen sich ein« zustellen pflegt? Oder ist die Ursache in den Fehlern zu suchen, die im Laufe des Streiks auf Serien der �Streikenden, oder vielmehr von gewissen Rathgebern derselben gemacht wurden? Die Leser werden sich erinnern, daß als der' Streik aus- brach, von einzelnen Rednern in den Streikmeetings Me weitgehendsten Drohungen ausgestoßen wurden. Z.B. man wurde, um das Publikum zu zwingen, zu Gunsten der Streikenden eine Pression ausüben, ganz London in Dunkelheit vecsetzen. Daß diese Drohung bei dem bürgerlichen Publikum böses Blut machte, ist leicht erklärlich, fie scheint aber auch bei vielen Arbeitern Anstoß erregt zu haben. Der englische Ar- beiter ist jeder Bewegung abhold, die nicht auf ein bestimmtes Ziel ausgeht und dieses Ziel mit angemessenen Mitteln zu er« reichen sucht. Sind Ziel oder Mittel vager Natur, so betrachtet er das Ganze als des nöthigen Ernstes ermangelnd und wendet sich ab. Unglücklicherweise hat fich nun Alles geradezu verschworen, den Süd-Londoner Gasarbeiterstreik den Außen- stehenden in diesem Lichte erscheinen zu lassen. Auf die pomp- haftesten Erklärunzen in den Meetings, die der kapitalistischen Presse den Stoff zu den wüthendsten Ausfällen gegen die Arbeiter gaben, folgten die gemäßigsten Schritte von Seiten des Arbeiter. Streikkomitees. Daß die Ersteren nicht von diesem ausgegangen, sondern von„guten Freunden", vermochte den ungünstigen Eindruck dieses Widerspruchs nicht zu verwischen. Die SiegeSbülletinS der Direktion wurden um so gläubiger anfgenommen, und für eine verlorene Sache interesfirt fich nun einmal die Masse nicht. Erst neulich wieder wußten die Zeitungen zu berichten, daß die Streikenden auch die Arbeiter auf der Süd-Londoner Zweig- Anstalt der im Norden domizilirten Gas- und KokeS- Gesellschaft zum Austritt veranlassen wollten, um der Bewe- gung einen größeren Nachdruck zu verleihm. Daß dies ein Manöver von mehr wie zweifelhaftem Nutzen gewesen wäre, liegt auf der Hand, und das Stteik- Komitee beeilte fich denn auch, die Nachricht zu dementiren. Inzwischen hatte aber schon gesprungen, man mußte sie gewaltsam verhindern, hinabzu- steigen, sie wartete stehend neben dem Schacht, die Augen unverwandt in das schwarze Loch versenkt. Unten klopfte der Ingenieur an der von Zacharias be, zeichneten Stelle in gemessenen Zwischenräumen drei Schläge; dann befahl er Allen unbewegliche Ruhe und lehnte das Ohr an die Wand. Er vernahm nichts und schüttelte den Kopf; es schien ihm klar, Zacharias hatte geträumt. Zornig ergriff dieser die Haue und klopfte. Seine Augen blitzten, sein Körper erbebte: er hatte gehört. Jetzt wiederholten die Anderen der Reihe nach den Versuch und Alle wurden leb- hast, denn sie hatten sehr wohl die ferne Antwort vernom- men. Negrel wollte es immer noch nicht glauben; er klopfte wieder, horchte und vernahm jetzt wirklich das feine, luft- leichte Geräusch, in dem bekannten Nmhmus, das Zeichen der Bergleute in Gefahr, welches die Kohle mit kristallener Reinheit durch große Entfernungen fortpflanzt. Ein alter Aufseher erklärte, der Block, welcher sie von den Kameraden trenne, müsse mindestens fünfzig Meter tief sein. Doch es schien ibnen Allen, als reichten sie den Unglücklichen schon die Hand, und Begeisterung ergriff die kleine Schaar. Nsgrel mußte auf der Stelle die Arbeit beginnen lassen. Nachdem ZachariuS zu seiner Mutter hinaufgestiegen, umarmten sich Beide unter Thränen. Aber die Pierronne, welche auf einem Spaziergang dort vorüberkam, hatte die Grausamkeit ihnen zu sagen- „Ihr müßt Euch nichts in den Kopf setzen. Gesetzt, Katharina wäre nicht unter denen, die das Zeichen gegeben haben, würde Euch das nachher einen zu großen Schmerz machen." Gewiß, Käthchen konnte möglichenfalls in einem andern Theile der überschwemmten Grube stecken. Aber Zacharias antwortete wüthend: „Laß mich in Ruh. Sie ist da, ich fühl' es!"