noch neue Fälle, die von dem Betreffenden unumwunden eingeräumt werden. Dem Thäler dieser seit über zwei Jahren ausgeführten Diebstähle vermochte die Polizei trop aller Be mühungen nicht auf die Spur zu kommen, und nur durch einen Bufall ist die Festnahme des Verbrechers gelungen. Derselbe fuchte fich meift Läden aus, zu denen er durch Eindrücken einer Schaufensterscheibe fich Eingang verschaffte, um sodann die Kaffe auszuräumen. Als das Patrouilliren und Verstedthalten der Rriminalbeamten fich als erfolglos erwies, tam die Polizei auf die Idee, mit Genehmigung der Geschäftsinhaber Nachts über Beamte in den bunkeln Läden Wache halten zu laffen. Aber in diesen ist niemals eingebrochen worden. Weshalb dieselben verschont blieben, ergiebt sich, wie ein Rorrespondent mittheilt, aus folgendem: Die Kriminalbeamten baben ein besonderes Lokal, in welchem sie des Abends verfehren und dort bei einem Glafe Bier ihre Erlebnisse besprechen. Sier fanden sich aber auch mehrere Hautboisten des 1. Garde regiments, und unter diesen der Einbrecher ein, der mit den Beamten in freundschaftlicher Weise verkehrte und von ihnen manche Polizeimaßnahme erfuhr. So ist das Gespräch denn auch öfter auf bie einzelnen Diebstähle gekommen und von den Beamten ihr Beobachtungsposten für die einzelnen Nächte verrathen worden. Hierdurch war der Einbrecher gewarnt, der nunmehr nur unbewachten Läden seine Besuche abftattete. Man machte der Polizei schließlich schon gar feine Mittheilung mehr von den einzelnen Fällen, weil man allgemein daran zu Aweifeln begann, des Sp zbuben habhaft zu werden. Die Frechheit des Diebes ging fogar fo weit, in Schlafzimmern von Frauen einzufteigen oder sich vor dem Bubettgehen derselben einzuschleichen und diese an Armen und Sänden nach Gold- und Schmuckfachen zu betaften. Der endliche Fang gelang auf folgende, bisher noch nicht bekannt gewordene Art: Als er eines Nachts bei einem Bäcker gerade bie Raffe Leerte, erwachten die neben dem Laden schlafende Frau und Schwester durch das Geräusch; fie zo zen fich noth. bürftig an und eilten auf die Straße, um Lärm zu machen. En im selben Moment herankommender Polizeibeamter fragte nach der Ursache des Lärms, und als er die Antwort erhielt, daß der Dieb eben erst das Haus verlaffen haben könne, ent gegnete er, Niemanden gesehen zu haben, als einen auf dem gegenüberliegenden Trottoir langsam gehenden Herrn. Dies war eben der Dieb. Wäre er ruhig weiter gegangen, fo würde man ihm gar feine Beachtung geschenkt haben; jedoch, als er bie Worte des Beamten hörte, nahm er Neißaus, und damit veranlaßte er feine Verfolgung. Als man feiner habhaft geworden und ihn fiftirt hatte, forderte er feine fofortige Frei laffung und legitimirte fich durch sein Soldbuch als Hautboist. Er habe Abends bei einer Festlichkeit gespielt und trage die Ziviltleidung mit Erlaubniß seiner Borgefekten. Da bei feiner Durchsuchung sich aber das gestohlene Geld vorfand, so behielt man das Soldbuch auf der Polizei, wo er es am nächsten Tage wieber abholen fönne. Als er bann auch in voller Uni form erschien, war aber inzwischen bereits Anzeige bei dem Regimente- Rammandeur gemacht, der persönlich auf der Polizei erschien und den Hautboisten durch mitgebrachte Soldaten in Untersuchungsarreft abführen ließ. Bei Durchfuchung feiner Wohnung fand man in den Taschen aller Reidungsstüde eine Menge Gold- und Silbersachen und Pfandscheine. Da er erfahren, daß die Polizei die ganzen Jahre hindurch bei den Pfandleihern Nachfrage nach den gestohlenen Sachen gehalten, fo hatte er nur die aus den ersten Diebstählen herrührenden Gegenstände verpfändet.
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Schiffsbewegung der Postdampfschiffe der Samburg- Amerikanischen Packetfahrt- Aktiengesellschaft. " Italia ", am 31. Dezember von Hamburg nach New- York abgegangen; Standia", am 31. Dezember von Hamburg nach Nem.Vnt abgegangen; Rulfia", von New- York , am 3. Jan. in Hamburg angekommen;" Dania", am 4. Januar von NewDort nach Hamburg abgegangen; Gothia", von Baltimore , om 4. Januar in Hamburg angekommen; Bolaria", von New- York , am 5. Januar in Stettin angekommen; Rhaetia, am 5. Jmuar von Hambura nach New- York abgegangen; Dania", von Hamburg , am 30. Dezember in New- York ange fommen; Marsala", von Hamburg , am 1. Januar in NewDort angekommen; Polynesia", von Stettin , am 2. Januar in New- York angekommen.
Polizeibericht. Am 6. d. M. Vormittags wurde ein Mann in seiner Wohnung in der Ritterstraße erhängt vorgefunden. Nachmittags wurde eine Frau an der Ede ber Friedrichsgracht und der Roßstraße von einer Droschte überfahren und erlitt dabei bedeutende Quetschungen. Auf dem Flur des Hauses Universitätsstraße 4 wurde Abends die Leiche eines neugeborenen Kindes aufgefunden und nach dem Schau hause gefchafft. Am 6. b. M. fanden in der Friedrichstr. 126, und Wadzecftr. 20, und in der Nacht zum 7. d. M. in der Mühlhausenerstr. 5 und Prinzessinnenftr. 16 fleinere Brände statt, welche von der Feuerwehr gelöscht wurden.
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Bewegung der Bevölkerung der Stadt Berlin . In der Woche vom 15. bis 21. Dezember 1889 fanden 252 Eheschließungen statt. Lebenbge boren wurden 921 Kinder, darunter 102 außerehelich, todtgeboren waren 88 mit 6 außerehelichen. Die Lebendgeborenen find 31,4, die Todtgeborenen 1,1 pro Mille der Bevölkerung, die außerehelich Geborenen find bei den Lebendgeborenen 11,1, bei den Todtgeborenen 18,2 pбt. Die Zahl der gemeldeten Sterbefälle be frug, 927, bie fich auf die Wochentage wie folgt vertheilen: Sonntag 103, Montag 134, Dienstag 120, Mittwoch 130, Donnerstag 161, Freitag 130, Sonn abend 149. Von den Gestorbenen erlagen an Mafern 3, Scharlach 9, Rose 1, Diphtherie 41, Bräune 8, Reuchhusten 15, Kindbettfieber 8, Typhus 8, fluenza 10, Grippe 0, Syphilis 2, Altersschwäche 37, Gehirnschlag 22, Lungenentzündung 126, Lungenschwindsucht 181, Diarrhoe 21, Brechburchfall 18, Magendarmkatarrh 8. Durch Bergiftung fam 1 Person um, und zwar burch Alloholvergiftung( Delirium tremens). Eines gewaltsamen Todes starben 13 Personen, und zwar durch Verb enrung oder Berbrühung 1, Erhängen 8, Ueber fahren 8, Sturz oder Schlag 5 und Operation 1. Sierunter find 2 Todesfälle durch Selbstmord herbeigeführt worden. Dem Alter nach find die Geftorbenen unter 1 Jahre alt 243( 26,2 pt. ber Gesammtsterblichkeit), 1-5 Jahre 118, 5-15 Jahre 40, 15-20 Jahre 11. 20-30 Jahre 67, 30-40 Jabre, 98, 40-60 Jahre 185, 60-80 Jahre 140 über 80 Jahre 80 Personen. In hiesigen Krantenhäusern starben 201, ein schließlich 20 Auswärtige, welche zur Behandlung hierher gebracht waren. Auf die Standesamter vertheilen fich die Todesfälle folgendermaßen: Berlin Rölln Dorotheenstadt( I.) 36, Friedrichstadt ( II) 29, Friedrich- und Schöne berger Borstadt( III) 53, Friedrich- und Tempelhofer Vorstadt( IV.) 74, Louisenftadt jenseit, weftlich( Va.) 66, Lutsenstadt fenfeit, öftlich( Vb.) 81, Luisenstadt dieffeit und Neu- Rölln( VI) 71, Stralauer Biertel, westlich( VIIa.) 74, Stralauer Biertel, öftlich( VIIb) 50, Rönigftadt( VIII) 68, Spandauer Viertel ( IX) 54, Rosenthaler Borstadt, südlich( Xa.) 68, Rosenthaler Borstadt, nördlich ( Xb.) 48, Oranienburger Vorstadt( XI.) 88, Friedrich Wilhelmftadt und Moabit ( X) 56, Wedding ( XIII) 61. Die Sterbefälle find 31,6 pro Mille ber fort gefchriebenen Bevölkerungszahl( 1528 113). Die Sterblichkeitsgiffer in folgenden Städten des Deutschen Reiches mit mehr als hunderttausend Einwohnern be trug in Aachen 31,3, Altona 28,4, Barmen 20,7, Bremen 24,2 Breslau 24,1, Chemnik 19,2, Danzig 47,5, Dresden 19,8, Düsseldorf 22,1, Elberfeld 184 Frankfurt a. M. 19,6, Samburg mit Vororten 26,7, Hannover 21,9, Röln 245 Rönigsberg 27,2, Krefeld 18,8, Leipzig 17,8, Magdeburg 27,2, München 26 5. Nürnberg 22,3, Stettin 24,6, Straßburg i. E. 18,2, Stuttgart 15,7 auf Tausend In anderen Großstädten Europas mit mehr als brethunderttausend Einwohnern betrug die Sterblichkeitsziffer in Amsterdam 26,2, Budapest ( Borwoche) 29,0, Dublin Liverpool 27,6, London 21,8, Paris 31,2, Petersburg ( Borwoche) 83,2, Warschau ( Vorwoche) 42,7, Wien ( Borwoche) 26.5 auf Tausend. Es wur ben 1874 zugezogene, 2004 Weggezogene gemeldet, so daß fich die Bevölkerung mit Einrechnung der nachträglich gemeldeten Geborenen und des Zuschlages, ber den Weggezogenen erfahrungsmäßig zugerechnet werden muß, um 814 ver mindert hat, die Einwohnerzahl beträgt fonach am Schluffe der Berichtswoche 1527 799. In der Woche vom 22.- 28 Desember tamen zur Meldung InfektionsErkrankungsfälle an Typhus 19, Bocken-, Mafern 61, Scharlach 53, Diphtherie 91, Rindbettfieber 8.
Gerichts- Beitung.
Vor der vierten Strafkammer des Landgerichts I unter dem Vorfize des Landgerichts direktors Warttus hatte fich gestern der Stebatteur der Bolts- Beitung", Franz Mehring , wegen Beleidigung des Staatsministeriums zu verantworten. Der Anklage lag ein Leitartifel unter der Epißmarte 3vei Feftreden zu Grunde, welcher geständlich vom Beschulorgten verfaßt und in der
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Nummer 206 der Boltszeitung vom 27. September v. J erschienen ist. Der Artikel behandelte ben kurz zuvor in Frankfurt a. M. ftattgehabten Schriftstellertag und der Ber faffer Inüpfte an die Feftreden des Oberbürgermeister Miquel und des Polizeipräsidenten v. Müffling fritifirende Bemerkungen, indem besonders die Stellungnahme der Regierung zur Breffe als eine solche hingestellt wurde, welche mit den freundlichen Begrüßungsworten feitens deren Vertreter im Widerspruche ftehe. Es wurde behauptet, daß die Regierung seit etwa 25 Jahren bemüht fei, das freie Wort, theils durch Geld zu beeinflußen, theis durch äußerste Strenge zu vernichten und auf Giund dieser Behauptung stellte das Staatsministerium den Strafantrag wegen Beleidigung. Der Anaeklagte bestritt, daß die Spize des Artikels fich gegen die Regierung richte; er habe nur den deutschen Schriftstellerverband treffen wollen. Außerdem stellte er in Abrede, daß die beanstandeten Behauptungen beleidigender Natur seien, denn dieselben seien einfach wahr und schließlichh abe er in Wahrung berechtigter J tereffen gehandelt, denn das von ihm redigirte Blatt sei befanntlich wie fein anderes gemaßregelt und fast an den Rand des Abgrundes gebracht worden. Staatsanwalt Stachow führte aus, daß der beanstandete Artikel keine Thatsachen, sonbern nur Urtheile und völlig unbegründete allgemeine Behauptungen enthalte. Der Regierung werde der Vorwurf gebie Bresse zu beeinfluffen oder zu faebeln trachte und diese macht, daß fie auf dem Wege der Bestechung oder durch Gewalt Vorwürfe feien so schwer schwer beleidigender Natur, daß er gegen den Angeklagten, trobem derselbe bisher nicht vorbestraft sei, eine Gefängnißstrafe von drei Monaten beantrage.
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Rechtsanwalt Rauffmann bestritt, daß in dem Artikel eine Beleidigung des Staatsministeriums enthalten sei. That fächlich bestche ein vollständiges System zur Beeinflussung der Preffe. Lettere erfolge auf die mannigfachste Weise, theils durch Baarunterstüßung einzelner Schriftsteller und Zeitungen, theils durch Zuwendung amtlicher Inferate, theils durch Verforgung der Provinzialblätter mit Artikeln aus dem Berliner Preßbureau, für die Seitens der betreffenden Blätter ein Honorar nicht gezahlt werde. Auch sei es einer erheblichen materiellen Unterflüßung gleich zu achten, wenn beispielsweise Gefeßesvorlagen an einzelne offigiöse Literaten früher abgegeben als veröffentlicht werden. Die Geldmittel zur systematischen Becinfluffung der Breffe fließen theils aus den etatsmäßigen geheimen Fonds des Minifteriums, theils aus dem Welfenfonds. Obgleich von feindlichen Bestrebungen des Königs Georg längst nicht mehr die Rede sei, werden demnach die Ueberschüsse des Welfenfonds ohne jede Rechnungslegung verwendet, zum Theil zur Beeinflussung der Preffe. Wenn ferner in dem Artikel gefagt werde, bie Regierung habe die Freiheit ber Breffe burch Eisen" zu vernichten gesucht, so sei auf die verfassungswidrige Breßordonnanz vom 1. Juni 1863 zu verweisen, ferner auf die zahllosen Strafprozeffe gegen die Preffe, die faft täglich die Gerichte beschäftigen, auf das Sozialisten gefeß, welches mit einem Schlage hunderte von Preßorgane unterdrückt habe 2c. Es sei ferner zu erinnern an die bekannten zahlreichen Maßregeln gegen die Volks- Zeitung", die wiederholten Beschlagnahmen und Haussuchungen, das rechtswidrige Verbot der Bolis zeitung", das Verbot der nach dem Verbot erschienenen völlig farblofen Blätter, endlich an das Zeugnißzwangsverfahren gegen die Redakteure. Endlich, wenn man speziell von der Volkszeitung" absteht, brauche man blos an die vergitterten Mauern zu er innern, welche in der nächsten Nachbarschaft dieses Gerichtsfaales den Profeffor Geffen beherbergten. Wenn nicht einmal die Tagebuch blätter des deutschen Thron folgers und späteren Kaisers Friedrich ohne strafrechtliche Verfolgung erscheinen fonnten, so werde man wohl das in dem Artikel enthaltene Urtheil über das Verhalten der Regierung gegenüber der Preffe für berechtigt erachten müssen. Falls dem Antrage auf Freisprechung nicht stattgegeben werde, so sei das vom Staatsanwalt beantragte Strafmaß verfehlt. Der Angeflagte fönne zwar stolz darauf sein, daß er, ohne Vorbestrafung von der Anklagebehörde fogleich so hoch geschäzt werde, es sei aber doch zu berücksichtigen, daß der Angeklagte auf einem weit vorgeschobenen und vereinzelten Poften steht, zu deffen Bertheidigung er nicht mit flacher Klinge fchlagen, sondern nur scharfe Hiebe austheilen könne. Der Gerichts
hof erkannte auf 150 M. Gelbbuße event. 15 Tage Ges fängniß. Der Gerichtshof schloß fich der Auffaffung an, daß fich die Spike des Artikels gegen den Schriftstellertag in Frank furt a. M. richte, er hielt aber den dabei untergelaufenen Hieb gegen das Staatsministerium für beleidigend, weil gegen die Regierung der Vorwurf eines illoyalen Verhaltens gerichtet werde. Der Gerichtsof hielt aber die Umstände für derart, daß auf eine nicht zu empfindliche Strafe erkannt werden konnte. Der Angeklagte sei ein bekannter politischer Gegner des Staatsministeriums, er stehe auf einer sehr exponirten Stelle, mochte durch die gegen sein Blatt gerichteten Maßnahmen gereizt sein und schließlich handele es fich nicht um persönliche, sondern politische Anariffe.
Für das Droschken bennhende Publikum ist eine Entscheidung von wesentlicher Bedeutung, welche gestern die 95. Abtheilung des Berliner Schöffengerichts gegen den Droschken futscher August Liebig gefällt hat. Nach dem Tarif H. wird fogenanntes fleines Gepäc" bis zu einem Gesammtgewicht von 10 Kilogramm unentgeltlich mitbefördert. Dagegen wurde für Gepäck im Gesammtgewicht von mehr als 10 bis infl. 25 Rilogramm 25 Pfennig, für mehr als 25 bis intl. 50 Kilogramm 50 Pfennig und für jede weiteren, wenn auch nur angefangenen 50 Kilogramm weitere 50 Pfg. bezahlt. Der Angeflagte hatte am 12. Oktober eine Fahrt vom Stettiner nach dem Anhalter Bahnhof ausgeführt und auf resp. in seiner Drochte 50 Kilogramm großes und etwa 5 Kilogramm fleines Gepäck befördert. Für die Mitnahme des Gepäds hat der Angeklagte eine Mark gefordert und gezahlt erhalten, wurde aber wegen Tarifüberhebung durch Polizeimandat mit 9 M. ev. 3 Tagen Haft belegt. Das Polizei- Präsidium und mit demselben der im Temin fungirende Amtsanwalt legen die angezogenen Tarifbestimmungen dahin aus, daß das Handgepäd, wenn daffelbe an Gewicht 10 Kilogramm nicht übersteigt, ftets frei zu befördern ist, gleichviel ob außer demselben anderes Gepäck mitgeführt wird oder nicht. Keinesfalls dürfe aber das Gewicht bes nicht 10 Kilogramm wiegenden Handgepäcks mit dem des übrigen Gepäcs verbunden werden. Da biernach dem Angeklagten nur eine Gepäckgebühr von nur 50 Pig. zuge standen hat, habe sich derselbe eine Tarifüberhebung schuldig gemacht, die mit dem geringsten Strafmaß von 9 M. event. 3 Tagen Haft zu ahnden sei. Der Gerichtshof erkannte aber auf Freisprechung des Angeklagten, indem er aus dem in der Tarifpofition gebrauchten Ausbrud Gesammtgewicht" folgert, daß auch das Gewicht des fleinen Gepäcks hineinzuziehen sei. Tas Gesammtgewicht habe aber 55 Rilo betragen, wofür dem Angeklagten eine Gebühr von 1 M. zustand.
Eine schöne Empfehlung vom Herrn Lieutenant Schröder das war das Aushängeschild, unter deffen Schuß sich die unverehelichte Augufte Barftnecht, welche geftern vor dem Schöffengericht stand, einen Schwindel gegen hiesige Geschäftsleute auszuführen versuchte. In einem Falle ist ihr derfelbe auch gelungen. Sie erschien unter der Maste eines Mädchens aus der Nachbarschaft" in einem Materialwaarengeschät und bat im Auftrag des in einem ber Nebenhäuser wohnenden Lieutenants Schröder" um Ausführung einer sehr umfangreichen Bestellung im Gefammtwerthe von 107 M., in welcher alle nur möglichen Waaren, Korinthen, Bigarren, Chokolade, Scife, Zuder, Thee, Vanille, Wurfwaaren 2c. enthalten waren. Nach Angabe des Mädchens follte die Gesammtrechnung fofort bei Ablieferung der Waare bezahlt werden, doch war das Mädchen angeblich beauftragt, eine Rifte Bigarren und ein Pfund Buder, sowie eine Flasche Rum
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gleich mitzubringen. Der über den aroßen Auftrag erfreute Geschäftsinhaber überantwortete dem Mädchen auch vertrauensvoll diese Waaren, mußte fich aber bald überzeugen, daß er einer Schwindlerin zum Opfer gefallen war. Litere wurde bald darauf von einem vorsichtigeren Kaufmann oingfeft ge macht, in dessen Geschäft fie genau dieselbe Empfehlung vom Lieutenant Schröder" ausrichtete. Das Schöffengericht verur theilte die offenbar mit starken hochstaplerischen Neigungen ausgeftattete Anaetlaate au einem Monat Gefängniß.
Ein Postdiebstahl von erheblichem Umfange beschäftigte gestern die vierte Straffammer des Landgerichts I , welcher der Thäter in der Person des erst 21 Jahre alten Posthilfeboten Paul Radzey vorgeführt wurde. Der Angeklagte, welcher beim Poftamte in der Dorotheenstraße angestellt war, wurde zeitweise seiner vorzüglichen Handschrift wegen auch mit untergeordneten schriftlichen Arbeiter beschäftigt. Er genoß daß volle Vertrauen der über ihm stehenden Beamten und der Verdacht fiel deshalb auch nicht auf iht, als auffallend viele Briefe, zum Theil mit Inhalt, auf unerk äil che Weise aus dem Poftamte verschwanden. Da ging anfangs Dezember ein„ eingeschriebener Brief verloren, ben die Abfenderin, eine hiesige Bant, mit 9000 Mirt beschwert hatte. Es war zweifellos, daß der Brief aus dem Postbureau gestohlen worden es war, und wurden die umfangreichten große Geldausgaben, burch Geschenke, mit denen er in der Ermittelungen angestellt, um den Thäter zu entdecken. Durch freigebigften Weise seine Freunde bedachte, lenkte Ridzey den Berdacht auf sich. Eine bei ihm vorgenommene Haussuchung förderte etwa 7000 M. zu Tage. Nun gestand er ein, daß er nicht blos den Diebstahl an dem Geldbrief, sondern auch die früheren Diebstähle und Unterschlagungen begangen, 2000. m. hatte er bei seiner Verhaftung bereits in der leichtfertigften Weife vergeudet. Der Angeklagte war auch vor Gericht geständig, welches ihm indeffen als Milberungsgrund nicht an gerechnet wurde. Das Urtheil lautete auf zwei Jahre Gefängniß und drei Jahre Ehrverlust.
Versammlungen.
Eine öffentliche Volksverlammlung für den dritten Berliner Reichstagswahlkreis war zum Montag Abend nach dem Konzerthause Sanssouci , Rottbuserstr. 4a, ange fündigt worden, in welcher Herr Mar Schippel über: Die Sozialreform und die Arbeiter" fprechen follte. Bon 8 Uhr an drängten fich die Menschenmaffen in den Saal, so daß der felbe in furzer Zeit vollständig überfüllt war und bie Polizei bie Eingangs hüren schloß. Ueber 2500 Personen füllten ben gewaltigen Raum; mehr denn 500 Menschen standen die Kott buferstraße entlang, hoffend, doch noch in den Saal zu ge langen. An Stelle des Herrn Schippel, der, wie aus einem vom Vorfizenden der Versammlung, Herrn Aßmann, verlesenen Briefe hervorging, an das Bett gefesselt ist und deshalb nicht erscheinen konnte, hielt Herr Buchdruder Albert Schmidt den Vortrag aus dem Stegreif. Das Wort Sozialreform, so führte der Referent aus, erwecke den Glauben, als sei die staatliche Sozialreform nugbringend für die Arbeiter Ob dieselbe irgend welchen Nugen gebracht habe, molle er untersuchen. Die bür gerlichen Baiteien faßten das Wort Sozialreform"- die Art der Ausführung derselben spricht dafür in einem ganz anderen Sinne auf, als die Arbeiterschaft. Diese fei mit der Definition des Wortes und der Urberfeßung in die Praxis, wie sie von Seiten der Bourgeoisie beliebt wird, nicht einver standen. Die ungezählten Protefte der Arbeiter gegen diefelbe beweisen dies. Die Arbeiter beobachteten genau alle Mah nahmen und Forderungen der bürgerlichen Parteien, die zugleich mit der Einführung der staatlichen Sozialreform, getroffen und gestellt werden. Die Erhöhung der Rornzölle und die Forbe rung der Beschränkung der Freizügigkeit seitens der Großgrund befizer, dieForderung der Janungshelden in Betreff der Einführung des Befähigungsnachweises und der Arbeitsbücher machen den ge ringen Anklang, ben die staatlicheSozialreform noch gefunden hätte, ganz verschwinden. Dagegen zeige die Arbeiterbewegung fich in einem fortwährenden Wachsthum begriffen. Anders fönne es auch nicht fein! Obgleich die bürgerlichen Parteien bei ben Wahlen durch die gewaltige Reklame für die Sozialreform jeden anderen Gedanken zu ersticken suchen, vergeffen die A.beiter nicht, was unter den Fittigen der Sozialreform alles für fie nüßliche zerstört worden. Sie benken fets an die Folgen, die das Ausnahmegesez für sie gehabt hat! Vergleichen fie mit diesen den Nugen", den die Sozialreform ihnen gebracht hat, so stellt sich die Waage zu Ungunsten ber legteren. Was hat bas Krankenversicherungsgefeß den Arbeitern gebracht? Nichts, als ein gewaltiges Beamten heer, deren Gehälter einen nicht unbedeutenden Theil der Beiträge absorbiren, und das ein williges Bolt für die Regierung bei den Wahlen abgiebt. Was wird das Altersversicherungsgeseß ihnen bieten? Nichts, denn die Altersgrense ist so hoch geftellt, daß sehr selten ein Arbeiter in den den Genuß der Rente tom wird. Nur Seelsorger und Lehrer werbe. 70 Jahre alt, der Arbeiter nicht.( Sehr richtig.) Und wenn auch die nächste Wahlparole Sozialreform" lauten wird, die Arbeiterpartei fann der Wahlschlacht getroft entgegenfchen, denn die Befirebung der Regierung, die Roalitionsfreiheit der Arbeiter illusorisch zu machen, ist zu augenscheinlich. Denn was heißt es anders, wenn das Reichsgericht dem§ 110 bes Str. G.-B., betreffend den Widerstand gegen Anordnungen der Obrigkeit, so auslegt, daß ein Auffordern zum Einstellen der Arbeit vor Ablauf der gefeßlichen Kündigungsfrist als ein Auffordern zum Verstoß gegen das Gefeß, gegen Anordnungen der Obrigkeit, angesehen wird; wenn die Forderung der Ar beiter an die Fabrikanten zum Wiedereinstellen von gemak regelten Arbeitern als eine Erpreffung zur Erlangung wider rechtlicher Vermögensvortheile im Sinne des Strafgelegbuches angesehen wird. Wenn neben der Sozialreform das Aus nahmegefeß dazu gebraucht wird, gewerbliche Organisationen der Arbeiter aufzulösen, wenn man in der einen Hand dem Arbeiter bie Buderbüte hinbält, während in der anderen die Ruthe winkt, dann ist ein Mißtrauen der Arbeiter gegen den oft betonten Willen der Regierung, die Lage der ar beitenden Klaffe zu heben, nur zu gerechtfertigt. Was bebeute die Sozialreform, wenn es Unternehmern gestattet bleibt, durch Ringe, Trufts u. f. w. bie Preise der Lebens bedürfniffe willkürlich in die Höhe zu schrauben und das Bolt auszufaugen? Hier muß eine andere Sozialreform gefchaffen werden, die alledem vorbeugt, und diese besteht in der erken Forderung der Sozialdemokratie: Abschaffung der privatkapitaliftischen Produktionsweise und Ueberführung in die genoffenschaftliche. Doch hiervon wollten die herrschenden Klaffen nichts wiffen, bas fei Umfturz. Dies sei neben der Sozialreform bas Feldgeschrei der bürgerlichen Parteien während der Wahlbewegung. Vielleicht werden wieder kurz vor der Wahl einige blinde Schüffe abgegeben, um dem deutschen Michel Angst zu machen. Der nächste Wahlkampf werbe ein schwerer werben! Unserer Partei liege nicht so sehr daran, die Bohl der sozialbemokratischen Size im Reichstage zu vermehren. Uns liegt nur an der Aufklärung der Maffen über ihre Klaffenlage. Wir müffen beshalb fiets betonen, baß die Sozialreform von oben ohne Nußen für die Allgemeinheit ist, daß nur eine folche von unten Bifferung bringen kann, bie ein System abfchafft, welches einen fleinen Theil hervorbringt, der nicht arbeitet und alles befitt, einen größeren, der nicht arbeiten fann, weil er feine Arbeit findet, und der nichts hat, und eine übergroße Zahl, die ihr Leben lang arbeitet und taum genug hot, um fich fatt zu effen. Auch unfere Gegner werben noch einsehen, daß ein Staat wur bestehen kann, wenn die Maffe des Boltes törperlich und geistig.
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