Nr. 75.
Sonnabend, den 29. März 1890.
7. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
Das„ Berliner Volksblatt"
erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mart, wöchentlich 28 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntage- Blatt" 10 Pf. Postabonnement 3,30 Mart pro Quartal. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1890 unter Nr. 892, V. Nachtrag.) Unter Kreuzband, täglich durch die Expedition, für Deutschland und Desterreich- Ungarn . 2 Mark, für das übrige Ausland 3 Mark pro Monat.
Redaktion: Beuthfvahe 2.
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Expedition: Bimmerffrake 44.
machen, die in ihrer Missethäterrolle sich sehr mollig Die Jahrespreise sind wie man sieht im steten fühlen. Wir plädiren vor dem Gerichtshof der öffent- Steigen begriffen, das Brot ist also fortgesetzt vertheuert lichen Meinung, und je tiefer wir den Stachel des ehr- worden. Im Jahre 1889 betrug der Berliner Brotpreis lichen Zorns über die Profitmacherei der Agrarier dem pro 100 Kilogramm Volke in die Seele drücken können, um so besser. Januar Anfang.
Bereits vor längerer Zeit haben wir aus einer in den Jahrbüchern für Nationalökonomie" erschienenen Studie des Berliner städtischen Statistikers Dr. E. Hirschberg über die Berliner Brotpreise Mitteilungen gebracht, durch welche der unmittelbare Einfluß der Getreidezölle auf das nothwendigste Lebensmittel der breiten Massen klar dargelegt wurde. Das städtische statische Amt hat nun auch für das Jahr 1889 seine Ermittelungen über die Preise von Roggenbrot in der Reichshauptstadt fortgesetzt, und Hirschberg veröffentlicht in einem wissenschaftlichen Fachblatt die Ergebnisse dieser Brotstatistik, die
pro Quartal( eingetragen in der Postzeitungsliste für 1890 unter uns hier an Ort und Stelle ja besonders inter
Nr. 892 V. Nachtrag).
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Redaktion und Expedition des Berliner Volksblatt".
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essiren muß. Sind wir doch die Nächsten dazu.". Die Absicht der Brotpreis- Statistik ist, den Gang der Brotpreise im Großen zu verfolgen. Zu diesem Zwecke werden zu Anfang und um die Mitte jedes Monats bei einer bestimmten Anzahl von Bäckern, und immer
an denselben Verkaufsstellen, ohne daß den Inhabern die
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Februar.
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März.. April..
..
Mai Juni.
Juli.
August.
Mitte Anfang Mitte Anfang Mitte . Anfang Mitte Anfang Mitte Anfang Mitte Anfang Mitte Anfang Mitte
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23,92 Mart 24,29 〃 24,11 24,23 23,92 .
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24,01
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"
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23,82 .
23,94 24,48
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•.
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September. Anfang.
Oktober. Anfang
24,34"
24,72
0. 24,23
.. 24,10
B. 24,22
. 24,65
. 24,49
"
"
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"
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•
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• 25,17
"
Mitte
•
O
November
Mitte • Anfang Mitte
•
24,87 25,16 25,00 25,19 .
"
"
"
"
Dezember Anfang
•
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25,54" 26,04
Mitte
26,81"
"
Bestimmung des Ankaufs bekannt ist, Brote angekauft, Wir sehen also vom Beginn bis zum Schluß des und zwar in den bei uns üblichen Stücken zu 50 Pf. Jahres eine fortgesetzte starke Steigerung. Dabei ist der die ein ganzes Brot repräsentiren. Es wird ja bei uns Mindestpreis für 100 Kilogramm im Jahre 1889: bedauerlicher Weise nicht nach dem Gewicht, sondern nach 19,31 Mark, der höchstpreis 30,86 Mart, während dem Stück verkauft. Die Brote werden alsdann in er- 1888 die Preise zwischen 16,98 und 27,78 Mark sich befaltetem Zustande einzeln auf der städtischen Rathswaage wegten. Das Gewicht des Fünfzigpfennigverwogen; aus dem Preise von 50 Pf. für das ganze brotes schwankte also Brot wird der Preis der Gewichtseinheit abgeleitet, ein Verfahren, das, wie Hirschberg treffend sagt, wenn es jede Hausfrau einschlüge, wohl dazu führen würde,
1888 zwischen 3,09 und 1,83 Kilogramm, 1889 2,36 1,88 2,36" "
"
Es betrug das Durchschnittsgewicht des Fünfzigpfennigbrotes
1888. 2,36 Kilogramm, 1889... . 2,02
"
Es ist also das Durchschnittsgewicht um 340 Gramm
Berliner Brofpreise. daß allgemein nach Gewicht gekauft wird". Im Jahre Unsere Großgrundbesitzer sind wackere Leute, fie bauen 1885 begannen diese Aufnahmen bei 10 Bäckern, 1888 ihr Korn, brennen ihren Schnaps, sieden ihren Rüben- umfaßten sie 16, 1889 bereits 34 Verkaufsstellen. Seit zucker. Wenn man die Behauptung aufstellt, daß ihre 1889 werden außerdem monatlich zweimal noch 24 Brote bevorrechtete Stellung nicht verträglich mit dem Gemein- von beliebigen Verkaufsstellen in den städtischen Marktwohl sei, und daß deshalb die Lebensmittelzölle beseitigt hallen zum Zwecke der Preisermittelung angekauft. Es werden müßten, so zucken sie die Achseln und erklären es für dürfte nicht uninteressant sein zu erfahren, daß die 34 in zurückgegangen. Nach guter, fachkundiger Schätzung beträgt der jährpure Verleumdung, daß das Bischen Schutz, welches die bestimmten Bäckereien gekauften Brote nach Besichtigung Gesetzgebung der„ nothleidenden Landwirthschaft" verliehen durch einen Sachverständigen durchweg eine gleichmäßige, liche Roggenbrotverbrauch in Berlin pro Kopf 100 Kilohabe, auf das Volk drücke. Wenn du ihnen neunund- befriedigende Qualität aufweisen", während die Beschaffen- gramm, also bei einer Haushaltung von vier Köpfen 400 neunzigmal haarscharf bewiesen hast, was für eine schwere heit der in den Markthallen angekauften Waare, besonders Kilogramm. Diese 400 Kilogramm kosteten dem Haushalt Unbill die indirekten Steuern darstellen, so rufen sie zum der in denselben regelmäßig enthaltenen und sogenannten hundertsten Male nach Beweisen". Wer sich absichtlich Landbrote, eines gröberen Gebäcks, mehrfach wechseln und der Wahrheit verschließen will, der hört eben die besten weniger zufriedenstellend waren". Ob unter diesen unbeBeweisgründe nicht, weil seine Ohren mit der dichten Watte friedigenden Eßwaaren Blumberger Produkte waren, des Klaffeninteresses verstopft sind. wird leider nicht mitgetheilt. Es tosteten 100 Kilogramm Roggenbrot
Wenn wir nun heute zum hundertsten Male den Schuldbeweis der Brotvertheuerer erbringen, so geschieht dies nicht, um einen Eindruck auf die Delinquenten zu
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Feuilleton.
Nachdruck verboten.]
Der Mord auf dem Balle.
Aus dem Leben einer Kreisstadt.
Von J. S. Panow.
[ 20
1887 1888 1889
. 20,65 M.
.
21,22 24,72
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"
ihren Fafeleien?... Sie ist bis über die Ohren in den Taugenichts Jtschalow verliebt, und bei ihrer selbstverleugnenden Natur nimmt sie seine Schuld auf sich... Nun, könnte man denn denken, daß ein neunzehnjähriges Mädchen den Muth haben würde, jemand zu ermorden?... Sie ist nicht bei Verstande..
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Es iſt, erwiderte ich, Aufgabe der Aerzte, ihren Gesundheitszustand zu erforschen. Meine Aufgabe war, sie zu verhören und ihrer Aussage entsprechend Anordnungen zu Fräulein Bobrow war kaum erschienen, als Jtschalow treffen. Das alles wird noch verhandelt werden, seien Sie erregt wurde; seine Brust athmete schwer; er wandte sich unbesorgt! ab, um sie nicht zu sehen.
Fräulein Bobrow hörte seine Aussage ziemlich kaltblütig an, aber ihre Blässe verrieth ihre innere Erregung.
-Die Aussage ist richtig, sagte sie, und sichtlich ein Schluchzen unterdrückend, ging sie aus dem Zimmer. Itschalow stand wie versteinert, beharrlich die Blicke auf einen Punkt gerichtet.
Er wurde ins Gefängniß abgeführt. Es handelte sich nun darum, Fräulein Bobrow eben dahin zu bringen.
Ich sandte um Geleitmannschaft und befahl, sie in einem geschlossenen Wagen fortzuführen.
Sie war faum fort, als man mir die Ankunft des Majors Bobrow meldete.
Bobrow ging in höchster Verzweiflung von mir fort.
III.
Die Vergangenheit der Angeklagten. Während ich die formalen Verhöre durchführte, sammelte Koforin alle jene Nachrichten, welche zur Erklärung der Ereignisse, die sich vollzogen hatten, und auch ihres Busammenhanges und ihrer gegenseitigen Beziehung nöthig
waren.
Kokorin erwies sich in der That als vorzüglicher
Detektiv.
Er verstand es, persönlich oder durch seine Agenten in jene geheimen Beziehungen einzubringen, welche größtentheils -Ich bitte Sie, was thun Sie? schrie er mich an, der Welt unbekannt bleiben und im Schoße des Familien als er in mein Kabinet trat. Sehen Sie etwa nicht, daß kreises zur Welt kommen und enden. meine Schwester von Sinnen ist? Kann man fie Es gelang ihm, vieles zu erfahren, was in der Zeit, denn ins Gefängniß einsperren? Sie glauben wirklich welche dem Morde voranging, gesprochen und gethan wurde,
halts von
1888... 84,88 M. 1889 98,88" P
Es ist also eine Mehrbelastung des Haus14 Mark
für Brot eingetreten. Im Jahre 1888 betrug die Mehrausgabe gegen 1887 2,28 M. Hirschberg sagt: Bei der in Berlin fest eingewurzelten Gewohnheit, das Brot
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sowohl in der Stadt überhaupt, als insbesondere in dem Kreise, der mit dem Prozesse zusammenhing.
Zu alledem war schließlich Zeit erforderlich. Einen Monat nach der Verhaftung des Fräuleins Bobrow erhielt ich von Kokorin eine Mittheilung, in welcher die folgenden Nachrichten enthalten waren.
Die Bobrows waren uralte Grundbesitzer unseres Gou
vernements.
Die Eltern der jungen Verbrecherin waren keine vermögenden Leute. Sie lebten gewöhnlich im Dorfe, beschäftigten sich mit der Landwirthschaft und fuhren im Winter, in der sogenannten Saison, auf zwei oder drei Monate in die Gouvernementsstadt.
Durch Gastfreundschaft sich auszeichnend, waren sie in der ganzen Stadt beliebt. Ihr Haus war stets voll Gäste, namentlich junge Leute, welche die Schönheit ihrer Tochter anzog.
Die Koketterie ist fast eine unzertrennliche Gefährtin der Schönheit, und Anna Dmitrijewna war von diesem Fehler nicht frei. Sie verhielt sich gleichgiltig der Schaar ihrer Anbeter gegenüber, als sie erkannte, wie leicht ihre Triumphe errungen wurden.
Ihre Verehrer saben sie bald in Gedanken versunken und von Sehnsucht niedergedrückt, bald lustig und ausgelassen, und jeder ihrer Anbeter setzte ihre veränderliche Gemüthsstimmung, wie das so zu geschehen pflegt, auf seine Rechnung.
Sie hatte früh gelernt, sich zu verstellen, und beherrschte vollständig die Kunst, zu gefallen.