Nr. 79.
Donnerstag, den 3. April 1890.
7. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
Das Berliner Volksblatt"
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jetzt Beuthstraße 3.
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worden sind, gaben uns damals Anlaß zu eingehenderer weite Theile unseres wirthschaftlichen und sozialen Lebens Behandlung dieser Frage. Es wurde darauf hingewiesen, dem forschenden Auge verbirgt, zu bannen? etwa aus daß die vielgeschmähten Yankees, von welchen John Stuart agitatorischen Gründen, nach dem bekannten Sprichworte Mill gesagt hat, ihre einzige Aufgabe sei die Jagd nach von der Annehmlichkeit des Dunkeln für allerlei Vordem Dollar und das Hecken von Dollarjägern", den nahmen? oder aus staatserhaltendem Interesse, weil man Kämpen der christlich- deutschen Sozialreform in sozial- mit der Mehrheit des römischen Senats aus Seneta's politischen Dingen weit hinter sich gelassen haben. Beiten bangend einsieht, welche Gefahr droht, wenn unsere Was damals von den Vorkämpfern der Sozial- Sklaven uns zu zählen anfangen"? Oder wird vielleicht reform von Oben" als ein beileibe nicht nachzuahmender der Mangel des Interesses an einer umfassenden SozialSport des Bruder Jonathan jenseits des großen Wassers statistik erklärt durch eine noch mancherorts verbreitete, angesehen wurde, ist heute bereits zu einer Forderung irrthümliche Auffassung von den Grundprinzipien des Wirthfreikonservativer Nationalökonomen geworden. Im schaftslebens? Letzteres dürfte in vielen Fällen nicht unDeutschen Wochenblatt", das für die freiton- wahrscheinlich sein. Die Kapazitäten auf dem Gebiete der servativen Kreise dieselbe Rolle spielt, wie die Nation" Statistik stellen als deren höchstes Ziel hin: Messung des für die deutschfreifinnigen, hat soeben der Freiburger Uni- nationalen bezw. internationalen Wohlstandes. Das mag versitätsprofessor von Philippovich einen Artikel zutreffen. Aber woran glaubt man meist noch den über„ Institute für Arbeitsstatistik" veröffentlicht, der schon Wohlstand der Völker messen zu sollen? Ueberwiegend als Symptom der jezigen Zeitläufte eine gewisse Beach- an dem Gange der Produktion; daher unsere Wirthtung verdient. Der Umschwung, der sich an maßgebender schaftsstatistik zum größten Theile Produktionsstatistik iſt. Stelle in der Beurtheilung der wirthschaftlichen Dinge Ist es aber richtig, daß, um die Frage zuzuspigen, die vollzogen hat, macht sich deutlich fühlbar in der regeren Zahl der in der Textilindustrie vollendeten Spindeln, und freieren Erörterung, welche diesen Dingen jetzt nicht die Menge der geförderten geförderten Steinkohlen an sich ist die meisterhafte poetische Darstellung des tragischen Kampfes, nur in den Organen der vorgeschrittensten Opposition zu irgend welchen Schluß auf den nationalen Wohlden das zum Tode verurtheilte Kleinkrämerthum gegen die über Theil wird. Man fängt endlich an einzugestehen, daß die stand gestatten? Gewiß, wenn die Produktion mächtige Konkurrenz des großen Waarenmagazins führt. Und ganze Versicherungs- Gesetzgebung nur ein Flickwerk auf der automatisch, ohne menschliche Vermittelung erfolgte, ganz nicht nur die plastische Schilderung dieses unerbittlichen, grau- Betteljacke der Armenpflege ist, man macht die ersten Ver- sicher nicht innerhalb der heutigen Wirthschaftsordfamen Krieges bietet der Roman des großen Franzosen; 3ola weist in ihm darauf hin, wie in dem Riesenbazar der Großstadt, suche, die ernsthafte Sozialreform, d. h. den Schutz nung. Diese entscheidet über die Vertheilung des Ge weist in ihm darauf hin, wie in dem Riesenbazar der Großstadt, der alle kleinen wirthschaftlichen Einzeleristenzen aufsaugt und in der gesunden Arbeiter, die Fabrik- Gesetzgebung und ihr wonnenen, erst an der Schwelle der Vertheilung beginnt feinen gigantischen Organismus verstrickt, bereits die Keime der wichtiges Hilfsmittel, die soziale Statistik, als ein das Urtheil über den Wohlstand. Darum aber forsche fozialistischen Zukunftsform des Gütervertriebes ruhen. Wir glauben erstrebenswerthes Ziel zu betrachten. taum unseren Abonnenten eine bessere Unterhaltungslektüre bieten man mehr nach der Vertheilung des Nationalprodukts, zu können. So kann es nicht verwunderlich erscheinen, daß die mit anderen Worten, man treibe Sozialstatistik. FreiOrganisation sozialstatistischer Erhebungen von Amtswegen lich, das ist bekannt: alles, was die Produktion in unserem durch die offiziellen Vertreter der Volkswirthschaft als ein Jahrhundert betrifft, auch ihre Statistit, ist rosenfarbig; dringenderes Bedürfniß bezeichnet wird, dessen Befriedigung alles, was die Vertheilung angeht, grau und trübe; weszu den staatlichen Kulturaufgaben gehöre. Es ist noch kein halb es denn weniger erfreulich ist Sozialstatistik zu Jahr her, daß einer der talentirtesten Schüler Gustav treiben Das Losungswort für die Zukunft Schmoller's , der kürzlich als Professor nach Breslau muß sein: Ihr amtlichen Organe, zählt nicht nur Zollberufene Werner Sombart im Archiv für soziale gefälle und Waarenbewegung, zählt nicht nur auf den Gesetzgebung und Statistik" geschrieben hat:" Die Sozial- sonnigen Höhen der stetig fortschreitenden Produktion, statistik ist die spätgeborene Stiefschwester unter ihren Ge- sondern zählt mehr und emsiger als bisher in der Tiefe nofsinnen. Weite und maßgebende Kreise hegen für sie der unteren Volksklassen, von deren Leidund Es sind nun schon über fünf Jahre verflossen, seit heute noch keine rechte Neigung. Wie erklärt sich diese Leben wir noch so gar wenig sichere Weisheit haben." dem wir in diesen Blättern auf die Nothwendigkeit der auffällige Thatsache? Sozialstatistik in einem engeren Ver- So äußerte sich im Jahre 1888 Sombart , damals, wie Errichtung von arbeitsstatistischen Bureaus hingewiesen stande bedeutet Statistik des sozialen Nothstandes der seine Ausführungen selbst am besten zeigen, noch ein haben. Die vortrefflichen Institute, welche in der nord- unteren Klassen, bedeutet Bergliederung sozialer Probleme Prediger in der Wüste. amerikanischen Union zu diesem Zwecke ins Leben gerufen mittelst Zählung. Scheut man sich, das Dunkel, welches Heute ist die Lage eine günstigere geworden, und so
Redaktion und Expedition des „ Berliner Volksblatt".
Bureaus
für Arbeitsstatistik.
Feuilleton.
Nachdruck verboten.]
Zum Glück der Damen."
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Kraft und Gesundheit strogend und verwundert die Arme nirten, reich vergoldeten Ornamentik. Zwei allegorische erhebend. Figuren, lachende Frauengestalten mit entblößtem, zurück-Ach, ist das eine Handlung! fügte sie nach einer gebogenem Halse, entrollten die Firma, auf welcher Weile der Bewunderung hinzu. zu lesen stand:" Zum Glück der Damen ". Es war ein Modewaaren- Magazin an der Ecke der Rue Dann folgte die endlose Reihe der Auslagen längs der Rue de de la Michodière und der Rue Neuve- Saint- Augustin, dessen la Whichodière und längs der Rue Neuve- SaintAuslagen in dem matten Lichte des Oktobermorgens sich in Augustin, wo sie außer dem Eckhause noch rechts und links hellen Tönen abhoben. Im Kirchthurm zu Saint Rochus je zwei Häuser offupirten, welche zu diesem Zwecke angekauft schlug es eben die achte Morgenstunde; auf den Trottoirs und vor Kurzem erst hergerichtet worden waren. Das sah man nur Leute, die ihrer Arbeit nachzugehen hatten: Etablissement schien in der Flucht der Perspektive schier Denise kam mit ihren beiden Brüdern vom Bahnhof Beamte, die in ihre Bureaux eilten, Dienerinnen, die in den endlos mit seinen Auslagen im Erdgeschoß und seinen Saint- Lazare zu Fuße nach der Stadt. Sie waren eben Geschäftsläden die Reinhaltung zu besorgen hatten. Vor der Spiegelscheiben im Halbstock, hinter welchen man das geerst von Cherbourg angekommen und hatten die ganze Thür standen zwei Kommis auf einer Doppelleiter, damit schäftige Treiben an den Bulten sah. Ein Fräulein, in Nacht auf der harten Bank eines Waggons dritter Klasse beschäftigt, verschiedene Wollwaaren auszuhängen; in einem Seide gekleidet, schnitzte sich eben einen Bleistift, zwei andere zugebracht. Sie führte den den kleinen Pépé an der Schaufenster, auf der Seite der Rue Neuve- Saint- Antoine, waren damit beschäftigt, Sammtmäntel auszubreiten. Hand, während Jean ihr folgte; alle Drei waren ge- fniete ein anderer Kommis, mit dem Rücken nach außen und" Zum Glück der Damen " las Jean mit dem brochen von der Reise, verblüfft und sich verlierend in diesem legte ein Stück blauen Seidenstoffes sorgfältig in Falten. muntern Lachen des hübschen Jungen, der da unten in ungeheueren Paris ; ihre erstaunten Blicke irrten über die Im Innern des Magazins, wo es noch keine Kunden gab Balognes schon seine Weibergeschichte gehabt. Ei, wie das hohen Häuser hinweg; bei jeder Straßenkreuzung erkundigten und auch die Bediensteten erst nach und nach eintrafen, die Leute anziehen muß! sie sich nach der Rue de la Michodière, wo ihr Onkel summte es wie in einem erwachenden Bienenkorbe. Doch Denise stand vor der Auslage der Hauptthüre wohnte. Als sie endlich auf dem Gaillon- Plate ankam, Ei, zum Kukuk! rief Jean; da muß Valognes fich in Betrachtungen versunken. Hier fand sich, dem frischen blieb das Mädchen überrascht stehen. verstecken... Die Handlung, in welcher Du dientest, war Hauch der Straße ausgefeßt, so zu sagen auf dem Trottoir, lange nicht so schön. eine Anhäufung von wohlfeilen Waaren, die Versuchung
Oh, schau einmal, Jean! rief sie aus. Und nun standen sie wie eingewurzelt da, fich fest Denise nickte zustimmend. Sie hatte bei Cornaille, dem der Eingangsthüre, die Occasionsartikel, welche die Kunden aneinander schmiegend, in ihren abgetragenen schwarzen Ge- ersten Modewaarenhändler von Valognes , zwei Jahre ge- im Vorbeigehen anziehen. Alles dies kam von oben; ganze wändern, mit welchen sie den Tod ihres Vaters betrauerten. dient; und als sie jetzt plöglich vor diesem Hause, vor dieser Stücke von Woll- und Tuchstoffen, Merinos, Cheviotte, Denise, ein für ihre zwanzig Jahre recht schwächliches unermeßlichen Handlung stand, fühlte sie ihr Herz beklommen Molleton fielen aus dem Entresol herab, flatternd wie FahMädchen mit bekümmertem Antlitz, trug in der Hand ein und in ihrem Staunen vergaß sie alles Uebrige. In der nen; von den unbestimmten Farben wie schiefergrau, meerbescheidenes Päckchen, während auf der anderen Seite ihr Schmalfront, welche auf den Gaillonplay ging, befand sich blau, olivengrün hoben sich hellschimmernd die weißen PapierBrüderchen, der fünfjährige Pépé, sich an ihren Arm hing; an die ganz mit Spiegelscheiben versehene Thür, welche bis zum umschläge mit den Etiketten ab. Daneben, gleichsam als ihre Schulter gelehnt, stand Jean, ein sechzehnjähriger Bursche, in Entresol hinanstieg, eingerahmt von einer kunstvoll kompo- Rahmen für Thür und Schwelle, hingen lange Streifen von