Nr. 81.

Sonntag, den 6. April 1890.

7. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

M

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Boltsblatt"

erfcheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mart, wöchentlich) 28 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 Pf. Postabonnement 3,30 Mart pro Quartal. ( Eingetragen in der Bostzeitungspreisliste für 1890 unter Nr. 892, V. Nachtrag.) Unter Kreuzband, täglich durch die Expedition, für Deutschland und Desterreich- Ungarn 2 Mark, für das übrige Ausland 3 Mark pro Monat.

Insertionsgebühr

beträgt für die 5 gespaltene Petitzeile oder deren Naum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs Anzeigen 20 Pf. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW. Beuthstraße 3, fowie von allen Annoncen- Bureaur, ohne Erhöhung des Preises, angenommen. Die Expedition ist an Wochentagen bis 1 Uhr Mittags und von 3-7 Uhr Nachmittags, an Sonn- und Festtagen bis 10 Uhr Vormittags geöffnet. Fernsprecher: Amt VI. Nr. 4106.

Redaktion: Beuthffraße 2.- Expedition: Beuthstraße 3.

Die Expedition befindet sich jetzt Beuthstraße 3.

Abonnements- Einladung.

Zum Quartalswechsel eröffnen wir ein neues Abonnement Gratisbeilage.

Unser Blatt tostet frei ins Haus

haftirten günstige find, abzustzen begonnen. Da wurde wegen Zeugnißverweigerung auf etliche Tage oder Wochen er plötzlich nach dem Männerzuchthaus Ichtershausen" in die Frohnveste geschickt und als Blutzeuge des liberalen bei Gotha abgeführt, gemäß der Anstaltsordnung ge- Gedankens von den" N. N." und dem ganzen liberalen zwungen, die Sträflingskleidung zu tragen, sich das Haar Beitungsgeschwister gefeiert worden ist. Es sind das die und den Bart scheeren zu lassen, kurz, alle die Annehm selben N. N.", welche in perfidester Weise die Arbeiter­auf das Berliner Boltsblatt" mit dem Sonntagsblatt" als lichkeiten an sich vollziehen zu lassen, die der moderne bewegung tagtäglich attakiren. Die Monstreprozesse gegen Strafvollzug, dies Entzücken so vieler Juristen, im Ge- unsere Genossen, bei denen Gut und Blut geopfert wurde, folge hat. Von vornherein sei auf's Nachdrücklichste be- bei denen Jahrzehnte Gefängniß, bei denen Untersuchungs­tont, daß wir selbstverständlich die ausgiebigste Preß- haft, Haussuchungen, Verationen aller Art Dank dem freiheit als das beste Mittel zur Verhütung solcher Vor- edlen Michael Gehret etwas Selbstverständliches tommnisse ansehen. Wenn das Recht der freien Rede in waren, behandelten die N. N." als sensationelles" Lefe den Versammlungen wie in der Presse uns garantirt wäre, futter für ihre Abonnenten, und nur zagend und feigselig wenn nicht hinter jedem gesprochenen oder geschriebenen schämten sie sich ein wenig, ein flein wenig, als der letzte Wort der Schutzmann und der Staatsanwalt stünden, Prozeß gegen Auer und Genossen die Schändlichkeit des dann wäre es besser um unsere politischen Verhältnisse be- Lockspitzelunwesens gar zu offen zu Tage treten ließ. stellt. Aber der Liberalismus hat das Preßgesez, das Waren doch ihre Parteihäuptlinge, natürlich nur aus wir haben, geschaffen, und so hat er denn auch den Humanität" diejenigen gewesen, die den Erzschurken Trizlaff hinter der Preßfreiheit zu stehen hat. Galgen mitgezimmert, der nach dem Junker von Thadden- Fürst während der Wahlperiode 1887 mit Geld alimentirt hatten. Wie gesagt, Herr Boshart war bereits einmal der

1 Mark 10 Pfennig

pro Monat und 28 Pfennig pro Wodje. Durch die Post bezogen, von jezt ab nur

3 Mark 30 Vf.

pro Duartal( eingetragen in der Postzeitungsliste für 1890 unter Nr. 892 V. Nachtrag).

Jin Feuilleton unferes Blattes begannen wir mit dem Abdruck eines der bedeutendsten Romane von Emile Zola .

Zum Glück der Damen "

( Au bonheur des dames )

ist die meisterhafte poetische Darstellung des tragischen Kampfes, den das zum Tode verurtheilte Kleinträmerthum gegen die über mächtige Konkurrenz des großen Waarenmagazins führt. Und nicht nur die plastische Schilderung dieses unerbittlichen, grau­famen Krieges bietet der Roman des großen Franzosen; 3ola weist in ihm darauf hin, wie in dem Riefenbazar der Großstadt, der alle fleinen wirthschaftlichen Einzeleristenzen auffaugt und in feinen gigantischen Organismus verftrict, bereits die keime der Sozialistischen Zukunftsform des Gütervertriebes ruhen. Wir glauben faum unseren Abonnenten eine bessere Unterhaltungslektüre bieten zu tönnen.

Redaktion und Expedition des Berliner Volksblatt".

Wozu der Tärm?

Aus Thüringen schreibt man uns:

"

Es ist ferner einleuchtend, daß wir, benen tagtäglich Märtyrer", und dieselben Organe, welche die Ein­politische Prozesse drohen, die anständige Behandlung der kerkerung unserer Genossen im besten Falle als pikante politischen Gefangenen, wie aller Gefangenen überhaupt, Notiz brachten, waren außer sich über die Gräuelthat fordern müssen. Aber während man sich in Deutschland gegen Boshart. Ja, Bauer, das ist auch etwas Anders. eifrigst bemüht, die Zustände in den Strafanstalten zu In Gotha hat Herr Boshart einen so beschränkten wie Gunsten der gemeinen Verbrecher zu bessern, verfährt man gehässigen Kampf gegen die Sozialdemokratie in seinem durchgängig anders- rühmliche Ausnahmen zugegeben Blatte geführt; er ist eben jeder sozialpolitischen Einsicht mit den politischen Verbrechern", die man auf das baar, was er freilich mit Herrn Eugen Richter und an­selbe Niveau herabdrückt, wie irgend einen Taschendieb deren Größen" seiner Partei gemein hat. Aber seine oder Wegelagerer. Wenn nun einmal diese ungereimten Kampfesweise war, wie wir hier in Thüringen am besten politischen" Strafthaten unsere Gerichtshöfe beschäftigen wiffen, eine feineswegs gentlemanlife; alter Klatsch und müssen, so sei doch wenigstens dafür gesorgt, daß die Tratsch, alle Batisen, mochten sie auf dem Miste des Herrn Opfer der Prozesse, die um ihrer Gesinnung, um des Aus- Böhmert oder des Herrn von Ungern- Sternberg gewachsen

-

#

brucks ihrer Ueberzeugung wegen hinter Schloß und Niegel sem, waren ihm willkommen, wenn sie nur gegen die Ar­

kommen, diese Thatsache niemals zu vergessen brauchen. beiterpartei gerichtet waren. Wir haben nicht ben geringsten Der frühere preußische Landtagsabgeordnete Dr. Stern, Anlaß, den Mann persönlich zu bedauern, wir pro der als Redakteur der Frankfurter Zeitung " viele testiren auf's energischste gegen die ihm zu Theil ge Monate hinter der schwedischen Gardine gesessen hat, wordene Behandlung, weil wir Gegner jeder Unter­brachte seiner Zeit im Abgeordnetenhause eine ganze Reihe drückung sind, mag sie den Freund oder den Feind von Mißständen, die aus der verkehrten Behandlung treffen.

politischer Gefangenen entspringen, aus eigener Erfahrung Nun aber der Revers der Medaille! Ist das, was In der deutschfreisinnigen Presse wird augenblicklich zur Sprache. Wir verurtheilen also auf's Schärffte die dem Deutschfreisinnigen Boshart widerfahren ist, nicht ein heftiger Federkrieg gegen das gothaische Ministerium Art und Weise, wie gegen Herrn Boshart vorgegangen hunderten und aberhunderten deutschen Sozialdemokraten geführt. Der Redakteur des deutschfreisinnigen Gothaer worden ist. widerfahren, die wegen Preßvergehen, wegen Vergehen Tageblatt", ein Herr Boshart der wegen Beleidigung Herr Boshart hat, wie es scheint, das Schicksal, stets gegen das Sozialistengeset, wegen Geheimbündelei" ver des Landesfürsten Ernst zu mehreren Monaten Gefängniß dann von sich reden zu machen, wenn er eingesperrt wird. urtheilt worden sind? Herr Boshart wird aus seiner verurtheilt worden ist, hatte seine Strafe, 51/2 Monate, Es ist derselbe Herr, welcher in München als Redakteur bayerischen Zeit sich wohl am besten erinnern können, im Gothaer Gefängniß, wo die Verhältnisse für die In- der nationalliberalen Neuesten Nachrichten" daß z. B. die 1884 verurtheilten Münchener Geheim­

Feuilleton.

Nachdruck verboten.]

Zum Glück der Damen."

Roman von Emile Zola .

B

[ 8

Autorifirte Uebersetzung von Armin Schwarz. - Ach, Onkel! Wo denken Sie hin? Mich ver­heirathen!... Und die Kleinen?

geben; Baudu, der mit sieben Franks in der Tasche in das er geduldig abgewartet, hatte das geregelte Leben Geschäft eintrat, hatte Elisabeth, die Tochter Hauchecorne's, eines Uhrwerkes geführt und Geneviève wie ein ausge geheirathet und er war entschlossen, seine Tochter Geneviève zeichnetes, ehrbares Geschäft betrachtet. Die Gewißheit, daß sammt dem Tuchgeschäft seinem ersten Kommis Colomban er fie besitzen werde, hatte ihn verhindert, nach ihr Ver zu überlassen, sobald nur die Geschäfte eine Wendung zum langen zu tragen. Und auch das Mädchen hatte sich daran Besseren nehmen würden. Die Sache war seit drei Jahren gewöhnt, ihn zu lieben; aber mit dem Ernste ihrer zurück abgemacht und er verzögerte die Heirath nur wegen eines haltenden Natur und mit einer tief eingewurzelten Neigung, Strupels; in seiner eigensinnigen Rechtschaffenheit wollte er beren sie bei ihrem einfachen, geregelten Alltagsleben sich das Geschäft, das er blühend übernommen hatte, seinem taum bewußt war. Nachfolger nicht mit verminderter Kundschaft übergeben.

- Wenn man sich gefällt und es thun kann, glaubte Denise lächelnd sagen zu sollen, um sich gefällig zu zeigen. Ja, dann schließt man immer mit der Heirath, er klärte Colomban, der bisher nur langsam gegessen und noch Wort gesprochen hatte.

Colomban war aus Rambouillet , wie der Vater Sie fand die Idee so barock, daß sie darüber lachte. von Mme. Baudu, ja, es bestand zwischen Beiden sogar Und dann welcher Mann würde sie auch zur Frau nehmen, cin entfernter Grad von Verwandtschaft. Er war ein fie, die keinen Sou befigt, nicht größer ist, als eine Drossel tüchtiger Arbeiter, der sich seit zehn Jahren im Hause plagte tein und auch nicht schön? Nein, nein; sie wird sich niemals und sich seine Stelle durch harte Arbeit und ernstes Streben verheirathen; sie hat genug mit zwei Kindern. errang. Colomban war übrigens kein so Hergelaufener,

-

Geneviève blickte ihn lange an und sagte dann: Man muß sich verstehen, dann geht alles von selbst. -Du haft Unrecht, sagte der Onkel. Eine Frau be- versicherte Herr Baudu; er war der Sohn des alten In diesem Erdgeschoß des alten Paris war ihre darf immier eines Mannes. Wenn Du einen braven Mann Colomban zu Rambouillet , des besten Thierarztes im ganzen Neigung entstanden. Sie war wie eine Kellerblüthe. Seit gefunden hättest, so wärest Du nicht mit Deinen Brüdern Departement Seine et Dise; leider jagte er Alles, was er zehn Jahren kannte sie nur ihn, verlebte sie ihre Tage an auf das Bariser Straßenpflaster gefallen wie die Zigeuner. verdiente, wieder durch die Gurgel. Zum Glück ist der seiner Seite, hinter den Tuchstößen, in Dunkel des Ladens; Er hielt wieder inne, um mit ebenso viel Defonomie Sohn ein besserer Wirth, als der Vater und weiß den Werth und Morgens und Abends fanden sie sich Geite an Seite in als Gerechtigkeit eine Schüssel Kartoffeln mit Spec auszus des Geldes zu schätzen. diesem engen Speisezimmer, wo es tihl war wie in einem theilen, welche die Magd gebracht hatte. Während er so sprach, beobachtete Denise Colomban Brunnen. Sie hätten draußen im freien Felde, unter dem Dann fuhr er fort, mit dem Löffel auf Colomban und nnd Geneviève. Sie faßen bei Tische nebeneinander; aber Laubwert der Bäume, nicht mehr verborgen, mehr außer Geneviève zeigend: fie verhielten fich ganz ruhig; ba gab es fein Er- Acht sein können. Nur ein Zweifel, eine Regung der Eifers Schau, die Zwei werden im Frühjahr heirathen, röthen, tein Lächeln. Seit dem Tage seines Eintrittes sucht konnte das Mädchen zu der Entdeckung bringen, daß wenn die Wintersaison sich günstig gestaltet. zählte Colomban auf diese Ehe. Er hatte die verschiedenen sie sich in dem mitschuldigen Dunkel dieses Ladens, in der So war es patriarchalischer Brauch im Hause. Der Etappen im Hause zurückgelegt; war zuerst Lehrling, Leere ihres Herzens und Hohlheit ihres Kopfes gänzlich und Begründer desselben, Aristide Finet, hatte seine Tochter dann Berkäufer und ward zuletzt zu den Geheimniffen für imnier hingegeben habe. Defiré seinem ersten Kommis Hauchecorne zur Frau ge- und Vergnügungen der Familie zugezogen; alldies hatte In dem Blicke, welchen Geneviève auf Colomban

3