Nr. 84. Freitag, den 11. April 1890. 7. Jahrg. Hrgan für die Interessen der Arbeiter. Metzeleien. Das unheilvolle Spiel mit beunruhigen- den Nachrichten, daß von der offiziösen Presse so lange und in so ausgedehntem Maße betrieben worden ist und theilweise noch betrieben wird, hat in der gewöhn- lichen spießbürgerlichen Presse Nachahmung gefunden. Fast jeden Tag stößt Man in irgend einem Blatte auf eine Notiz, welche dahin geht, daßscharfe Maß- regeln" seitens der Militärgewalt für den Fall vorgesehen seien, daß bei Streiks Aus- schreitungen vorkommen sollten. Diese Notizen, die ganz unbestimmt gefaßt find, machen die Runde durch die Presse und werden ab und zu von einzelnen besonders eifrigen Redakteuren mit Zusätzen und Ausschinückungen versehen, bis richtig aus der Maus ein Elephant ge- worden ist. Wir wollen eine solche Notiz herausgreifen, auf die wir in verschiedenen Provinzialblättern gestoßen sind. Die- selbe lautet: In unterrichteten Kreisen ist man auf militärisches Einschreiten bei künftigen Ausstands-Exzessen durchaus gefaßt und der Ansicht, daß dergleichen nicht mehr lange aus- bleiben könne." Wer sind dieunterrichteten Kreise" und wer istman"? Werunterrichtet" ist, der weiß zunächst, daß militärisches Einschreiten bei Streiks durchaus nichts Neues ist. Man wird sich doch wohl erinnern, daß bei dem großen Ausstand der Bergarbeiter in Westfalen und Rheinland ein militärisches Einschreiten statthatte. Sodann ist es sonderbar, daß gerade in diesem Moment solche Ideen kommen. Denn es ist zur Zeit von einem größeren Ausstand in Deutschland nirgends die Rede. Bei den Bergarbeitern ist eine größere und ein- heitliche Bewegung gar nicht in Fluß gekommen und wird es auch so bald nicht wieder, da ja die Bergleute durch politische, religiöse und lokale Differenzen in sich gespalten sind. Es finden in einzelnen Städten Arbeitseinstellungen statt, wie sie im Frühjahr immer stattfinden, weil die Ar- beiter in dieser Jahreszeit bei den meisten Branchen die besten Chanzen zur Erzielnng besserer Lohn- und Arbeits- bedingungen haben. Aber die Arbeiter machen dabei von einem durch die Gewerbeordnung ihnen ge- währlei st eten Rechte Gebrauch. Wenn Exzesse bei den Ausständen vorkommen, so wird sie niemand billigen. Man kann aber verschiedener Meinung darüber sein, was den Exzessen gegenüber ge- schehen soll. Wir blasen nicht in das große Horn und schieben den Arbeitern nicht immer gleich die Schuld an ocn Exzessen zu, ohne die Sache nur näher untersucht zu haben. Wir verwerfen die Exzesse schon deshalb, weil sie die Sache der Arbeiter schädigen müssen, von hundert anderen Gründen abgesehen; aber um so vorsichtiger verhalten wir uns gegenüber den Meldungen der sogenannten anständigen Presse. Wir haben bei den Wahlen gesehen, wie ge- schwindelt wird und wie die geringfügigsten Vorkommnisse bei den Wahlen zu großartigenExzessen" aufgebauscht, dagegen die Exzesse fanatischer Kartell- dauern sorgsam verschwiegen worden sind. Aber, fragen wir, warum spricht man denn so viel vonAusstandsexzessen" in einem Augenblick, da gar keine solcheil vorkommen? In der ganzen letzten Zeit"sind bei Ausständen, von einigen ganz geringfügigen lokalen Vor- fällen, die man zu anderen Zeiten gar nicht beachtet haben würde, absolut keine Ausschreitungen vorge- kommen; die bekannte Köpenicker Affaire hatte nichts mit Ausständen zu schaffen und scheint ohnehin jetzt in eine ganz neue Beleuchtung gerückt zu werden, so daß sie nach keiner Seite hin f r u k t i f i z i r t" werden kann. Wo- zu also die immer und immer wieder auftauchenden Ver­suche, vonAuSstandscxzessen" so zu sprechen, als ob ganz Deutschland von solchen bedroht wäre, und wozu das Manöver, die Sache so darzustellen, als sei ein baldiger Zusammenstoß mit der Militärgewalt unaus- bleiblich? Es liegt System in diesen Hetzereien und muß so- nach auch ein bestimmter Zweck mit denselben verfolgt werden. Haben vielleicht gewisse Unternehmerkreise von den Offiziösen etwas gelernt? Offenbar will man das Spießbüraerthum erschrecken, dem man fortwährend die Streiks vorhält, damit es durch dieselben die bürgerliche Ordnung bedroht glauben soll; andererseits will man die Arbeiter aus diese Weise ein- schüchtern. Die Arbeiter werden aus diesen Dingen die ent- sprechenden Lehren ziehen und werden am Besten-thun, wenn sie sich von a l l e n E x z e s s en f e r n h a l te n und denselben vorbeugen. Die spießbürgerliche Auffassung, daß die Arbeitsein- stellung an und für sich schon ein Vergehen sei, ist im Schwinden begriffen; nun wird der verzweifelte Versuch gemacht, sie aufrecht zu erhalten und das Spießbürger- thum in derselben zu bestärken. Daß in dieser Zeit wirthschaftliche Bewegungen, Ausstände und Boykotts stattfinden, kann sich Jedermann aus der Natur der Dinge erklären. Die Lebensmittel- Ileuillekon. Nachdruck verbol-n.j_ «ZUM Glück der Damen." Roman von Emile Zola . Antorisirte Uebersetzung von Armin Schwarz. .noch immer Kommis. Denise hörte sie rv"' zudem sie an ihr vorbeikamen, ihr einen 1* jwi««ienb._ Sie ward immer mehr verlegen dar- der, das Ziel so vieler Blicke zu sein und entschloß sich, einen Spaziergang von einer halben Stunde durch das Quartier zu machen, als der Anblick eines jungen Mannes der raschen Schrittes aus der Nue Port-Mahon daher kam pe einen Augenblick zurückhielt. Dieser mußte ein Ab tycilungschef sein, denn alle Kommis grüßten ihn. Er ,var fP}}. öroßer Gestalt, seiner, weißer Haut, der Bart sorg- Ir® gspstegt; seine Augen, die er im Vorbeigehen einen Äugeiimick auf ihr ruhen ließ, hatten die Farbe von attem Gold und den milden Glanz des Sammtes. Er war tangst Mit gleichgiltiger Miene im Magazin verschwunden, mr J i 9 immer unbeweglich, wie festgebannt von diesem -oucke da stand, von einer seltsamen Erregung ergriffen, in welcher das Unbehagen übenviegend war. Ein Gefühl der "ffillte sie; sie ging langsam die Rue Gaillon, dann >e Rue Saint-Roch hinab, in der Hoffnung, daß sie ihren -vluth wiederfinden werde. Der junge Mann war mehr als ein AbtheilungS-Chef. m j?.?* Pc'nue Montet in Person. Er hatte die verflossene »nacht nicht geschlafen; denn nachdem er eine Soiree bei preise sind bei uns immer noch im Steigen begriffen; das sehen wir ganz deutlich an der Tbatsache, daß von ver- schiedenen Orten die Gastwirthe immer noch die Preise der von ihnen zu verabreichenden Speisen erhöhen. Diese Theuerung ist die hervorragendste der vielen angenehmen Erbschaften, die uns die Kartellwirthschaft hinterlassen hat. Wenn das so weiter geht, so werden wir wahrscheinlich noch dahin kommen, daß im Deutschen Reiche von allen Ländern am theuersten zu leben ist. Dagegen haben wir eine ganze Reihe von Arbeitsbranchen und Industriezweigen, in denen die schlechtesten Löhne gezahlt werden. Dieses Mißverhälttuß stiftet das Unheil an; aus ihm entspringen die Konflikte. Soll man sich denn da wundern, wenn wir eine ganze Reihe von Ausständen sich haben abspielen sehen und kann es uns unerklärlich sein, wenn sich diese Erscheinung in der Zukunft wiederholt? Die spießbürgerliche Presse thut immer, als ob die Frage derAusstands> Exzesse" die Hauptsache wäre. Nein, sie ist es nicht, sondern die Hauptsache ist die Frage des Arbeitslohnes und der Arbeitszeit. Wo Beides sich nur einigermaßen erträglich gestaltet hat, so daß man bei den heutigen Verhältnissen aus- kommen kann, da wird nicht so leicht gestreikt werden. Die Hetzereien beweisen uns nur, welche Korruption in der sogenannten anständigen resp. spießbürgerlichen Presse vorherrscht. Wenn dem Spießbürgerthum das rothe Gespenst nicht mehr von den Offiziösen an die Wand gemalt wird, so besorgt ihm das seine eigene Presse. Es ist aber gut, daß das Spießbürgerthum nur einen Theil der menschlichen Gesellschaft ausmacht. einem Wechsel-Agenten verlassen, war er mit einem Freunde und zivei Frauenzimmern sonpiren gegangen, die sie hinter den Koulissen eines kleinen Theaters aufgelesen hatten. Sein zugeknöpfter Paletot verbarg den Frack und die weiße Kravattc. Er stieg rasch in seine Wohnung hinauf, um sich zu waschen und die Kleider zu wechseln; und als er in sein Schreibzimmer, das im Halbftock lag, zurückkehrte und an seinem Schreibpulte wieder Platz nahm, war er wieder frisch, das Auge hell, völlig beim Geschäft, als hätte er zehn Stunden in seinem Bette zugebracht. Das geräumige Schreibzimmer hatte Möbel von Altcichen, mit griinem Rips überzogen. Die einzige Zierde des Schreibzimmers war ein Porträt: das der unglücklichen Mme. Hödouin, von der man im Stadtviertel noch immer sprach. Octave bewahrte ihr ein zärtliches Angedenken und zeigte sich sehr dankbar dafür, daß sie ihm ein Vermögen zugebracht hatte, indem sie ihn zum Manu nahm. Bevor er daran ging, die Wechsel zu unter- schreiben, die auf seinem Pult lagen, sandte er denn auch vem Porträt ein Lächeln zu, das Lächeln eines Glücklichen. Hier, in ihrem Angesichte, fand er sich immer wieder ein, um zu arbeiten, nach seinen Zerstreuungen eines jungen Wittwers, wenn er die Alkoves verlassen, wohin er sich in seinem Bedürfnisse nach Vergnügungen verirrt hatte. Man pochte an die Thüre und ohne eine Antwort ab zuwarten, trat ein junger Mann ein, groß und mager, mit dünnen Lippen, spitziger Nase, sehr korrekt gekleidet, mit glattem Langhaar, in welchem schon einige graue Büschel zu sehen waren. Mouret schaute einen Augenblick auf, dann sagte er, im Unterschreiben fortfahrend: Haben Sie gut geschlafen, Bourdoncle? Sehr gut, ich danke, erwiderte der junge Mann, der mit vertraulicher Haltung im Kabinet herumtrippelte. Schweizerische Ardeiterkongresse. ii. Ölten, 8. April. Die Reorganisation des Gewerkschaftsbundes wmde in der von mehreren Seiten schon seit längerer Zeit gewünschten Form beschlossen. Demnach soll der Gewerkschaftsbund der Zusammenschluß, der Samnielpunkt aller vorhandenen und noch entstehenden Bcrufsverbände werden. Um die finanzielle Belastung durch Beitragsleistung zu erleichtern, soll pro Mitglied und halbes Jahr an die Bundeskasse ein Beitrag von 10 Cts. entrichtet werden. Es steht zu erivarten, daß dem neugestalteten Gewerkschaftsbunde alle die größeren und auch kleineren Verbände, die bis jetzt aus finanziellen Gründen dem Gewerkschastsbunde fernbliebe», sich sodann deniselben anschließen und damit seine Mitgliederzahl von gegenwärtig 4000 verviel­fältigt werden dürste. In die Berathuna des zur Reorganisation des Bundes voin Zentralkomitee vorgelegten Stawteneutwurses wurde jedoch nicht eingetreten, sondern dem Komitee der Austrag Bourdoncle, Sohn eines armen Pächters aus der Um- gebuna von Limoges , war gleichzeitig mit Mouret im Glück der Damen" eingetreten, zu einer Zeit, als das Ge« schüft kaum mehr als die Ecke der Place Gaillon einnahm. Sehr verständig, sehr thätig, wie er war, schien es damals, als würde er leicht seinen Kameraden verdrängen, der weniger ernst war und fortwährend mit Weibergeschichten zu thun hatte. Allein, Bourdoncle hatte nickt den genialen Zug dieses leidenschaftlichen Proven?alen, es fehlte ihm seine Kühnheit, seine überwältigende Liebenswürdigkeit. Uebrigens hatte er als kluger Mann vom ersten Augenblick sich wider- standslos vor ihm gebeugt. Als Mouret seinen Kommis den Rath erthcilt hatte, ihr Geld in seinem Geschäftshause anzulegen, hatte Bourdoncle als Einer der Ersten nachgc- geben und ihm sogar eine Erbschaft anvertraut, die ihm von einer Tante unerwarteter Weise zugefallen war; uno nach- dem er alle Grade durchgemacht, Verkäufer, zweiter Kommis, Chef der Seidenabtheilung gewesen, war er schließlich einer der Stellvertreter des Patrons geworden, der beliebteste und angesehenste, einer der sechs Jnteressirten, die den Chef in der Leitung des Hauses unterstützten, eine Art Ministerrath unter einem absoluten König. Jeder von ihnen über- wachte eine Abtheilung, Bourdoncle hatte die Hauptaus« ficht inne. Und wie haben Sie die Nacht zugebracht? fragte er vertraulich. Als Mouret ihm erwiderte, daß er nicht zu Bett ge- gangen war, schüttelte er den Kopf und murmelte: Das ist eine unkluge Lebensweise. Warum denn? sprach der Ändere in munterem Tone. Ich bin weniger ermüdet als Sie. Sie haben vom Schlaf ausgedunsene Äugen; Sie werden schwerfällig, wenn