2 Ur. 91. Sonnabend, den 19. April 1899. y. Jahrg. d! liovvefpo>»denie»r. Zürich , 16. April. In den Knntonen Basel und Zürich stehen die Arbeiter augenblicklich in der W a h l b e iv e g u n g. In den nächsten Wochen werden in beiden Kantonen die Groß- räche(gleichbedeutend mit Landtag resp. Landtagsabgeordneten) und die Regierungsrathe(kantonale Minister) gewählt und die Arbeiter, die bisher immer nur geHolsen haben, der demokrati- schen Partei eine Machtstellung zu erringen, für sich selbst aber keinen einzigen verläßlichen Vertreter entsenden konnten, sind nun ernstlich entschlossen, mit der unwürdigen Rolle des Stimmviehs zu brechen und endlich einmal an die Wahrung der eigenen und zunächst liegenden Interessen zu denken. Im Basler Kantons- rathe hatten die Arbeiter bisher allerdings schon einige Vertreter, aber nicht in der Anzahl, wie sie sie im Verhältmß zu ihrer Parteistärke beanspruchen können. Dagegen hat die Züricher Ar- beiterschast noch nie einen ehrlichen und energischen Vertreter für sich gehabt. Der Züricher Kantonsrath ist bis heute noch nicht durch die Anwesenheit eines sozialdemo- kratischen Mitgliedes entheiligt worden. Bis jetzt wurde die Beute immer getheilt zivischen den Demokraten und den Liberalen und die Arbeiter spielten den enttäuschten Zu- schauer. Nun soll infolge der Zunahme der Bevölkerung ein Dutzend Kantonsräthe mehr gewählt werden, die hauptsächlich auf die industriellen Bezirke entfallen und auf dieses Dutzend reflektirt nun die sozialdemokratische, oder wie sie sich mit Vor- ficht nennt, die Arbeiterpartei. Die Demokraten scheinen geneigt zu sei», den Arbeitern das Dutzend großmüthigst zu über- lassen. Es sind glückliche Menschen, diese Demokraten! Sie streben jetzt mit aller Energie darnach, im Kantonsrathe die Mehrheit zu erhalten(die bisherige Zusammensetzung war: 92 Demokraten, 119 Liberale) und dazu bedürfen sie der vollen Mitwirkung der Arbeiter, so daß deren Freundschaft für sie ein sehr wesentlicher Faktor ist. Um nun diese Freundschaft zu er- halten, machen sie Geschenke, die ihnen nichts kosten— sie liber- lassen als Preis des Kompromisses mit den Arbeitern diesen die zwölf neu hinzugekommenen Sitze und wahren da- bei ihren alten Besitzstand. Dabei wollen sie aber noch sehr wählerisch sein in der Persönlichkeit der sozial- demokratischen Kandidaten. Da ist ihnen der Lang zu radikal und dort vielleicht der Greulich nicht recht und da sollten sich die Sozialdemokraten mit ihren beste» Kandidaten von O' zu Ort schubsen lassen. Dagegen ist den Demokraten am Wi tage die Stimme des rothesten Sozialdemokraten willkonzMner .und er darf bestimmt noch aus einen fteundlichen Blick yckb dito Händedruck rechnen. In Basel wollen die Sözialdemokraten ohne Kompromiß mit den„Freisinnigen", also als selbstständige Partei mit eigener Kandidatenliste in die Wahlbeweaung eintreten. Dasselbe haben die Genossen in Bern für die ebenfalls bevorstehenden Kantons- rathswahlen beschlossen. Als sozialdemokratische Kandidaten sind dort in öffentlicher Parteiversammlung aufgestellt worden: Reichel, Steck, Schürz(kein Sozialdemokrat, aber ein Freund der Arbeiter), Lauber, Siebenmann und Käser. Der Kritiker der schweizerischen Arbeiterbewegung, Herr Steck in Bern , schreibt im„Schweizer Sozialdemokrat" über den Ölten er Arbeitertag:„Es war«ine stattliche, aber auch eine recht buntscheckige Truppen- schau, welche die schweizerische Arbeiterpartei am Oster- montag in Ölten abhielt. Arbeiterschutz und etwas Demokratie(da und dort vielleicht im Grunde mehr nur schwarze Opposition gegen die regierende Partei, als wirklich demokratische Gesinnung) bildeten die Signatur des Tages und bilden die einheitliche Fahne dieser Masse. Es ist das immerhin ein Programm, auf dem sich heute eine Partei bilden läßt, eine Partei, die freilich, als Ganzes, die Sozialdemokratie sich ferne halten muß und wird. Diese marschirt als Bruchtheil mit, wie das ihr Programm, das neben dem Ausbau der Demo- kratie auch die Unterstützung des Arbeiterschutzes kennt, mit sich bringt; allein sie läßt sich dabei ihre Selbstständigkeit nicht rauben und sie inuß darum immer als ihre formelle Haupt- aufgäbe die Stärkung der sozialdeuwkratischen Partei der Schweiz neben der Arbeiterpartei verfolgen. Es wird das erst an dem Tage überflüssig werden, wo die gesammte Arbeiterpartei oder doch der größte Theil derselben der Sozialdemokratie sich zuwendet. Dann werden freilich die Soutanen sowohl wie die schwarzen Leibröcke der meisten National- und Ständeräthe und anderen Wlirdenträger, welche in Ölten wesentlich repräsentirten, am Arbeitertage nicht mehr zu finden sein. Man wende uns nicht ein, die deutsche sozialdemokratische Partei mache ja auch in Sozialreforin und zwar als Hauptzweck dermalen: es ist ein ander Ding, ob Sozialdemokraten sozial- re>ormerische Ziele politisch anstreben, oder ob dies solche thun, m« aoch nie etwas anderes waren, als Sozialreformer und wahr- schemlrch nie etwas anderes sein werden. Aus überzeugten Sozial- resormern m politischem Sinne des Wortes werden nie Sozial- demokraten, so wenig wie aus Ultramontanen je Freisinnige wer- den können. Die Sozialdemokratie muß als solche wachsen und. selbststandig oder sie wird nicht sein. Verschämier Weste ist noch nie eine politische Partei rechter Art empor ge- kommen." Herr Steck zollt übrigens dem Arbeiterbunde und seinen Kongreßbeschlüssen Anerkennung, glaubt aber, daß letztere am Widerstände der Behörden scheitern und diese Enttäuschung der Arbeiter der Sozialdeinokratre von Nutzen sein werde.„Oder", schueßt er ironisch,„sollte uns am Ende die Bourgeoisie den schltmmen Streich spielen, die Forderungen der Herren Scherrer und Greulich zum Gesetze werden zu lassen?" «Trau Clara Zetkin aus Paris hat am verflossenen Sonnabend, mit einem Vortrage über:„Die Stellung und die . Aufgaben der Frau in der Gegenwart" in C h u r ihre Ägitations- fr Uv c"< Schweiz begonnen und wird sie nächste Woche zu Ende fuhren. Außer Eh»r hat sie bisher noch gesprochen in St. Gallen und W,nterthur; heute Abend spricht»e in Zürich und außerdem ,n den nächsten Tagen noch in Bern , Biel und Basel . . Ihre bisherigen Versammlungen zeichneten sich nach dei, vorlie- genden Berichten durch außergeivöhnlich zahlreichen Besuch beider Geschlechter aus und den Vorträgen der Frau Zetkin selbst wird wegen ihrer Klarheit und schönen logischen Form rückhaltlose | Anerkennung gezollt. Wir kommen darauf noch in unserem näch sten Berichte zurück. In Biel streiken 64 Zimmer- und Schrein er- I gehilfen und in L u z e r n die Schneider. Bei den Berner ' Zimmerleuten intervenirte die Reservekasse-Kommifsion mit Er- folg, so daß die Arbeiter befriedigt und ein Streik vermieden wurde. 1. für männliche Arbeiter: a) achtstündige Arbeitszeit, b) 50 pCt. Zuschlag für 11 eberstunden; 2. für weibliche Arbeiter: a) achtstündige Arbeitszeit, b) Zuschlag von 83Va pCt. auf Akkordarbeit, c) 15 M. Minimallohn für Lohnarbeiterinnen, ck) Zuschlag von 60 pCt. für Sonntagsarbeit und SVs pCt. für Ueberstundcn. Die Fabrikanten haben diese Forderungen als unberechtigte und maßlose bezeichnet. Sie lehnten dieselben strikte ab. Am Sonnabend, den 12. April, stellten sie uns vor die Alternative: entweder neunstündige Arbeitszeit und thunlichste(?) Erhöhung der Akkordlöhne, oder Kündigung aller Arbeiter— oder, wie die Fabrikanten sagten, sie wollten uns aushungern. Nun, Proletarier, daSkonnten wirnurmiteinerArbeitseinstellungimAllgomeinenbeant- Worten. DieLage der Arbeiterinnen ist eine schreckliche, sie ist geradezu eine Zuchtstätte der Prostitution. Die Löhne betragen im Durch- schnitt 6—8 M. Der Aufenthalt in den Fabriken ist ein die menschliche Gesundheit untergrabender. Wer das nicht glauben will, braucht mos die frühzeitig abgehärmten, bleichen Gesichter vor der Arbeitsstätte zu erwarten. Proletarier, glaubt, unsere Forderungen sind gerecht, umsonst legen nicht 1200 Arbeiterinnen und 180 Arbeiter einmuthig die Arbeit nieder. Es erfordert nur eine kurze Zeit. Wir müsse- die dreifach bedrängten Arbeiterinnen unterstützen, sonst unterliegen sie. Hungern haben sie gelernt, aber wir wollen die Prüfung dieser armen Mädchen nicht auf das Aeußerste hinausdehnen. Unterstützt uns schnell, es ist unser Sieg und unser Sieg ist der Eure. Deutschland erlebt zum ersten Male eine Achtstunden- Proletarierinnen- Bewegung. Laßt sie nicht zu Grunde gehen! Euch den Proletariergruß entbietend die Kommission der strei- kenden Kartonarbeiterinnen und-Arbeiter Berlins . Sendungen und Zuschriften sinWn richten an Hermann Greifenberg, z. Z. Restaurant-Mlzmann, Andreasstr. 26. Soziale LtebersMzk. A» das Proletariat Deutschland «, Arbeiter l Seit -viontag, den 14. April, befinden sich die Kartonarbeiterinne» und -Arberter Berlins in einem allgemeinen Streik. Veranlassung ist: st* F8*' �pril ab wollten dre Arbeiter der Kartonbranche nur unter folgenden Bedingungen arbeiten: iöi!- Tbi 'ctTammlunaim. >»e öft'rntlichc Gemerkschafta- Versammlung fand Dienstag Abend in Keller's Festsälen, Andreasstraße, statt. er Wortlaut der Tagesordnung war:„Wie stellen sich die Ge- werkschaften zur weiteren Gründung von Fachblättern?" Es waren gegen 800 Personen erschienen; unter diesen waren alle hervorragenden Leiter der Berliner Gewerkschaftsbewegung an wesend. Das Bureau der Versammlung bildeten die Herren Wilschke, Thieme und Wiedemann. Maurer Julius Wernau referirte. Die Diskussion werde ergeben, so sagte er, ob die zu erörternde Frage eine zeitgemäße sei. Man lebe jetzt in einer Zeit der Gewerkschaftskongresse. Auf allen diesen stehe die Organ rage an erster Stelle. Welche Stellung man dazu einzunehmen habe, wolle er untersuchen. Die Gewerkschaften bildeten das Rückgrat der Arbeiterbewegung. Die Politik sei das warme, pulsirende Blut derselben. Sobald das Blut nicht in richtiger Weise durch den Körper rollt, verknöchere dieser, die Funktionen stocken. Die heutige Gewerkschaftsbewegung leide a» dieser Verknöcherung sehr. Die Organisationen, die nicht in richtiger Weise geleitet würden, hätten viel Schuld daran. Seichte Redensarten seien Mode geivorden, die der heutigen Zeit nicht entsprechen. Auf den Kongressen stehe sich Berlilu�lnd Ham- jmagjtetö gegenüber. Berlin , die Leiterin der politischen Be gung, spiele auf den Kongressen eine traurige Rolle, sie stehe machtlos der dx��mburoer und der Provinzialen gegenüber. Kominen die�ertrMr�flsAn mit gemachten Beschlüssen in der Tasche an, dann werde jede Streitfrage offen bleiben; das sah man an dem letzten Bauarbeiter- und an dem Zimmererkongreß. Redner exemplifizirt auf das„Vereinsblatt", das stets die Ansicht der Berliner vertreten habe. Obgleich dasselbe(früher der„Bauhandwerker") früher als offizielles Organ der Maurer Deutschlands anerkannt worden, sei in Hainburg ein Neues Organ gegründet worden. Seit dieser Zeit tobe in diesen beiden Blättern der Streit zwischen den Ansichten Berlins und Hamburgs. Zwei solcher„geistigen Bän der" müßten demoralistrend wirken.(Sehr richtig.) Bei den übrigen Geiverkschaften sei es genau ebenso. Hamburg strebe überall darauf hin, das Fachblatt in die Hände zu bekommen. Die Firma Jensen u. Co. stehe stets hinter diesen Machinationen. Die Firma FerrfnstffA' ckußerst gerieben. Durch die Blätter dieser Firma werde der Charakter der Beivegung immer seichter. Es thnt noth, daß endlich Generalmarsch geschlagen werde. Von allen Seiten werde den Arbeitern Sand in die Augen gestreut. Das Elend werde immer größer, keine Grund legenden Reformen würden eingeführt. Es sei an der Zeit, daß in der Presse die Stimmung der Arbeiter ungeschminkt zum Ausdruck komme Die Jensen'fchen Gewerkschaftsblätter unterdrücken jeden Frühlingshauch; sie korrumvlre. In den Leitartikeln iverde lauter leeres Skroy gedroschen. Die besseren Artikel seien gestohlen.(Sehr war.) Stets predigen sie die Zen- tralifation, und zivar aus Geschäftsinteresse. Sei es denn uver- Haupt nothwendig, daß jede kleine Gewerkfchast ihr eigenes Organ hat? Ware das Sozialistengesetz nicht, dann hätten wir auch ein einheitliches Organ und einen einheitlichen Geist in den Massen. Den möge man schon jetzt dadurch zu erzielen suchen daß kleine Gewerkschaften ihr Hamburger Fachorgan ausgeben und auf das„Vereinsblatt" abonniren, das stets die Fahne der zielbewußten Arbeiterbeivegung vorangetragen habe.(Lebhaftes Bravo.) Herr Behrcndtsohn, der Inhaber der Firma Jenfen, diese Geiverkschaftsblätter-Fabrik bestehe, werde man dagegen protestiren, und zivar dadurch, daß die Arbeiter diese fallen lassen und bessere Blätter lesen. Das„Vereinsblatt" fasse das Ver- hältniß zwischen Kapital und Arbeit von allen Seiten auf. Es bringe gute Artikel, deshalb mögen kleine Gewerkschaften, die noch kein Organ, oder kein lebensfähiges haben, auf dasselbe abonniren. (Beifall.) Gärtner Büchner glaubt, daß das Tooesstündlein der Gewerkschaften bald schlagen werde. Durch reine Geiverkschafts- bewegung seien die Verhältnisse nicht zu bessern. Die Geiverk- chastspresse müsse alle Fragen auch von diesem Standpunkt aus behandeln. Man möge diese Frage stets im Auge behalten. Tapezirer WUdberger: Die Auswüchse der Presse seien nichts als eine Folge der Form der Gewerkschastsorganifation. Greife eine andere Organisation mit anderen Ideen Platz, als die Zentrali- ation, dann werden auch die Blätter sich nicht mehr so geberden können, als gebe es kein ehernes Lohngefetz mehr. So lange sich z. B. etwa 500 Arbeiter in Deutschland zu einer Zentralisation zusammenthun und ein eigenes Blatt gründen, so lange diese Vereinsspielerei betrieben werde, werde es nicht besser werden, iverde auch die Presse nichts taugen und nichts nutzen. Sei eine tüchtige und einheitliche Organisation geschaffen, werde sich auch die Organfrage regeln. Da beide Punkie eng mit einander ver- Kunden sind und die Versammlung stark gelichtet sei, beantrage er eine neue Versammlung mit der Tagesordnung:„Die Organisation und die Presse" einzuberufen. Nach beendeter Diskussion beschließt man demgemäß. Es war 1 Uhr geworden. Deshalb wurden die übrigen Punkte von der Tagesordnung ab- gesetzt. Hierüber soll eine neue Versammlung stattfinden. Vor Schluß der Versammlung wurde noch folgender Antrag anga- nommen:„In Erwägung, daß der Zweck der Maidemonstration für die Kulturentwickelung ein bedeutender ist und um dem 1. Mai als Feiertag und Volksfest die volle Würde beizulegen, erklären die heutigen hier anwesenden Vertreter sämmtlicher Geweick- schaften, für Ruhe und Ordnung am 1. Mai während der Feier zu sorgen, sowie die volle Verantwortung für die Ordnung zu übernehmen." Gewerbliche KUfsarbeiter. Am Mittwoch, den 16. d. M. fand eine öffentliche Versammlung der gewerblichen Hilfsarbeiter in Joel's Salon, Andreasstraße statt. Dieselbe war von 1600 Personen besucht. Tagesordnung war, die Berichterstattung der aus Hannover zurückgekehrten zwei Deligirten der gewerl»- lichen Hilfsarbeiter, der Herren Willy Schmidt und Fritz Krüger. Nachdem das Büreau aus den Herren Roßenow, Hauser und Vogel bestehend gewählt war, ertheilte der Vorsitzende, als ersten Referenten Herrn Schmidt das Wort. Derselbe erklärte nun, daß er bei der Wahl und Agitation zu diesein Kongreß sich nicht recht etwas von diesem versprochen hatte, aber nun, wo er gesehen hat, wie es war, es doch für mehr als nur der Mühe werth war, denselben in allen seinen Theilen beigewohnt zu haben. In vielen Sachen wurde den Wünschen der Berliner Rechnung getragen, indem die Dele- girten einsahen, daß die Berliner Genossen doch in allen Sachen das Rechte vertraten. Es waren von 60 Städten aus allen Gauen Deutschlands 53 Delegirte vertreten. Punkt 1 der Tagesordnung: Zentralisation oder starke Lokalverbände, wurde letzteres als das Beste anerkannt. Hierauf erläuterte der Referent den Normalarbeitstag, die Löhne der verschiedenen Städte, des Staates, der liommunest und der Gasarbeiter. Hierauf sprach Herr Krüger ebenfalls seine volle Anerkennung über den Kongreß aus und erläuterte er noch in weiteren Details. wie die Handhabung und Geschäftsführung des Kongresses war, sucht die ihm gemachten Vorwürfe zu widerlege». Nach ihm sprachen eine lange Reihe von Rednern aus allen Gewerkschaften zum Theil Klagen gegen die Jensen'schen Fachblatter vor- bringend. Schuhmacher Mar Baginski beleuchtet die Frage vom prinzipiellen Standpunlte aus und polemisirt gegen Herrn Behrendtsohn, der erklärt hatte, daß er die Blätter ge- gründet habe von seinem Standpunkt als Geschäftsmann einer- seits und andererseits, weil er damit der Gewerkschaftsbewegung einen Dienst geleistet, keinesfalls aber Schaden angerichtet habe. Es frage sich, ob ein Verleger berechtigt sei, mit Hintansetzung aller Prinzipien aus der Arbeiterbewegung Vortheil herauSzu- schlagen. Die Namen der Mitarbeiter, die Herr I. angeftihrt habe, bürgen für nichts, nur die Leistungen. Im �Zeitgeist", der auch bei Jensen erscheint, habe ein Artikel über die~" gestanden, der von einem Abgeordneten herrührte und meist mir der Entwickelung in Ei n k last gpTTOi igen war. Fehler müßten stets kritisirt werden, ganz gleich, wer sie macht. Herr Behrendt fohn sehe die Aufgabe der Gewerkschaftspresse nur darin, das Verhältmß zwischen Kapital und Arbeit in Bezug auf die Ar beitsverhältnisse zu erläutern. Das genüge nicht; alle Anschauung gen und Einrichtungen der heutigen Gesellschaft resultiren aus diesem Verhältniß. Das müßte Herr Behrendtsohn als Sozialist, der er sein will, wissen. Es dürfte also nicht blos die Streikbewegung beleuchtet werden. Jedenfalls dürften aber nicht Geistesprodukte fabrikmäßig ausge beutet werden. Davon habe nur der Kapitalist, nicht die Arbeiterbewegung Vortheil. Die Arbeiter hätten kein Interesse daran, Kapilalisten zu züchten und reich zu machen. So lange esprach die§§ 16 und 8b des Vereinsgesetzes und verlas zuletzt noch sämmtliche Resoluttonen des Kongreises. Reicher Beifall lohnte die Redner. Während der Pause ließen sich 115 neue Mitglieder in den Verein aufnehmen. Zur Diskussion sprachen dieHerren Gräther, Rennthaler, Roede, und Krüger. Zu Verschiedenem wurde eine Agitationskommission von 7 Mann gewählt und zwar die Herren Lasse, Krüger, Vogel, Günther, Schmidt, Pusch und Bartel, welche gleich in Thätigkeit treten soll. Es wurden noch einige wesentliche Punkte erledigt und schloß der Vorsitzende die imposante Versammlung um 1 Uhr 25 Min. mit einem Hoch auf die zielbewußte internationale Arbeiterschaft. In Uirdouf fand äm Dienstag, den 15. d. M. eine öffentliche Volksversammlung statt. Auf der Tagesordnung stand: 1. Stellungnahme zum 1. Mai. 2. Diskussion und 8. Verschiedenes, Referent sollte Herr Max Baginski sein. Derselbe war aber am Erscheinen verhindert und übernahm Herr Fritz Krüger das Referat. In längerer Rede legte Redner die Enttvickelung der heuttgen Produktionsweise dar und kam zu dem Schluß, daß es eine eminente Kultursorderung sei, wenn die Arbeiter eine ver- kürzte Arbeitszeit forderten; daß bei den weiteren Fortschritten in der Technik es in späterer Zeit wahrscheinlich auch dabei nicht bleiben würde; aber es wäre in der Jetztzeit das Erreichbare und Mögliche und könnte es für die Produktion nur günstig sein und ........... die Arbeiter koneine Steigerung derselben herbeiführen, wenn sumtionssähigex gemacht würden. Um aber diesen achtstüw digen Arbeitstag schnell herbeizuführen, wäre der 1. Mai von den Arbeitern aller Länder als Feiertag anerkannt worden und ist zu.hoffen, daß der Druck von unten stark genug sein würde, damit endlich die Forderungen der Arbeiter Gesetzesform erlangten.— In der Diskussion versuchte der Klempner Wurbs den Standpunkt der Fraktion zu vertreten, wurde aber von den Herren Krüger, W. Werner und mehreren Anderen zurückgewiesen. Die Versammlung nahm hieraus auch folgende Resolutton ein- stimmig an:„Die heutige in Niesegk's Lokal tagende öffentliche Volksversammlung, welche von zirka 1200 Personen besucht ist, erklärt sich mit den Ausführungen des Referenten über den„achtstündigen Arbeitstag" voll und ganz einverstanden und beschließt, den 1. Mai als Feiertag zu erklären� Die Versammelten geben das Versprechen, in Werkstatt und Fabrik, überall, wo steh Gelegenheit bietet, für möglichst zahlreiche Betheiligung an der an diesem Tage statt- findenden Massenkundgebung zu Gunsten der Verkürzung der Arbeitszeit einzutreten. Ferner verbittet sich die Versamnilung die Vorschläge der „Volks-Zeitung" und das Einmischen derselben in unsere sozial- demokratische Parteiangelegenheiten, da wir dieselbe nur als ein Organ zur Vertretung der Interessen des Kapitals an- erkennen." Im weiteren Verlaufe der Versammlung wurde das Bureau beauftragt, am 1. Mai eine Volksversammlung einzuberufen, und kam dann ein Brief des Gastwirths A. Hoffmann zur Verlesung, in welchem derselbe den Arbeitern sein Lokal zur Verfügung stellt. Ueber das Lokal war seiner Zeit die Sperre verhängt und wurde nach Befürwortung mehrerer Herren folgende Reso- lutton angenommen: „Die heute im Lokale des Herrn Niesegk tagende Volks- Versammlung nimmt die Sperre, welche in einer Volks- Versammlung bei Herrn Würschmidt im Dezeinber vorigen Jahres über das Lokal des Herrn Hoffmann verhangt wurde, zurück und erklärt sich mit der Entschuldigung des Herrn Hoffmann zufrieden gestellt." Zum Schluß wurde noch den Zigarrenmachern thatkräftige Unterstützung in ihrem Kampfe gegen die Prinzipale, welche den Tarif nicht anerkennen wollen, zugesagt, und dann die in größter Ruhe verlausende Versammlung geschloffen.
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