Nr. 215.
Dienstag, den 16. September 1890.
7. Jahrg.
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Organ für die Infereffen der Arbeiter.
Das„ Berliner Volksblatt"
erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mart, wöchentlich 28 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem„ Sonntags- Blatt" 10 Pf. Postabonnement 3,30 Mark pro Quartal. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1890 unter Nr. 892, V. Nachtrag.) Unter Kreuzband, täglich durch die Expedition, für Deutschland und Desterreich- Ungarn 2 Mark, für das übrige Ausland 3 Mark pro Monat.
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Die Arbeiter haben nicht nur ein Recht auf die Die Wissenschaft widerlich geregelt werde, d. h. der Arbeiterschutz auch auf den Arbeitsvertrag ausgedehnt werde. Nunmehr geht Verwaltung ihrer eigensten Angelegenheiten, sie haben auch den Bureaukratismus. Brentano weiter und spricht aus, daß der bureaukratische die Fähigkeit dazu. Das haben sie in tausend und Blatt auf Blatt sieht man fallen aus dem weithin fehler derselben sei. Die Arbeiter seien von dem Drange und der Kapitalismus haben ihnen diese Fähigkeit abgeschwimmenden Ruhmestranz, mit welchem die unter beseelt, ihre eigenen Angelegenheiten auch selbst zu versprochen. Nun erhebt sich auch einer der bedeutendsten thänige Schaar der Schmeichler und Erfolgsanbeter die walten, und seien von dem tiefsten Widerwillen gegen alle Vertreter der Wissenschaft und reklamirt für sie ihr Schläfen des früheren Reichskanzlers geschmückt hatte. bureaukratische Bevormundung erfüllt. Dieser Umstand Recht und erkennt ihnen die Fähigkeit zu, es ausAls der sogenannte Herkules des Jahrhunderts habe bewirkt, daß die Bismarck 'sche Sozialreform den Ar- zuüben!
Charakter der Bismarck 'schen Sozialreform ein Kardinal- abertausend Fällen bewiesen und nur der Bureaukratismus
noch das Staatsruder in der Hand hielt, waren alle beitern nicht nur nicht als eine Hilfeleistung der Gesetz- Ob man auf Herrn Brentano mehr hören wird, als Schmeichler und Streber des Lobes voll von seinen an- gebung, sondern manchmal sogar lästig erschienen sei, und auf uns? Wir werden sehen.
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Ordnung hat eine Intervention der Bundesbehörden veranlaßt.
geblichen sozialreformatorischen Ideen und priesen seine wenn sich die neue Regierung nicht entschließen könne, Und was wird Herr Wind thorst dazu sagen? Sozialgesetzgebung als eine welterlösende andere Bahnen einzuschlagen, so würden ihre Be- So frägt man jetzt bei solchen Dingen im Deutschen That. Wer Verständniß hatte für die Dinge, die in strebungen auf sozialpolitischem Gebiet dasselbe Schicksal Reich. Nun, er hat seiner Zeit den Arbeitern die sozialpolitischen Welt vor sich gehen, der wußte nicht, haben. fümmerliche Vertretung in den Arbeiterausschüssen bei der er lachen oder weinen ob des seltsamen Schauspiels, So die Brentano'schen Ideen. Wir schließen uns Unfallversicherung nicht gegönnt. Die Kirche verlangt bei dem man einen Schwarm von Bureaukraten als ihnen insofern an, als auch wir die Gewißheit haben, daß vom Arbeiter Entsagung" und zwar auch in Be50 Träger angeblicher sozialer Reformen auftreten sah und der Drang der Arbeiter nach Selbstbestimmung und Selbst zug auf Selbstständigkeit. Das wird ihr der Kapitalismus einige kümmerliche Anläufe zur Regelung untergeordneter verwaltung in den neuen sozialpolitischen Körperschaften ein höchlich verdanken. Materien durch den Staat als die Quintessenz aller sozial- viel größerer ist, als man in den höheren Regionen" politischen Weisheit ausposaunen hörte. Das hat ein glaubt. Wir haben dies vor Jahren schon gesagt und es Ende genommen und die Verehrer der Bismarck'schen ist gut, daß es nun auch einmal von einem so bedeutenden Sozialreform dürften nur noch aus den unverbesserlichen Gelehrten wie Lujo Brentano konstatirt wird. Für auf Die Revolution im Kanton Tessin . Rationalliberalen bestehen, die in stiller Wehmuth den merkjame Staatsmänner wäre die Zähigkeit, mit der sich Stern ihres„ Herkules", der sie so oft an die die Arbeiter an die freien Hilfstassen anzur Abwechslung wieder einmal auf der Tagesordnung; eine Das enfant terrible der Schweiz , der Kanton Tessin , steht Band gedrückt, erbleichen sehen, und die in der klammerten, belehrend genug gewesen. Das System regelrechte, wenn auch im Großen und Ganzen unblutige Revound Anbetung des Redegreises von Friedrichsruh standhaft Buttkamer, das schon hinter jedem Streit die Intion hat sich äußerlich vollzogen und die Störung der gesetzlichen weil Niemand mehr etwas von ihnen wissen will. weil Niemand mehr etwas von ihnen wissen will.ydra der Revolution" sah, fonnte auch in dem Diese mußten schon vor anderthalb Jahren, anläßlich der NeuAuch die Wissenschaft, die unter dem Bismarck Drang der Arbeiter nach Selbstverwaltung nur eine Gewahl des Kantonsrathes( Landtages) im März 1889 interveniren, schen Regiment so schüchtern geworden war und sich sogar fa hr" erblicken und war bekanntlich deshalb bemüht, den wo blutige Ereignisse zu erwarten standen, aber dann glücklicher den Schweninger aufdrängen lassen mußte, wagt sich freien Hilfskaffen alle erdenklichen Schwierigkeiten in den Weise vermieden werden konnten. Die Ursache aller diefer Gra scheinungen ist das vollständig faule Regierungssystem, wieder vor und setzt nun endlich die kritische Sonde an Weg zu legen. Wenn die Bismarck 'sche Sozialreform nicht das die Kleritalen, Pfaffen und gleichgesinnte Advokaten an der die Reformthaten des ehemaligen Kanzlers. Da muß schon durch ihre Kümmerlichkeit die Arbeiter gleichgiltig ge- Spike, seit Jahren praktizirten. Bei der vorjährigen Kantonsderen Nimbus freilich schnell verschwinden, denn je größer lassen hätte, Herr von Puttkamer allein hätte es fertig ge- rathswahl versuchte die Regierung, viele hunderte Bürger wegen ber bureaukratische Gehalt der Bismarck'schen bracht, den Arbeitern den Geschmack an ihren Wohl ihrer liberalen Gesinnung durch eine gewaltthätige Auslegung des Gesetzes ihres Stimmrechtes zu berauben. Durch eine Sozialreform war, desto geringer mußte ihr wissen- thaten" zu verderben. geradezu niederträchtige Wahlkreiseintheilung wurden die Liberalen, schaftlicher sein. Das spricht der bekannte National- Der schönste und frischeste Gedanke und solche die über die gleiche Parteiſtärke wie die Pfaffen verfügen, auf fonom Lujo Brentano denn auch endlich offen aus. waren in der Puttkamer'schen Sphäre sicherlich nicht etwa ein Biertel der Kantonsrathssize beschränkt, während die Wir stimmen mit diesem Mann in der Auffassung der vorhanden muß öde und dürr werden in der bureau- lerikalen die anderen drei Viertel behaupten und so stets über eine gewaltige Mehrheit gebietten konnten. Zu allen diesen großen Beitfragen sicherlich nur in wenigen Punkten kratischen Behandlung. Woher soll auch plötzlich in die Ausſtuſſen eines krassen und gewiſſenlosen Bartciregiments geſellte überein und in den Hauptpunkten haben wir seine pro- Geheimräthe und einförmigen Verwaltungsmenschen ein sich in diesem Frühjahr noch die Affäre Scacciger, dem Staatsfessoralen Vorurtheile schon mehr als einmal scharf be- neuer Geist hineingefahren sein, so daß sie im Stande buchhalter, der den Staat um ca. 11/2 Millionen Franken betrog. tämpft. Aber man verdankt diesem eigenartigen Gelehrten wären, eine Sozialgesetzgebung so auszuarbeiten und aus- Scacciger war ein Schüßling, manches offenherzige Wort über unsere gesellschaftlichen zuführen, daß sie von den Arbeitern als eine Wohlthat gewaltigsten Druckes der öffentlichen Meinung, um die ReZustände und er hat dem Kapitalismus schon manche empfunden werden könnte? Der bureaukratische Apparat gierung zur ehrlichen Aufdeckung des Falles und zur rücksichtslosen derbe Wahrheit gesagt, wozu sich andere Gelehrte kann ohne Bevormundung nicht arbeiten und unsere Ar- Verfolgung des großen Betrügers zu bewegen. rücksicht nicht so leicht erhoben hätten. Man erinnert sich beiter sind doch zu mündig, um das nicht zu empfinden. auch, wie er schon gegenüber der Bismarck 'schen Dem bureaukratischen Geist ist ohnehin die Bevormundung Altersversorgung den Einwand erhob, daß sie Hauptsache, die humane Absicht des Gesetzes durchaus hinfällig sei, ivenn nicht der Arbeitsvertrag staat - vorhanden
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Feuilleton.
Nachdruck verboten.]
Verloren!
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Aus den Papieren eines Rechtsanwaltes.
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Von Casimir Kaneman. Adelina," begann er von Neuem,
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Nebensache.
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soweit sie
Er preßte die Hand an's Herz, als wollt' es ihm in der Brust zersprengen. Oh!" stieß er noch einmal hervor und schnellte vom Stuhl empor. In diesem Moment war es ergreifend, ihn anzusehen, Leichenblässe überzog sein feines Antlitz, düsterer Schatten umwölkte die Augen und um die Mundwinkel zuckte es krampfhast- schmerzlich. Aus jeder Bewegung seiner Züge schien Todessehnsucht zu sprechen, schien dumpfer Zorn und bittere Verzweiflung hervorflammen zu wollen.
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ein Protektionskind des flerifalen Regiments und es bedurfte damals des
Alle diese Vorkommnisse häuften einen gefährlichen Zündstoff auf und es wurde daber vor einigen Monaten der Plan der Liberalen, auf dem Wege der Initiative eine Verfassungsrevision zu verlangen, um durch eine neugestaltete Verfassung zu gesünderen Verhältnissen zu gelangen, mit Freude begrüßt.
wegung sah, rief er flehend, mich am Rockärmel zurückhaltend.
D gehen Sie nicht fort, Herr! Verlassen Sie mich nicht in dieser Stunde! Ich werde ruhig sein, mit keiner Silbe stören, nur lassen Sie mich noch einmal Ihren Worten lauschen, das thut so wohl... so wohl!"
Worüber hätte ich mit ihm sprechen sollen? Hätte ich vor ihm, wie es in solchen Fällen so gerne geschicht, die Reize der Jugend und die Befriedigungen - ,, Adelina preisen sollen, welche die Tugend gewährt, da er als einzige möcht' ich auch noch einmal in meinem Leben sehen. Sie" Ja!" fuhr er heraus, sie werden von Liebe singen, Tugend passiven Gehorsam und tändelnde Arbeit kannte, ift ein gutes, ein herziges Mädchen! Wir spielten, als wir werden lachen und tanzen und jubeln, alle frei und glück weil er keine andere kennen konnte? Hätte ich vor ich! einem Menschen Prinzipien der Moral entwickeln sollen, den noch klein waren, stets miteinander... Unsere größte lich, während ich Das bitterste Stöhnen und Schluchzen, das ich je gehört, der Spruch des Gesetzes für sein Lebenlang des freien Frende war's, wenn das Obst im Garten reif wurde. Ich fletterte dann auf die Bäume und pflückte die reifen Aepfel erschütterte seinen ganzen Körper. Willens beraubte, jeder persönlichen Verantwortung ents und Birnen und sie fing sie mit der Schürze auf.. D, es Während ich!" rief er nochmals verzweiflungsvoll ledigte? Und was ist die Moralität ohne diese? ft fie war so schön!... Gott gebe Adelina Glück in ihrem Leben. und im rauschenden Sturm seiner Gefühle fuhr er mit nicht bloß ein leeres Wort, ohne Werth und Bedeutung, Aber ich glaube, sie wird kaum je recht glücklich werden.. bebender Hand über die Stirn, damn griff er haftig nach dem Schall und Rauch? Hätte ich ihm von Tugenden reden Cie ist weichherzig, schwach und verzärtelt; wegen der klein- Hemd auf der Brust und riß es in wildem Schmerz in sollen, deren Erfüllung außer seiner Macht liegen mußten; Ursache wird sie traurig und weint. Arme Agelina! Stücke und ich sah die hämmernde Brust... Wie hätte ich ihn vorreden sollen, wie er zu leben und zu hanWie sehne ich mich, sie noch einmal zu sehen!" gelähmt, das Antlig in den Händen verbergend, fant deln hatte, während er nun doch seine Unabhängigkeit und er mun in den Stuhl zurück und saß so minutenlang schlaff das Recht zur Selbstverfügung vermuthlich auf immer ver Eine schwere Thräne rollte über seine Wangen auf den und regungslos in dumpfes Brüten verloren. Als er loren hatte? Das wäre eine vergebliche und zwecklose ArTisch herab. Er achtete es nicht. endlich seinen Kopf wieder erhob und meinen Blick, der beit gewesen und ich hätte damit nur unnüßerweise sein Gewissen „ Lothar soll jetzt heirathen", fuhr er fort." Ich habe theilnahmsvoll auf dem gebrochenen Jüngling ruhte, be- gepeinigt. Er besaß ja so wenig die Möglichkeit, je höhere von einem Bauter aus unserer Gegend erfahren, der einst gegnete, da schlich sich Beschämung und Rene in seine Augen Menschenziele, je ein Glück zu erreichen, so wenig ein an bei uns gedient hatte und jetzt auch hierher gekommen ist.. und stilles, trostloses Weh überkam ihn wieder. das Lager der Leiden geketteter Lahmer je einen frohen war stets Lothar's Verlangen gewesen, eine gute Partie| Zürnen Sie mir nicht," klang es leise zitternd von Tanz wird mitmachen können. Und doch war dieser ÚnDa wird es eine lustige Hochzeit geben seinen Lippen, aus denen jeder Blutstropfen gewichen, glückliche erst neunzehn Jahre alt! Und der Jubel und der Aufwand, den es absetzen wird bei einmal hat mich der Schmerz übermannt, aber ich werde In seinem muruhigen Busen und in seinem lebhaften der Heimführung der Braut! Und die Musik!... der mich nicht wieder so hinreißen lassen.. Geiste schlummerten manche Schäße edler Gefühle und GeTanz!... die Freude! oh!... oh!.. Ich wollte mich ihm nähern; als er die leichte Be- danken. Die unbenutzten Kräfte seiner reich angelegten,
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