Veichsksg. 174. S i tz u n g v o in 12. F e b r u a r 1897. 1 Uhr. 91m Tische des Bimdesraths: v. B S t t i ch e r. v. G o ß l e r. Die zweite Berathung des Reichshaushalts-Etats wird fortgesetzt beim Etat des R e i ch s h e e r e S. Beim Gehalt des Kriegs Ministers berichtet Abg. v. Podbielski(l.) über die Verhandlungen der Budget» kommission. Man habe sich beschäftigt mit den Meldereiter- Detachements, die sich bewährt hätten. und mit der Gehaltsfrage der Musikmeister. deren bessere Gestaltung der Kriegsminister zu- gesagt habe. Abg. v. Volkmar(Coz.): Die Stellung meiner politischen Freunde zum herrschenden Militärsystem ist bekannt. Es wird mii jedem Jahre unerträglicher, es schädigt die produktive Arbeit, sangt das Mark des Volkes aus, hemmt die friedliche Entwicklung und verbürgt auch nicht den Frieden nach außen. Kann das Volk die Lasten auf die Dauer nicht ertragen, so muß im Friede» das ganze Militärsystem zusammenbrechen und ein Ende mit Schrecken kommen. Bricht dann«in Krieg aus, so wird der Ausgang ein außer- ordentlich unsicherer sein. Diese Ueberzeugung säugt jetzt auch in militärische» Kreisen an aufzudämmern. Ein früherer französischer Kriegsminister und der österreichische Feldwarschall-Lieulenant von Sacken haben es ausgesprochen, daß die Möglichkeit der Leitung, der Aufstellung und Verpflegung der jetzigen Millionenheere in einem zukünftigen Kriege höchst wahrscheinlich eine negative sein und der Zufall eine ungeahnte Rolle spielen werde. General v. Goßlcr schlägt eine internationale Vereinbarung zum Zwecke einer pro- portwnalen Heruntersetzung des MannschaftsstandeS und statt der jetzigen Millionenheere auch kleinere Berufsheere vor. Er spricht die Hoffnung aus, daß zwischen den Staaten, welche nicht mit einander verbündet seien, wenigstens unkündbare Vereini- gungen geschlossen würden, daß sie während einer bestimmten Frist keinen Krieg mit einander führen dürfen. Ich nehme an, daß General v. Goßler damit eine Verminderung der Militärlasten be- ziveckt. Natürlich haben diese Vorschläge auf konservativer Seite verschnupft. Die„Kreuzzeitung " hat denn auch diese Gedanken als staatsgefährlich, ja gottlos bezeichnet. Wenn der von Gott ge- wollte Krieg ansgeschtofscu würde, so würden schließlich die Waffen rosten und daS Nationalgefühl verkümmern. Wie man Eroberungskriege dem Herrgott zuschieben kann, ist mir unverständlich. Wenn ein Krieg nicht aus Nothwehr gegen die Bedrohung der eigenen Existenz und gegen den Willen des Volkes, sondern als ein längst beabsichtigter und vorbereiteter Krieg eines Kabinets geführt worden ist, so ist es der Bruderkrieg von 18«S. Unter Nalionalgesühl verstehe ich, daß man seine Menschenpflichten in seinem Heimathlande zu erfüllen hat, daß man die Volkswohlfahrt fördert und sie gegen Störungen und Uebersälle von allen Seiten zu schützen sucht. Zur Pflege dieses Gefühls, in dem die Sozialdemokratie hinter niemandem zurücksteht, bedarf es der Kriege nicht. Was man künstlich zu erhalten sucht, ist nicht Nationalgefühl, sondern sein Zerrbild: Ueberhedung, Herrschgefühl, Chauvinismus.' Das jetzige Militärsystem entkräftet und bedrückt da? Volk, und wir haben von jeher eine Verkürzung der Dienstzeit und eine Ver- Minderung der Präsenzziffer verlangt. Wenn wir bei dieser prin- zipiellen Stellung den Etat verwerfen, so geschieht dies keineswegs in der Absicht einer Wehrlosmachung, dir unserem Interesse auch nicht entspricht. Diese Stellung enthebt uns auch nicht der Pflicht jede einzelne Forderung genau zn prüfen und für die Rechte der Soldaten, der Söhne des Volkes ini Waffenrock einzutreten. Die Verpflegung der Armee ist eine außerordentlich mangelhafte, eine mangelhaftere als in anderen Staaten, namentlich was die Fleisch. rationen betrifft. Wenn ich hier vor einem fJahre sdarauf hin- geiviesen hätte, daß bei der Berwaltung der Menage Mißbräuche vorgekommen sind. Durchsteckereien, daß die Soldaten zu schlechte Kost in zu geringen Oantitäten und in mangelhafter Zubereitung erhalten haben, dann würde das die Militärverwaltung wahrscheinlich bestritten habe». Nun ist aber im vergangenen Jahre vor einem bayerischen Schwurgericht der Nachweis geführt worden, daß alle diese Dinge wahr sind. Der bayerische Kriegsminister hielt die Angabe» der Preffe für unwahr und ließ die Klage einleiten. Im Prozeß wurde aber nachgewiesen, daß solche Fälle nicht nur in bayerischen, sondern auch in preußischen Garnisonen vorkommen. Der Kriegsminister ist dann eingeschritten, und seitdem haben sich die Verhältnisse erheblich gebessert. Leider ist die warme Abendkost noch nicht all- gemein und in vollem Umfange durchgeführt. Handelt es sich um andere MilitäranSgabe», so werden Millionen nicht ge- scheut. Die Einführung der warmen Abendkost würde nach meiner Schätzung 8 Millionen kosten. 4— S Millionen würden nach den Mittheilungen des Kriegsministers in der Budgetkommission an der Menage gespart werden, wenn die Maßregel durchgeführt würde; die übrigen Kosteu würden leicht durch andere Ersparungen gedeckt werden können. Man hat uns einen Vorwurf daraus gemacht, daß wir die Soldatenmißhandlungen hier zur Sprache bringen. Wir ivollten nur Unzusriedenheit erregen und es würde schon von oben den Mißhandlungen entgegengetreten. Das letzlere haben wir niemals bestritten. Im Gegentheil, wir haben dafür gesorgt, daß die be- treffenden Aeußerungen der Kommandos, insbesondere der Erlaß des Prinzen Georg zu Sachsen nicht in den Akren vermoderten. Diese Aussühningen haben aber nur einen theilweisen Erfolg gehabt und dieser wäre ohne den Einfluß der Oeffentlichkeit überhaupt nicht möglich geivesen. Die Preffe ist nicht selten die Hetzerin der guten Absichten der Miliiärbehörden. Der Münchener Prozeß, auch der Straßburger Proviantprozeß wäre ohne die Preffe überhaupt nicht geführt worden. Dasselbe gilt von zwei Prozessen in Würllem- berg wegen Soldatenniißhandlnng. Früher behauptete man, daß die Existenz der Unterosfizierschulen zur Beseitigung der Mißhandlungen beitrage. Im„Militär- Wochenblatt" hat ein Offizier das Gegentheil behauptet. Er schlägt vor eine energische Aus- ficht über die Unteroffiziere in den Kasernen, ein größeres Beschwerde- recht und vor allem die Herstellung einer mit modernen Garantien umaebeiien Militär-Strafprozeßordnung. Leider scheint die Hoffnung auf eine baldige Vorlegung einer solchen sehr trügerisch zu sein. Redner bemängelt das jetzige Beschwerdeverfahren � für die Mannschaften, das erst kürzlich, aber nicht zur Genüge, geändert sei, und das unverändert gebliebene Beschwerdeverfahren der Offiziere. Ein Hauptmann ließ die Schießbücher fälschen, um seine Kompagnie möglichst herauszustreichen. Ein Lieutenant erstattet« Anzeige; man warf ihm nach Verurtheilung des Hauptmanns vor, daß er nur aus Rache gehandelt habe, und er wurde schließlich ohne Pension und ohne Aussicht auf Anstellung entlaste». Ein Reserveoffizier erschoß den Verführer seiner Frau, einen aktiven Osfizler. Er wurde ver- urlheilt, das Gericht beantragte aber Begnadigung. Der Gerichts- Herr gab dieses Gesuch nicht weiter; eine Beschwerde des Reserve» osfiziers wurde abgewiesen. DaS Beschwerderecht der Offiziere bringt nur den Beschwerdeführern Unbequemlichkeiten. Auf die Pensionirung der Oistziere werde ich beim allgemeinen Peiisionssonds eingehen. DaS Offizierskorps ist vorbildlich für das Zivil, namentlich für die Reserve-Offiziere, bezüglich des Duells. Redner verweist auf die Vorgänge in Stuttgart , wo sogar der Platzkommandant und der preußische Gesandt- einem Duell bei- ivohnten, ferner darauf, daß verschiedentlich den Offizieren Duelle aufgedrängt worden sind. Ein in der Düffeldorfer Affäre be- theiligter ehemaliger Offizier meint mit Recht, daß es ein Unsinn sei, sich einem Ebrenwortbrüchigen zum Duell stellen zu müssen, wenn mau nicht als entehrt gelten will. So denken viele Offiziere über den Duellzwang. Trotz aller ver- sprechungen des Reichskanzlers ist alles beim allen geblieben, wenn man sich nicht aus den Standpunkt der Wortklauberei stellen will Einen Zwang spricht das Ehrengericht freilich nicht auS. aber die Offiziere fühlen sich gezwungen zum Duell. Seit einigen Jahren ist es eine Mode geworden, fortwährend von einem inneren Feinde, n-omit die Sozialdemokratie gemeint ist. zu reden. Dieser Gedanke kann nur einer Unkenntniß der be- wegenden Kräfte der Sozialdemokratie entspringen. An den Umsturz, de» Sie meine», denken wir nicht, und wir meinen, er vollzieht sich tagtäglich, freilich, ohne daß die Blinden »S sehen; er ist unaufhaltbar. Der Kampf dagegen ist ein Kamps i»S Blaue. Je mehr wir die Gewalt verabscheuen, umsomehr wird von anderer Seit» von Ge- walt geredet, als ob man sie hervorznlocken wünscht. Je mehr die Sozialdemokratie an Macht gewinnt, desto mehr müssen die Staats- einrichtungen sich ändern. Die nationale Idee war früher auch um- stürzend. Auf die Kasernenagitation brauchen wir uns nicht eiuzu- lasse», dafür sorgen andere Leute. Ebenso wie andere politische Parteien ihre Vertreter im Heere haben, find auch Sozial- demokraten aus grund der allgemeinen Wehrpflicht Soldaten. Will man ihnen nicht gleiche Recht« gewähren, dann sollte man die Sozialdemokraten von der militärischen Dienstpflicht befreien. Früher sollen in den Kompagnieregistern die Sozialdemokraten mit rolhen Kreuzen gekennzeichnet worden sein. Da müssen die Listen recht rolh ausgesehen haben. Jetzt beschränkt man die Kreuze aus die führenden Sozialdemokraten. Ein bayrischer Offizier hat erklärt, daß über die Sozialdemokraten im Heere keine Klage zu führen sei. (Hört Z links.) Wozu denn die verschiedenartige Behandlung? Ein Krieg nach zwei Fronten, hat ein anderer Offizier gesagt, sei nicht möglich, wenn nicht das ganze Volk, alle Parteien, mit Begeisterung einträien. Will man auf die große Zahl der Sozialdemokraten nicht rechnen bei einem solchen Kriege? Kriegsminister v. Vostlcr: Der Vorredner hat eine Studie zitirt, die ich früher einmal veröffentlicht habe, und sie für seine Zwecke verwerthet. Unsere Ansichten werden sich niemals vereinigen lassen. Im Gegentheil, seine Ansichten stehen zu den meinigen im schroffsten Gegensatze. Wenn er glaubt, daß die stehenden Heere die Entwickelung des Landes bedrohen, so bin ich der gegentheiligen Anficht, daß die Entwickelung des Innern durch Heere ge- schützt wird. Wenn er glaubt, daß die Staaten durch die großen Kosten für die Heere zu gründe gehen mnssen, so mache ich darauf aufmerksam, daß die Sozialdemokratie die allgemeine Volksbewaffnung verlangt, deren Kosten diejenigen der stehenden Heere übersteigt.(Zustimmung rechts.) Allerdings würden in Zukunft Millionenheere nicht geführt und nicht verpflegt werden können, wenn es fich um Volksheere handelte, die keine Organisation haben. Wir sind dagegen bestrebt, unsere stehenden Heere so zu organistren und so vorznbereiten. daß ein künftiger Krieg gewonnen werden kann. Die Sozialdemokratie läuft nur Phantomen nach. Der Vorredner hat eine Verbesserung der Verpflegung verlangt, Er hat fich aber in den Zahlen geirrt. Nach unseren eingehenden Vorarbeiten würde eine bessere Abendkost 13—14 Millionen ver- langen. 4 Millionen sind allerdings durch eine bessere Organisation der Menage erspart worden. Die Forderung ist nur zurückgestellt worden wegen Mangels an Mitteln. Zum Beweis« der Mißhandlniiaen hat der Vorredner einzelne Fälle nicht angeführt; das ist vorsichtig. Denn es ist in einer Reihe von Fällen konstalirt worden, daß die früher gemachten Angaben unwahr waren. Die Denunzianten oder diejenigen Personen. die Abgeordneten das Material zugetragen haben, sind verurtheilt worden. Ich begreife diese Haltung in der Behandlung dieser An- gelegenheit mit einer gewissen Genugthunng. Es wird dadurch ver- mieden, daß Personen hier vor derOessentlichkeit gebrandmarkt werden. Ein Unteroffizier— den Namen will ich nicht nennen— hat seine Leute mißhandelt, sie im Schmutz niederknieen lassen, ihnen verboten, vor dem Dienst zn essen, und sich eine Maiestätsbeleidignng zu schulden kommen lassen. Bor Gericht hat sich herausgestellt, daß er ein überzeugter Sozialdemokrat geivesen ist. Ter Straßburger Proviantbeamten-Prozeß ist nicht durch die sozialdemokratische Presse hervorgerufen worden. Schon früher hat die Militärverwaltung den Prozeß einleiten lassen. Er mußte«in öffentlicher sein, weil die.Be- amten Zivilbeamte sind. Der Vorredner hat auch den Beschwerdeweg berührt; die Offiziere haben gewissermaßen sein Mitleid erregt. Der Be> schwerdeweg für die Offiziere ist vollständig neu geregelt worden. Ich bezweifle die Richtigkeit der Behauptung, daß Begnadigungen eines Kriegsgerichts unerledigt geblieben sind. In bezug auf das Duell verweise ich auf die kaiserliche Verordnung vom Januar d. I. und kann Ihnen nur rathen, den Erfolg dieser Verordnung abzuwarten. Schließlich hat der Vor- redner an die Militärverwaltimg den Appell gerichtet, jede Ausnahmemaßregel gegen die Sozialdemokratie im Heere fallen zu lassen. In dieser Hinsicht werden wir unS nie einigen. Jede sozialdemokratische Kundgebung im Heere ist straffällig und wird unterdrückt. Hier zeigt ja die Sozialdemokratie ein freund- licheres Gesicht, aber die Beschlüsse der Kongresse legt uns die Pflicht aus, uns vor diesen sozialdemokratischen Bestrebungen zn hüten. Die Devise der Armee ist: mit Gott für König und Vaterland, die der Sozialdemokratie: ohne Gott gegen König und Vaterland(Unruhe und Zustimmung). Ich bin allerdings der Ueberzeugung, daß die Sozialdemokratie sich längst überlebt hat.(Lachen bei den Sozial- demokraten.) Ihre Ziele werden sich niemals verwirklichen, es sind lediglich Träume. (Beifall recht«.) Abg. Bebel(Soz.): Der Kriegsminister hat vollkommen recht, daß zwischen seinen und unseren Anschauungen niemals eine Ueber- «instimmung eintreten kann. Der Kriegsminister glaubt an daS, was er sagt. Wir glauben aber ebenso gut an das, waS wir vertreten. Alle seine Reden können uns von unserem Standpunkt nicht abbringen, und die Thatsache, daß diese Ideen, denen er den Unter- gang glaubt voraussagen zu dürfen, von Jahr zu Jahr immer weitere Kreise der Bevölkerung ergreiseu. wird ihm hoffentlich noch zu seineu Lebzeiten beweisen, daß er sich in einem gewaltigen Jrrthum befand. Warum denn der sortgesetzte Versuch mit Umsturz- vorlagen, mit Ansnahmegesetzeii. wenn Sie glauben, daß der ganze Ideengehalt der Sozialdemokratie in den thalsächlichen Verhältnissen keinen Boden mehr hat? Mein Parteigenosse v. Bollmar hat ver- langt, daß die Sozialdemokraten, soweit sie auf grund der Gesetze, denen auch wir«nS zu unterwerfen haben, verpflichtet sind, ihre Angehörigen in die Armee«intreten zu lasten, diese genau so behandelt werden, wie die anderer politischer Parteien. Ich meine, das ist recht und billig. Mein Parteigenosse v. Vollmar hat mit Siecht hervorgehoben, daß, wenn Sie der Sozial- demokratie eine ausnahmsweise Behandlung in der Armee zu thcil werden lassen, es richtiger und konsequenter ist. Sie schließen die Sozialdemokratie von der Arme« aus. Di« Herren habe» sich aber gehütet, bis jetzt einer solchen Anschauung Rechnung zu tragen. Ich begreife das auch. Eine Partei wie die sozialdemokratische, die bei den letzten allgemeinen Reichstagswahlen mehr als ein Viertel der gesammten abgegebenen Stimmen ans ihre Kandidaten vereinigte, alle? Männer über 2k> Jahre, eine solche Partei kann man von den Pflichten, die daS Gesetz dem einzelne» Staatsbürger auserlegt, nicht befreien, ohne daß das ganze Staatswesen in Gefahr kommt. Wenn der Ruf ergeht: alle Mann aus Deck zur Vertheidigung des Vaterlandes! müssen Sie ebenso gut an rniS wie an Ihr« jetzigen Anhänger appelliren, und das kann ich versichern: Die Sozial- demokratie würde, wie sie jetzt in der Armee ihre Schuldigkeit lhut, auch dann ihre volle Schuldigkeit zu thuu wissen. Daß Anhänger der Sozialdemokratie in der Armee nicht ihre Stellen entsprechend ausfüllen, hat der Kriegsminister gemeint, aber die Ausbeute, die er zu bringen im stand« war, bestand in einem Unteroffizier, derseiiieLeute iiliß- handelt haben sollte und der sich nachher als Sozialdemokrat entpuppte. Ist der Fall wirklich so, dann gebe ich dem Kriegsminister das Wort, daß der Unteroffizier von uns aus das schärsste verurtheilt und so exemplarisch bestraft werden würde, wie es überhaupt zu- lässig ist. Wenn aber dieser einzelne Fall beweisen soll, daß die Sozialdemokratie Tyrannen erzieht, so übersieht man, daß die Um- gebung auch eine» Sozialdemokraten zum Tyrannen macht, nicht die Sozialdemokratie selbst. Der verflossene Kriegsminister hat einen Erlaß veröffentlicht, durch de» die Theilnahme an sozialdemokratischen Versammlungen und Vereinen. daS Lesen revolutionärer Zeilungm und so weiter mit Strafe bedroht wird. Nach der„National- liberalen Korrespondenz" sollte damit bezweckt sein,-inen bekannten Paragrapben der Unisturzvorlage ans diesem Wege zur Geltung zn bringen. Auf den Inhalt der Schriften kommt es nach derselben Korrespondenz nicht an. Es genügt, daß sie sozialistische» Ursprungs sind, um gegen den Leser oder Verbreiter vorzugehen. Dann sollte man aber anch anderen Parteien die Agitation in der Armee verbieten. Wir haben den Eindruck, baft gewiss« einflußreiche Kreise in de« Armee alle» ausbieten, um sie gegen vi« Sozialdemokraten zu ver- Hetzen. Wer einen Straßenkamps der Sozialdemokraten mit den bestehenden Staatsmächten voraussteht, mag sich ja bemühen, gegen die künftigen Gegner in der Armee Stimmung zu machen. Uns liegt gar nicht daran, jeden Mann zu veranlassen, in der Armee für nnS zu agitiren; er würde auf das schwerste ver- urtheilt und in seiner ganzen Existenz ruinirt werden. Es wäre gewissenlos, wenn die Sozialdemokratie eine derartige Agitation betriebe, begünstigte oder nur befürwortete. Dagegen hat in Hamburg ein Hauptmann Wiesang den Reservisten einen Vortrag gehalten, in dem er sagte: Die Sozialdemokraten wollten kein Vaterland; sie betrachteten den Erbseind ebenso als ihren Bruder wie den Deutschen ; wollten die Familie zerstören, das Geld der Erde in gleiche Theile thetlen und dergleichen mehr. Das ist Blöd- sinn.(Heiterkeit links.) Hat ein Offizier die Aufgabe, in so ein- seitiger und gehässiger Weise in der Armee Politik zu treiben? Oben- drein untergräbt er damit seine Autorität. Jeder Sozialdemokrat, der daS hört, muß sagen: Das ist ein kolossaler Esel.(Große Heiterkeit links.) Es werden förmliche Kurse in beziig auf die sozialdemokratischen Be- strebuiigen in der Armee inszenirt.(Heiterkeit.) Sie können sich denken, welch' ungeheurer Blödsinn in diesen Jiistrilktionsstunden zu tage gefördert wird.(Zustimmung links.) Der Feldwebel wird sich doch nicht ans den sozialistische» Schriften selbst sein Urtheil bilden! Es wird i» der Armee«in kleines Traktätchen verbreitet:„Von der Treue", mit dem eine förmliche Agitation gegen die So- zialdemokratie getrieben wird. Der Verfasser hat feinen Namen nicht genannt; wahrscheinlich befürchtete er, von der sozialistischen Presse ganz gehörig gerupft zu werden und seinen Blödsinn um die Ohren geschlagen zu bekommen. Redner citirt auS der Broschüre. Wenn die Sozialdemokratie diese Art von Agitation betreiben wollte, würde ihr das ans grund der Gesetze sehr schlecht bekommen. Wir müssen dagegen protestiren, daß solche Agitationen unter Billigung und sogar Mitwirkung der Militärbehörde» betrieben werden. Sie treiben ein sehr pesährliches Spiel mit einer solchen Agitation. ES mögen einige innge Leute ans solchen Blödsinn hineinfallen und Ingrimm empfinden gegen einePartei, der man solche Scheußlichkeiten»achsagt— aber auf der anderen Seite erwecken Sie bei den Leuten, die mir der sogenannten Unschuld von, Lande kommen ohne Idee vom politischen Leben, eine Neugierde, daß sie verlangen, sich weiter zn informiren, und nachdem sie des„Königs Rock" ausgezogen, in die erste beste sozialdemokratische Versammlung gehen. Dann Ivette ich 190 gegen 1, daß sie dann sagen werden: Wir sind angelogen und beschwindelt worden, die Leute reden ja ganz vernünftig.(Lachen. Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Dann wird schließlich aus dem künstlich verhetzten Feinde ein ent- schiedener Anhänger der Sozialdemokratie. Durch unser Militär- qften, werden also die jungen Leute in die Städte gebracht, eS ge- ällt ihnen da, sie bleiben und werden Anhänger unserer Partei, daS habe ich schon vor 2S Jahren gesagt und eS ist eingetroffen. Ein sehr großer Theil unserer Partei stammt vom Lande. Die Waffe des Soldaten ist zweischneidig und wird sich einst auch gegen Sie kehren, wie sie sich nach Ihrer Meinung gegen uns kehren soll. Aber Sie schützen derartige Agitationen in der Armee, während Sie etwaige Versehen, die etwa zu gnnsten der Sozialdemokratie ge- schehen, mit den härtesten Strafen belegen. Ist das die Gleichheit für alle Staatsbürger? Unser Militär- Strafgesetzbuch trägt den Charakter des Barbarischen.(Widerspruch rechts.) Ich weiß keine Kultur, wo es ähnliche harte Strafen für geringe Vergehen giebt, als bei nnS. Der Kriegsminister hat genieint, Herr v. Vollmar habe klug gethan, keine Beispiele von Mißhandlungen zu bringen, weil sich früher angeführte Fälle als unwahr erwiesen hätten. Ich provozire den Kriegsminister, diese Fälle aiifzusühren, r>a sie voraussichtlich Ausführungen betreffen, die ich in früheren Sitzungen des Hauses gemacht. Das Material gegen den Hauptmann v. Strombeck habe ich dem Kriegsminister überreicht; ei» ostprenßischer Gutsbesitzer hatte sich bereit erklärt, die Wahrheit der von ihm behaupteteil Thatsachen zn beweisen und weitere Zeugen vorzuschlagen. Danach hatte ich keine» Grund, an der Wahrheit einer solchen Angabe zu zweifeln. Als e? zur Untersuchung kam, hat der Betreffende das Weite er- griffen. Es hat sich die Unrichtigkeit seiner Bchauptungen heraus- gestellt, und er ist zu 4 Monate» Gefängniß verurtheilt worden. Ich bedauere selbst am meisten, daß ich in dieser Weise hintergangen worden bin. Das passtrt anderen Leuten anch.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ich brauche blos an die Brüsewitzdebatte zu erinner». Will der KrjegSminister behaupten, daß das Leumunds- zengiiiß, das er dem Lieulenant v. Brüsewitz ausgestellt hat, sich als wahr bewiesen hat? Der Kriegsminister ist auch über Siepniaun nicht richtig orientirt gewesen.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Ich nehme jetzt derartige Älenßerunge» mit der größten Borficht auf und trage nnr Sachen vor, welche meine Gewährsmänner zu bezeugen sich bereit erklären. Die Militärmißhandlnngen sind eine sehr kitzliche Sache. Die Anzeigenden setzen sich damit Verfolgungen aus während ihrer Dienstzeil. In einigen Fällen wurden Mißhand- lungen spater vom Zivilgericht behandelt und es erfolgte dann die Freisprechung der Anzeigenden. Ich erinnere an den Fall Noack und an die Affäre Mohrmami. Dieser denunzirle den Unterosfizier Remmert wegen Mißhandlung des Rekruten Lübbe». Vor dem Militärgericht wagten weder Lübben noch die anderen Soldale» zu bezeugen, daß eine Mißhandlung von feiten deS Unterosstziers Remmert stattgefunden habe. Letzterer wurde freigesprochen»nb es wurde gegen Mohrmann vorgegangen; er ist nicht allein der falschen Anschuldigung bezichtigt, sondern auch des Mein- eides. Er wird zu drei Jahren Zuchthaus verurtheilt; sein Vater ver- anlaßle eine neue Untersuchung. Ihm gelang es zu beweisen, daß in der That der Unteroffizier den Rekruten mißhandelt habe. In der neuen Verhandlung wurde der Mohrmaun freigesprochen. Ob nunmehr Remmert vor Gericht gezogen ist, weiß ich nicht. Wenn der Kriegsminister gesagt hat, daß wir keine neuen Fälle von Soldatenmißhandlunge» angeführt habe», sage ich ihm, daß ich, wenn ich das ganze Material vortragen wollte, ich ganze Tage reden kölinte. Redner zilirt Fälle von Soldatenmißhandlungen in Wittenberg , Osterode , Dresden , Großenhain . Im Interesse der Menschlichkeit müssen alle Klagen vorgebracht werden. Daß ganze Truppentheile von Klagen über Soldatrnmißhand- lungen frei bleiben, beweist der Umstand, daß so lange Oberst Liebert, der jetzt nach Ostafrika gegangen ist, sein Regiment hatte, kein einziger Fall von Mißhandlung oder Beschimpfung vorgekommen ist. Gegen die Unfälle infolge von Hitzschlag hat man in der französischen Armee angeordnet, daß während der Tagesstunden an- strengende Uebungen nicht stattfinden. Trotz aller Ausbildung für den Krieg braucht man den Soldaten nicht übermäßige Zumuthungen im Frieden zu machen. Redner führt mehrere Fälle von Hitzschlag aus dem vorigen Sommer an; er habe die Fälle nur ans bürger- lichen Blättern entnommen, bei denen nicht anzunehmen ist, wie man es bei den Sozialdemokrateii annimmt, daß fie der Armee etwas am Zeuge flicken wollen.'. Im schreiendsten Widersvruch zu den Aufgaben der Armee werden Soldaten bei den verschiedensten Gelegenheiten benutzt, freien Arbeiter» Konkurrenz zu machen, namentlich bei Streits und bei sogenannter Arbeitenioth. Es sind beschäftigt worden Büchsen- niacher in einer Bielefelder Maschinenfabrik; ferner Soldaten in einer Zuckerfabrik i» Oberschlesien und beim Rübenziehen in der Nähe von Bcrnburg, Weißenfelser Husaren beim Dreschen auf einem sächsischen Ritlergnte. Der bayerische Kriegsminister wollte die Abkomi landirnng von Soldaten zu Ernte-Arbeiten nur gestatten, wenn sie hren An- gehörigen helfen, nicht wenn sie als Lohndrücker wirken. Der preußische Kriegsminister sollte eine ähnliche Erklärung abgeben. Di« Offizierburschen werden gebraucht zun, Ersatz für ein Dienst- mädchen. In bezug auf die Dnellsache behauptet der Kriegsminister, daß daS Versprechen, welches der Reickskauzler bei der Brüsewitz -Debatte gegeben hat, erfüllt se». Das ist doch nicht in dem Maße geschehen. wie man eS erwarte» sollte. Der Reichskanzler hat selbst an- erlannt, daß das Duell verboten ist. Dann müßte aber der oberste Kriegsherr oh»« iveitereZ jeden Duellanten mit
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