Ur. 227.
Dienstag, den 30. September 1890.
7. Jahrg
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
Das„ Berliner Volksblatt"
erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mart, wöchentlich 28 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 Pf. Postabonnement 3,30 Mark pro Quartal. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1890 unter Nr. 892, V. Nachtrag.) Unter Kreuzband, täglich durch die Expedition, für Deutschland und Desterreich- Ungarn 2 Mark, für das übrige Ausland 3 Mark pro Monat.
Redaktion: Beuthstraße 2.
Abonnements- Einladung.
Mit dem 1. Oktober eröffnen wir ein neues Abonnement auf das
mit dem
Berliner Volksblatt"
„ Sonntagsblatt"
als Gratisbeilage.
Große Veränderungen sind mit Bezug auf unsere Partei erfolgt, größere stehen ihr bevor. Der diesjährige 1. Oktober ist ein historischer Augenblick für die proletarische Bewegung, er ist der wichtigste Moment, den die heutige politische Geschichte kennt. Mit dem 1. Oktober fällt ein Gesetz, melches zwölf Jahre lang die Entwickelung der modernen Arbeiterbewegung einzudämmen Weg ohne die Feffeln eines Ausnahmegesetzes zu gehen haben.
fuchte; mit dem 1. Oktober wird das deutsche Proletariat seinen Die zweite Hälfte der ausnahmegesetzlichen Zeit in Berlin ist eng und unauflöslich mit dem Organ der Berliner Arbeiter, dem ,, Berliner Volksblatt verknüpft. Das ,, Berliner Volksblatt hat das Sozialistengesetz überdauert, aber in seinen Spalten spiegelt sich die Geschichte der unterdrückten Berliner Arbeiterschaft wieder. Von den Zeiten des berüchtigten„ Volksfreund" an bis zu den letzten Erlassen des Ministers Herrfurth hat das Berliner Volksblatt" treu und unentivegt zur Berliner Sozialdemokratie gehalten und so soll es auch für alle Zeiten bleiben.
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Insertionsgebühr.
beträgt für die 5 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und VersammlungsAnzeigen 20 Pf. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Beuthstraße 3, sowie von allen Annoncen- Bureaur, ohne Erhöhung des Preises, angenommen. Die Expedition ist an Wochentagen bis 1 hr Mittags und von 3-7 Uhr Nachmittags, an! Sonn- und Festtagen bis 9 Uhr Vormittags geöffnet. Fernsprecher: Amt VI. Nr. 4106.
Expedition: Beuthstraße 3.
Der Abonnementspreis beträgt frei ins Hans für das gänzt, schafft er das moderne Proletariat, aus dessen ganze Vierteljahr 3 Mark 30 Pf., monatlich 1 Mark 10 Vf., jugendfrischem Boden die Sozialdemokratie emporgewöchentlich 28 Pf. Bestellungen werden von sämmtlichen Zeitungsspediteuren Sprossen ist.
entgegengenommen.
Für außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Bestellungen für das Vierteljahr gegen Zahlung von 3 Mark
30 7. an.
( Eingetragen in der Post- Zeitungsliste für 1890 unter Nr. 892, V. Nachtrag.) Die Redaktion und Expedition des Berliner Volksblatt".
Bum 30. September.
Die Sozialdemokratie ist die Partei des werkthätigen Volts, sie vertritt die politischen und wirthschaftlichen Forderungen der Arbeiterklasse, sie ist deren Wortführerin, sie ist mit einem Wort die politisch organisirte Arbeiterklasse selbst. Der Zusammenstoß zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen, der Klassenkampf hat in Deutschland zur Bildung der Arbeiterpartei, wie wir sie jetzt haben, geführt, und das Ausnahmegesetz, das heute in den Orkus hinabsteigt, war eine Szene in dem weltgeschichtlichen Drama, bei welchem vor der Hand der Deutschen Arbeiterschaft die erste Rolle zugewiesen ist.
In der That, es war verlorene Liebesmüh', gegen Wir stehen am offenen Grabe des Sozialistengesetzes, uns mit Konstablern ins Feld zu ziehen, es war ein eitles und nirgends mehr als heute zeigt es sich mit sinnen- Bemühen, den Sozialismus in Ketten und Banden schlagen fälliger Klarheit, wie thöricht und pharisäisch jenes Wort zu wollen. So verkehrt und findisch es ist, angesichts der ist, das uns heißt, über die Todten nur Gutes zu reden. Riesenbetriebe, die heute mit allen Mitteln der Technik Zwölf lange Jahre war die Polizeiwillkür , Dank der wirthschaftend, Tausende von Arbeitern unter ihr KomWillfährigkeit eines in den Dienst der Klasseninteressen ge- mando stellen, angesichts der großartigen Unternehmerverstellten Parlaments, welches nach der Pfeife des redseligen bände, die mit vollen Segeln in das Meer der kollektiGreises von Friedrichsruh knechtisch zu tanzen pflegte, der vistischen Produktionsweise hinausfahren, an eine Wiederleitende Grundsat unserer inneren Politik. auferstehung der mittelalterlichen Zunftherrlichkeit zu glauben, Zwölf Jahre hat es gedauert, bis die Regierung, bis ebenso unverständlich ist es zu wähnen, daß das klassenAber neue und schwere Kämpfe stehen uns bevor. Die die Bourgeoisie zu der unwillkommenen Einsicht gelangte, bewußte Proletariat auf die Dauer durch Gewaltmittel sozialdemokratische Preſſe kennt keine Zeit der Ruhe, fie muß daß mit den Nücken und Tücken von Polizeimaßregeln, niedergehalten und endgiltig daran verhindert werden fortwährend gewappnet sein, denn wenn irgendwo, so gilt für mit den kleinlichen Kniffen der Unterdrückung nichts ge- könne, seinen Befreiungskampf zu einem siegreichen Ende than sei. zu führen. Nach dem ersten Rausch der reaktionären BeDie Geschichte des Sozialistengesetzes ist eines der geisterung, nach den wohlfeilen Triumphen eines Büttel- denkwürdigsten Blätter in der Historie des deutschen Volkes. das die geschichtliche Entwickelung von dem Hier die Bourgeoisie, welche ohne Scheu Hunderte in die absurden Gesichtspunkte de: Krieter und Zacher betrachtete, Verbannung jagt, die Existenz zahlreicher Familien vernach den trübseligen Erfahrungen, welche aus dem offenen nichtet, die Preßfreiheit unterdrückt, das Koalitionsrecht Widerstreit zwischen dem Rechtsgefühl des Volkes und den zum Kinderspott werden läßt, das freie Wort unmöglich Erkenntnissen der rechtsgelehrten Richter sich ergaben, macht, das arbeitende Volt außerhalb des gemeinen Rechts folgte allmälig die grane Stimmung des Aschermittwochs. ſtellt und jeden Versuch desselben, seine Lage zu verbessern,
uns der Spruch:" Feinde ringsum!"
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Um den erhöhten Pflichten und Aufgaben, welche das Erlöschen des Sozialistengefeßes unserer Partei auferlegt, nach jeder
Richtung hin gewachsen zu sein, treten wir vom 1. Oktober an
mit verstärkten Kräften vor unsere Leser.
Wie unseren Lesern schon bekannt ist, wird von diesem Tage an Wilhelm Liebknecht
der Redaktion des ,, Berliner Volksblatt angehören.
vermehrt worden.
Auch nach anderen Richtungen ist der Stab unserer Mitarbeiter Für unser tägliches Feuilleton haben wir den sozialen „ Diktoria"
Roman
von Minna Kantsky erworben.
thums,
Der Name der seit Jahren in der proletarischen Literatur cine
thätigen Verfasserin bürgt dafür, daß den Berliner Arbeitern hier
etwas wirklich Gediegenes geboten wird.
Mir hoffen daher, daß sich unser Blatt immer mehr und mehr bei Arbeitern einbürgern, daß in der kommenden neuen Zeit sich immer mehr die Ueberzeugung Bahn brechen wird, daß Der den Gegner unterstützt, der dessen Presse unterstützt.
Arbeiter, Ihr seid die Majorität der Bevölkerung, Eure Presse
muß daher die gelesenste sein.
Feuilleton.
Nachdruck verboten.]
Eine Unglückliche.
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Der Fortschritt der modernen Ideen, wie sie in mit Verboten, mit Konfiskationen, mit dem Kerker beantder Arbeiterbewegung zu Tage treten, war ein unauf- wortet. Dort die deutsche Arbeiterklasse, geächtet, gehetzt, haltsamer, trotz des Sozialistengesetzes und gerade vogelfrei und dennoch niemals auch nur umt eines HaaresDie gewaltige Macht breite von dem steilen und steinigen Pfade abweichend, wegen des Sozialistengesetzes. des demokratischen Sozialismus beruht darauf, daß er welcher sie zu dem ersehnten Ziele führen soll, in genatürliche Konsequenz der bisherigen gesell- schlossenen Reihen jedem Ansturm unter dem Banner Ser aus unzähligen schaftlichen Entwickelung, daß er das nothwendige Er- Sozialdemokratie die Stirn bietend, gebniß der sozialen und politischen Zustände ist, welche Wunden und doch nicht wankend, jeden Verlust an der Kapitalismus ins Leben rief. Indem dieser den tapferen Streitern durch neue Kämpfer deckend, welche unGegensatz von Arm und Reich fortgesetzt verschärft und verzagt für die Gefallenen in die Bresche treten. Wir steigert, indem er die Aufhäufung des Riesenreichthums wissen, daß jener Winkelried, der bei Sempach sich die auf der einen Seite durch die Aufhäufung des Massen- Lanzen der österreichischen Ritter in die Brust trieb, die elends auf der andern Seite so logisch wie brutal er- feindliche Schlachtreihe ins Wanken brachte und den Sturz
Bis dahin Lebewohl! Ich bin müde und auch Du scheinst schläfrig zu sein."
Er nahm seine Müze und ging aus dem Zimmer. Aber, Du versprichst mir doch gleich nachher zu mir zu kommen?" rief ich ihm noch nach.
Ich verspreche es... Lebewohl."
Ich legte mich zu Bette, aber mein Herz war voll UnErzählung von Jivan Turgeniew. ruhe und ich ärgerte mich über meinen Freund. Spät erst Alexander!" sprach ich, von einem unwillkürlichen schlief ich ein und mir träumte, daß ich mit Susanna in Drange getrieben:„ Ich bitte, ich beschwöre Dich, gehe sofort feuchten, unterirdischen Gängen umherstreifte, enge, steile zu Ratsch hin, schiebe es nicht bis morgen auf! Eine innere Treppen auf und abstieg und wir immer tiefer und tiefer Slimme sagt mir, daß Du Susanne heut noch sehen mußt." hinunterkamen, obgleich wir uns durchaus hinauf an die Luft hindurcharbeiten wollten, und eine klagende, einförmige Fustoff zuckte die Achseln. Stimme uns fortwährend rief.
" Ich bitte Dich, was fällt Dir ein! Die Uhr geht bereits auf elf und dort im Hause schläft wahrscheinlich Alles schon."
•.. "
„ Sie," fing er mit heiserer Stimme an und ver stumite.
"
Was ist mit ihr? Hast Du sie gesehen?"
Er firirte mich.
,, Sie ist nicht mehr."
Wie das?"
"
Sie ist nicht mehr. Sie ist todt."
Ich sprang vom Bette auf.
Wie todt? Susanna? Gestorben?"
Fustoff sah wieder von mir weg.
Ja todt; um Mitternacht."
"
Er hat den Verstand verloren!" blitzte mir durch den
Kopf.
Um Mitternacht! Was ist denn jetzt die Uhr?" " Jetzt ist es acht Uhr früh. Man hat zu mir geschickt, es mir anzuzeigen. Morgen wird sie bestattet." Ich ergriff seine Hand.
" Alexander, redest Du nicht irre? Bist Du ganz bei
es erfuhr, begab ich mich hierher."
Sinnen?"
Einundzwanzigstes Kapitel. um Eine Hand legte sich auf meine Schulter und schüttelte Gleichviel ,. Gem Gottes Willen! Ich habe Jch öffnete die Augen und sah eine böse Ahnung Bitte, e mir! Gehe gleich, nimm mich ein paar Mal bei dem schwachen Scheine eines einzigen Lichtes Justoff einen Schlitten 3!" antwortete falt- vor mir stehen. Sein Anblick erschreckte mich. Er schwankte Was ist das für buchem blütig Fustoff;„ unter welchem Bande sollte ich denn auf den Füßen; seine Gesichtsfarbe war gelb, fast wie die jetzt hingehen?' Morgen in der Frühe will ich hingehen, Farbe seiner Haare; seine Mundwinkel hingen herab und die trüben Augen sahen gedankenlos auf die Seite... Wo wenn uns die Gewißheit eines unwiederbringlich erfüllten und dann wird sich alles aufklären." Unglücks erfaßt.
„ Aber, Alexander, erinnere Dich, sie sprach von ihrem war sein freundlicher, immer wohlwollender Blick geblieben? Tode, und daß Du sie nicht mehr am Leben finden würdest Ich hatte einen Vetter, den die Epilepsie zum Idioten geUnd wenn Dn ihr Gesicht gesehen hättest! Bedenke macht hatte... Diesem glich Fustoff jetzt. doch, stelle Dir vor, was es sie kosten mußte, um.. zu mir
zu kommen.
"
"
Sie ist ein phantastischer Kopf," sagte Fuftoff, welcher
seine Selbstbeherrschung vollkommen wieder erhalten hatte.
Ich erhob mich in Eile.
Was ist? Mein Gott, was ist mit Dir geschehen?" Er antwortete nicht.
Was ist geschehen? Fustoff! So sprich doch Fustoff erbebte leicht.
Alle jungen Mädchen sind so. in der Jugend. Ich Susanna? wiederhole Dir, morgen wird anes in Ordnung kommen.
ich
" Ich bin bei voller Besinnung," antwortete er.„ Sobald
Mein Herz erstarrte schmerzlich, wie das immer geschicht,
Ah, Gott ! Ah, Gott ! Gestorben!" wiederholte ich.„ Wie ist das möglich? So plötzlich! Oder hat sie sich vielleicht selbst das Leben genommen?"
" Ich weiß es nicht," wiederholte Fustoff. Ich weiß gar Nichts. Man hat mir bloß sagen lassen: sie sei um Mitternacht verschieden und würde morgen bestattet."
„ Um Mitternacht," dachte ich..„ Sie lebte also gestern