bnju. Die betreffende Notiz war dem Privatbrief eines Mannes entnommen, der auf einer Reife in Italien Zeuge jener Unruhen ge- worden ist, und in dessen Urtheil und dem» fides wir volles Vertraue» haben. Jedenfalls hat uns jede Absicht, Genossen zu verletzen, fern gelegen.— Türkei . Konstantinopel , 17. Februar. Die heutige Fahrt des Sultans nach Stambul zur Zeremonie des Mantelkusses erfolgte zum ersten Male in der Regierungszeit des Sultans zu Wasser. Der Aufbruch vom Iildiz-Kiosk erfolgte zeitiger als sonst. Der Straßenverkehr in Stambul war geringer als gewöhnlich. Die Vorkehrungen der Polizei waren umfassender und strenger. Auch ein Zeichen der Liebe des Volkes zu seinem Herrscher.— Konstantinopcl, 17. Februar. Das Archiv der Kommission zur Reorganisation der Gendarmerie ist verbrannt.— Ein höchst ein» faches Mittel, die dringende Reorganisation aufzuschieben.— Amerika. Washington» 17. Februar. Der Senat nahm mit 34 gegen 31 Stimmen den Bericht des Konferenzkommitee's beider Häuser an, welcher die E i n w a n d e r u n g s b i l l dahin abändert, daß von den Einwanderern verlangt wird, die englische oder irgend eine andere Sprache lese» oder schreiben zu können, anstatt, wie es das Repräsentantenhaus angenommen hatte, die englische oder die Sprache ihres Geburtslandes. Die Bill in der veränderten Form beugt auch der Möglichkeit einer Trennung des Mannes von der Frau vor und behält den Zusatzantrag bei. welcher sich gegen die Beschäftigung fremder Arbeiter in Staats- Werkstätten und gegen die BeschäftigungFremder ausspricht, die regelmäßig nach den Vereinigten Staaten komme», um als Handwerker oder Handarbeiter Be- schäftigung zu suchen, mit der Absicht, nach ihrem Heimathlande wieder zurückzukehren. Die Bill wird nunmehr dem Präsidenten vor- gelegt werden.—_ Neichsksg. 179. Sitzung vom 13. Februar 1897. 1 U h r. Am Tische des Bundesraths: v. Bötticher, Graf Posa- d o w s k y. Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Gesetz- eutwurfs betr. die Kündigung und Umwandlung der vierprozentigen Anleihen. Den tz 10, welcher bestimmt, daß die umgewandelten Reichs- anleihen vor dem 1. April 190ö nicht gekündigt werden sollen, be- antragt Abg. Richter zu streichen oder die Schutzfrist nur bis 1903 auszudehnen. Abg. Richter(frs. Vp.): Die Konzession einer solchen Schutz- frist ist nicht erforderlich, das hat das Vorgehen Bayerns gezeigt, welches ohne eine solche Frist konvertirt hat. Diese Konzession kann aber der Reichskafse eine größere Zinslast auferlegen, als nolh- wendig ist. pCt. Zinsen weniger bedeutet eine Ersparniß von 2 Millionen Mark. Mit der Schutzfrist sind noch weitere Nachtheile verbanden. Die schon vorhandenen 3>/z prozentigen Papiere haben keine Schutzfrist, für die umgewandelten wird sich ein höherer Kurs herausbilden. Die Schaffung solcher verschiedenartigen Papiere mit gleichem Zinsfuß würde die Begebung der 3prozentigen Papiere erschwere». Dadurch wird der Zinsfuß künstlich höher gehalten zu Ungunsten des verschuldeten Grundbesitzes. Zu gunsten dieser Interessenten beantrage ich, die Schutzfrist zu streichen. Staatssekretär Graf Posadowsky: Ich bitte, die Streichung des§ 10 nicht zu beschließen. Ich brauche die Gründe f i u a n z- politischer Humanität nicht noch einmal auszuführe», welche zur Einführung der Schutzfrist geführt haben. Was würde daraus werden, wenn Preußen, Bade» und Württemberg eine längere Schutzfrist«inführten, das Reich aber nicht? Dadurch würden die betreffenden Papiere de» Reichsanleihen vorgezogen werden. Für den Zinsfuß der Privathypotheken ist nicht der Zinsfuß der älteren Anleihen maßgebend, sondern der Zinsfuß der neu aufzunehmenden Anleihen, der jetzt nur3PCt. beträgt. Die Grundbesitzer würden also schon jetzt keinen Grund zur Klage mehr haben. Abg. Fritzen(Z), v. Marynardsen(natl.) und i». Stumm(Rp.) schließen sich den Ausführungen des Staatssekretärs an. Abg. Ii. Standst(dk.) spricht seine Freude darüber aus, daß er mit Herrn Richter übereinstimme, was ihm allerdings leider sehr selten passire(Heiterkeit), er fürchte auch, daß er keinen Sieg er- ringen werde, da die Konservativen nicht alle auf seinem Standpunkt ständen. Die Schutzfrist ist geeignet, den Zinsfuß zu erhöhen. Ei» Fehler, den Preußen gemacht hat, sollte nmn im Reiche nicht nach- inachen. Redner erklärt sich für den Antrag Richter. Abg. Richter: Es hat einen günstigen Zeitpunkt gegeben, wo man auf 3 pCt. konvertireu konnte; wenn man diesen Zeitpunkt versäumt hat, so soll man nicht den weiteren Fehler machen und sich binden dahin, daß ein wiederkehrender günstiger Augenblick wieder versäumt werden muß. Damit schließt die Diskussion. Der Antrag Richter wird ab- gelehnt gegen die Stimmen der Freisinnigen, der Sozialdemokraten und einiger Konservativen(Graf Stolberg , v. Staudy, Graf Holstein, v. Maltzan u. a.). Die Vorlage wird unverändert nach den Vorschlägen der Re- gierungen angenommen. Es folgt die I n t e r p e l l a t i o n der Abgg. L e v e tz o w und Genossen: „An den Herrn Reichskanzler erlauben wir uns die Anfrage zu richten, wie weit die Berathung des von der königlich preußischen StaatSregierung an den Bundesrath gebrachten, am 3. August 1896 im„Deutschen Reichs- und Königlich Preußischen Staatsanzeiger" publizirten Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Abänderung der Gewerbe-Ordnung(Organisation des Hand- werks) gediehen ist bezw. welche Hindernisse einer schleunigen Vorlage des lange verheißenen Entwurfes an den Reichstag entgegenstehen 1" Staatssekretär v. Bötticher erklärt sich zur sofortigen Beantwortung bereit. Abg. v. Levetzow(k.): Die Rothlage der Handwerker hat den dringenden Wunsch erregt, durch eine Organisation Widerstands« fähiger z» werden. Dieser Wunsch wird von meinen politischen Freuiideii lebhaft getheilt. Die preußische Staatsregierung hat unter dem 3. August vorigen Jahres einen dahin zielenden Gesetzentwurf publizirt und dem Bundesrath vorgelegt. Seitdem hat man Authentisches nicht gehört, nur einmal wurde milgethcilt, daß die Vorlage des Bundcsraths wohl noch vor Weihnachten an den Reichstag kommen würde. Die Handwerker sind nachgerade ungeduldig geworden.(Sehr richtig! rechts.) Wir verkennen die Schwierigkeit einer legislatorischen Regelung dieses Themas nicht. glauben aber doch, daß ein Zeitverlaus von mehr als 6 Monaten ausgereicht haben müßte, um alle Hindernisse zu beseitigen und die öffentliche Kritik des Entwurfs voll in betracht zu ziehen. Wir haben geglaubt, diese Anfrage an den Reichskanzler richten zu sollen. Gebe Gott , daß die Antwort befriedigend laute!(Beifall rechts.) Staatssekretär p. Bötticher: Ich begreife ebenso wie der Vor- redner die Ungeduld aller derjenigen, welche die Organisation des Handwerks wollen. Ich darf versichern, daß die verbündeten Regierungen den Wunsch theilen, die Vorlage fertig zu stellen. Ich habe im Dezember v. I. und im Januar d. I. erklärt, daß ein Grundprinzip der Vorlage auf Bedenke» gestoßen ist; daß der Aus- schuß eine Snbkommission eingesetzt hat, um diese Bedenken zu be- seitigen. Die Subkomniission hat diese Aufgabe zur Zeit erledigt und es steht für die nächste Woche die weitere Berathung der Vor- schlüge in den Ausschüssen des Bundesraths bevor. Die Schwierig- leiten der Erledigung der großen gesetzgeberische» Aufgabe sind keine anderen als die in der Sache selbst liegenden. Ich darf nur daran erinnern, daß es sich hier um eine Organisation handelt, die weile Kreise in betracht zieht und die rück- sichtlich ihrer Ansgestaltu»g<za»z außerordentlich verschiedenartigen. ja diametral entgegengesetzte,» Auffassungen begegnet.(Sehr wahr! links.) Ich darf hervorheben, daß noch in der letzten Woche von einer Bundesregierung nicht weniger als 60 Abänderungsanträge eingebracht sind. Nun dürften Sie doch auch den Regierungen die erforderliche Zeit lassen, um ihrerseits eine Vorlage in Szene zu setzen, die sie mit gutem Gewissen in ihrer Majorität wenigstens vertreten können, und Sie werden in ihrem Entgegenkommen auch so weit gehen wollen, anzuerkennen, daß es besser ist, eine Vorlage im Reichstage zu haben, für die man gerne eintritt, als eine solche, für die niemand die Vaterschaft übernehmen will. Ich denke, daß in sehr kurzer Zeit die Vorlage gemacht werden wird. Wenn ich Mitte März als den Zeitpunkt bezeichne, so thue ich das, weil ich weiß, daß aller Dampf aufgemacht werden wird, um bis dahin die Ausschuß- und Plenarberathung zu erledigen. Warten Sie also diese kurze Frist. Ich will wünschen, daß wir dann zu einer Vereinbarung über die Borlage gelangen. Zur Geschäftsordnung bemerkt Abg. Hitze(Z.): Nachdem der Staatssekretär einen bestimmten Termin angegeben hat, sehen wir davon ab, in die Besprechung der Interpellation einzutreten. Abg. Richter beantragt die Besprechung der Interpellation; der Antrag wird von den Sozialdemokraten. Freisinnigen, der Volks- partei und einigen Deutsch-Konservativen unterstützt. Abg. Pachuickc(frs. Vg.) nimmt unter großer Unruhe der rechten Seite und des Zentrums das Wort; der Präsident bittet um Ruhe. Redner führt aus: Die Herren haben ja selbst die Jnter- pellation eingebracht; sie schienen auch das Bedürfniß der Besprechung ursprünglich zu haben. Oder war die ganze Geschichte nur eine leere Demonstration?(Sehr richtig! links.) Die veröffentlichte Vorlage hat den Handwerkern so recht das abschreckende Gesicht der Zwangsinnungen gezeigt. Die deutschen Gewerbevereine haben sich daher einstimmig dagegen ausgesprochen und auch andere Hand- werker-Korporalionen haben sich gegen die Zwangsinnungen erklärt. Selbst Herr Abg. Metzner(Z.) hat sich sehr kritisch gegen die allzu große Aufsicht ausgesprochen. Der Lärm im Lande geht nur von einer kleine» Minderheit aus. Nicht das ganze Handwerk, wie im Bunde der Landwirthe im Zirkus Busch ausgeführt wurde, steht hinter den Herren(rechts), nicht einmal das ganze Zehntel der Handwerker, welches den Innungen angehört. Das Anwachsen der Großbetriebe ist das Entscheidende für den Rückgang des Handwerks. Trotzdem im Jahre 1349 der Befähigungsnachweis wieder eingeführt wurde, kamen in den fünfziger Jahren dieselben Klage» der Handwerker vor wie heute. In den sechziger Jahren kamen dann fast alle Parteien auf den Gedanken, die Gewerbefreiheit einzuführe». Seitdem hat die Regierung Novelle auf Novelle vorgelegt und den Becher fast bis zur Neige geleert; jetzt soll sie den Becher ganz leeren. Die Zünstlerversammlung im Kaisersaal am Moritzplatz zeigt, wie man Herrn v. Bötticher liebt; man wünschte ihn nach Kamerun . Trotz- dem die Spitzen der Konservativen anwesend waren, habe» sie nicht Protest erhoben gegen solche Angriffe auf die Minister Sr. Majestät; im Gegentheil, sie haben zugeredet. Das deutsche Gewerbe steht heute auf höherer Stufe als zur Zeit des Zunftzwanges. Warum beschränkt man sich mit der Forderung des Befähigungsnachweises auf das Handwerk, warum dehnt man sie nicht auf die Landwirlhschast, besonders die große, aus? Soll Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts einen solchen Rück- schritt inachen, den außer Oesterreich kein Land kennt? Soll nur Rücksicht genommen werden aus das rückwärts schauende eine Zehntel und nicht auf die vorwärts strebenden neun Zehntel? Abg. Jacobsköttcv(k.): Namens meiner politischen Freunde habe ich den verbündeten Negierungen Dank zu sagen für die Ant- wo«. Damit ist der Zweck unserer Interpellation erreicht und wir lassen uns daher auf eine Diskussion nicht ei». Für die Aus- schreitungen, welche in Handwerkerversammlungen vorgekommen sein sollen, können wir nicht verantwortlich gemacht werden.(Lachen links.) Die vom Vorredner erwähnte bedauerliche Aeußerung hat derjenige zurückgewiesen, der sie zurückweisen mußte in der Ver- sammlung. Die anwesende» Konservativen ging die Sache nichts an. Abg. Schmidt-Berlin (Soz.): Es erscheint mir höchst sonderbar, daß gerade von den sogenannten Freunden des Handwerks der Debatte heute aus dem Wege gegangen wird, und zwar nicht nur, weil sie mit der Motivirung kommen, die Antwort des Staats- sekrelärs genüge ihnen, sondern weil feststeht, daß die Stellung der Regierung zu dieser Frage eine solche ist, die absolut ihren Wünsche» nicht entspricht. Sie stellen zwei Forderungen in der Handwerkerfrage, den Be- fähigungsuachiveis und die Zwanasorganisation. Die scheine» aller Voraussicht nach in der Regierungsvorlage zu fehlen. Das entspricht doch nicht Ihrem bisherigen Auftreten in der Hand- werkerfrage, wenn Sie heute' nicht ersuchten, dies Fehlende in der Debatte gegenüber der Regierung zu benützen und entschieden daraus zu drängen, daß diesen Wünschen des Handwerks Rechnung getragen werde. Es liegt aber sehr nahe, warum Sie diese Fragen nicht stellen. S i e sagen sich: ja, zuguterletzt sind wir am Ende mit unseren Pro- pagandamitteln; wenn für das Handwerk auch noch die Zwangs- organisation geschaffen, und der Befähigungsnachweis eingeführt ist, dann bleibt uns schwerlich noch etwas, mit dem wir in der Hand- werkerfrage weiter Hausiren.(Sehr richtig! links. Oho l rechts.) Wir sind mit Ihnen derselben Ueberzeugung, daß die Lage des tandwerkerstandes eine überaus traurige ist. Die Zerrüttung dieses tandes ist durch statistische Erhebungen so klipp und klar erwiese», daß alle Ihre Forderungen und Bestrebungen der weiteren Zer- rüttung auf ökonomischem Gebiet nicht Einhalt gebieten können. Die Zahlen sind geradezu überraschend. Die Zahl der Selbständigen in Industrie und Gewerbe ist von 2 201 142(im Jahre 1882) auf l 774 481 im Jahre 1895 gesunken, d. i. um 19 pCt.(hört, hört!) gegenüber einer Zunahme der Bevölkerung um 12pCt. Das ist nur durch eine weitere Aufreibung des Mittelstandes, des tandwerkerftandes zu erklären. Noch interessanter sind die rbeiten des Vereins für Sozialpolitik, die in ihren Erhebungen ein sehr treffendes Bild von der Lage der Handwerkerstandes ge- geben haben,»nd aus das evidenteste beweisen, daß alle Ihre Be- strebungen nach dieser Richtung aussichtslos abprallen an der ökono- mischen Entwicklung unserer Zeit und an der zersetzenden Wirkung, die die Großindustrie besonders aus den Handwerkerstand ausübt. Die soziale Stellung des Handwerks ist eben in den letzten 30, 40 Jahren eine andere geworden. Die Erhebungen des Vereins für Sozialpolitik haben festgestellt, daß fast durchweg die direkte Ver- bindung des kleinen Handwerksmeisters mit dem Konsumenten aufgehört hat; der gesammte Handwerkerstand ist abhängig von de» Inhabern der Magazine, die ihm Vorschuß gewähre» und Roh. inaterialien bieten, von dem großen Unternehmer, der ihm Arbeit giebt. Aus dieser abhängigen Stellung entsteht die ganze Misere eines guten Theils des Handwerkerstandes. Zwischen Konsument und Handwerkerstand sind die groben Magazine getreten. Man geht nicht mehr zum kleinen Handwerksmeister, fondern zu den großen Magazinen und Abzahlungsgeschäften, die mit Kapitalien von Hundert- lausenden begründet sind und einer solchen finanziellen Grundlage be- dürfen. Das sind die Aussauger des kleinen Handwerkerstandes, die vor allem in der Konkurrenz wüthen und wirthschaften, so daß nach und nach einer nach dem anderen Bankrott anmelden muß. Wie wollen Sie dem durch Zwangsorganisation abHelsen? Die Zwangsorganisation in Oesterreich hat ergeben, daß Be« strebunge». Rohstoff-Genossenschaften und Verkaufs-Genossenschaften. die es wieder herbeiführen sollen, daß der Handwerker wieder direkt mit dem Konsumenten in Verbindung tritt, einzurichten, um bessere Preise für die Produkte des Handwerks zu erzielen, keinen günstigen Boden im Handwerk haben. In Oesterreich besteht die Zwangs- organisation bereits seit 1333. Jedoch nur winzige Einrichtungen vermochte sie hier zu schaffen, so gehören zum Beispiel in Wien von 2530 Tischlermeistern nur 75 Verkaufsgenossenschaslen an. Warum bietet denn die Genossenschastsgründung, besonders die Produktivgenossenschasts- Gründung keine günstigen Aussichten für das Handwerk? Dem Handwerk werden Genossenschaften empfohlen, aber Sie fragen nicht. wo es denn das Geld für diese Genossen- schaften hernehmen soll. Wenn die genossenschaftliche Einrichtung so weil entwickelt sein wird, daß sie auf höchster technischer Stufen- leiter die Produktion führen würde, dann haben Sie damit an stelle der kleinen Unternehmer eine Reihe von Genossenschaftsbetrieben treten lassen. Dazu sind aber freiwillig- Genossenschaften nothwendig, die Zwangsorganisation kann das nicht leisten; das zeigt Oesterreich . Auch die freien Organisationen gehen imnier mehr darauf aus. die Gesellschaft durch die Konkurren, in Zwietracht zu bringen. Die Großindustrie sowie die Veränderung der Mode hat einzelne Hand- iverksbetriebe zersetzt. Die Lampenfabrikation, die Einführung des Emailgeschirres, des Porzellans zu Kllchengeräthen hat das Klempnereigewerbe fast ganz verdrängt. Der Beruf der Nagelschmiede ist gänzlich verschwunden. Das Schuhmacher- gewerbe beschränkt sich fast nur noch auf Flickarbeit; in der Seifensiederei giebt es keine gelernten Arbeiter mehr; in der Hutmacherei arbeiten nur noch wenige Geschäfte selbständig. In Oesterreich ist trotz der Zwangsorganisation und trotz des Be« fähigungsnachweises in der Gerberei und Ledererzeugung die Zahl der handwerksmäßigen Betriebe zurückgegangen und die Zahl der Fabrikationsbetriebe bedeutend gestiegen.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Die Zwangsorganisation soll dem Lehrlingswesen und der Ausbildung der Gesellen einen größeren Eifer widmen. Der Handwerksgeselle zeigt heute dieselbe Geschicklichkeit wie früher, er leistet nur nicht das. was er ehedem geleistet hat. Die Ausbildung des Handwerkers ist heute eine einseitigere. Das liegt aber an unseren gegenwärtigen Verhältnissen, an dem Fabrikbetriebe, an der Theilarbeit und Spezialarbeit. Ich erinnere z. B. an die Tischlerei. Die Leistungsfähigkeit des einzelnen Arbeiters wird erhöht und die Konkurrenzfähigkeit des kleinen Unter- nehmers gehoben, weil er sich nur derFabrikation eines bestimmtenArtikels widmet.f Darunler leidet aber natürlich die Ausbildung des Lehrlings. Ich würde empfehlen, daß allen kleinen Betrieben überhaupt die Be« fugniß entzogen würde. Lehrlinge auszubilden. Dafür bietet die Großindustrie eine weit sachgemäßere und vielseitigere Ausbildungf. Unsere zwei größten Berliner Betriebe für die Tischlerei könnten eine solche Ausbildung wohl übernehmen. Es giebt nur wenig Betriebe, die so vielseitig sind als ein solcher Großbetrieb. Die Spezialarbeit hat die Vielseitigkeit vollkommen verdrängt. So werden heutzutage' Thüren und Fenster nach einem bestimmten Maß angefertigt, so daß der Bauherr in der Provinz die Kleinmeister fast entbehren kann. Was wollen Sie dagegen mit der Zwangsorganisation machen? Können Sie dem Unternehmer verbieten, seine Fabrikation so auszudehnen? Das wollen und können Sie nicht. Die Männer, die die Vernichtung des Kleinbetriebes betrieben haben, sind die eifrigsten Freunde des Hand- werks. Warum? Weil ihnen die Handwerkervorlage absolut keinen Schaden thun kann(Sehr richtig! links.), sondern nur Nutzen. Die Großindustrie bietet für den intelligenten Arbeiter die Gelegenheit der Vielseitigkeil und eine feste sichere Stellung. Man sollte mit staatlicher Hilfe Lehrwerkstätten einrichten, in denen Lehr- linge von pädagogischen Leuten fachgemäß ausgebildet werden. Ein befähigter Handwerksmeister hat nicht immer Zeit und Fähigkeil, seine Geschicklichkeit den Gesellen und Lehrlingen mitzulheilen. Auch unter der allen Zunfteinrichtung wurden die Geselle» nicht fix und fertig in die Welt geschickt. Erst in der Fremde vervollkommneten sie sich. Der Befähigungsnachweis soll die Schundkonkurrenz beseitigen. Trotzdem sind in Oesterreich die Klagen über diese Konkurrenz genau dieselben. Nicht die Unfähigkeit des Handwerksmeisters, sondern die Konkurrenz, die Sucht, billig zu fabriziren, ist schuld daran. Darum schlechte Arbeit, schlechtes Material, darum Schund- und Schleuderwaaren, durch die das Publikum angeführt wird. Selbst in den Ständen der Aerzte und Rechtsanwälte»ut ihrem Befähigungsnachweis ist das Ueberangebot von Kräften so stark, daß sie in ihrer Existenz und ihren sozialen Bedingungen iveit herabgedrückt sind; nebe» den approbirten Leuten existirt eine große Zahl von Winkelkonsulenten und Kurpfuschern. Das beweist, daß gegen die Vorliebe des Publikums für das Minder- werthige der beste Schutz der Gesetzgebung nichts nützt. Für hie Konfektion kann der Befähigungsnachweis sogar sozialpolitisch rück- ständige Folgen haben. Sollen die kleinen Zwischcnmeister den Befähigungsnachweis ablegen? Die Arbeiter wollen doch gerade den Zwischenmeister beseitigen. Bevor nicht dem Arbeiterstand das Koalitionsrecht gegeben wird, wolle» wir dem Handwerkerstande das Recht nicht gebe», zu der schon jetzt bessere» wirthschaftlichen Position auch noch die Zwangsorganisation hinju zu bekommen, deren letzte Spitze sich gegen die Arbeiterklasse richtet. Bieten denn überhaupt jetzt die Innungen die Gewähr, daß sie die Grundlage geben für eine vernüustige Organisation, die den idealen Anforderungen der Arbeiter, der Aus- bildung in theoretischer und praktischer Beziehung genügt? Die Innungen sind dieser Aufgabe absolut nicht gewachsen. Sie find eiuseiiige Interessenvertretungen. Die Erfahrungen in Oester- reich reizen nicht zur Nachahmung. Auch die Innungen in Berlin haben für die Ausbildung ihrer Lehrlinge, für den Fachunterricht sehr weuig geleistet. Das ergiebt sich aus dem Verwaltungsbericht des Magistrats zu Berlin von 1895/96. Von 63 Innungen haben nur 6 über 1000 Mark für die Fachschule ausgeworfen. und die Bäckerinnung steht mit 1853 Mark noch obenan. 35 haben überhaupt keine Kosten für die Fachschule bestritten. Ohne die Subvention des Magistrats wären die Fachschulen gar nicht vorhanden. Von 61 Breslauer Innungen haben überhaupt nur 9 Fachschulen,»nd die Ausgaben betrage» pro Jnnuiigsmitglied nur 1 Mark. In Oesterreich wurden die meiste» Einnahmen der Innungen, in einige» bis 75 pCt., aus Einschreibegebühren der Lehrlinge und Ausnahinegebiihren der Meister bestritten. Das be- weist, daß die Innungen keine Grundlage für eine Zwangs- organisation und keine Gewähr für den Nutzen der Handwerker und Arbeiter biete». Was Sie im Begriff sind zu schaffe», wird dem Handwerkerstand nur neue Lasten auserlegen.(Bravo ! bei de» Sozialdemokraten.) Abg. Gamp(Rp.) dankt den Interpellanten für die Einbringung ihrer Anfrage und der Regierung für die Antwort. Auf die Aus- sührungen der Vorredner einzugehen, liege keine Veranlassung vor. Abg. Richter(frs. Vp.): Ich wollte protestiren gegen einige Worte des Interpellanten, der behauptete, daß die Handwerker sehr dringend die Vorlage wünschen und sehr ungeduldig geivorden seien. Ich habe gefunden, daß in allen Wipfeln Ruhe war und man sich gar nicht beunruhigte; es haben nirgends Handwerkerversammlungen stattgefunden.(Zuruf: Berlin !) Uni Material für die heutige Interpellation zu schaffen, ver- sammelten sich die bekannten Zunflbrüder in einem kleinen Saale auf Einladung des Jnnungsausschusses. Die Bürstenbinder-, die Schlosser-, die Bäckerinnung„Konkordia" und die Konditoren haben ausdrücklich protestirt gegen eine Zwangsorganisation. Nur«in Zehntel der Handwerker ist in den Innungen vertreten und höchstens im Namen dieses kleinen Bruch- theils können Sie(rechts) sprechen. In Süddeutschland haben die Gewerbevereine haben sich gegen jeden Zwang erklärt, ebenso der Verband der Baugewerks-Jnnungen, der Zentralverband der deutschen Industriellen. Diese Stimmen haben die süd- deutschen Regierunge» beeinflußt. Wenn die Vorlage Mitte März erst kommt, dann wird sie hier nicht mehr erledigt werden, denn der Reichstag ist schon so überbürdet, daß selbst bei einer nochmaligen Vertagung die Vorlage nicht zu stände kommen dürfte. Es ist ja nicht einmal eine Mehrheit für die Zwangsorganisation vor- banden. (Widerspruch rechts.) Selbst wenn Sw alle Auti- semiten und Herrn Ahlwardt dazu rechnen.(Heiterkeit.) Sie(rechts) sind za auch unter sich gar nicht einig, sobald es sich um einzelne Bestimmungen handelt, z. B. über die Gesellenausschüsse. über Aufsicht der Behörden u. s. w. Wenn wir mit einer fast die Mehrheit erreichenden Minderheit Ihnen systematisch Opposition machen, dann können Sie sehr alt werden, ehe die Vorlage fertig wird. Es ist also ziemlich gleichgiltig. ob die Vorlage am 15. März oder am 15. Juli kommt.(Heiterkeit.) Widerstandsfähig werde» die Handwerker durch die Zwangsorganisation nicht gemacht. sonder» sie werden geschädigt, und darum schließe ich: Gebe Gott , daß das deutsche Handwerk von dieser bureaukratischen Miß- geburt bewahrt bleibe.(Zustimmung links.) Abg. Bielhabcn(Reform-P.): Da die linke Seite de? Hauses
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