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Mr. 286.
Sonntag, den 7. Dezember 1890.
7. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
Das„ Berliner Volksblatt"
erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mart, wöchentlich 28 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem„ Sonntags- Blatt" 10 Pf. Poftabonnement 3,30 Mark pro Quartal. ( Eingetragen in der Postzeitungspreislifte für 1890 unter Nr. 892, V. Nachtrag.) Unter Kreuzband, täglich durch die Expedition, für Deutschland und Desterreich- Ungarn 2 Mark, für das übrige Ausland 3 Mark pro Monat.
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Bur Geschichte der irischen Agrarfrage.
sizungen, doch nichts anderes als ein möglichst großes zu einer weitgehenden Zersplitterung des irischen Besitzes Einkommen erzielen wollten, in der Regel vortheilhafter, naturgemäß führen mußte. Wir können die Bedrückung die Fren daselbst zu belassen. Aus diesem Grunde der Irländer hier nicht nach allen Seiten illustriren. Wer mußte auch die neue Anglifirungspolitik schließlich scheitern, sich darüber belehren will, der lese Prof. Herkner's treff Der Fall Parnell hat wieder einmal die irische troßdem die Landkonfiskationen in größtem Umfange er- lichen Aufsatz über die irische Agrarfrage( im letzten Hefte Agrarfrage in den Mittelpunkt des allgemeinen Intereffes folgten. Der Aufstand Shane O'Neal gab Veranlassung der Conrad'schen Jahrbücher), den wir unseren Ausgerückt. Freilich mit fachlicher Erörterung hat sich die zur Konfiskation von vielen Hunderttausenden Acker Landes, führungen zu Grunde legen. Kurz gesagt waren die Bresse dabei wenig abgegeben, man diskutirte blos über derjenige O'Desmond's erlaubte der Krone über eine halbe Irländer geächtet, recht- und friedlos, die ganze Gesetzdie privaten Verhältnisse des Frenführers, über die Be- Million Acker einzuziehen. Man hat berechnet, daß gegen gebung und Verwaltung bemühte sich einzig und allein die ziehungen der irischen Parlamentsfraktion zu Gladstone Ende der Regierungszeit der Königin Elisabeth im Ganzen Interessen der englischen Grundherren zu fördern. Diese und Lord Salisbury . All dies mag ja aktuell und für schon 2 Millionen Acker von der Krone vergeben worden Grundherren waren Personen von oft sehr zweifelhaftens den Moment sehr wichtig sein, wichtiger ist aber wohl Rufe, die außerdem sehr häufig in gar feiner Beziehung
waren.
unzweifelhaft die Kenntniß der ökonomischen Verhältnisse Einen neuen Höhepunkt erreichten die Verfolgungen mit dem in ihrem Interesse verpachteten Boden standen. in Irland , ohne die überhaupt die Bedeutung der poli- der Irländer und die Boden- Konfiskationen unter Crom- Die Hälfte der Grundherren war stets, ja häufig waren tischen Konstellation in Großbritannien und Irland nicht well. Er schlug eine Revolution der Irländer in der drei Viertel derselben außer Lande. beurtheilt werden kann. blutigsten Weise nieder und nahm an dem Lande die Man würde sich aber gewaltig täuschen, wollte man Die irische Landfrage ist nicht eine Frage von heute schrecklichste Rache. Er wüthete derart, daß selbst das annehmen, daß nur diese, meist mit ihrem" Grund oder gestern, ihr Ursprung liegt fast vier Jahrhunderte englische Heer kaum mehr seinen Unterhalt zu finden vor und Boden in gar keinem Zusammenhang stehenden Großhinter uns. Als Heinrich VIII. , Luther's Beitgenoffe, und mochte und dem Hungertode nahe kam. Ein Drittel grundbesitzer von dem armen irischen Bauern zu erhalten jeine Tochter Elisabeth die in England begonnene Re- des Bodens wurde eingezogen. Es erfolgte waren und sind. Wie viele Vampyre am Blut des Jrformation auf Irland übertragen wollten, stießen sie in eine Massenauswanderung der Iren, wie sie erst während länders saugten, geht aus der Darstellung der PachteinrichIrland auf gewaltigen Widerstand, der zu zahlreichen der großen Hungersnoth vom Jahre 1847 wiederkehrte. tungen hervor. Die abwesenden Großgrundbesizer verEmpörungen der Frländer gegen die englische Herrschaft Unter Cromwell gehörten schon starke zwe: Drittel des pachteten ihr Land an einen als zuverlässig und zahlungsführte. Diese Kämpfe gewannen für die Entwickelung der irischen Bodens den Engländern als Privatbesig. Der fähig bekannten Mann im Großen und für lange Zeit. irischen Agrarverhältnisse die größte Bedeutung, denn es Antheil der Irländer an ihrer Heimath erlitt aber noch Dieser Oberpächter vergab das Land wieder an verwurde mehr und mehr üblich, die Ländereien der besiegten eine weitere Verminderung unter Wilhelm III. Nachdem fchiedene Zwischen- und Unterpächter, welche erst das Land Säuptlinge für die Krone zu konfisziren. Diese Kon- dieser in Irland die ihren angestammten" König Jacob II. an die eigentlichen Bebauer, an die irischen Bauern, in stationen erstreckten sich aber nicht blos auf die persön- unterstützenden Irländer in der Sch acht am Boynefluffe Pacht gaben. Natürlich wollten sich all diese Zwischenlichen Bestzungen, sondern auf diejenigen der ganzen geschlagen hatte, zog er weit über eine Million Afres ein, personen„ redlich" und möglichst gut nähren, aber nicht Stämme, welche unter der Hoheit der aufrührerischen die er meist an recht unwürdige Personen verschenkte. ouf Kosten des Großgrundbesizers, sondern auf die des Häuptlinge standen. Vergebens protestirten die Fren, daß Dieser letzte große Raub Englands an Irland beschränkte armen Bauern, infolge dessen erreichten die Renten ganz der Grund und Boden nicht dem Häuptlinge, sondern dem den Besitz der Frländer an ihrer Heimath auf ein Zwölftel unglaubliche Höhen, selbst die des zwölffachen Betrages Stamme zufstehe, daß er ihnen nicht wegen der Haltung des anbaufähigen Bodens. Trotz dieser systematischen der an den Grundbesitzer gezahlten Rente. Wenn wir der Häuptlinge entzogen werden dürfe. Die Ländereien Konfiskationen ging den Iren das Bewußtsein niemais oben von Vampyren sprachen, die des Bauern Schweiß wurden rücksichtslos eingezogen und an englische Ansiedler verloren, daß sie die eigentlichen Eigenthümer des Bodens nähren mußte, so ist dies keineswegs eine agitatorische bergeben. Möglichst viel Land einzuziehen und darauf seien. Die Iren vermochten es nicht zu fassen, daß der Uebertreibung, es ist nur eine halbwegs zutreffende, durchenglische Kolonisten anzusiedeln, dieser Gedanke wird von Grund und Boden, auf dem sie seit Menschengedenken ge- aus milde Bezeichnung für die faum glaubliche Ausnutzung legt an Leitstern der englischen Politik. Auf diesem Wege sessen und dem nur ihrer Hände Fleiß Erträge abge- des ökonomischen Uebergewichts seitens der Zwischenpersonen, soll Irland endgiltig unterjocht werden. rungen, ihnen nicht mehr gehören sollte. Sie begriffen bei denen eine Spur von Nachsicht und Geduld zu suchen Obgleich die Engländer, welche irischen Grund und nur, daß sie besiegt worden waren und daß sie deshalb eitel Thorheit wäre. Boden erhielten, nach den Absichten der Regierung vor dem Sieger Tribut schuldeten, deshalb erschien ihnen die Von dem, was in England als hergebrachte Uebung doch nur in geringem Umfange. Einmal ließen sich die Tribut. wiegend englische Bauern ansiedeln sollten, geschah dies Rente nicht als Pachigeld, sondern eben wie ein galt, daß der Besizer die Meliorationen des Bodens auszuführen habe, war in Irland nicht die Rede. Hier auf dem Grund und Boden von Alters her ansässigen Doch blieben die Konfiskationen keineswegs die ein mußten alle Lasten von den Bebauern getragen werden, ren ja nicht leicht verdrängen, und ferner hätte man zigen Unterdrückungs- Maßregeln, das mächtige England aller Vortheil kam den Besitzern und den Zwischenpersonen Engländern sehr günstige Ansiedelungsbedingungen bieten scheute sich nicht, die Irländer wegen ihrer Treue zur zu Gute. Dafür, daß diese von jedem Schaden verschont müssen. Die einheimischen Fren aber waren, um nur in katholischen Religion mit schändlichen Ausnahmegesehen werden, sorgte mit peinlicher Fürsorge die englische Gesetzthrer Heimath verbleiben zu dürfen, zu allen Lasten, allen zu verfolgen, welche auch mannigfäche Schädigungen wirth- gebung und Verwaltung. Man wird nun die Frage auf Dienſten und Renten bereit. So fanden es denn die neuen schaftlicher Art für die Irländer im Gefolge hatten, so werfen, warum die Irländer sich derartigen Ausbeutungen englischen Grundeigenthümer, die von den irischen Be- wurde den Katholiken die Testierfreiheit genommen, was nicht durch Uebergang zu anderen Berufszweigen entzogen. achtungsvoll und selbst der wilde Grumbach fuhr einmal schützer gefunden. Nun fühlte sie sich erst wohlig in der mit dem geschlitten Aermel seines Wammses über die Freiheit. Augen. Wo ist der Vater?" fragte plötzlich Agnes. Der Vater! Damit war die Wetterwolfe aufgezogen über Agnesens Haupte, die man in unbestimmter Vorähnung nahen gefühlt. Der Vater!" seufzte die Mutter. ,, Er ist auf dem Rathhause und wird bald kommen."
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Nachdruck verboten.]
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Rothenburger Tage.
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Roman aus der Zeit des großen Bauernkrieges von 1525.
Ach, was wird er fagen!" rief Agnes und warf sich
Herr Anton von Badell, wohlangesehener Rathsherr der freien Stadt Rothenburg ließ nicht lange auf sich warten. Der eiserne Klopfer an der Hausthür ertönte, daß die beiden Frauen zusammenschraken. Gleich darauf vernahm man den schweren Tritt des Rathsherrn auf der Treppe. Seine mächtige Gestalt tauchte auf und Agnes sah das unbewegliche Antlitz mit den strengen Zügen und den großen dunklen Augen unter buschigem grauen Haar. Die Tochter sprang Mutter sah ängstlich drein.
lofer Erregung. Sie sah ihr einziges innig geliebtes Kind von Neuem an die Brust der Mutter", er wird mich hart dem Vater entgegen. Er aber mich zürnend, zurück und die Oben an der Treppe stand Agnesens Mutter in wort wieder heimkehren und schloß Agnes mit überquellender anlassen. Und ich bin doch so froh, daß ich frei bin!"
das frische und rosige
Die Frauen schluchzten und die Mutter warf wie schützend die Arme um die Tochter, während sie selber hilfeGrumbach ersah den Augenblick und schlich sich die
Gesicht der Tochter mit Küssen bedeckend. Sie sprach nicht| den leisesten Vorwurf aus; sie frug nur einmal leise, ob flehend emporsah.
"
Da bist Du, dem Kloster und der Pflicht entlaufen," sagte er hart und streng. Agnesens Augen füllten sich mit Thränen. Florian Geyer trat vor und der Rathsherr sah erstaunt
ihre Tochter auch ganz gesund geblieben sei und zog sie mit Treppe hinab, um drunten mit den Gewappneten zu zechen. auf den Ritter, dessen Anwesenheit er nicht gleich bemerkt erneuter Zärtlichkeit an sich.
Aber
Er liebte solche Rührszenen nicht sehr. Herr Florian aber hatte. Sibylle von Badell war eine herzensgute Frau und trat auf die Frauen zu und sprach mit seiner wohltönenden Guädiges Fräulein, ich hab' Euch aus dem Kloster als ihr Gatte, der mit Rath und That beizustehen." das
bing an ihrem Kinde wie nur jemals eine zärtliche Mutter. Stimme: gegen den Willen ihres gestrengen Ehegemahls etwas durchzusehen vermochte sie nicht. Sie hatte nur durch hierher geleitet; erlaubet mir denn auch, Euch noch weiter Zustimmung zu dem Auszug und zur bürgerlichen Versorgung
Thränen Widerspruch erhoben,
Rathsherr Anton
Der Vater ist so streng," sagte Agnes bekümmert. Eben deßhalb will ich bleiben," sagte Herr Florian. Ich beiß, daß Euer Vater zu der alten Rathspartei gehört.
Herr von Geyer- Ihr in meinem Hause?" sprach er mit unsicherer Stimme. Er kannte den Ritter wohl, denn dieser hatte ja den Morgen erst vor dem Rathe die der Nonnen erlangt, wozu ihn seine Rothenburger Freunde be stimmt hatten, die sich ihre Geliebten und Freundinnen frei machen wollten. Das feste und männliche Auftreten des weithin bekannten jungen Kriegsmannes hatte dem Raths
Baters zu erfüllen, ihren Liebling der sonnigen Welt entriß und hinter den düsteren Klostermauern verbarg. Aber nun war Agnes wieder da, strahlend in Jugend- Aber ich will ihm kundthun, daß Ihr nicht muthwillig das herrn einen gewaltigen Eindruck gethan; er fühlte, daß er
Schöne und Jugendblüthe und die gute Frau dachte nicht Kloster verlassen." weiter; fie fonnte sich nicht satt sehen an ihrem blühenden
Rinde.
" Ihr wolltet!" sagte Agnes freudig. Sonder Zweifel!" antwortete der Ritter.
Da kehrte bei Agnes die Heiterkeit des Gemüths
einer Macht gegenüber stand, die er zwar haßte, die aber im Augenblick das Uebergewicht besaß. Denn die Nachrichten, die von draußen hereingekommen waren, trugen nicht und dazu bei, den Muth des alten Raths zu erhöhen; viel eher
Wiedersehen von Mutter und Tochter zu: sie schwiegen die Sicherheit des Auftretens zurück. Sie hatte einen Be- zum Gegentheil.