Nr. 301.

Donnerstag, den 25. Dezember 1890.

7. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

erfcheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Fefttagen. Abonnementspreis für Berlin   frei in's Haus vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mart, wöchentlich 28 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags Blatt" 10 Bf. Vostabonnement 3,30 Mart pro Quartal. ( Eingetragen in der Postzeitungspreislifte für 1890 unter Nr. 892, V. Nachtrag.) Unter Kreuzband, täglich durch die Expedition, für Deutschland   und Desterreich- Ungarn 2 Mark, für das übrige Ausland 3 Mark pro Monat.

Insertionsgebühr

beträgt für die 5 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs­Anzeigen 20 Pf. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin   SW., Beuthstraße 3, sowie von allen Annoncen- Bureaur, ohne Erhöhung des Preises, angenommen. Die Expedition ist an Wochentagen bis 1 Uhr Mittags und von 3-7 Uhr Nachmittags, an Sonn- und Festtagen bis 9 Uhr Vormittags geöffnet. Fernsprecher: Amt VI. Nr. 4106.

Redaktion: Beuthstraße 2.- Expedition: Beukhlkrake 3.

An die Parteigenossen!

Der Parteitag in Halle hat sich der richtigen Erkenntniß nicht verschließen können, daß, wie das bereits vor dem Sozialisten­gesetz als Pflicht erkannt war, der ländliche Proletarier in die allgemeine sozialistische Agitation hineinzuziehen ist, wie der Industrie- Arbeiter.

Arbeiter stätten

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Wort eingetreten werden. Aber trotz des großen Kreises der Ge- geschehen um die Erde und um Alles, was darauf webt noffen, die befähigt sind, unsere Anschauungen und Prinzipien und lebt der Frost hat gesiegt, und es folgt eisiger schriftstellerisch zu vertreten und zu verbreiten, ist uns persönlich Tod und ewige Nacht. Da plötzlich ist Stillstand, Um­nur eine verhältnißmäßig fleine Zahl von Genossen bekannt, die kehr, und langsam, langsam hebt die Lebensspenderin sich auf dem speziellen Gebiete der ländlichen Arbeiterfrage theoretische empor, ihre ermatteten Strahlen gewinnen wieder Kraft und sie beginnt den Kampf mit dem Winter, lang­Studien gemacht oder praktische Erfahrung gesammelt haben. Wir glauben daher an dieser Stelle die Aufforderung er- sam aber stetig dringt sie vor und überwindet in unab Unsere Brüder draußen auf dem flachen Lande, die in Ställen gehen lassen zu sollen, daß alle jene Genossen, welche sich zu lässigem Ringen Frost und Eis. Die Sonne, die und Hütten hausen, deren Lebenshaltung in den meisten Fällen schriftstellerischen Leistungen( Zeitungsartikeln wie eventuell auch Erlöserin, hat gesiegt. So wurde die Winterwende, welche in die eine menschenwürdige nicht genannt zu werden verdient, die größeren Abhandlungen in Broschürenform) auf dem Gebiete der heute noch unter dem Druck derselben Frohnden seufzen wie da- ländlichen Arbeiterfrage für befähigt halten, solche Arbeiten an uns gegenwärtige Jahreszeit fällt( nach unserem Kalender auf mals, als die Leibeigenschaft dem Namen nach noch nicht ab- einzusenden oder über deren Abfassung 2c. sich mit uns in Ver- den 21. Dezember) schon im grauesten Alterthum das geschafft war, die allen Fährnissen und Drangfalirungen des bindung setzen mögen. Und wir richten diese Aufforderung an Fest der Hoffnung, das jubelnd begangen ward in der Großkapitals noch ungeschützter gegenüberstehen, als die die Genoffen allerwärts, weil, je nach der historischen und ökono- ficheren Voraussicht des Sieges der Erlöserin Sonne über in den rußigen Fabriken und dumpfen Werk- mischen Entwicklung diese Verhältnisse in den verschiedenen den Tyrannen Winter. Das Christenthum hat dieses, gleich anderen heid - alle diese armen, ausgebeuteten Landarbeiter Landestheilen sehr verschiedenartige sind, sowohl was die Agrar­sollen zu uns herübergezogen werden, auch ihnen soll frage im Allgemeinen, als die politische und soziale Lage des nischen Naturfesten, dem Volt nicht zu entreißen vermocht - es hat ihm nur einen anderen Namen, andere Formen der Morgenschein der neuen, der kommenden Zeit gezeigt ländlichen Proletariats im Besonderen anbetrifft. Aber nicht nur an die Genossen, die zu selbstständigen literarischen und eine andere Symbolik gegeben. An die Stelle der werden, auch sie sollen wissen, daß sie ein Anrecht haben an der herrlichen Natur, die sie so oft mit blendender Fülle umgiebt, Arbeiten befähigt sind, erlassen wir diesen Aufruf, sondern auch Erlöserin Sonne hat es den Erlöser Christus ohne daß sie nach den Früchten, welche die Erde uns Allen schenkt, an den großen Kreis jener Genossen, welche vermöge persönlicher gesetzt, an die Stelle des heidnischen Naturdienstes den Erfahrungen, ihrer Stellung mitten in den Landdistrikten 2c. in christlichen Messiasdienst. Der Inhalt ist derselbe: die auch nur die Hand ausstrecken dürfen. Unferen Brüdern von dem flachen Lande muß gezeigt werden, der Lage sind, kleinere Mittheilungen und interessante Notizen an tommende Erlösung, nur daß die Sonne in daß das sogenannte patriarchalische Regiment, welches von uns gelangen zu lassen, die z. B. auf die Lohn- und Wohnungs- den Heiland verwandelt ward. unferen Latifundienbesigern angestrebt wird, sowohl der Todfeind verhältnisse der ländlichen Arbeiter, die Grundvertheilungs-, die Des Landproletariats als des kleinen Grundbesizers ist. Auch Erbtheilungsverhältnisse u. s. w. Bezug haben, und die, wenn von der letzte Knecht im Stall soll wissen, daß der Großgrundbesitzer, einer Zentralstelle gesammelt, ein sehr werthvolles Material für mit adligent oder bürgerlichem Namen, die Zeiten wieder fünftige Bearbeitung bilden. einzuführen bestrebt ist, wo mit seiner Meute und seinem Troß dem Bauern über die junge Saat dahingaloppiren, wo er in einem Augenblick des Uebermuthes die Mühe von Monaten zerstören durfte, und dann den murrenden Untergebenen mit der Hezpeitsche zur Ruhe zwang.

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Das ist das Jdeal unserer Landjunker.

Als selbstverständlich fügen wir bei, daß für Arbeiten, die zur Veröffentlichung sich geeignet erweisen, ein angemessenes Honorar entrichtet und die Veröffentlichung in entsprechender Form er­folgen wird.

Alle Zuschriften 2c. beliebe man richten an:

J. Auer, Kazbachstraße 9, I., Berlin   SW, Mit sozialdemokratischem Gruß Der Parteivorstand.

Bum Felfe.

So ist Weihnachten auch heute, wie vor Jahrtau­senden, wo die alten griechisch- römischen und germanischen Götter noch im Herzen der Menschen wohnten, das Fest der Hoffnung, und da Hoffnung die Mutter der Freude, das Fest der Freude. Und die höchste aller Freuden ist Anderen Freude bereiten.

Anderen Freude bereiten, das ist der aus­zeichnende Grundgedanke des Weihnachtsfestes geworden, und unsagbar elend oder verkommen muß sein, wer am Weihnachtsfeste nicht irgend einem seiner Mitmenschen irgend eine Freude zu bereiten sucht, und sei es die kleinste.

Und in diesem allgemein menschlichen Gedanken, in diesem erhabenen Gefühl menschlicher Zusammengehörig­feit feiern auch wir das Weihnachtsfest.

Freilich, wir feiern es in unserer Art. Auch für uns ist es das Fest der Hoffnung, der nahenden, durch nichts aufzuhaltenden Erlösung.

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Aber andererseits hat der moderne Rapitalismus, die Sucht nach mühelosem Gelderiverb und Geldgewinn auch die schnaps. brennenden Freiherren, Grafen   und Fürsten   erfaßt. Auch draußen auf den Feldern sehen wir aus dem wogenden Aehrenmeer, aus den blühenden Fluren die drohenden Schornsteine in die Lust ragen, wir hören die Maschinen stöhnen und ächzen, und wir sehen, wie der freie Bauer" ein Knecht der Maschine wird, ebenso wie in der Stadt der freie Handwerksmeister seine Freiheit, seine Existenz völker. dem Kapitalisten opfern mußte, dem vielleicht ein Zufall die Ar- Sonne, der en feurige Strahlen der Erde und ihren Be­beitsmittel in die Hände spielte. Jene Poesie des Landlebens, wohnern Wärme, Licht, Leben spenden, hat sich vom Tage von welcher Schwärmer und Träumer zu erzählen wissen, ist der Sommerwende an mehr und mehr niedergesenkt, längst verraucht und wenn irgendwo, so tobt der Klassenkampf scheinbar sich weiter und weiter von der Erde entfernt, heutige Weltordnung den Menschen ein Wohlgefallen?" bis diese, die Mutter der Menschen, den Schrecknissen des Sind die Thatsachen mit diesen Worten nicht im

auf dem platten Lande.

Weihnachten ist ein uraltes Naturfest der Kultur­Es ist das Fest der Hoffnung. Die

Friede auf Erden und dem Menschen ein Wohlgefallen", so tönt es aus den christlichen Kirchen.

Ist das wahr? Ist Friede auf Erden"? Ist die

Parteigenossen, es ist nun unsere Pflicht, die Kämpfer, die Senft sie sich noch tiefer, entfernt sie Oder harret sie noch der Erlösung? für die Rechte der Arbeit eintreten, mit allen unseren Kräften zu droht. entfliehet sie ganz, so ist es ganz, so ist es Starrt nicht die Welt in Waffen? Herrschen nicht unterstützen. Für das ländliche Proletariat muß mit Schrift und sich noch weiter, entfliehet fie

Winters überliefert ist, der alles Leben zu tödten grellsten Widerspruch? Ist die Menschheit schon erlöst?

Feuilleton.

Machbruck verboten.]

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Rothenburger Tage. Roman aus der Zeit des großen Bauernkrieges von 1525. Von Wilhelm Blos  .

Gestalt des Rathsherrn Anton von Badell aus dem Rath- Humpen feurigen Frankenweins. Der Ritter that nur hause treten. Heiß fiel es ihm bei, daß er sich gar nicht um wenig Bescheid; dann frug er, ob die Hochzeit des Herrn Agnes und ihr Schicksal bekümmert habe. Er eilte auf den Jörz Spelt und des Fräulein Agnes von Badell schon ge­Rathsherrn zu und begrüßte ihn; Herr von Badell dankte wesen. so widerwillig und finster, daß der Ritter stuzzig ward. Da mußte Unheil im Werke sein. Er fragte nach Agnes.

Wenn Ihr Jene meint", antwortete Anton von Badell barsch, der die Prediger Eurer Schwarmgeister den Kopf verdreht haben, also daß sie ihrem Vater ungehorsam ward, so sag' ich Euch: ich habe keine Tochter mehr!"

Da berichtete ihm der Wirth, was vorgefallen, und wie Agnes gestern Nacht noch gen Würzburg   geritten sei.

Eine ungeheure Angst befiel Herrn Florian; er dachte sich Agnes in tausend Gefahren; er dachte an die Doppel­züngigkeit, Unzuverlässigkeit und Verdorbenheit Grumbachs; ihm war zu Muthe, wie Einem, der eine liebe zarte Taube " Herr, ich versteh Euch nicht," sagte Herr Florian be- von hundert Falten und Habichten bedroht weiß. Er befahl den Reisigen, sofort die Rosse zu sattelu, um gen Würzburg   zu Wohl sie; ich weiß wohl, daß Ihr sie im Ungehorsam reiten. Sie thatens mürrisch, denn sie wären gern in dem lustigen Rothenburg   geblieben. Menzingen fam " Ihr wolltet sie zwingen, einen Maun zu heirathen, den und brachte den von Rath und Ausschuß geschriebenen Bündnißvertrag; vergebens lud er den Freund ein, zu Gast Das sind meine Sachen, Herr Ritter. Und wenn Ihr bei ihm zu sein. Er hab' es eilig in diesen Zeiten, sagte Herr Florian; er nahm dem Menzingen das Versprechen ab, daß die beiden Geſchüße den folgenden Tag nach Würzburg  geschickt würden, und ritt mit den Seinigen davon. Men­

Auf dem Markte richteten sie eben den Galgen auf, vor dem stattlichen Herrenhause Derer von Rein, wo einst der dänische König Christian I. fein Quartier gehabt. Biel   Volks troffen. drängte sich auf dem Markt; dort stand auch Kunz Kreg-| linger, der Junker, und sah mit finsterem Antlig zu, wie sie beſtärket habt." den Galgen aufrichteten. Da stieg auf den Galgen ein Bäuerlein aus dem Taubergrund, das dem Junker zu fie nicht leiden mochte." frohnden hatte.

"

Lieben Freunde," rief das Bäuerlein ,,, ein Galgen giebt an der Spize des ganzen schwarzen Haufens daher kommet, teinen Respett, so lang' nicht Einer daran hängt. Und da so möget Sihr der Stadt Gesetze vorschreiben, aber nicht wüßt' ich keinen Beſſeren zur Zier, als meinen lieben Junker mir, wem ich meine Tochter geben soll. Damit Gott be­Kunz Kreglinger, damit ich endlich meiner Frohnden ledig fohlen!"

werde."

Und Herr Anton von Badell schritt ingrimmig aber Ein wildes Gelächter erscholl und einige fremde Ge- majestätisch davon. Herr Florian stand starr; solchen Troß und solchen sellen schienen schon Ernst machen und den Junker greifen

zingen sah ihm kopfschüttelnd nach.

Den nächsten Tag ging auch das Rothenburger Geschüt nach Würzburg   ab, zwei vortreffliche Nothschlangen, dazu Pulver und eiserne Kugeln auf vier Wagen. Ehrenfried vollem Harnisch mit, desgleichen einige Söldner der Stadt, darunter der Schäferhans. Ein stattliches Geleite von be­waffneten Bauern aus der Landwehr zog mit. Unter dem

zu wollen; der erbleichte und schaute nach einem Ausweg Eigenwillen hatte er nicht erwartet. Er sah wohl, daß mit Kumpf, sein Bruder Jörg und Jörg Spelt ritten in

um. Herr Florian aber trat zum Galgen und verwies dem dieſem alten Eisenkopf nichts auszurichten war. Er trat in die Herberge von Hanns Kreyer, wo er seine Bäuerlein sein Gebahren mit strengen Worten. Die Frohu Die saßen fröhlich am Tisch mit den

den seien soeben abgeschafft, sprach er, und ohne Urtheil Reisigen wußte.

und Recht könne Niemand an den Galgen kommen. Einige Bauern, die hereingekominen waren, und spielten mit ihnen Thor   kam auch der Doktor Karlstadt  , den Ehrenfried Kumpf murrten leise, Kunz Kreglinger aber nahm den Augeu- das Zunterst- Böberst. Andere sangen.

blick wahr und entwich.

In diesem Getümmel sah Herr Florian die stattliche

Wir seyn geschickt zum Sturm, zum Streit!" Hanns Kretzer, der Wirth, bot Herrn Florian

bewogen hatte, mitzureiten. Als der Schäferhans, dem das Grüne und Gelbe schon herausrann, weil er mit gen Würz­einen burg mußte, den verhaßten Doktor sah, schrie er: