BUNTE WELT
Nr. 10
Unterhaltungsbeilage
Betty
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Skizze von Grete Livius
1934
Die Zeit, da man Beith schlichtweg Bo-| abendlicher Beleuchtung. Betty glaubte, einen gebener, allzu billiger Liebe. Indessen weiß ženka oder auch Božka nannie, lag noch nicht all- festlichen Saal ohne Wände den Himmel als Betty viel. Sie hat Erkenntnisse gesammelt. zulange zurüd. Ungefähr zwei Jahre. Betty Plafond darüber vor sich zu sehen. Viele Aus eigener Erfahrung. selbst erinnerte sich ihrer nicht ohne Wehmut Menschen drängten sich. Niemand beachtete sie. Aus eigener Erfahrung weiß sie von der und eine leise Sentimentalität, gemildert durch Und wenn mit fleinem, belustigten Lächeln. | Lüge ihres Lebens. Von dem falschen Glanz, Ironic. Ein Gassenjunge rief ihr lichernd zu:„ Na, du den falschen Freuden und den falschen ZärtlichBetty gestattete es sich mitunter zu träu- Unschuld vom Lande!" Und als er dies sagte, feiten. Mitunter nicht regelmäßig liest sie men. Meist in den Augenblicken zwischen Er- war er so weise wie ein Lausbub von Shake- Beitungen. Es geschehen schreckliche Dinge in wachen und Aufstehen. Dies Ereignis begab sich speare. Denn er hatte damit die reine Wahr - der Welt. Es wird gehungert und gefroren, es wird geschlagen und geschossen. Alles ist in stets zur Mittagsstunde, also dann, wenn ordent- heit gesprochen.
liche Leute bereits einen halben Arbeitstag hinter Was dann geschah- wie alltäglich war Rebellion, in Aufruhr, und dunkel fühlt Betty, fich haben. Das Mädchen, heute 23 Jahre alt, es, mußte Betty später konstatieren. Mindestens daß diese Welt, so wie sie ist, nicht bleiben darf. nahm es sich jedoch nicht sehr zu Herzen, über die Hälfte ihrer Berufskolleginnen hatten ähn- Aber das ist bei ihr ſchon jenseits von Wiſſen eine andere Tageseinteilung zu verfügen. Be- liche Erfahrungen gemacht. Es redete sie und Erkenntnis, iſt ſchon Gefühl und nicht mehr gann doch für sie das Tätigſein, wenn iene iemand an. Freundlich, hilfsbereit. Betty war Rechtschaffenen sich müde zur Ruhe legten. Denn Veith war ein Barmädchen.
Dies ist kein Beruf, den man erlernt. Da zu kommi man durch Zufall, durch Schicksal, man iſt es eines Tages. Beith war eine von den vielen. Gelernt hatte sie nichts als das, was zu einem fleinbäuerlichen Haushalt gehört. Denn sie stammte vom Land. Die Zimmer jäubern, ein bißchen waschen, ein bißchen plätten und ein bißchen tochen. Als Hausgehilfin dachte Beith damals Božka- einmal Stellung zu finden. Aber ihr Geschick wollte es
anders.
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Berſtand.
Auch ein grauer Tag geht herum. Es „ Bum wurde Abend. Betty kleidete sich an. Dienst", wie sie es bei sich nannie. Nach Bad und Körperpflege, nach Herſtellung eines fünftlichen Gefichts, in dem alle Pastellfarben der kosmetischen Industrie sich Rendezvous gaben, nach dem Kämmen des künstlich erhellten Haares, trank Beith zur Krönung des Ganzen einen Rognat. Sie brauchte dies so nötig, wie von Beit zu Zeit das Pulver Cocain , um jene Elaſtizität und Straffheit vorzutäuschen, über die sie bereits nicht mehr verfügte...
Hungrig und müde. Die Eltern hatten sie gewarnt, ängstlich, mißtrauisch, wie bäuerliche Menschen sind. Vor jungen Männern solle sie sich hüten. Aber der da vor ihr stand, war nicht so jung. Mindestens schon vierzig. Und er hatte beim Sprechen etwas so Aufrichtig besorgtes in der Stimme. Gut gekleidet war er auch. Mit sorgfältiger Korrektheit. Er fragte sie, ob sie ein Unterkommen für die Nacht habe. Betty ſchüttelte den Kopf. Und plötzlich fühlte sie entjeßt, wie schwer es ist, allein zu sein. So flüchtete sie sich angstvoll in die Zweisamkeit mit einem Unbekannten. Dieser Mann war durch= Einen Mantel, weit weniger kostbar als das Realist. Das Kleid, das sich an ihren Körper schmiegte, um die Betty sieht das alles noch vor sich, als habe aus kein Schurke. Hingegen sozusagen unerwartet Schultern, ging Betty in die Bar. Noch war es sich geſtern zugetragen und nicht vor zwei Geschenk der Tugend überraschte ihn ebenso sehr, wie es ihn ver- es früh. Noch gab es keine Gäste. Die Mujit Jahren. Während sie darüber denkt, liegt sie in einem nicht sehr ordentlichen Zimmer auf wirrte. Seine Dankbarkeit hielt einige Wochen spielte in einem Raum aus Rot und Gold vor vor. Diese Wochen genügten, um aus Božka leeren Tischen. Der Miger gähnte hinter dem der von ihrer Wirtin so benannten„ Couch“, Betty zu machen. Aus dem fomischen Land- Bartisch. Eintänzer, irgendwo gestrandete obwohl in Wirklichkeit ein altmodisches Plüschding. Sie raucht, sie fröstelt leicht im grauen, mädchen mit buntem Kleid und gelbem Korb Eriſtenzen, oder arbeitslos ohne Schuld, tamen ungewohnten Licht des Vormittags, da sie ein Geschöpf der Großstadt. Nach der ersten und tanzten mit den Vardamen, um fommenGlanz und Helligkeit elektrischen Lichts, eine Nacht hatte Beith geweint. Nach der zwanzig- den Gästen Stimmung vorzutäuſchen. Warum sah Betty dies heute abend besondurch Musik und Alfohol künstlich beschwingte sten fand sie den würdigen Freund langweilig. Atmosphäre braucht, um das zu scheinen, was Die Trennung vollzog sich schmerzlos. Drei ders scharf? Warum fühlte sie gerade in diesie in Wahrheit schon längst nicht mehr ist: eine Tausend- Kronenſcheine, nach einigem Besinnen sem Augenblick Efel vor einem Leben, das sie gegeben, blieben ihr nebst allerlei hübschen doch schon bis zum Ueberdruß gewohnt war? junge, blühende, liebesbegabte Frau. Sachen zur Etablierung eines neuen Lebens. Für drei Tausend- Kronenſcheine verkaufte Betty die Erinnerung an Božka.
Und so ist der Rückblick:
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Doch vielleicht kam es eben gerade von diesem Weberdruß...„ Zu wenig getrunken", dachte Es war ein herbstlicher Abend. Kurz beBetty und ging an die Bar. Das wurde zwar vor der Zug in die Bahnhofshalle einfuhr, ſah Das neue Leben? Es fehlte Betty nun nachher von den Prozenten abgezogen, was ſie Benty die hügelige Stadt mit ihren hundert mehr völlig die Lust am Hausgehilfinnen- fich jetzt bestellte. Aber es war ihr schon gleich. Türmen in mildverschwimmendem, violettem Dasein. So wurde sie zuerst Modell und später Betty trant hastig. Trant viel durcheinander. Licht. Sie selbst, Betty, glich äußerlich unge Bardame. So wurde sie„ etvige Geliebte der Gin und Whisky und Kognak. Und dann war fähr jenen ländlichen Karifaturen, wie sie Großstadt", wie sie ein junger, blonder, leicht sie plötzlich sehr schön. Sehr ſtrahlend. Zeichner gern in Wigblättern darzustellen pfle- versoffener Lyriker nannte. Er schrieb ihr mit- Sie gefiel dem Mann, der jetzt allein in gen. Sie trug einen komischen Hut, ein buntes unter Gedichte, wenn er des Abends in die Bar die Bar kam, besonders gut. Der Mann im Kleid, und ihr Gepäck bestand aus einem gelben, fam. Nach dem fünften Whisky benutzte der graumelierten Haar trug einen Smoking. Er strohgeflochtenen Korb. Dieſen Korb sehr krampf- Lyrifer die Kassenzettel, ausgestellt von Bar sah aus wie ein Bankdirektor, der von einer Haft in der Hand, stieg ſie aus dem Zug- das mädchen Beith, um der ewigen Geliebten" Auſſichtsratsſißung kommt. Er sah aus, als Herz klopfie ihr hörbar und dann ging sie seine Verse zu widmen. Schwungvolle, begabte, habe er sich zwei Stunden tödlich gelangweilt einfach, unbeirrbar, instinktiv durch alle mög- aber auswegloje Verje. und suche nun etivas Zerstreuung. Leute mit lichen Straßen und Gassen, bis- ja bis sie Die Zigarette ist zu Ende geraucht. Trübe Geld zerstreuen sich gern in einer Bar. Dort auf den großen Play tam. sicht Betty in das unbarmherzige Licht. Wach ist es warm, hell, Mujit gibt es und zu nichts und scharfsichtig hat sie dieses Leben gemacht. verpflichtende, hübsche Frauen. Doch auch schlaff. Bermürbt ist sie von Alkohol Der Mann im Smoking bittet sie zum und Rauch, von schnell genommener, schnell ge- Tanz. Betty weiß nicht, warum. Aber der
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Betih steht von der„ Couch" auf, tritt zum Fenster. Der große Platz liegt vor ihr, wenn fie in die Tiefe sieht. Damals flammte er in