BUNTE WELT

Nr. 12

Unterhaltungsbeilage

1934

Ein Filmland stellt sich um

Der Einbruch der Wirklichkeit in das Filmfchaffen Amerikas  

Als nach dem Krieg die ersten amerikani­ schen   Filme zu uns famen, bestaunten wir ihre technische Vollkommenheit und den Steichtum der aufgewendeten Inszenierungsmittel; ihre Deto­rationen waren prunkvoller als die europäischer Filme, ihre Statistenheere größer, ihr Schaue Spielermaterial differenzierter. So großartig aber die Aufmachung dieser amerikanischen   Filme war, so armselig waren sie in geistiger und künstlerischer Hinsicht. Schneller als in Europa  war in Amerita die Filmherstellung von großen Konzernen zu einem rationalisierten Betrieb ge­staltet worden, der am laufenden Band nach einigen wenigen Schablonen Unterhaltungsware erzeugte. Es gab den Wild- Westfilm, es gab den Detektivfilm, es gab die Gesellschaftskomödie und das große Ausstattungsdrama; Anjäge zu einer eigentüchigen Filmkunst fanden sich nur in der Groteske, die von der Zirkusclow­nerie herkam und von Charlie Chaplin  , später auch von Buster Keaton   und Harold Lloyd   zu einer filmischen Kunstform aus­getveitet wurde.

Von Friz Rosenfeld.

und es war ganz gleichgültig, ob das Böse| Weiße Schatten und Das Lied der Südsee", nun ein Räuber des Wilden Westens   oder ein die bei allem romantischen Zauber, den sie ente Diamantendieb der Großstadt, ein Verräter in falten, die brutale Ausbeutung der Südseeinsu< einem historischen Kostümfilm oder ein hab­gieriger Schurke in einem Dschungeldrama war. Der junge Mann machte Karriere, das junge Mädchen heiratete den bildschönen und schverreichen Bankdirektor, die berühmie freie Bahn stand dem Tüchtigen offen und es gab weit und breit nichis, das den braven amerika­ nischen   Bürger, der im Kino die weiße Leinwand mit der Welt der Wirklichkeit verwechselte, an der Gerechtigkeit unserer Gesellschaftsordnung und an der Weisheit des Vorsehung konnte atvei feln lassen. Der Tonfilm brachte in das Idyll der schönen Bilder noch die einschmeichelnde sentimentale Musik schmachtender Liebeslieder und süßlicher Revuefilmarien. Zwischen dem Film und der Wirklichkeit war eine Mauer auf­gerichtet, die des Filmateliers; draußen mochte der Lärm des Tages, der Schrei der Not, der Klageruf einer verzweifelnden Menschheit an die Betonwände branden drinnen spielten elegant gekleidete Herren und Damen in den Dekoratio­nen von Lurusvillen ein Scheinleben ewiger Glückseligkeit.

laner durch die weißen Händler und ihre Hel= fershelfer, die Missionäre, darstellen; es entsteht King Vidors   prächtiger Negerfilm Halle­lujah", der eine bisher im Film zum Clown erniedrigte Rasse in der sozialen und psycho­logischen Situation zu schildern unternimmt, in der sie in Amerika   lebi; es entstehen Gesell­schaftssatiren wie Ernst Lubitschs Trubel im Paradies", ein Film, in dem die gute Ge sellschaft und die Hochstapler und Taschendiebe nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind, es wird ein Film wie Bankfracy in Amerika  " ge­dreht, der die gewissenlose Spekulation der Geld­hhänen in den Börsenbüros mit geſellſchafts­fritischem Realismus zeigt, ein Film wie Das Frauengefängnis", der zugibt, daß hohe Richter von den Gangstern bestochen sind, ein Film wie Korruption", der die Abhängigkeit des gesam ten Juſtizapparates und der gesamten ameri fanischen Polizei von den Alkoholschmugglers banden und den Terroristen der Unterwelt eins gesteht, ein Film wie Der Mann mit der Narbe", der die unheimliche Macht der Vers brecherwelt über die angeblich so unerschütterte und geordnete Welt der kapitalistischen   Gegen­wart andeutet. Wer hätte noch vor zwei Jah ren in einem Film zeigen dürfen, daß ein hoher Richter im Auftrag eines Gangsters, der ihn bestochen hat, einen Unschuldigen an den Galgen liefert? Wer hätte noch vor zwei Jahren einen Film wie Revolution der Jugend" für möglich gehalten, in dem die Studenten einer amerikanis schen Universitätsstadt einfach den Machtapparat des Staates, Polizei und Behörden, beiseite schieben, um eine Verbrecherbande zur Strede zu bringen, die der Stadt Kontributionen auf­erlegt, jeden Geschäftsmann niederschießt, der den vorgeschriebenen Tribut nicht erlegen will und in ihrem Treiben von den hohen Richtern, von den Hütern der Ordnung nicht gehindert, Ein Einbruch der Wirklichkeit in sondern stillschweigend unterſtükt wird? In den Film erfolgte. Themen, denen man jahre- Revolution der Jugend" fiegt das Rechts­lang vorsichtig ausgelichen war, wurden nun gefühl junger Menschen über den verkallien und behandelt. Ferne Länder, ehemals nur Kulisse forrupten Staatsapparat; in Zwischen heute für romantische Abenteuer, wurden in reportage- und morgen" nimmi fich ein vom Volk gewählter artigen Filmen sozialkritisch dargestellt. Die Präsident selbstherrlich Diftatorenrechte, besiegt Verbrecherwelt, Schauplas fnalliger Detektiv die Gangster, gewinnt die demonstrierenden stüde, in denen stets die Polizei siegte, wird mun Arbeitslosen für sich und schließt in einer utopi aus dem Blickwinkel der Gesellschaftskritik analytischen Szene einen Weltfriedensvertrag mit fiert. In der Konversationskomödie, bisher das Von einer strengen Bensur, die die Film- Reich der von der Wirklichkeit losgelösten Schein­industrie sich in der Form der von den Film probleme und Scheinfiguren, flingen fati­gesellschaften gegründeten und bezahlten Hay 3- rische, ironische Töne auf; man interessiert sich Organisation selbst auferlegt hatte, über- für die Juſtiz, für den Strafvollzug im Bucht­wacht, war der amerikanische   Film bis vor haus, für die Vorgänge an der Börse, in der wenigen Jahren in neun von zehn Fällen ein Bantwelt, für den geistigen Umschwung an den moralisches Kindermärchen. Der Universitäten. Es entstehen Filme wie Van Sieg des Guten über das Böse wurde gefeiert Dyde 3 wundervolle soziale Südseereportagen

Der amerikanische   Film eroberte den Welt marki, er beherrschte den Kinospielplan aller Kontinente. Aber er begann auch, die Filmfünft­ler aller Kontinente an sich zu ziehen. Die märs chenhaften Dollargagen, die Hollywood   den Schauspielern und Regisseuren Deutschlands  , Frankreichs  , Schwedens   bot, die größeren, gün­ftigeren Möglichkeiten führten knapp hinter einander Ernst Lubitsch  , Mauris Stiller, Paul Leni  , F. W. Murnau, A. E. Du pont, Greta Garbo  , Pola Negri  , Emil Janning 3, Conrad Veidt   und biele andere in die amerikanischen   Ateliers. Die Regisseure vor allem suchten die ungeheuren technischen und finanziellen Mittel Filmamerikas ihrem schöp ferischen Kunstwillen dienstbar zu machen, und Lubitsch  , Stiller, Feyder, Leni waren es, die die besten amerikanischen   Filme am Ende der Stummfilmzeit und am Beginn der Tonfilmära drehten. Gleichzeitig mit der rapiden fünft lerischen Entwicklung des amerikanischen   Films vollzog sich der von der Wirtschaftskrise und den politischen Wirren bedingte katastrophale Verfall des europäischen, besonders des deutschen   und des italienischen. Durch den Tonfilm hatte Holly wood zwar seine Vormachtſtellung auf den Film­märkten der Welt eingebüßt, aber es eroberte fie bald zurück- diesmal nicht allein durch seine materielle Ueberlegenheit, sondern durch die Qualität seiner Erzeugnisse.

Bis die große Krise, die Amerika   ergriff und die Periode der Prosperity" abschloß, diese Mauer niederriß. Die Menschen, die am Tage mit einemmal in das nadte Antlig der fapita­listischen Welt blickten, die die Gegenfäße von reich und arm, an denen sie bisher vorüber geschaut hatten, nun am eigenen Schicksal er­lebten, die in die tausend Widersprüche eines auf Ungleichheit und Korruption gegründeten Systems veriidelt waren, ließen sich auf der Filmleinwand nicht mehr die lieblichen Märchen vom Hanz im Glück und von dem maſchin schreibenden Aschenbrödel, das den Dollarprinzen bekommt, vormachen. Sie wurden kritisch sie gingen nicht mehr so oft ins Kino, und der Film mußte sich umstellen, wollte er die Bu­schauermassen von früher zurückgewinnen.

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allen Staaten der Erde. In diesen beiden Fil men sind die fascistischen Einflüsse unverkennbar; Amerika   gudt den fascistischen Staaten die äußere Form der Organisation der Jugend, das Führerprinzip und anderes ab und sucht sich in seinem Film mit allen diesen Dingen auss einanderzusehen. Der einft lebensferne, welt­fremde Film nimmt au politischen Fragen des Tages Stellung; nicht, weil ein innerer Drang