BUNTE WELT
Nr. 16
Unterhaltungsbeilage
1934
Das Spiel im Klostergarten
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Wir waren schon recht müde, als wir ferne Lichter blinken sahen.„ Ach, ein Schloß, da gibt's vielleicht Quartier in der Gesinde kammer."„ Oder der Bejizer selbst empfängt uns und läßt uns auftragen, mit Silberzeug und Damast! Erinnert ihr euch? In Lytsele; der tai's. War ein feiner Hecht." „ Ja, der in Lytsele! Mensch, das war ein Leven."
Das Schloß, das wir zu sehen glaubten, schien einsam am Waldrand zu stehen. Man sah keine Kirchen und keine Umrisse von Häusern. Das flobige schwarze Etwas dort mit den Lichtern wird ein Kloster sein", riet Hanna, die Jüngste.
Georg, Hanna und ich gingen nun rasch die Straße hinauf. Etwas bergan.„ Kinder, neun Uhr iſt's, was haben wir aber schon hinter uns! Zwölf Stunden Tannenwaldmarſch, das will was heißen. Der Böhmer wald ist schön."
Endlich ist das Gebäude in nähester Sicht, Hanna scheint recht zu behalten, das wird ein Kloſter ſein.
Richtig! Ein Bruder Pförtner öffnet. Georg, der Junge, wurde ins Treffen geschickt: nein, hier wäre keine Bleibe für die Nacht und überhaupt: das ist hier das Haus eines Büßerordens mit Fasten, Beten und Kajteien. Und ums Haus herum gab's nichts. Steine Accer, feine Wiesen, feine Meierhöfe, von drei Seiten lag Wald und dazwischen stille Seen, und die Landstraße führte einen ängstlichen Halbbogen um den Hügel.
Der Pföriner reichte Georg ein paar ge= backene Fladen und riet uns, noch eine Stunde zu gehen, im Dorf dort gibt's ſicher Unterkunft. Da trollten wir ab. Hanna aver setzte sich nach ein paar hundert Schritten auf einen Kilometerstein:„ Hol's dieser und jener, ich geh keine Stunde mehr, keine Viertelstunde mehr, aber eine Idee hab ich! Wir steigen einfach über die Gartenmauer und schlafen eine Nacht im Klostergarten, das ist was ganz Apartes und Gewagtes, und außerdem: die Stlausur erstreckt sich doch bloß auf die Steinquadern, nicht aber auf Busch, Baum und Gehege."„ Und die Mauern?" wagte ich ſchüchtern einzuwenden, wurde aber wegen „ Bremerei" aus dem Rate der Drei straks ausgeschlossen. Schließlich waren wir doch alle rechtschaffen müde und hofften, eine Laube oder einen dichten Rosengang zu finden, wo wir uns in die Schlafsäcke begeben konnten. Ganz vorsichtig überstiegen wir die nicht allzu niedrige Mauer, sprangen barfuß in nachttaunasses Gras und tasteten uns vorwärts. Georg wagte nicht, die Taschenlampe zu be nüßen und wir konnten nichts schauen in der sternlosen Dunkelheit. Der Himmel war boll dicker, dunkler Wolfen, vielleicht gab's zum Ueberfluß gar noch Regen?
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Wir beschlossen, mit einem refignierten „ Spuck drauf, Kunde", Schluß zu machen
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Von Gerda Morberger
und unter dem nächſtveſten Baume„ Nacht "| zu machen. Ich konnte mir die bijjige Bemerkung:„ Um unter einem Baum zu schla fen, braucht ihr einen Stlostergarten?" nicht vertneifen. Das wurde mit schweigender Verachtung quittiert.
„ Lieber, guter Georg, spiel was auf deiner Fiedel, du machst schon teine Stazenmujif." Und Georg, gepackt von Hannas fixer Idee" und wohl dieser Augustnacht mit ihren Stimmungen und Lockungen und ihrem Geheimnis ergeben, zog in der FinDann lagen wir still und schielten dann sternis die Geige hervor und begann leise zu und wann zu den Fenstern hinauf, und in spielen. Er wußte ja selbst, daß er ein Künst manchen von diesen niedrigen, schmalen Fenler war und eine Zeit, die besser sein wird, ſtern brannte noch Licht. Mählich aber ver- als diese Notzeit jetzt, wird ihm Entfaltungslöschte eines und das andre, bis nur noch möglichkeiten geben... Also Georg ſpielte eines übrig blieb! Ganz hoch oben brannie wunderbar, und wir waren ergriffen. Zwei, es. Dem Insassen dieser Zelle war wohl fein drei Weisen sangen wir mit verhaltener Schlaf gegönnt. Stimme mit, und dann spielte er etwas, was ihm gerade so in den Sinn kommen mochte. Er ſchien allez um sich vergessen zu haben. Manchmal jeste er etwas länger ab. Wir rührten uns nicht. Bald waren es Melodien voll Wildheit und Aufruhr, dann war Friede drin und Ruhe, bald klang es verzweifelt und ſchien aus Elend und leberdruß zu kommen
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Und da begann Hannas Phantajie blü hende Formen anzunehmen." Seht hinauf; der Arme, er muß beten und heiß ist ihm wohl in der ſtickigen Zelle. Er sucht Mühlung in der Abendluft. Ich sehe seinen Stopf, jetzt lehnt er am Fenster und stüßt ihn in die Hände." Ich pruſtete:„ Ich bitt' dich. Hanna, hör auf und schlaf morgen müſſen wir weiter..."
Aber Hanna hörte nicht auf. Sie war ganz Mitleid und Menschenliebe:„ Ich sehe alles mit meinem Dschungelangen, oh, und eine Idee hab' ich schon wieder... wir machen ihm Mujik, das wird ihn ein bißchen
- zerstreuen."„ Du bist wohl übergeschnapppt, Hanna, seien wir froh, daß wir hier sind, noch mit Kaßenmujit die drin auf uns aufmerkſam machen?"
Es dient höchst verschiedenen Intereſſen, und die Jahreszeit fehrt alles um. Wenn es warm ist, wird das Eis gegessen. Wenn es falt ist, fährt man drauf herum. Sprung und Spißentanz und Pirouette führt man aus und lächelt noch dabei! Wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, glaubt ich feinem, daß es möglich sei.
Hin ist hin. Auch wenn wir abends frieren in dem Himmel ist schon Konferenz: und der Winter muß demissionieren, und das neue Kabinett heißt Lenz!
Kleiner Krofus fauert zwischen Gräfern. Aus der Eisbahn wird ein Tennisplatz. Und die Luft ist blau und zart und gläsern. 6: 2 verläuft der erste Sayz. Hingerissen dichten die Poeten.
Schreibpapier wird, wie wir hören, fnavp. Und die Springer und die Leichtathleten lösen nun die Schlittschuhläufer ab. Wer ein Pferd hat, macht jetzt Morgenritte. Mich persönlich stört daran der Preis. Und im Freien sigend, ruf ich:„ Bitte, Ober, ein Vanille- Eis!"
- dann klang wieder Hoffnung und Erleuchtung durch, und nun jubelte sein Bogen über die Saiten um sich plötzlich zu befinnen: an dieſem Ort? In dieſer Kloſterbüßerſtille? Und in leiser Trauer verklang ſein Spiel...
Mit einemmal brach der Wolkenschleier, der Mond kam voll und schimmernd hervor
und wir löſten uns aus dem Bann. Da haben wir nun das Wirkliche. Nicht ge= ring war unser Erstaunen: aus allen Zellenfenstern beugten sich Köpfe und das sah gespenstisch genug aus. Doch wir wurden fühn. Ich holte die Klampfe hervor, Georg stemmie wieder die Fiedel unters Kinn- und wir machten eine Liedernacht, wie weiland die sagenhaften Sänger des Wartburgkampfes es getan haben mochten.
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Und wir sangen und spielten, bis der Morgen graute, und die Zuhörer blieben an den Fenstern. Da sahen wir Köpfe mit Tonsuren, sahen Affetengesichter, lang und schmal, und gewahrten auch dicke. gedunsene, sahen gelöste und gespannte Mienen, Antlige voll Schwvermut und das war ein um vergessenes Bild.
Aber wir fühlten, daß wir all denen den flaren Morgen der Nüchternheit und Reue erſparen mußten.
Daher: schnell zusammengepackt und davon. Ein furzes, grüßendes Handheben, wir laufen der Mauer zu da fällt ein schwarzgebundenes Buch. Hanna hebt es auf. Und nun über die Mauer und wieder die Landstraße weiter.
Die Sonne lacht, ein Lastkraftwagennimmt uns mit. Nun besehen wir uns das aus der Klosterzelle gefallene Buch: ein Liederbuch aus dem Mittelalter. Mit einem Stückchen Draht ist ein Zettel befestigt:„ Viel Dank dem Spieler und Dank für das schöne Singen und für die Freude, die uns durch euch zuteil ward."