BUNTE WELT

Nr. 20

Linterhaltungsbeilage

1934

Die Krinoline der Kaiserin Eugenie

Ein Blatt aus dem Heldenzeitalter der Pariser Halbwelt

Von Martha Föder

In schmerzhafter Qual vergrübelt Eugenie ihr Hirn. Die jähe Unterbrechung ihres Schmet terlingslevens scheint ihr unerträglich. Da läßt fie ihren Schneider kommen, den einzigen Mann, dessen Befehlen sie sich bedingungslos fügt. Er muß einen Ausweg finden.

Wir schreiben das Jahr 1851. Die Wellen| wie sie empfängt und welche Männer sie gerade| stillen Erwartung auf ein gar nicht erwünschtes der Revolution find verrauscht, die Seine fließt bevorzugt, das gudi ihr alle Welt neugierig und Ereignis füllen fann. wieder ruhig unter den unzähligen malerischen die Frau, die Geliebte des Mannes, spielt die Brücken. An ihren Ufern stellen wieder die flei- gesellschaftliche Rolle. Maitresse eines Bantge­nen Bouquinisten ihre alten Bücher aus, Liebes- waltigen zu sein, reich, also beneidet, im Flim paare Tassen ihre dunklen Silhouetten in ihrem merlicht einer Opernprentiere an der Brüstung Wasser spiegeln. Zu den kaiserlichen Räumen, in der Loge hingelehnt zu jizen, Hunderte Opern­denen vor einem halben Jahrhundert Napoleon , guder auf sich gerichtet, das wurde nicht nur der das Soldatengenie, refidierie, ist wieder ein brennende Traum jeder Frau, sondern das zei­Und er fand ihn. Der Kleiderfünstler mit Bonaparte eingezogen. Das zweite Kaiserreich tungsfüllende Geſellſchaftsereignis, das Tages- den tausend Einfällen, der die Kaiserin aus den nimmt seinen Anfang. gespräch einer ganzen Stadt. Stenereingängen eines gangen Voltes in immer neue, immer gewagiere Brunftoiletten hüllt, bez­sprach ihr nicht nur seine Hilfe, ſondern eine ganz besondere Sensation.

Neue Tumultpläge des Lebens.

Und die Kolotte herrscht. Alles neigt vor ihrer groß aufgemachten Schönheit das Haupt. In Paris , der unvergleichlichsten aller Ihr frech enthüllendes Dekolleté, ihr gewagies Städte, atmet jeder Plasterstein Geschichte. Der Retrouffé, die Art, wie sie den Riesenrock hebt, Abſchnitt, der jetzt folgen sollte, war lärmend ist unerreicht. Niemandem fällt es ein, nach widerlich. Nicht mehr um die großen Dinge der ihrer Herkunft zu fragen. Mag fie der Hefe des Menschheit geht der Streit, Madame Liberté, die Volkes entitiegen oder das Kind ehrlicher Ar­göttliche Freiheit ist verbannt. Unter dem faiſer- beitsiente sein, mag die eigene Mutier jie ver­lichen Abenteurer Napoleon III. und seiner to­ketten spanischen Gemahlin hat das Leben einen ganz anderen Inhalt bekommen. Nicht mehr Verstand, nicht mehr Tüchtigkeit und Mut, nicht mehr Treue und Ausdauer haben Anspruch auf Achtung. Jest zählt nur Geid. Die Börje wird zum Mittelpunkt; Salon, Balliaal, Theater, Seebad und Alkoven find die neuen Tummel plage des Daseins geworden. Und der Mensch fängt beim Marquis an.

Napoleon III. , der erfolgreichste aller Glückspieler seiner Zeit, läßt die Politit seines Hofes sehr wesentlich durch seine ebenso pifant fajöne, wie raffiniert fluge Gemahlin Engenie beeinflussen, die zur Kaijerin gekrönte Gräfin Montijo. Als es zu einem Konflikt mit dem Papi tam, ging durch ganz Paris folgender Reim:

Und läßt er nicht den Papst in Ruh', So fügt sie fich ein Leide zu. Sie duldet es nicht länger. Denn muß der Papst aus Rom abzieh'n, So macht sie- ihre Krinolin' Um eine Handbreit- enger!"

Wie sehr der Kaiser unter dem Pantoffel stand, zeigte auch die so berühmt gewordene Karikatur, die ihn als verliebter Adler" zeigt, wie er sich geduldig von seiner Gemahlin die Krallen schneiden läßt.

Königin Kokotte.

Der Reifrud erblickt wieder das Licht der Welt.

Tagelang schreiben die Modeberichterstatter von einer bevorstehenden großen Uebercaichung beim nächsten faiserlichen Empfang. Aber fein Bipfelchen des Geheimnisses wird verraten. Die Damen der Halbwelt fiebern vor Erwartung. Künstlerinnen und Tingeltangelſtars warten mit ihren Bestellungen. Welches neue Diktat wird jie verkünden, Eugenie , die Kaiſerin von Modes Gnaden?

tuppelt haben, nun gift nur der schillernde Glanz ihres Salons, der unschäzbare Wert ihres stets zur Schau getragenen Geschmeides. Emile Zola hat in seiner unsterblichen Nana das Bild iener feilen und geilen, dabei oft gescheiten und gar nicht glücklichen Frauen gezeichnet, die in tollem Aufstieg und jähem Sturz unvergeßliche Genießerinnen des Lebens waren. Und eben Und dann, im herrlichen Festsaal, von vie jener Dumas der Jüngere lieferte dann der Skolen hundert Lichtern umschmeichelt, ranicht fotte auch noch den Heiligenschein wahrer Liebe Eugenie herein und alles blidt wie gebannt auf in der Stameliendame". Die lungentrante Lies fie. Weit mußten die Flügeltüren aufgerissen bestünstlerin, die, den Tod als Galan stets um werden, die erste Frau des Reiches nahm dies. fidh, immer noch Herzen erobert, hat viele Gene- mal fast die Hälfte der Saalesbreite ein. Der rationen hindurch die größten Künſtlerinnen zur Darstellung gelodi.

Majestät erschricht.

Anführerin in diesem Reigen der nie aus jeßenden Vergnügungen ist die Kaiferin in höchst eigener Person. In den Sälen der Tuilerien löſt ein Ball den anderen ab, ein faszinierendes

Fest das nächste. Und Eugenie , umringt von einem Rattenschwanz deboter Verehrer, angetan mit den egtravagantesten Toiletten, ist obenauf. Majestät ist ein wandelndes Modeschaufenster. Im Hofbericht über den Neujahrsempfang vom 1. Jänner 1859 hieß es im Figaro":" Ihre beiden Majestäten waren außer höchstderen un­schätzbaren Person gestern 6 Millionen Franken

iveri."

Nicht der Mensch wurde geweriet. Nur das, was er auf fich trug.

Hofschneider hatte recht: es war eine ganz große Sensation. In einem Reifrod von geradezu übermenschlichen Dimenſionen glitt die Kaiserin über das spiegelglatte Parketi. Mit einem Naf­Taille noch wespenhafter, die Hüfien noch föſt­finement fondergleichen war jie geschnürt, die licher gerundet als sonst. Wie ein edles Schild wölbte sich die Gestalt unterhalb des Gürtels. Paris hatte eine neue Mode. Zum dritten Male in der Geschichte wurde die Krinoline zum Sum­bol der umivorbenen, allmächtig gewordenen Frau.

Play! Platz! Ich bin da!

Immer wieder ist es lohnend, dem Zusam menhange zwischen Mode und Zeitgeiſt nachzus spüren. Denn jede politische und gesellschaftliche Massenstimmung findet auch ihren Ausdruck im Kleid der Frau. Hätte es ein besseres Sinnbild Ist es ein Wunder, daß just in jener Zeit Da fühlte die Kaijerin eines Tages, daß jenes berüchtigien, hemmungslosen, ausbeuteri­der große französische Schriftsteller Dumas der fie Mutter wurde. Was anderen Frauen einen schen zweiten Kaiserreiches geben können, als Jüngere das seither in den Sprachschatz über- stillen Schauer der Glückseligkeit bringt, das er just die Krinoline? In ihrer unnatürlichen Sieff­nommene Wort von der Halbwelt geprägt hat? füllte die hohe Modedame mit Schreden. Ob heit, weit ausholenden Linien, mit der brutalen Das zweite Kaiserreich trug überall das auf Himmel! Würde sie nicht entstellt werden? Selbstverständlichkeit, mit der fie für sich Raum dringliche Patschouli- Parfum der deminonde, Eugenie bangte um ihre prachivolle Gestalt. heischt, mit den vielen Möglichkeiten koketten feine Blößen wurden nur allzu noidürftig von unerträglicher Gedanke, neun Monate hindurch Männerfangs, die sie bietet, durch das Geld, Spizendessous verdeckt. Die Halbweltdame ist nicht mehr die vielbewunderte und vielbegehrte das sie verschlingi, um das Traggestell kostbar zu zum Frauenideal geworden. Wie sie sich räuspert Herrscherin, sondern nur eine zurüdgezogene umhüllen, wird sie zur Verförverung der rüd­und wie sie spuckt, nein, wie sie tanzt und fingt, Frau zu sein, die ihren Alkoven nicht mehr mit sichtslos herrschenden, genießerisch gewordenen ängstlich ab und macht es ihr sflawisch nach. Nicht flüsternden Liebeserklärungen, sondern mit der beſſeren Geſellſchaft.