gtr, 4i iltiterflalftmoMOeilaoe 1034 WaGtmetfter Koval Die große Uhr an-er Bahnüberführung, die aus dem zerstiebenden Dämmer des ersten Tages herauszutreten begann, zeigte die vierte Stunde.-- -Der Alexanderplatz lag menschenleer. Nur hie und da strich wie ein eiliger Schatten eins der armseligen Freudenmädchen vorbei. Aus einer Destille mit Rachtkonzession in einer der Nebengassen, in denen die Häuser, entblättert, grau und menschenüberfüllt, wie verdorbene Greise die quälende Enge noch zusammenzu­rücken schienen, klang verworrener Lärm. Wachtmeister Fritz Kobaltz ging mit hartem, ruhigem Schritt über das Pflaster, die Hand lässig spielend am Gummiknüppel, die Augen auf den massiven Bau des Polizeipräsidiums ge­richtet, dessen düster-schmutziges Rot jetzt aus der fliehenden Nacht wie ein überlebensgroßes Gespenst aufzutauchen fchien- Ein langer, seltsam dünner Pfiff flog plötz­lich über den Platz. Er schien wie ein Faden in der feuchten Luft zu hängen. Wachtuieister Kobaltz sah sich überrascht um, die Gestalt duckte sich, in sein Gesicht kam ein lauernder AuSdnick. In rasendem Tempo fegte ein Radfahrer vorbei, ohne Licht, etwas Weißes, Zerknülltes in der Hand. Ein Häufchen Zettel flatterte vor die Füße des Wachtmeisters. Der Radfahrer war schon untergetaucht, verschluckt vom Nebel zwi­schen Tag und Nacht.,. Jetzt mochte er am Rathaus sein. Wachtmeister Kobaltz würde, wenn er zur Waffe gegriffen hätte, ins Nichts gefeuert haben. Er bückte sich. Griff die Zettel, die, primi­tiv vervielfältigt, noch nach dem Teer der Walze rochen, und las: Schupos! Kameraden! Brüder! Helft mit, das Ende der braunen Schreckens­herrschaft beschleunigen! Verbreitet die Wahrheit! Schießt nicht auf Eure Klassengenossen I Wehrt Euch gegen den Drill der fascistischen Reaktion. Der Sieg des Bolles naht! Schupo, willst Du mit den Mördern enden oder für die Freiheit kämpfen? Kame­rad, enffcheide Dich! Es lebe der Sozialismus!" Wachtmeister Kobaltz steckte die Zettel hastig in seine Rocktasche. In seinem hartge­meißelten Gesicht zuckte keine Miene. Der ge­sammelte Blick der grauen Augen ruhte auf dem schmutzigen Rot des Polizeipräsidiums. Tot, ver­lassen, stumm lag jetzt der Alexanderplatz . Das Aufllappern der Stiefel des Polizeibeamten, das in rythmischem Hämmern über den Platz schallte, war seine einzige Melodie.... Es ist eine Schande und ein Skandal, Herr Kommiffär", schrie Dr. Lützel und warf ein Aktenstück auf den Tisch, daß es knallte,wenn der Herr Ministerpräsident das erfährt, gehe ich hops! Marxistische Zersetzungspropaganda in sei­ner Schutzpolizei! Untermenschen im preußischen Sine Erzählung von Pierre Waffenrockl Wissen Sie, was das heißt? Was sagt denn Levetzow dazu?!" Der Kommissar kniff die Augen zusammen, während die Hand nervös auf der Tischplatte spielte, dann zuckte er, wie in plötzlich nachlassender Spannung resigniert die Achseln. Der Alte macht Staub, pfeift uns an und hält im übrigen Winterschlaf im Sommer. Die untere und mittlere Beamtenschaft aber, ent­täuscht wegen der erwarteten, aber nicht«inge- tretenen Karriere, grinst und witzelt insgeheim. Die sind es natürlich nicht. Die Brut sitzt unter den ganz Loyalen..." Wozu sind Sie denn Gestapo -Kommissar", brüllte Lützel und spuckte wütend aus,wenn so etwas passieren kann! Sie kennen nicht ein­mal Ihre eigenen Leute und da glauben Sie, die Staatsfeinde ausrotten zu können?!" Herr Doktor", begann der Kommissar mit fast röchelnder Stimme,wenn nicht aus lauter Ehrgeiz einer gegen den anderen arbeiten würde" Lassen Sie das", sagte Dr. Lützel trocken, mit einem spöttischen Unterton in der Stimme, wollen Sie sich das Konzentrationslager an den Hals schwätzen? Machen Sie die Kerle abschußreif, brennen Sie aus, holen Sie Nacht um Nacht alles aus den Betten, was nicht stubenrein ist. Sie können machen, was Sie wollen, gedeckt wird alles. Aber sorgen Sie gefälligst dafür, daß ich bis zum nächsten Bericht die Sauerei los bin! Löf­feln Sie bitte Ihre Suppe allein aus. Und wie ist es denn mit der Fruchtstratze? Riechen Sie mal ruhig da wieder rein! Drei Wochen Freiheit sind zuviel. Das bekommt dem Ungeziefer nicht In der kleinen, engen Wohnung in der Fruchtstratze, Hinterhaus, zweiter Flügel, drit­ter Stock, brennt ein trübes, abgekämpftes Licht. Auf dem alten, unsäglich verstimmten Klavier aus der Konkursmaffe eines Ramschhändlers spielt Franz unablässig Walzer von Strauß. Es klingt blechern und einfältig, wie der Schwanen­gesang eines sterbenden Grammophons... Er spielt, um das leise Knacken und Surren des Ver­vielfältigungsapparates zu übertönen. Wie treu, wie rastlos das kleine Getriebe arbeitet! Paul, der den Apparat mit fiebernder Hand bedient, umllammert die Maschine mit zärtlichem Blick. Unter unsäglichen Mühen wurde sie gerettet. Auf einem Speicher schlummerte sie, von Müll und Lumpen bedeckt... Bis Paul zurückkam aus Oranienburg . Jetzt sind sie drei Genoffen, ein winziger, kaum sichtbarer Punkt in der Maffe der zwangsweise fascisierten Millionen, ein Nichts gegen den er­barmungslosen Terror« und Vernichtungsappa­rat der Gestapo . Und doch... es ist das vierte Flugblatt, das sie heute herausbringen. Spezial­propaganda, Aufllärung der SchupoS..,Zer- setzungSarbeit, Hoch- und Landesverrat" nennen das die regierenden Hoch« und Volksverräter, i Und er wird, wenn versehentlich kein Er­schießenauf der Flucht" erfolgt, mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft. Draußen steht der dritte im Bunde, Karl, aufSchmiere". Im Gewirr des vielästigen Hofes versteckt, hinter einer alten Regentonne. Bon hier aus kann er den schmalen Aufgang gut Überblicken und so die einzig mögliche Anmarschstratze des Feindes beschatten... Franz spielt noch immer, schmachtend und mit Gefühl, Wiener Strauß-Wälzer. Die Klein­rentnerin Ida Pentze, die bei den RaziS ist und die Leute im dritten Stock nicht auSstehen kann, läßt trotzdem ihrenAngriff" im Stich und horcht beseligt hinauf. So'neBegabung", sagt sie mit leisem Seuf­zen,und doch ein Untermensch", Sie mur­melt es kopfschüttelnd. Und in diesem Kopffchüt« teln liegt die ganze Tragikomödie des deutschen Kleinbürgertum-..- Es ist kurz vor zehn Uhr am Abend. Ein unfreundliches, regnerisch-windiges Wette« klatscht an die halbblinden, fleinen Fenster­scheiben. Franz spielt unermüdlich. Paul hat bereit- 60 Stück des neuen illegalen Flugzetielr fertig. Schweiß klebt ihm an der scharfgekanteten, zer­grübelten Stirn. Plötzlich zwei kurze, harte Pfiffe. Eine Stimme zischt, unterdrückt, aber doch deut­lich hörbar,verdammt!" Dann poltern schwere Stiefel eilig die Treppe herauf. Sekunden später donnert es gegen die Tür:Aufmachen! Poli­zei!" Franz geht öffnen. Herein Mrzen zwei Kriminalbeamte in Zivil, zwei Schupos.., Haussuchung", sagt der eine Kriminal­beamte kurz und zeigt einen entsprechenden Wisch vor. Bitte", meint Franz freundlich.Was lesen Sie da?" schreit der andere Bulle Paul an. Paul übergibt ihm lächelnd das Buch. Sein Titel lautet:Deutschlands Weltgeltung im Segelflugsport"... Die Blicke der Kriminalbeamten überflie­gen mißtrauisch die aufgeklappten Walzer-Roten, Strauß", sagt der eine mit Betonung, so, al- ob er ein wichtiges Indiz entdeckt habe,spielen Sie mal". Sein fetter Ringfinger deutet auf Franz. Franz seht sich ans Klavier und spielt. Mit soviel Schmelz, daß die Kleinrentnerin Ida Pentze wieder entzückt aufhorcht. Mes durchsuchen", sagt der befehlführende Kriminalbeamte kurz. Der eine Krimi geht mit einem unifor­mierten Beamten in die Küche, der andere durch­stöbert mit dem zweiten Uniformierten das Zimmer, in dem Paul und Franz sich aufhal­ten. Der Krimi beschnüffelt Klavier und Ofen sowie einen Schrank, der Schupo nimmt dest anderen Teil des Zimmers. Jetzt nähert sich der Uniformierte dem Bett. Paul steht ruhig, aber schweratmend, ganj blaß. Der Schupowachtmeister Ernst Kobaltz