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Zwei treue Kameraden «o» P.
Wie eine schwere, drohende Wolke hing der Tabakrauch an der niedrigen Decke der Schank- wirtschaft. Hinter der Theke stand der Wirt, ein stämmiger, untersetzter Mann mit einem eckigen, mürrischen Gesicht, aus dem abgestumpfte Brutalität und resignierende Müdigkeit sprachen und schenkte fast pausenlos Bier ein. Haw- dämmrig lag der Raum, der nur durch ttnodSr» glühende elektrische Lampe spärlich erhell(war^ Die Tische waren voll besetzt, der Lärm der Gespräche, die halblaut geführt, nur bruchstückweise vernehmbar waren, erfüllte das Lokal mit einem merkwürdigen, summähnlichen Geräusch, das auf nichtbeteiligte Zuhörer einschläfernd Wirkt«. In einer Ecke des geräumigen Schankzimmers, ein wenig abseits von den übrigen Gästen, sahen vier Männer, die Köpfe vorgebeugt, die Mienen angespannt, als wären sie in ein Gespräch vertieft. Drei von ihnen trugen die Uniform der SS, der vierte war in Zivil gekleidet. „Ich verstehe das nicht..." murmelte jetzt einer der Uniformierten, ein jüngerer Mensch mit bartlosem Gesicht und lebhaften blauen Augen, aus denen eine tiefe Sorge zu sprechen schien,„so geht es doch nicht I Wir schliddern hinein, wir schliddern hinein, noch schlimmer wie di« Novemberleute. Das ist doch kein Drittes Reich mehr, das ist doch eine Diktatur der Bürokratie I Die alten Kämpfer haben die Nase voll und die Konjunktur friht sich die konservativsten Wänste an. Soviel lange Finger wie jetzt hat es ja noch nie gegeben. Wenn nicht der Führer wäre;" Der SS-Mann lieh den Satz unausgesprochen. Seine Züge verdüsterten sich, die lebhaften blauen Augen blickten jetzt mat! und hilflos. Mit einer resignierten Geste wandte er sich seinem Bierglas zu. „Das ist es ja..." lieh sich ein zweiter Uniformierter vernehmen,„das verdammte Gefühl, umsonst gearbeitet zu haben, das einen nicht mehr loSläht l Manchmal habe ich Angstträume. Dann meine ich, in einen Sumpf gefallen zu sein, einen tiefen, unendlich tiefen Sumpf, ganz langsam sacke ich ein, ich höre das ironische Glucksen des Morastes, der Schritt für Schritt, teuflisch langsam an mir emporkriecht. Jetzt sitzt es an der Brust, jetzt umklammert es den Hals, jetzt blendet es die Augen. Nur nicht über den Kopf—, nur nicht über den Kopf—" so keuche ich verzweifelt im Schlaf, und dann wache ich schweihgebadet auf. Es ist ein Traum, der immer wiederkehrt. Ein Traum, der die Aengste meiner Wirklichkeit aufzergt. Wohin ist die Begeisterung der ersten Wochen, wohin das himmelstürmenbe Vertrauen, das uns das Volk rntgegenbrachte und das so beglückte, weil es ganz ohne Zweifel war?! Enttäuschung, Depression, Distanzierung, wohin wir blicken. Die Besten rücken ab—. Was bleibt? Die Hyänen der Konjunktur. Die Geschäftsleute der Politik, die dabei sein wollen um jeden Preis. Aber gerade die hätten wir uns vom Leibe halten müssen wie die Pest Der dritte SS-Mann hob abwehrend die Hände.„Wenn man euch so reden hört" sagte er und schüttelte wie fassungslos seinen Kopf,„so könnte man glauben, dass bereits alles zu Ende sei. Als ständen wir vor der Liquidation. Als wären die Leute bereits in Massen dabongelaufen. Ihr seid Skeptiker, Pessi misten, ihr seid zu sehr Intellektuelle. Wenn ihr die Dinge mit den gesunden Augen de? unver- bildeten Volkes sehen würdet, nähmt ihr das alles
nicht so tragisch. Gestohlen wird eben überall, das liegt in der menschlichen Natur begründet. Dah sich viel Talmi heranschmeiht, ist unangenehm, aber unvermeidlich. Das fällt ab mit den Kinderkrankheiten. Eure Skrupel sind nervöse Kitzel, nichts mehr. Und dein Traum, Paul, nimms mir nicht übel, ist eine autobiographische -»Studie für den Psychiater. Dagegen helfen kalte Abreibungen. An ein bisschen Schmutz erstickt man nicht—. Der ist nur gesund. Und schlimmstenfalls schwimmt man eben etwas mit im schmierigen Fett und bleibt so an der Oberfläche—." Der Zivilist, ein hochgewachsener Mensch, mit einem energischen, leicht verkniffenen Gesicht und grünlichen, lauernden Augen, die er unverwandt auf die Sprechenden gerichtet hielt, sagte kein Wort. Manchmal sog er, nachdenklich und, wie es schien, in eigene Gedanken versponnen, an seiner Zigarre, manchmal huschte der Anflug eines Lächelns über das harte, wenig freundliche Gesicht. In später Nachtstunde erst trennten sich die vier, der Zivilist und jener dritte SS-Mann, der den kritischen Kameraden entgegengetreten war, blieben noch zurück. Fritz Lüdek und Paul Richter hatten den gleichen Nachhauseweg, weit draußen wohnten sie, in Berlin-Zehlendorf . Der kalte, regenfeuchte Herbstwind strich beruhigend über ihre erhitzten Gesichter. Stumm, jeder mit sich selbst beschäftigt, eingegraben in die Stimme des eigenen Herzens,, stapften sie dahin. Wie ste beide zum Nationalsozialismus gekommen waren? Sie waren den gleichen Weg gegangen, wie hunderttausende romantisch verträumter, idealistisch verstiegener junger Menschen in diesen Monaten... Aus kleinbürgerlichen Häusern kommend, von der Sturzflut der Krise hinaus- geschwemmt ins erbarmungslose Meer des Existenzkampfes, Akademiker, aber Entwurzelte ohne Zukunft, sahen sie in dem gewalttätigen Propagandisten einer besseren Zukunft, diesem energiegeladenen Menschen, der nach Taten rief, als alles in Lethargie zu verenden drohte, den Führer, der ihnen Halt gab, ein Ziel, und die Hoffnung auf menschliche Erfüllung... Dabei wäre es grundverkehrt, anzunehmen, dah hier zwei ordinäre Karrieremacher auf den Leim des mit grosser Geste arbeitenden Allesver- sprechers gekrochen seien.» Nein, Fritz und Paul, zwei geistige Menschen, nicht ohne Kultur, mit wachem, seelischem Verständnis, waren von der tönenden Stimme dieses Mannes am Gefühl, nur am Gefühl gepackt worden. Die Primitivität, die au» dieser Unbedingtheit des Gefühls sprach, reizte sie, riss sie unwiderstehlich mit fort... Und jetzt? Und jetzt?! Sie standen vor ihren Wohnungen, Nachbarhäusern in einer stillen, verträumten Zehlen dorfer Seitenstrasse. Der Regen klatschte ihnen ins Gesicht, fuhr über ihre Augen, die müde und ganz glanzlos waren... Dann gingen sie mit schmerzlichem Händedruck auseinander—. Denn über diese Dinge zu reden— das hätten sie jetzt nicht vermocht—. „Die Sache ist für mich völlig flar'—", die harte, etwas brüchige Stimme des Zivilisten klang eisig, unheimlich-sachlich, und ohne jede
Spur von Bewegung.„Die beiden find gekaufte Miesmacher, Zersetzungsspezialisten der Roten ... Unter der Miene des besorgten Biedermannes, treu dem„Führer", Markenartikel „enttäuschte alte Kämpfer", betreiben sie ihr schmutziges Geschäft... Da ist nichts klar, da ist nichts ehrlich, da stinkt es überall.„Dazu haben wir gekämpft—?l" stöhnt das mit frommem Augenaufschlag, und man sieht schon den Giftzahn der Schlange vor sich. Ich beobachte die Burschen seit sechs Wochen. ,. Die beiden sind ahnungslos wie neugeborene Kinder.... Wenn Sie rechtzeitig zuschlagen, haben Sie das edle Paar tofficher in der Falle. „ES sind", sagte der andere, ein breiter, behäbiger Mensch, während.er die kleinen Aeug- lein, die tief in ihren Polstern fassen, überlegend zukniff,„alte Parteigenossen. Lange vorher bereits aktiv..". Keine Märzhasen, verstehen Sie—-T-— „Um so schlimmer", klang die harte Stimme ungeduldig auf,„Zersetzungszelle aus der Blütezeit des Marxismus. Hat sich schon gefährlich eingeftessen—1 Höchste Zeit also, dass man das Geschwür ausbrennt. Sie geben doch die Anweisung" „Schön," sagte der Behäbige und wandte sich seinem Schreibtisch zu,„aber ich wasch' mir die Hände in Unschuld. Wenn es Unrat gibt, so halte ich mich an Sie—l" „Bitte—", sagte der Zivilist mit spöttischem Gesicht und erhob sich,„ich habe offenge, standen auch nichts anderes erwartet..." Fritz Lüdek und Paul Richter waren mit dem Lastauto zu einer Dienstübung ausgerückt. Wohin wussten sie nicht; ein plötzlicher Befehl flatterte ins HauS. Sie waren Soldaten in frei« williger Untewrdnung und Soldaten fragen nicht nach dem Was und Wie. Ts schien sich um einen Spezialauftrag zu handeln, der Truppführer gab keine Informationen, und die übrigen 16, die mit ausgerückt waren, Leute aus einer anderen Staffel, die Fritz und Paul nicht kannten, hockten mürrisch und schweigsam im Wagen. Niemand sprach ein Wort. Fritz und Paul war es ganz recht so. Trüb und schwer gingen ihre Gedanken, tiefe Einsamkeit war in ihnen und ein unbestimmbares, aber gefährlich elementares Gefühl von Todesfreudigkeit... Wenn jetzt der Wagen auf abschüssiger Chaussee ausglitt und sie mit ihm herunterschmetterten ins Nichts, sie würden es mit dem letzten verlöschenden Gedanken als Erlösung empfunden haben. Wenige Tage später fanden Spaziergänger in einer Tannenschonung die Leichname von zwei erschossenen SS -Leuten. Die beiden, die durch Kopf- und Brustschüffe umgelegt worden waren, kauerten, von-Moos und Schutt fast verdeckt, im Gras« friedlich, als ob sie soeben eingeschlafen wären... Eine dünne Blutbahn, die im Moos der« sickerte, war für den oberflächlichen Betrachterdas einzige Symptom dafür, dah hier ein Verbrechen begangen worden war. Die Zeitungen sprachen von einem„fluchwürdigen Feme -Verbrechen der noch immer nicht gänzlich ausgerotteten marxistischen Untermenschen." Den getöteten SS-Leuten wurde ein feierliches Staatsbegräbnis bewilligt, an dem mehrere Minister teilnahmen. Der Kranz des Reichskanzlers war aus flammendroten Rosen und trug auf Weiher Schleife die Inschrift:„Der Führer seinen bis in den Tod getreuen Kameraden!"