Nr. IO
Llnteryaltrrngsvettage
1935
Das Mädchen in der dunklen Gaffe Skizze vo« Grete Livius
»Da steht sie wieder— siehst du sie?", flüsterte Pepik seinem Freunde Tonda zu, als sie um die Straßenecke, in die kleine dunkle Gaffe bogen.»Rein", sagte der Tonda,»ich. sehe sie nicht".—»Sie hat gemerkt, daß sie beobachtet wurde. Da ist sie auf und davon. Dort— schnell, schau gerad aus, dort läuft sie, die kleine dunkle bucklige Gestalt. Jetzt ist sie fort." Tonda guckte die Achseln. Das Mädchen war ihm nicht so wichtig. Und er begann sich mit seinem Freunde über das neueste Pferdchen-Glücksspiel zu unterhalten. Aber Pepik, Zählkellner aus dem Cafe»Zum Teufel", Menschenkenner und Geschichten» wiffer von Beruf, kam nochmals auf das erste Thema zurück.»Du, bei der kannst du dein Glück machen, die hat Geld wie Heu." Jetzt staunte der Tonda.»Ja, aber warum— warum geht sie denn da auf den Strich?" Der. andere Ächte.»Das ist eine sonderbare Nummer. Wenn sie nicht gerade einen kriegt, der besoffen ist und ein altes Weib von einem jungen nicht unterscheiden kann, dann muß sie noch draufzahlen. Denn wer geht sonst mit einer Buckligen ins Bett? Aber sie hat's ja zum Draufgahlen. Du, Geld wie Mist hat die Marschka." Tonda schüttelte seinen runden Jungenkopf.»Das versteh' ich nicht." Pepik lachte wieder.»Glaub' ich.. Komm— hier gibts'nen guten Schnaps. Ich spendier dir einen. Und bann erzähl ich dir di« Geschichte von der Marschka..." Und sie traten in ein düsteres verräuchertes Beisel. Nachdem die Frau des Bankiers Stern ihrem Mann drei Söhne geboren hatte, kam einige Jahre später, sozusagen als Nachkömmling, ein Mädchen auf die Welt. Es erhielt den Namen Rosa. Die Eltern hätten allen Grund gehabt, mit ihrem Schicksal zufrieden zu sein. Bier gesunde Kinder, rin gutgehendes Bankgeschäft. Was will man vom Leben mehr. Aber dann geschah das Unglück. Die kleine Rosa fiel vom Arm des Kindermädchens fo heftig auf die Erde, daß sie für ihr ganzer späteres Leben einen entstellenden körperlichen Schaden davontrug: einen Buckel. Sie blieb klein, häßlich uiw verwachsen. Die Alten jammerten. Wenn es doch einem der Jungen passiert wäre. Gewiß— auch schrecklich. Aber bei einem Mann mit Geld und vielleicht auch Geist übersah sich so etwas eher. Doch bei einem Mädchen? Der Bankier und seine Frau> kamen nicht auf den Gedanken, aus der kleinen Rosa könne ein wahrtest großer, ein innerlich gerader und aufrechter Mensch werden. Sie sprachen der Heranwachsenden nicht vom Trost der Arbeit und jenem Schönen in der Welt, zugänglich auch dem Aermsten. Bon der Schönheit deS alltäglichen Lebens, dem Sonnenaufgang und dem Sternenhimmel, von der weiten Landschaft des FluffeS, der sich zwischen grünenden Ufern dimh die Stadt zog. Bon den herrlichen Bauten, Büchern, Bildern.
Sie sagten ihr nur: wenn du groß und heiratsfähig bist, werden wir deine Mitgift verdoppeln. Wir werden dir so kostbare Kleider kaufen und dich so mit Schmuck behängen, daß niemand deine körperliche Häßlichkeit bemerken toird. Ein schöner Mann soll dich heiraten, und du tvirst glücklich sein." Sie meinten es gut auf ihre Art, die Alten. Doch es war eine falsche Art. Daß ihre Häßlichkeit nicht mit prunkvollen Kleidern zu verdecken war, bemerkte die kleine Rosa zuerst, als sie in die Schute kam. Die Eltern hatten ihr einen Hauslehrer nehmen wollen. Doch stürmisch bestand das Kind darauf, mit anderen Kindern zusammen aufznwachsen. Die Brüder waren älter als sie und gingen ihre eigenen Wege. Das Personal behandelte dieses mißgestaltete lleine Mädchen nur mit respektvoller Berachtting. Um des Geldes willen, das sie von den Eltern erhielten, zwangen sie sich, zu dem Kinde höflich zu sein. Mehr aber auch nicht. Und das Kind, in dessen häßlicher Hülle ein empfindsames Herz saß, bemerkte dies wohl. ES wurde davon traurig und sehnte sich nach einer gleichaltrigen Freundin. Doch die Schule wurde zu einer wahrhaften Leidenszeit. Das verkrüppelte, in Samt und Spitzen gekleidete Mädchen erregte nichts als das Gespött ihrer Mitschülerinnen. Kam es nach Hause und erzählte weinend, daß man sich über'seine Kleidung lustig mache,«und ich will auch so angezogen gehen wie die anderen, ein StoffUeid mit einem Matrosenkragen, eine blaue Mütze mit Bändern und weiter nichts," so hieß eS:„Das ist nur Neid. Die Eltern dieser Kinder sind arm oder zumindest nickt so reich wie wir. Sie können ihnen nicht so schöne Sachen kaufen, und darum wirst du von den anderen beneidet. Mißgunst äußert sich immer so."—»Ich will aber gar nicht beneidet sein," sagte die kleine Rosa traurig. Aber mit einem»das verstehst du nicht", schloß man die Diskussion kurz und bündig. Endlich schien eS Rosa gelungen zu sein, eine Freundin zu finden. Sie hieß Hede, war ein flinkes, keckeS, hübsches Mädel, und in seligem Glück lud Rosa sie zu einem Besuch. Man trank i:n Kinderzimmer, ganz auS Elfenbein und Gold, Schokolade aus silbernen Taffen, atz Kuchen und Schlagsahne, undRosa schenkte Hede von ihrem Spielzeug das Schönste. Oh, wie ihr kleines Herz in unbeschreiblicher Freude klopfte. Sie batte eine Freundin. Und zum erstenmal schien es den Eltern, nachdem der Besuch fortgegangen war, als sei die kleine Rosa gar nicht so häßlich, wie es ihnen sonst vorkam. Ihre Augen, das einzig wirklich Schöne in diesem sonst so länglichen und unregelmäßigen Kindergesicht, strahlten von der Aufregung deS eben Erlebten unheimlich groß, dunkel, und in ihren Tiefen zitterte eia bebender Glanz.
Doch welche Enttäuschung, als Rosa erfuhr, daß sie um ihr zärtlichstes Gefühl betrogen worden war. ES stellte sich heraus, daß Hede von der gesamten Klasse als Spion in das Haus des Bankiers gesandt worden Ivar. Und ihre Berichte, die sie getreulich, farbenprächtig wiedergab lind ausmalte, wurden dazu benutzt, um sich über das häßliche Kind mit dem protzigen Lebensstil nur noch erbarmungsloser lustig zu machen. Bon diesem Augenblick an hatte Rosa niemals mehr eine Freundin. Bon diesem Augenblick an haßte|te die Menschen, verschloß scheu und mißtrauisch ihr Herz, einzig und allein nur noch auf di« Macht des Geldes vertrauend, das sie ja in so überreicher Fülle besaß. Aus dem kleinen Rädchen und auS ihren Mitschülerinnen wurden Backfische, für di« das Ende der Schulzeit näherkam. Die meisten wollte einen Beruf ergreifen. Biele zog eS zum Studium, andere hatten Lust oder di« Verhältnisse ztvangcn sie dazu, recht schnell Geld zu verdienen. Der Rest bereitete sich auf ein Hausfrauendasein vor.»Ich möchte studieren," sagte Rosa zu den Eltern,»ich möchte Aerztin werden." Der Bater lachte sie aus. Da saß er, der dicke, alternde Mann, di« Hände über dem Bauch gefaltet.»So lvas hast du nicht nötig, meine Liebe. Du wirft heiraten und damit basta." Es war noch jene Zett, in der die Autorität der Eltern mehr galt, als cs für das zukünftige Leben der Kinder gut war. Heiraten? Rosa stand, nun schon wach und aufmerksam, vor dem Spiegel. Er zeigte ihr einen häßlichen Zwerg mit übergroßen Füßen und einem länglichen Gesicht, um das sich wildes, ungebändigtes schtvarzes Haar legte. Sin dünner, fahler Mund, eine nieder« Stirn. Auffallend in diesem ganzen unerfreulichen Bild nur die großen brennenden Augen. Und Hände: schmale, schöne, sehr gepflegte Hände, die Haut von der Farbe matten Elfenbeins. Aber diese beiden einzigen schönen Dinge sah nur, wer sich die Mühe machte zu genauerer Betrachtung. Sonst blieb als Gesamteindruck ein Schauerliches, ein Abstoßend- Widerwärtiges. Man führte das häßliche Mädchen, für das es kein Blühen und Aufbrechcn strahlender Jugend gab, zu Gesellschaften und Bällen. Der Bater hielt Wort. Pariser ModeatelierS wurden bemüht, um sür Rosa die kostbarsten Phantasien ihrer teuersten Zeichner zu entwerfen. Brillanten, groß und funkelnd wie Tautropfen, legten sich um der kaum Erwachsenen gelben, faltigen Hals, an dem die spitzen Knochen kläglich hervorstachen. Kam sie so herausgeputzt zu jenen Veranstaltungen deS offiziellen Heiratsmarktes der Bourgeoisie, so flüsterte man sich zu:„Sehen Sie nur diese Halskette der Rosa Stern. Sie ist mindestens drei Millionen Kronen wert." Man kassiert« das, was an ihr und um sie hing und schätzte