— 2—hatten Rhamses und Boris Gelegenheit, vertraulich miteinander zu sprechen.Rhamses steckte sich ein Stück der unvermeidlichen Kremschokolade in den Mund. Händein den Hosentaschen, sah er da.„Na, wiewar's?"— Boris sah sich scheu um.„Unteruns gesagt— zum Kotzen." Er redete imFlüsterton.„Ich bin schrecklich müde und abgespannt. Stundenlang mutzte ich auf dem Thronhocken, nicken, lächeln, wie'ne Pagode. So oftdachte ich: RhamseS hat's gut. Der angelt jetztund friht dabei Schokolade. Zuletzt war ich ganzkaputt." Er gähnte, schien gar nicht mehr soquicklebendig wie sonst. Unter den Augen hatteBoris tiefe Schatten. Ein kleiner, müder Junge.Seufzend schloh er seinen Bericht:„Furchtbarlangweilig— König zu sein!"In dieser Nacht konnte Rhamses lange nichteinschlafen. Die Hände unter dem Kopf verschränkt, lag er wach, während die zukünftigenkonservativen Staatsmänner des BritischenWeltreichs rings um ihn im Schlafsaal bereitserheblich schnarchten. Rhamses dachte nach...Und wie entsetzt war er, als man ihngenau vier Tage nach jenem Gespräch mit Boriszu Seiner Magnifizenz rief, wo ihm feierlichfolgendes verkündet wurde:„Seine Majestät, Kaiser Uohimbimdranath-tagore XIV. hat soeben freiwillig auf denThron von Antracitirn zugunsten seines Nachfolgers verzichtet. Ich beglückwünsche hiermit,zugleich im Namen der gesamten Lehrerschaftvon Eton, Ew. Majestät, den Thronerben desKaisers UohiMbimdranathtagore. Seine Majestät wird in einer Stunde hier eintreffen, umEw. Majestät den erlauchten Entschlutz höchstpersönlich mitzuteilen. Ich bitte, Ew. Majestät,hier zu warten. Inzwischen können sich Ew.Majestät bie- Zeit mit dem Lesen der Glückwünsche vertreiben, die bereits angekommensind. Hier— ein Telegramm unseres verehrtenKönigs, hier— eine Gratulationsdepescheunseres Autzenministers, Sir John Simon. DerHerr Minister lätzt sich entschuldigen. Er wäregerne selbst gekommen, aber er mutzte dringendzu Herrn Hitler. Nächste Woche wäre dieservielleicht schon wieder erkältet gewesen."Rhamses hörte gar nicht hin.„Quatschdich aus, alter Esel", dachte er und starrte trübsinnig zum Fenster, hinter dem der grotze Garten lag und die Themse glitzerte. Immerhinsah ihm nun auch schon die Etikette im Blut.„Soll ich mir nicht Uniform anziehen?", fragteRhamses. Doch in diesem Augenblick öffnetesich bereits die Tür zum Staatssaal, und hereintrat der Kaiser von Antracitien, in Begleitungseines höfischen Gefolges.„Onkel Uimbim!" rief Rhamses überrascht,„Donnerwetter, das ging aber schnell". DerKaiser machte ein strenges Gesicht. Mit einerHandbewegung entlieh er zuerst das Gefolgeund dann den Rektor, der sich unter tiefen Verbeugungen zurückzog. Mihbilligend. bemerkteKaiser Uohimbimdranathtragore:„LieberRhamses, wie oft mutz ich dir noch sagen, dahdu in Gegenwart von Fremden mich nicht„Onkel„Uimbim" nennen sollst. Nun bist du bereits sechs Jahre in Eton und machst, immernoch solche Schnitzer. Hätte ich nicht geglaubt".Rhamses hob bittend die Hände.„Sei nichtböse, Onkel Uimbim. Aber ich habe mich wirklich gefreut, dich nach so langer Zeit wiederzusehen. Komm, setzen wir uns. Was gibt esNeues in Anthracitien? Stimmt es, was deralte Kaffer mir vor ein paar Minuten gesagthat? Mutz ich wirklich Kaiser werden?" SeineMajestät schüttelte den Kopf,„Du sprichst.höchst,respeftlos von deinen Lehrern. Ich sollte dasnicht dulden—"—„Ach was. Onkel Uimbim,"RhamseS klopfte dem Kaiser freundlich auf dieSchulter,„unter uns brauchen wir doch keinBlatt vor den Mund zu nehmen. Also schieblos,.Seine Majestät resignierte. Setzte sich ineinen der steifen weinfarbenen Sessel, zündetesich eine dicke, schwarze Brasil an und erklärtelakonisch:„Also, Kleiner, da hilft dir nix. Dumutzt Kaiser werden." Rhamses machte einunglückliches Gesicht. Seufzte schwer.„AberOnkel, warum willst du denn nicht mehr Kaisersein?" Mihtrauisch blickte er aus seinen schräggeschlitzten Augen.„Du nicht schwindeln. Sagmir die Wahrheit." Der Onkel sah sich scheuum. Niemand war zu sehen. Dann räusperteer sich und begann schließlich zögernd:„Ganz ehrlich, lieber Rhamses. Ich tu'shauptsächlich wegen der Wirtschaftskrise. Weihtdu, waS das ist?"— Rhamses nickte, lauertegespannt auf das, WaS kam. Der Kaiser streiftedie Asche von der Zigarre, fuhr fort:„Bei unsin Anthracitien gibt's Millionen Arbeitslose.Und die, welche noch Arbeit haben, können vorHunger auch kaum einschlafen. Alle erwarten,datz ich ihnen aus dem Schlamassel helfen soll.Bin ich ein Führer?— Jetzt, wosie sich gegen meinen Willen ein Parlament eingerichtet haben, mit all den dazu gehörigeneuropäisch-demokratischen Mätzchen— jetztwollen sie sogar meine Einnahmen kontrollieren.Mir ein Budget aufstellen, die Anlage meinerKapitalien überwachen— du weiht doch, WaSdas alles bedeutet, nicht?— Na also! Stelldir vor: der Finanzminister hat neulich sogareine Steuererklärung von mirverlangt. Von mir! Da ist's mir denn dochzu bunt geworden. Und ich habe ihnen mit denWorten eines toten Herrschers zugerufen:„Macht euch euren Dreck alleene!" Das habeich denn doch nicht nötig. Da lebe ich lieber inEngland. Wie schön und. abwechslungsreich isthier das Dasein eines vermögenden Privatmannes. Wenn ich nur an die Pferde-Rennen inAscot denke, an die Tennisturniere, in Wimbledon, die Fuchsjagden in Schottland, an dieLondoner season und die Festlichkeiten imBuckingham-Palace. DaS Wasser läuft mir imMund zusammen. Ich hoffe, lieber RhamseS",der Kaiser wischte sich, durch seine lange Redeermüdet, den Schweih von der Stirn,„du wirstnach alledem für mich Verständnis haben. Ichbin 45 Jahre alt, und jetzt mutzt du ran."Rhamses seufzte von neuem. Er hätte sichso gern mit dem Finger in der Nase gebohrt.Es erleichterte ihm sichtlich das Nachdenken,und er tat es immer, wenn er sich alleinglaubte. Doch das war in diesem Augenblickschlecht möglich. So meinte er nur:„Da hatBoris doch Wohl recht gehabt."—„Wer istBoris?" fragte der Onkel.—„Na, meinSpielkamerad hier im College, der König vonBalkanien."—„Was hat denn der gesagt?"—„Regieren sei langweilig. Man hätte dochnichts zu sagen." Der ehemalige Kaiser vonAnthracitien reckte sich würdevoll:„Das istunser Schicksal."Onkel und Neffe nahmen Abschied. Auf denOnkel wartete ein Flugzeug. Es sollte ihn aufder Stelle nach London zurückbringen.. Dort fandnämlich heute im Empire-theatre die Uraufführung der Revue:„lAouoanä sweethearts"statt, die Uohimbimdranathtagore keinesfallsversäumen wollte.Langsam schlenderte der neugebackene Kaiser, die Hände in den Hosentaschen, durch denGarten. Auf der Suche nach Boris. Er fand denKönig von Balkanien, beschäftigt mit dem Ausgraben von Regenwürmern zum Angeln-„Halloh, Rhamses," rief Boris schon von weitem,„wo steckst du denn? Du wolltest mir dochbuddeln helfen." Rhamses warf sich der Längenach ins Gras.„Nö, mag nich."— Boris sahihn erstaunt an.„Aber wir wollen doch morgen ganz früh angeln gehen." Seine Mienezeigte tiefe Enttäuschung. Wieder musterte erden Freund.„WaS machst du denn für ein Gesicht? Dir ist wohl'ne LauS über die Lebergelaufen?" Rhamses richtete sich halb auf.Blickte Boris ruhig und aufmerksam an.„Dasnicht. Aber— ist bin eben Kaiser geworden."Boris liefe vor Schreck alle Regenwürmeraus seinen von der Erde schwarzen und feuchten Fingern fallen.„Ach neel So plötzlich?Wieso denn?" Rhamses zuckte die Achseln.„Onkxl Uimbim will nicht mehr. Eben hat ermir's gesagt, vor fünf Minuten." Boris bliebbetreten stehen. Dann kam er auf seinen Freundzu, reichte ihm die Hand:„Na— dann gratuliere ich." Rhamses nickte stumm. Traurigwandte er sich ab, starrte auf das silberne Bandder Themse:„Und ich möchte doch viel lieberspielen..."'———————————————————————Martin von NitendiEine Güdsee-Geschichte von L. BeckeOberhalb des kleinen Hafens war amBerg«ine Waldlichtung, von zerklüfteten Felsen überragt. Von dem höchsten herab spähteein Mann nach dem Kanonenboot aus, dasunten vor Anker lag. Er war nur mit einemGürtel von Tiblättern bekleidet; seine nacktenFütze bluteten..Seine muskulöse Rechte umklammerte ein Gewehr. Auf dem Kopfe hatte ereine grobe Mütze aus Kokosblättern. Trotzdemwar er ein Weiher gewesen.Von dem Eingeborenendorf, daS tagsvorher die Blaujacken angesteckt hatten, stiegblasser Rauch zu ihm auf. Die Ruine seineseigenen Hauses konnte er an der Steinmauererkennen, aber von den Eingeborenenhüttenwar nur graue Äsche übrig.Von dem Schiff unten stieh ein Boot ab.Der Mann zog sein Gewehr dicht an sich. SeineAugen leuchteten auf in tödlichem Hatz.•„Die Herren Offiziere wollen jagen,"murmelte er, als das Boot auf den Strandauflief und dann drei Männer mit Flinten dasGestade herauftamen.„Ich möchte sie niederknallen. Wenn es. nur Zweck hätte!"Die Mann schäft war ausgestiegen undsuchte aus den qualmenden Trümmern heraus,was dem Feuer entgangen war. Eine Weil«standen sie vor dem Sandhaufen, unter demsieben getötete Eingeborene lagen. Dann stietzdaS Boot wieder ab.Der nackte Mann auf dem Felsen atmet»auf. Neben dem Sandhaufen hatte er ein»50-Pfund-Tonne mit chilenischen und mexikanischen Dollars vergraben. Behutsam stieg ervon dem Felsen'herunter.Am Fütze eines vielästigen Vi-BaumeSsah ein eingeborenes Weib. Ihr rechter Arm