UnterOaliungöOeilage
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Der Frühling ist die drückendste JckhreS- zeit für mich." sagte der kleine, hagere Mann, deffen unbeständige Kinderaugen wie kleine blaue Schmetterlinge ruhelos von einem Ge­genstand-um anderen flatterten. Und warum?", fragte ich mein Gegen­über. Er trommelte nachdenklich mit den Fin­gern auf die glatte Tischplatte und seine Hände gitterten vor Erregung. Die Finger krümmten sich, als wollten sie etwa» zerbrechen, aber e» war nicht» zum Zerbrechen da. Hör' zul Oder nein! Besser, ich schweige". Also eine Liebesgeschichte, unerwiderte Liebe und so Wetter..." Unsinn l AlS ob es anher ungetreuen Frauen auf der ganzen Welt kein Leid gäbe!" Doch, doch!" Na, also! Was redest du dann erst törichte» Zeug!" Set mir nicht böse, daß ich deinen Kum­mer erraten hab«.. Du irrst", brach er noch heftiger heran» al» vorher. Er packte meine rechte Hand und begann dann mit heiserer, erregter Stimme: Wa» ich dir jetzt erzählen will, hat sich im Jahre achtzehn zugetragen... Ende April, an der italienischen Front... in einem grünen, von Bergen umschlossenen Tal, an einem wil­den GebirgSfluh... Seit dieser Zeit kann ich kein plätschernde» Wasser mehr hören. Das Rauschen eine» unschuldigen Bächlein» bringt mich zur Raserei. Schäumende Gießbäche im Gebirge sind mir unerträglich. Ja, du kannst nicht begreifen, wie furchtbar da» ist, wenn die Frühlingswässer"''er die Ufer treten, und man dabei immer von neuem dieselbe widerwärtige Szene menschlicher Gemeinheit vor sich sehen muh." Du übertreibst." Keineswegs. Alle» steht noch so lebendig vor mir, al» wär« es gestern geschehen. In der Ferne liegt da» Tal wie auf der flachen Hand ausgebreitet. Oelbäume, Weinreben und Obst­bäume stehen in voller Blüte. Darüber der blaue Himmel und ein paar leichte weihe Wölkchen, die eilig der Sonne zuftreben. Einige Kameraden und ich führen einen Soldaten zum Tode. Der Feldwebel schreitet voran, heiter und vergnügt wie«in Bräutigam, der zur Hochzeit geht. Laut hallen unsere Schritte wider. Es ist so still, datz ein empfindliches Ohr unsere Herzen schlagen hören konnte. Ich hätte am liebsten laut aufschreien mögen, aber die Angst schnürte mir die Kehl  « zu.
Der Verurteilte war ein Tscheche, ein stiller Junge mit blondem Haar, der einer Fliege nicht» zuleide tun konnte, und gar einen Menschen umbringen I Bezahlte Spitzel hatten ihm aufgelauert, al» er gerade zu den Italie­nern übergehen wollte. Man hatte über ihn Gericht gehalten und ihn zum Tode durch den Strang verurteilt. Er war noch keine zwanzig Jahre alt. Bleich sah er au», still und traurig ging er seine» Weges. Hätte ihn jemand in diesem Augenblick angesprochen, er hätte eS nicht ge­hört, so sehr war er in Gedanken versunken. In einer Hand trug er ein Stück Brot, in der anderen eine Feldflasche aus Blech, die fast leer war. Nur ein paar Tropfen schwarzen Kaf­fees hörte man noch darin gluckern. Krampf­haft hielt er das Brot und die Flasche, als setzte er auf sie sein« letzte Hoffnung. Vielleicht dachte er sich, solange ich mein Brot esse und Kaffee trinke, können sie mich nicht umbringen. Ich wandte mich ab, auS Furcht, unsere Blicke könnten sich begegnen. Ich höre noch, wie meine Kameraden schwer atmeten, wie unter einer harten, drückendenTLast... AlS wir an einem Granatbaum kamen, hob der Feldwebel die Hand und schrie: Halt! Der Feldrain vor uns war ganz mit GraS be­wachsen. Zwischen den Halmen, die sich im Winde leise bewegten, lugten Gänseblümchen und Hahnenfuß heüwr. Man hörte das gleichmäßige Summen von Bienen und Hum­meln. Der Feldwebel zog einen kräftigen Strick au» der Tasche und übergab ihn dem nächststehenden Soldaten. Der erfaßte sofort den stummen Befehl, kletterte auf den blühen­den Apfelbaum und warf den Strick über den stärksten Ast. Dort band er ihn fest, machte die Schlinge zurecht und sprang, als alles fertig war, von dem Ast herunter auf den weichen Boden. Darauf setzte sich der Feldwebel in Posi­tur, damit seine Stimme noch stärker ertönte, und schrie: Fesselt ihm Arme und Beine! Zum Don­nerwetter, schneller! Was steht ihr da, als wenn ihr die Hosen voll hättet!" Neber diese gemeinen Worte lachte er mit einem trockenen, ekelhaften Lachen, das ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Und um seinem Befehl noch einen besonde­ren Nachdruck zu geben, zog er seinen Revolver heraus. Die Soldaten beeilten sich, und er steckte den Revolver befriÄsigt wieder in die Tasche. Der Junge war so blaß, als hätte er keinen Tropfen Blut mehr in den Adern. Kal­ter Schweiß rann ihm über die Stirn, die Mundwinkel zuckten, und die Tränen flössen ihm aus den Augen. Der Feldwebel trat an ihn
heran, faßte ihn an den Händen, und als er sich überzeugt hatte, daß sie gut gefesselt waren, spuckte er ihm ins Gesicht, um ihm zu zeigen, daß er als Kaiserlicher alle Verräter verachte?» Dann drehte er sich um und sang leise mit wohlklingender Stimme einen Walzer aus einer Wiener   Operette vor sich hin. Inzwischen hatten alle meine Kameraden alles vorbereitet, damit die Todesstrafe voll­zogen werden konnte. Mit Drohungen und Schimpfworten schleppten sie den Jungen unter den Baum, warfen ihm die Schlinge um de« Hals und zogen an dem Strick, damit die Schlinge sich richtig zusammenzog. In diesem Augenblick gab der Verurteilte einen durch­dringenden Schrei von sich wie ein zu Tode ge­troffenes Tier. Sein Gesicht verzog sich vor Todesangst. Die eigene Mutter hätte ihn nicht wiedererkannt, so hatte die Angst sein« Züge entstellt. Wir schluckten die Tränen her­unter und sagten kein Wort. In dieses töd­liche Schweigen klang plötzlich da» trockene, teuflische Lachen unseres Feldwebels, das im­mer lauter ivurde, bis e» schließlich in ei« grelles Gelächter überging. Mit der eine« Hand hielt er sich die Weichen, die andere streckte er nach dem Delinquenten auS und schrie ihm immer neue gemeine zotige Worte zu... Wie ich da den Revolver zog und schoß ich weiß eS selbst nicht mehr. Bor meine« Füßen stürzte der Feldwebel tot hin. Ich hatte gut getroffen, direkt ins Herz... Die trockene, zerklüftete Erde trank da­heiße Menschenblut. Die Amsel trillerte, und hoch über un» zwitscherte eine Lerche, die sich in die Lüfte hob, alS würde sie von unsicht­barer Hand an einem unsichtbaren Fade« emporgehoben. Lange starrten wir auf de« Toten. Die Vögel sangen, die Frühlingsbäche rauschten, während wir schweigend eine tief« Grube aushoben und nacheinander den ge­henkten Hochverräter und den erschossenen Feldwebel hineinlcgten. AlS wir ganz fertig waren, schaufelten wir die Grube mit harten Erdschollen und Stei­nen wieder zu. Dann brachen wir zwei Aeste ab, einen langen und«inen kurzen, und banden sie mit dem Strick zu einem Kreuz. Mag eS den Mörder und sein Opfer behüten. Wir kehrten nicht mehr in unser Lager zurück, denn wir wußten, wa» un» erwartet«, Und so gingen wir alle bis auf den letzten Man« zu den Italiener über: Er machte eine lange Pause. Dann setzt« er hinzu: Verstehst du nun, warum ich den Früh­ling nicht lieben kann?" (Berechtigte Uebersehung aus dem Serbo­kroatischen von W. H. Lann.),