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Diplomaten find längst von der Unbrauchbarkeit dieses veralteten Systems überzeugt und halten feine Abschaffung nur für eine Frage der Zeit. Die Kunst des Dechiffrierens ist bis zu einem solchen Grade der Vervollkommenheit ausgebil­det, daß es schon in verhältnismäßig kurzer Beit möglich ist festzustellen, nach welchen Bahlen­und Buchstabenfolgen der Geheimtext abgefaßt ist. Die einfachsten Geheimschriften begnügen sich mit dem Verseßen der Buchstaben in einer gewissen vereinbarten Folge, oft unter Buhilfe­nahme von Rastern oder der Vertauschung nach Art des Königszugs" oder Röffelsprungs" beim Schachspiel. Andere Verfahren beruhen auf dem Ersatz der Buchstaben durch Bildzeichen, Bahlen, Silben oder Worte. Das Modernste find kompliziert gebaute Schreibmaschinen, bei denen der Text wie gewöhnlich geschrieben wird, aber auf dem Papier direkt die Geheimschrift erscheint. Angesichts dieser komplizierten Me­thoden muß man die Findigkeit der Dechiffreure bewundern, die immer wieder auch die größten Schwierigkeiten überwinden. Ein Phänomen auf diesem Gebiete war der bis heute unerreichte Dechiffreur des früheren ruffischen Außen­ministeriums, seinen Bunftgenossen unter dem Spipnamen Väterchen" bekannt, dem es wäh­rend des Krieges gelang, die Chiffre- Systeme aller in St. Petersburg vertretenen Staaten und der gegen Rußland kämpfenden Mächte zu entziffern.

Der unglückliche Ausgang des Krieges für Deutschland ist nicht zuletzt dem Umstand zuzus schreiben, daß der englische Intelligence Service bald nach Kriegsausbruch hinter die Geheim­nisse des deutschen Chiffre- Systems tam und in der Lage war, die wichtigsten Meldungen zum Schaden der deutschen Diplomatie und Kriegs­führung aufzufangen und für die Zwecke der englischen Politik auszutverten. Wie folgen schter war zum Beispiel die Entzifferung jener Anweisungen des Staatssekretärs Zimmermann, die die Vereinigten Staaten um jeden Preis zum Festhalten an der Neutralität veranlaßt wissen wollten und das Angebot eines Bünd­nisses an Mexiko zum Zaveck eines Angriffs auf die Union enthielten.

Die Telegramme wurden im Zimmer Nr. 40 aufgefangen und an den Präsidenten Wilson weitergeleitet; sie schlugen jenseits des Ozeans wie eine Bombe ein und bewogen die Regierung der Vereinigten Staaten mit mehr Erfolg als die Entente Propaganda gegen den Untersee­bootkrieg zur Kriegserklärung an Deutschland .

Im Weltkrieg wandte man auch gern soge­nannte ungeschriebene Chiffriersysteme an, und meist mit Erfolg. Dem Marine- Attaché einer mit Deutschland Krieg führenden Macht, der der diplomatischen Vertretung seines Staates in Nopenhagen angehörte, lag viel daran, wieviel deutsche Schiffe an der dänischen Küste gesichtet wurden. Um nicht das Risiko zu laufen, chiff­rierte Meldungen zu empfangen, die, mochten sie noch so kompliziert sein, doch immer wieder entziffert wurden, vereinbarte er mit seinem Agenten folgendes: an der Wand eines be­stimmten Hauses in der Umgebung Kopenhagens zeichnete der Agent nach Kinderart mit Kreide ein phantastisches Ungetüm, das soviel Füße hatte, wie dem Agenten deutsche Schiffe gemel­det worden waren. Diese Methode ersparte dem Marine- Attaché den direkten Verkehr mit seinem Agenten.

Ein Text, der nicht zu entziffern war Es kann aber auch vorkommen, daß ein Tert, der dem Dechiffreur vorliegt, seine Geheimnisse nicht preisgeben will. Ein recht kurioser Vorfall dieser Art ereignete sich einmal im Chiffrier­fabinett des russischen Auswärtigen Amtes wäh­

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rend des Weltkrieges. Bäterchen", diesem Genie unter seinen Berufsgenossen, widerfuhr das Un­glaubliche, daß er drei Tage und drei Nächte völlig vatlos vor der Kopie eines Briefes saß, den der Militär- Attaché einer fremden Macht einige Tage vorher mit der Post erhalten hatte. Der geheimnisvolle, mit der Schreibmaschine geschrie­bene Brief bot dem Mann für den es bisher fein Geheimnis gegeben hatte, dem er nicht in fürzester Frist auf die Spur gekommen wäre, unübertvindliche Schwierigkeiten. Die Geheim­polizei wurde in Betwegung gesetzt, der ganze un­geheure Apparat der Spionage und der Spio­nageabwehr wurde aufgeboten, bis sich schließlich das Rätsel in einer, eines Lustspiels würdigen Weise aufklärte. Die Typen der Schreibmaschine, mit der der Brief geschrieben worden war, hatten nämlich den Verdacht eines Geheimpolizisten er­regt und zu aufschlußreichen Vergleichen Anlaß gegeben. Man stellte fest, daß der Brief mit der Maschine des Militär- Attachés hergestellt war, und daß der fünfjährige Junge des Offiziers in der Abwesenheit seines Vaters auf der Schreib­maschine Briefe zu schreiben und sie gelegentlich auch abzusenden pflegte, die natürlich, da das Kind wahllos die Tasten anschlug, höchst merk­würdig aussahen, aber immerhin merkwürdig genug, um für irgendein neues geheimnisvolles Chiffre- System gehalten zu werden.

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Neue Art Anlasser

Der Vorläufer des Sozialismus

Der heilig gesprochene Thomas Morns

Wie bekannt, ist der Schöpfer des Romans| Besitztümer der Kirchen und Klöster in seinen Utopia", Thomas Morus , nunmehr, vier- Besitz. Die anglikanische Kirche erblickte das hundert Jahre nach seinem Tode, durch den Vatikan heilig gesprochen worden.

Licht der Welt. Gegen diesen Bruch mit Rom frondierte Thomas Morus , und diese Rebellion foftete ihn Kopf und Kragen. Er wurde wegen angeblichen Hochberrats verurteilt, von der City nach Tyburne geschleppt und gehängt. Der Unterleib wurde, als er noch lebte, aufgeschnits ten und der Kopf auf der großen Brücke von London ausgestellt.

Thomas Morus hat von 1478 bis 1535 gelebt; er starb auf dem Schafott. Morus war ein ungeheuer kenntnisreicher Gelehrter, der seine Schulung in Orford erhalten hatte, ein Humanist und als solcher ein ausgezeichneter Kenner der griechischen und römischen Kultur. Als Mitglied des englischen Parlaments kam Das Hauptwerk von Thomas Morus , er bereits in Konflikt mit Heinrich VII. Den-| ,, Utopia", ist im Jahre 1515 entstanden( Ueber noch wurde er von dessen Nachfolger, Hein- die beste Staatsverfassung auf der neuen Insel rich VIII., an den Hof gebracht, und schließlich Utopia"). Am Anfang ist von der großen fläs wurde er sogar Reichskanzler. Seine Ehrlich- mischen Hafenstadt Antwerpen die Rede; da feit war ebenso groß wie seine Auffassung von fißen in der Ecke eines Herbergsgartens Thos der Pflicht. Er war dem König tief ergeben; mas Morus, sein Freund Pieter Gilles und aber als Zeitgenosse von Luther und Erasmus Rafael Hythlodaeus, ein vielgereister Mann. war er, der treue Katholik, noch stärker seinem Dieser erzählt vom Eiland ,, Utopia", vom Gewissen untertan. Insofern gehört Thomas Reiche Nirgendwo. Diese erdichtete Form ist der Morus durchaus zur Neuzeit: er war durch Rahmen für die Wiedergabe des kühnen Trau­drungen von der Ueberzeugung, daß die Ver- mes von der Insel Utopia. Einzelindividuums der Wie sieht es da aus? Alle Güter befinden antwortlichkeit des eigentliche Inhalt wahrer Sittlichkeit sei. Diese sich im gemeinschaftlichen Besitz der Bewohner. Ueberzeugung war es, die ihn zum Märthrer Es herrscht allgemeine Arbeitspflicht, und zwar werden ließ. Man kennt die Scheidungsgeschichte bei einem sechsstündigen Arbeitstag. Die Pros Heinrichs des Achten; er trennte sich von seiner duktion erfolgt nach den Grundsäßen der Plan= spanischen Katharina, um mit Anna Boleyn mäßigkeit und der Bedarfsdeckung. Duldsam eine neue Che einzugehen. So viele private keit und Verträglichkeit kennzeichnen den Geist Hintergründe dieser Vorgang gehabt haben der Bewohner dieser Insel, es herrscht unbe= mag, so ist es doch sicher, daß auch hervor- grenzte Freiheit des Dentens und Glaubens. ragende außerprivate Komponenten dabei im Der Besucher Rafael macht diese Menschen erit Spiele waren. Katharina war entschieden mit dem Christentum bekannt. Dieses Christen­katholisch orientiert gewesen. Nach der Auf- tum gewinnt denn auch eine lebendige Wirkung, lösung dieser Ehe wandte sich Heinrich der Achte und zwar in der Art jenes Urchristentums, das gleichzeitig von Spanien und von der alten in den Katakomben eine Art kommunistischer Kirche ab. Seine Politik konzentrierte sich dann Gemeinschaft pflegte. Mithin lehnt Morns das auf Frankreich , und was die Kirchenfrage be-| mittelalterliche Christentum im Grunde ab. traf, so ging er dazu über, die englische Kirche Er fühlte sich mehr von Erasmus als von von Rom unabhängig zu erklären. Im Jahre Luiher angezogen und bekannte fich als Christ 1534 gab das Parlament seine Zustimmung dazu. Der Trennungsstrich zwischen England und Rom war gezogen. Der König brachte die

im ursprünglichen Sinne, indem er die Aufs fassung vertrat, daß das Christentum nicht in. einem Wuft von Formeln und äußerlichen Rie