zwanzig Jahre Redaktions-Sekretär. Man kennt die Menschen.„Im Gegenteil, Herr Salmon, eine junge Dame. Eine hübsch« Dame. Schön scheint mir zuviel. Schön war sie vielleicht mal. So am Tag sieht man der Dame schon etwas ihre Nächte an. Nun ja." Salmon war neugierig geworden.„Besoin, führen Sie.die schöne Helena' in das.Sprechzimmer für besondere Angelegenheiten'. Ich komme sofort." Es dauerte ein paar Minuten, ehe der Journalist„Miß Europa" wiedererkannte.„Mon dieu, Sie? Comment allez-vous? Haben Sie keine Karriere gemacht? Film, Theater, Variete? Nicht Heiratsanträge bekommen?" Helena zuckte die Achseln, lächelte bitter. „Männer genug. Heiratsanträge nie."—„Und was wollen Sie- in Paris ?"—„Irgendetwas anfangen. Gelernt habe ich nichts. Aber man mutz doch leben. Schließlich, ich war einmal Miß Europa. Die ganze Welt hat mich„die schöne Helena" genannt. Das kann sie doch nicht vergessen haben." Salmon tat das Mädel leid, das an die Beständigkeit ihrer Eintags-Popularität glaubte.„Die Welt vergißt sehr schnell. Heute schneller denn je. Aber vielleicht kann:ch wirklich etwas für Sie tun. Sie sind noch sehr hübsch. Allerdings ein wenig, verzeihen Sie meine brutale Offenheit, verbraucht. Abends geht so was wegzuschminken. Hier eine Adresse. Nehmen Sie sich da ein Zimmer. Berufen Sie sich auf mich. Ich hole Sie heute abends gegen 10 Uhr ab. Der Besitzer der Bar„Mitsou" am Montparnasse ist ein guter Bekannter von mir. Wollen mal zu ihm gehen. Wollen mal mit ihm reden, Hein?" Helena dankte Salmon mit glückstrahlendem Lächeln. Der Besitzer der Bar„Mitsou" musterte Helena Orchomenos mit streng-geschäftlichen Blicken.„Wie jeder", dachte Helena, der bisher mit meinem Gesicht und mit meinem Körper Geschäfte machen wollte. Wie Jack Diamond..." „Nun, cher ami, wie gefällt dir„die schöne Helena"?— Salmons Freund knurrte:„Bißchen verjährt die Schönheit. Aber ich will's mit ihr versuchen. Dir zuliebe. Vielleicht zieht sie noch." So wurde Helena Barmädchen am Mont- parimffe. In der ersten Zeit„zog" sie wirklich. Denn der Inhaber der Bar„Mitsou verstand sich auf Reklame.„Miß Europa— die schöne Helena' bereitet Ihnen in der Bar Mitsou den Cortail." So hieß es in den Annoncen der Boulevard-Blätter, in Reklamezetteln, die von Hand zu Hand gingen, an Litfaßsäulen-Plakaten Großmütig schrieb der Reporter Salmon nochmals eine— jedoch diesmal viel kürzere— Notiz über die neueste Attraktion in der Bar „Mitsou".Neugierig^ kamen. Bummler aus Passion, Bummler des Zufalles und der Verzweiflung. Darunter die griechischen Flüchtlinge, die in Paris lebten und ihre Landsmännin sehen wollten. Es war nicht anders, als in Athen . Helenas Anziehungskraft dauerte eine gewisse Zeit. Dann war sie vorüber. Die Bar„Mitsou" brauchte etwas Neues, etwas anderes. Man teilte Helena mit, daß sie in der nächsten Woche nicht mehr zu kommen brauche. Man habe eine neue Bardame engagiert. Katarina Jvanovna, die Tochter eines ehemaligen russischen Großfürsten. Helena saß hinter dem Bartisch. Es war ihr letzter Abend. Ein paar Gäste tranken mit gelangweilten Gesichtern Whisky. Die Tür zum Boulevard stand offen. Draußen glühte der Sommerabend. Was wird morgen'ein? Ein neuer Gast kam. Helena kannte ihn, wenn auch nicht dem Namen nach. Es war ein Grieche. Sie wußte nur soviel: ein ehemaliger Offizier. Er trat an die Theke, ließ sich von Helena einen Drink mixen aus Eis, Zitronensaft und Gin. Fragte, wie eS ihr gehe. Trübe starrte sie über
ihn hinweg. Antwortete nicht. Er sah ihre Traurigkeit. Fragte wieder. Da schüttete Helena ihm ihr Herz aus.„Weiß nicht wohin", sagte sie zuletzt leise.„Wie soll ich Geld verdienen?" Der Mann trank das GlaS mit einem Zug. leer. „Wir find beide heruntergekommen. Du und ich. Laß uns zusammen bleiben. Komm mit. Pseif auf den Laden hier." Helena antwortete nichts. Aber sie ging in ihre Garderobe, kleidete sich um, verließ mit dem Mann die Bar, ohne sich noch einmal umzusehen, ohne sich von irgend jemanden zu verabschieden. Sie schritten den Boulevard entlang, kamen zum linken Seine-Ufer. Ueber Notre-DaMe stand ein heller runder Mond.„Wie heißt du?"— „Anteros."—„Was machst du?"— Anteros warf die zu Ende gerauchte Zigarette mit lässiger Bewegung in den Fluß.„Arbeit, die sich lohnt. Kannst mir dabei helfen. Willst du?"— „Werd ich es können?"— Der Mann lachte. „Mit deinem Gesicht? Wie geschaffen." Und er erzählte Helena, was sie zu tun habe. Sie hörte ihn an. Dann nickte sie.„Ist ja alles egal."— „Mein ich auch. Komm, da sind die„Caveaux oubliettes rouges".„Vergessene rote Keller", hübscher Name, was? Kennst du den Laden? Immer Fremde dort. Da sollst du dein Döbut haben." Sie stiegen viele Stufen in das Lokal hinab, das unter der Erde lag, düster, eiskalt, mit gelben Kalkmauern, die einstmals das Stöhnen zahlloser Revolutions -Gefangener erstickt hatten. Albsonderlicher Geschmack, hier ein Amüsierlokal aufzumachen. Aber es ging. Es zog besonders die Ausländer an, denen es behaglich gruselte beim Anblick der kahlen muffigen Höhlen, und die sich dabei durch einen doppelten Kirsch zu erwärmen suchten. Anteros gab Helena einen Wink.„Der dort — allein am Tisch. Langweilt fich, sucht Gesellschaft. Mach dich ran." Helena wußte nun schon, worum es ging. Es dauerte nicht lange und der Mann, ein dicker Gernmne, dem man von weitem ansah, daß er es bei seinem Ausflug nach Paris verstanden hatte, Schachts Devisenbestimmungen geschickt zu umgehen, zappelte in den Netzen der schönen Helena.„Nenn mich Märchen", bat er, als er nur noch lallen konnte, |„nenn mich Märchen und umarme mich." Helena - sagte gehorsam„Märchen", umarmte den Dicken ! und nahm ihm dabei die Brieftasche fort. : Draußen^wartcte Anteros. In einem Taxi fuh- ! ren sie in seine' Wohnung. Der Inhalt ergab: 30.000 Mark, 1000 Franken, 1000 Dollars und- eine Mitgliedskarte der deutschen Organisation „Kraft durch Freude ". Helena und Anteros freuten sich königlich. Doch bereits die Mittagsblätter des nächsten Tages berichteten in großen Schlagzeilen von dem Diebstahl in den„Ca- beaux oubliettes rouges", verübt von einer Griechin an einem Deutschen . Ausführlich stand da schwarz auf weiß, daß der Deutsche wehklagend auf die Polizei gekommen sei und seinen großen' Verlust angezeigt habe. Er könne nicht mehr nach Deutschland zurück, man würde ihn einsperren. Ganz Paris amüsierte sich jedoch am meisten über den Verlust der Mitgliedskarte „Kraft durch Freude ". Helena indes war das Lachen längst vergangen. Sie beichtete Anteros, daß der Reporter des„Paris midi" ein guter Bekannter von ihm sei.„Salmon ist ein schlauer Hund. Er wird bald wißen, wer den Deutschen gefleddert hat. Wir müssen fort." Anteros sah dies ein. Seit er aus dem Offiziersberuf geschieden war und in keine bürgerliche Existenz zurückgesunden hatte, wußte er, daß eS gut ist, auf jede Situation des Lebens gefaßt zu sein. So besaß er stets Beziehungen zu Leuten, die mit falschen Pässen
Als Meier allmählich erwachte
handelten wie andere mit Schnürsenkeln. Noch am gleichen Abend fuhren Anteros und Helena mit dem Nachtexpreh nach Marseille . Fünf Stunden später bestiegen sie einen Frachtdampfer, dessen Ziel Griechenland hieß. Nun waren sie wieder in Athen . Mit ihrem vielen Geld. Was beginnen? Irgendwelche Geschäfte anzufangen,^schien ihnen nur als das sicherste Mittel, es auf die schnellste Weise loS zu werden. Riskieren und verlieren, so fanden sie, bedeutete in diesem Fall dasselbe. Deshalb zogen eS Anteros und Helena vor, ihre Mark, Dollar und Franken im Genuß und in der Ausschweifung durchzubringen. Ms die germanische Brieftasche geleert war, stattete Anteros dem Vater seiner schönen Helena einen Besuch ab. Allerdings sehr inoffiziell. Und nur der Ladenkaffe. Der alte Olchomenos, der in einer Kammer hinter dem Schankraum schlief, wurde von der Visite, die nicht ganz geräuschlos verlief, wach. Er alarmierte die Hafen-Gendarmerie. Anteros flüchtete. Man verfolgte ihn bis in die Wälder um Athen . Dort verlor sich seine Spur. Es vergingen Wochen, ehe Helena Nachricht von ihrem Freund erhielt. Ein Unbekannter brachte sie. Anteros schrieb, daß er sich einer Räuberbande angeschlossen habe. Ob sie die Anführerin werden wolle? Sie hätte die Gelegenheiten auszuspionieren. Das andere sei Sache der Nlänner. Helena sagte ja. Sie verfügte noch immer über Reize, die sie begehrenswert machten^ In ihrer Verkommenheit, im Laster, war sie noch immer schön. Leicht fiel es ihr, die Lebensgewohnheiten der reichen Leute von Athen auszukundschaften. Während Männer sie umarmten, wurden deren Wohnungen von Anteros und seinen Gesellen geplündert. Nacht für Nacht. Es verging lange Zeit, bevor es der gnechischen Polizei gelang, die Anführerin dieser Räuberbande zu verhaften. Noch einmal brachten Zeitungen aller fünf Kontinente das Bild der schönen Helena.„Einstige Miß Europa— Häuptling von Banditen und Wegelagerern" schrie eS in fetten Lettern durch die Welt. Noch einmal sprach man von nichts anderem als von der schönen Helena. Doch war es endgültig das letzte Mal,