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Ueberholte Phantasien
Julius Berne- 30 Jahre nach seinem Tode
Jules Verne starb in Amiens , 77 Jahre alt, am 24. März 1905 und ist heute schon fast vergessen, obwohl er einer der fruchtbarsten und meistgelesenen Schriftsteller seiner Beit war, von dessen Werken in deutscher Uebersetzung rund neunzig Bände erschienen. Den Aelteren unter uns braucht man nicht zu sagen, wer Jules Berne war; aber die Jugend schüttelt vertunbert und ein bißchen spöttisch überlegen den Kopf, wenn man ihr erzählt, daß die Generation ihrer Väter für den Verfasser der„ Geheimnisvollen Insel", der„ Reise nach dem Mond" und der Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer " Opfer gebracht hat: als wir jammervoll schlecht präpariert im Xenophon verJagten und in der Mathematik eine Fünf einstedten, weil wir am Tag vorher bis in die Nacht hinein„ Die Kinder des Kapitäns Grant" gelesen hatten.
aber wenn das Leben einmal beginnt, über unsere Träume zu lächeln, sind sie schon rettungslos gerplast. Wer lächelt heute nicht, wenn er an die Reise um die Erde in achtzig Tagen" denkt?
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Das erste Luftschiff, das erste Unterseeboot bestätigten ihn und machten ihm zugleich den Garaus. Das Surren der Propeller und das Brummen der Motoren geht über sein Grab in Amiens er, der sie vorgeahnt hat, hört sie nicht mehr. Wir aber wollen nicht undankbar sein und ihn nicht ganz vergessen; denn er schenkte uns, die wir damals den Robinson und den Lederstrumpf, den Waldläufer und Karl May hinter uns hatten, die Seligkeit der un gewissen Weite und der abenteuerlichen Ferne. Ja, gerade das Ungesicherte, phantastischer Fahrten war es, was uns entzückte! Mehr als es heute wahrscheinlich möglich wäre; denn heute ist schon das Leben aller und auch der Jugend voll ungesicherter Spannungen, wäh rend den Heranwachsenden, die damals Jules Verne lasen, die Jahre zumeist umhürdet und bürgerlich gesichert dahinflossen.
Es war das Unglück von Jules Verne , daß feine scheinbar so grenzenlose Phantasie schon wenige Jahre nach seinem Tode von der phantatischen Entwicklung technischer Wirklichkeiten weit, weit überflügelt wurde. Solange seine abenteuerlichen Bücher den Reis des Wunders und den Glanz der Utopie ausstrahlten, wur den sie stürmisch verschlungen. Und sie wurden zum alten Eisen geworfen, als die Realität feine Träume in den Schatten stellte. Jules Berne war ein prophetischer Verkünder der erobernden Technit; er konstruierte für den düteren Kapitän Nemo ein gewaltiges Unterseeboot, als noch niemand an die Möglichkeit solher Ungetüme glaubte; er ließ im Raketenflugzeug seine Belden in die Stratosphäre schieBen, als noch keine Gebrüder Wright die ersten schüchternen Versuche des Fliegens machten besitzt!
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Und wenn Jules Verne auch keinen ande ren Ruhm hätte, als ein Uebergang für manchen gewesen zu sein und viele eingeführt zu haben zu den Werken der großen Erforscher der Erde und der Pioniere des unentdeckten, au den v. d. Steinen und Livingstone, Nordenskjöld und Nansen auch dann hätte er verdient, daß wir uns seiner erinnern! Aber es war mehr: er hat uns auf den Flügeln der Phantasie bis ans Ende der Welt getragen und zugleich gelehrt, daß diese Welt nur dem gehört, der Wissen und Wagemut, Erkenntnis und Kühnheit
Merkwürdige Begebenheiten
Du bist der Mann!
An einem Samstag- Vormittag des OftoBers 1891 war im Wassili- Ostrow- Stadtteil von Petersburg eine furchtbare Mordtat verübt worden. Im Dachgeschoß eines Hauses der 19. Linie wohnte eine Wäscherin mit ihrer 13jährigen Tochter. Als die Mutter, die Wäsche ausgetragen hatte, etwa um 12 Uhr mittags heimlehrte, fand sie die Wohnungstür halb offen, Eintretend, sah sie ihre Tochter leblos im Blute auf dem Bett liegen.
Dieser Mord erregte ungeheures Aufsehen in der Stadt, zumal alle Nachforschungen der Polizei nach dem Täter völlig erfolglos blieben. In den Zeitungen wurden schwere Anklagen gegen die Kriminalpolizei laut.
Am stveiten Tage dieser Ausstellung hörte der in der Nähe postierte Schuhmann einen gellenden Schrei aus dem Menschengedränge vor dem Schaufenster. Hinzutretend, fand er einen unterſetzten, rotblonden Mann sich in Krämpfen auf dem Trottoir wälzen. Als der Schußmann ihn aufhob, bezichtigte sich der Mensch heulend des Mordes an dem Mädchen. Jetzt hatte auch die Menge seine auffallende Aehnlichkeit mit dem Täter auf dem Bilde bemerkt, und drohte ihn zu Ihnchen. Er wurde in Polizeigewahrsam ge
nommen.
Die Polizei ließ den Maler unter einem Vorwande telegraphisch aus Rom zurückberufen. Auf dem Bahnhof wurde er verhaftet. Vor dem Untersuchungsrichter sagte er aus:
Eiwa fünf Monate nach diesem Fall war im Schaufenster der berühmten Gemäldesamm-„ An jenem Samstag- Vormittag befand An jenem Samstag- Vormittag befand Jung Daziaro das mit dem Rom - Preis ausge- ich mich zufällig in der Nähe der Mordstelle und zeichnete Bild eines bis dahin unbekannten jun- gelangte zusammen mit der Polizei in den Dachgen Malers ausgestellt. Es hieß:„ Der Mord raum. Ich hatte Blei und Papier mit und ferin der 19. Linie" und gab mit äußerstem Rea- tigte sogleich eine genaue Sfizze des Tatortes lismus den Dachraum und das auf dem Bett an, die ich zu Hause durch eine Farbensfizze ruhende tote Mädchen wieder. In die halboffene aus dem Gedächtnis vervollständigte. Der GeWohnungstür aber hatte der Künstler die unter- danke an das entsetzliche Geschehnis ließ mir febte Gestalt eines rotblonden Mannes hinein- teine Ruhe, bis ich mich entschloß, es mir von komponiert, der, im Begriffe fortzuschleichen,| der Seele zu malen. Lange suchte ich in den noch einen leẞten Blick auf das Opfer wirft. Kneipen und Teehäusern von Wassili Ostrow nach Das Bild fand starten Zulauf. Vor dem einem geeigneten Modell zu dem Mörder. Eines Schaufenster drängte sich ständig eine große Tages sah ich im Goldenen Anter" in der 6. Menschenmenge. Linie einen Mann, bei dessen Anblick sich meine
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Der wankelmütige Bildhauer
nervöse, suchende Unruhe sogleich legte. Ich hatte mein Modell gefunden: so konnte er ausgesehen haben. Der Kellner sagte mir, daß der Mann hier öfters Tee trinke. Er sei finster und vers schloffen, und werde wohl kaum auf das Modella stehen eingehen, wenn er auch ziemlich zerlump aussehe... So stizzierte ich ihn mehrmals heims lich, wobei ich mir Mühe gab, seinem Blick nich zu begegnen. Endlich hatte ich ihn auf dem Pas pier und begann mein Bild."
Der Künstler wurde mit dem Mann fono frontiert und erklärte: ,, Er ist es." Die mar teriellen Angaben des geständigen Mörders ere wiesen sich bei der Nachprüfung als richtig. Ed wurde überführt und verurteilt.
Schonende Behandlung
Aus London wird ein interessanter flink scher Fall berichtet. Bei einem berühmten Ner benarzt erscheint ein distinguiert angezogenes älteres Ehepaar, das von der erfahrenen Emp fangsdame sogleich unfehlbar auf Portweinhan del und ,, British Consols" tariert wird. Zuerst läßt sich der Gatte anmelden, sieht den Doktor flüsternd in eine Ecke und flagt ihm sein Leids die Frau ist Kleptomanin. Was der arme Mann all die Jahre hindurch an Wiedergutmachung und Vertuschung habe leisten müssen bas fönne sich niemand vorstellen. Wenn man sie ime Moment des Stehlens ertappe, bekomme feina Frau die lebensgefährlichsten Herzanfälle! Eine ein Lamm abnehmen. Er vergöttere seine Frau, Stunde nachher lasse sie sich alles geduldig wie der Doktor müsse ihm helfen, die Kosten spielen
feine Rolle,
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aber vor allem: um Gottes wila
len die Frau nicht aufregen!
Darauf tritt der sichtlich bekümmerte Gatte ab, und die Dame wird einer eingehenden Uns tersuchung unterworfen. Anfangs antwortet sie ruhig, doch bald bemerkt der erfahrene Psychias ter einen fiebrigen Glanz in ihren Augen und das Verschwinden seiner Brieftasche. Hierauf folgt eine tranceartige Gesichtsstarre sowie seis ne Uhr, sein Zigarettenetui und einige fleina Wertsachen. Natürlich verzicht der erfahrene