regisseur."—„Ach, ist bat interessant?"— „Sehr. Aber auch anstrengend, besonders jetzt im Sommer. Du kannst dir keine Vorstellung machen, was für eine Hitze in den Glashäusern herrscht. Ich laufe fast immer halb nackt herum, aber eS nützt nichts. Möchtest du dir mal solch ein Filmatelier ansehen?" Robert wurde ganz rot vor Freude. Jetzt glühte nicht nur sein Haar, sonl:rn auch sein Gesicht.„Schrecklich gern."—„Gut. Komm übermorgen nachmittag in die rue St. Denis 17 und frage nach mir. Dann werde ich dir mal den Filmbetrieb richtig zeigen, kleiner Freund.— Der„kleine Freund" konnte die nächsten beiden Nächte nicht schlafen. So brannte er vor Ertvartung. „Hoffentlich kommt er", sagte der jung«, doch wegen seines besonderen Stils bereits sehr berühmte Filmregisseur Paul Leblanc zu dem Autor, dessen Manuskript er zu drehen
ist geradezu rührend." am meisten freuen, werden. Da kam einem Diener aus Ateliers. Etwas schüch- zur Seite gelegt,
beabsichtigte.„Der Junge ist wie geschaffen für die Hauptrolle. Wirklich, so kitschig eS klingt, aber ich fühlte förmlich einen Stich, als ich ihn sitzen sah im„Dome", mit seinem Vater, einem ältlichen, bereits etwas reduzierten Maler.„Was hab ich mich bereit- umgesehen nach diesem Typ. Ich hatte schon ave Hoffnung aufgegeben. Der Held ihres Manuskripts ist ein zarter sensibler Knabe, gütig, ohne weichlich, ernst, ohne unkindlich zu sein. Ein reiner kleiner Jung«, der ständig mit der brutalen Welt der Erwachsenen zusammenftöstt. Und nun habe ich unseren Typ entdeckt. In einem hochaufge- schossenen rothaarigen Jungen von höchstens elf, zwölf Jahren. Warten Sie nur, wenn Sie ihn sehen, wenn Sie mit ihm sprechen werden." Der Autor hatte amüsiert-zugehört.„Ihre Begeisterungsfähigkeit Aber es soll mich wenn Sie enttäuscht Rotkopf, geführt von dem Warteraum des lern, den Kopf schräg mit den langen dünnen Armen schlenkernd. „Bon jour, Monsieur Leblanc", sagte er hell und kindlich,„da bin ich." Es fiel Leblanc, der sich darauf verstand mit Menschen umzugehen, nicht schwer, das Herz des Knaben zu gewinnen. Eigentlich hatte eS ihm vom ersten Augenblick an gehört. Robert konnte das Ganze allerdings kaum begreifen.„Ich soll filmen? Wirklich, ich?"—„Ja", sagte Leblanc,„du sollst die Hauptrolle in dem neuen Film spielen, den ich drehen werde. Er heißt„Poile de Carotte".„Karotten-Kopf".
Dazu brauchen wir, wie du dir denken kannst, einen kleinen Rotkopf." Scherzend fügte Leblanc hinzu"„Einen röteren Rotkopf als dich gibt es in ganz Paris nicht." Doch dabei strich der Filmregisseur freundlich und gutmütig über daS flammende Haar des Knaben. Vater Languelier war entzückt, als Rotkopf ihm berichtete, daß er unter der Regie Paul Leblancs die Hauptrolle in einem Film spielen sollte, dessen Titel mit seinem Spitznamen identisch war. Robert, der junge elf- einhalbjährige Robert ein Filmstar. Der Maler fand sich zu Tränen gerührt. An diesem Abend braute Herr Languelier eine Bowle auS feinsten Sommerkräutern, mit Erdbeeren vermischt. An diesem Abend trank fich Rotkopf seinen ersten bescheidenen Schwips an. Rotkopf wurde natürlich sofort auS der Schule abgemeldet. Languelier liest ihm Privatstunden geben. Das stattliche Honorar des Film-Vertrages erlaubte dies. Doch vorläufig ^nn Robert nicht viel zum Lernen. Der Film, der zum gröstten Teil auf. dem Lande spielte, wurde in der Touraine gedreht, und Robert blieb mit Leblanc, den anderen Schauspielern und den Kino-Operateuren diele Wochen von
Paris fern. Im Herbst waren dir Aufnahmen beendet. Robert kam zurück. Noch zarter, noch blasser als gewöhnlich. Da es in der ganzen Zeit für ihn nur Arbeit und keine Ruhepausen gegeben hatte. Vater Languelier war unermüdlich im Fragen. Erst als er die Erschöpftheit des Kindes bemerkte, hörte er auf.„In ein paar Wochen ist Premiere", sagte Rotkopf, der nun schon so sprach wie einer, der dazu gehört, „dann wirst du ja sehen, Vater. Hoffentlich fall ich nicht durch." Er fiel nicht durch, der kleine„poile de Carotte". Er hatte den gröstten Erfolg, und man nannte im Nu seinen Namen mit der gleichen Bewunderung wie den deS jungen Jackie Coogan und der winzigen Shirley Temple . Kritiker schrieben begeistert, Leblanc schloh sofort einen neuen Vertrag mit Roberts Vater ab. In allen fünf Erdteilen schluchzten Frauen, schämten sich auch Männer der Tränen nicht, als sie daS Leben und Leiden deS Knaben Rotkopf auf der Leinwand sahen. „Poile de Carotte" ist ein Kind, das in seinem Elternhaus unsagbar schlecht behandelt wird. Die Stiefmutter hastt den rothaarigen Jungen, der Vater kümmert sich nicht um ihn. Das Ende: der durch zahllose Kränkungen ge- demütigte und verzweifelte Knabe, versucht seinem Martyrium durch Erhängen»in Ende zu machen. Im letzten Augenblick kommt der Vater hinzu, der Schreck, die gewaltige seelisch« Erschütterung genügen, um ihn erkennen zu lasten, was sein Kind gelitten hat. Versöhnlich schliestt der Film. Erschüttert säst Vater Languelier vor diesem Werk. Mit traumhafter Unbefangenheit spielte Robert den Knaben. Wo hatte er das nur her? Die Fähigkeit, Leiden zu erfassen und zu gestalten? Das Fingerspitzengefühl für jede Situation, das ihn mit unerhörter Sicherheit alle Möglichkeiten und alle Grenzen erkennen liest? Sein Lächeln wurde zum Lächeln der an« deren, der Zahllosen, Unbekannten, sein Schmerz spiegelte aller erniedrigter Kinder Traurigkeit wider. Es fand Herr Languelier schliestlich die einzige, die wirkliche Erklärung für solch Phänomen: Robert, der kleine Junge, war«in großer Künstler! Vater Languelier senkte den Kopf. Diese Erkenntnis überwältigte ihn. Der Film, der kurz darauf gedreht wurde, spielte in einem anderen Milieu. Roberts Aufgabe war es jetzt, nicht nur die Tragödie des unverstandenen Knaben darzustellen, sondern zugleich auch die durch besondere äußere Umstände hervorgerufenen Kontraste zwischen Kind und Umwelt zu gestalten.„Der kleine König" hieß das neue Manuskript. In dem Titel lag schon alles. Der kleine König, ein kleiner Junge, der sich den Anforderungen, die man an ihn stellt, nicht gewachsen fühlt. Der nicht jugendlicher„Herrscher" sein will, nicht Puppe, nicht Automat, sondern schlichtweg Mensch, Kreatur. Robert Languelier erfüllte auch diesmal Leblancs Anforderungen ganz und gar. Nur— daS Publikum, die groste entscheidende Maste, war bereits nicht mehr so hingerissen wie Aber„poile de Carotte". Die Kritik stellte eine Wiederholung der alten künstlerischen Leistung in Roberts Spiel fest, jedoch keine Steigerung, keine neue Nuance. Man ging von dem „kleinen König" schnell zur Tagesordnung über, im Zeitalter des Star-Systems kannte man weder Mitleid noch Geduld. Leblanc tat «S bitter weh, als seine Gesellschaft ihm mitteilte, es sollten keine weiteren Languelier» Filme gedreht werden. Der erwartete Erfolg sei schon bei dem zweiten Werk ausgeblseben.
Avancement
Leblanc müffe einen anderen Typ ausfindig machen. Herr Languelier war tief enttäuscht. Rot» köpf lächelte. DaS schmerzliche und wissend« Lächeln eines Frühreifen. Denn Rotkopf wußte bereits in der Tat sehr viel von der Welt.„Sei nicht traurig, Papa", tröstete er den Vater,„ich werde wieder in die Schule gea hen, und du wirst wieder malen. Geld genug, um sorgenlos zu leben, habe ich ja verdient." Languelier mußte seinem Sohn gestehen, daß dieser sich irrte. DaS viele Geld war nicht mehr da. Er hatte fich so ausgegeben, der Maler wußte selbst nicht wie. Ueber Nacht hatte man die Lebensgewohnheiten reicher Leute angenommen.-Die Wohnung gewechselt, die Be« dürfniffe, den Stil. Mit dem Ergebnis, daß jetzt kein Sou überflüssigen Geldes vorhanden war. Die teure Wohnung wurde zuerst aufge- geben. Das alte Atelier am Montparnaste, dies« mal jedoch ohne Avonne, die in die Proving zurückgekehrt war, bezogen. Herr Languelier begann von neuem zu malen. Porträts. Land« schäften, teils nach alten Skizzen, teils nutz dem Gedächtnis. Doch die Krise hatte während Roberts zweijähriger Filmtätigkeit solche AuS« dehnung angenommen, daß sich jetzt kein Käu« fer mehr für Herrn Languelier? Arbeiten fand. Der Händler meinte:„Probieren Sie'? mal mit kleinen obszönen Sachen. So was zieht im« mer noch." Languelier spie vor ihm auS, schlug die Ladentür hinter sich zu. Er war ein Künsts ler, niemals würd< er sich erniedrigen. Liebeverrecken. Zu Haus säst Robert, traurig, hungrig.„Papa", meint« er leise,„ich werde vrr « suchen, als Filmstatist Geld zu verdienen, Leblanc tot’’*» mir helfen".—„Niemals", schrie der Alte, dann ist eS ein für»allem« aus mit deiner Karriere. Das erlaube ich nicht. Du bist ein Künstler, ebenso wie ich eD bin." Rotkopf zuckte die Achseln.„Davon wer« den wir nicht satt, Papa"— er war ja nun schon so wissend—„ehrliche Arbeit schändet nicht. Morgen gehe ich zu Leblanc." Am nach« sten Abend teilte Robert dem Vater mit, daß er durch die Vermittlung deS Regisseurs ist