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Witer&altungtf&eilage
1935
KirsGVMtenlegenbe
In der Stadt Wei Pe, die am Min-Fluß liegt, an der Grenze der Provinz Tse-Tschuan, herrschte vor vielen Jahrzehnten der Mandarin Li Dsing. Er legte den Bauern hohe Steuern auf, mehr, als sie vom Ertrag ihrer armen, dürren Felder, ihres dürftigen Bodens bezahlen konnten. Li Dsing kannte keine Gnade; wer die Steuer, die ihm vorgeschrieben wurde, nicht. pünktlich erlegte, wurde in den Kerker geworfen und blieb dort solange, bis die Frau, der Bater, der Bruder die Silberstücke und Kupfermünzen dem Schatzmeister Li DsingS auf die Hand zählte; mochte, das Geld zusammengebettelt, gestohlen, mit Blut erkauft sein— danach fragte Li Dsing nicht. AlS eines Tages, eS war in einem Jahr der großen Not und die Ernte war noch kümmerlicher als sonst, fünf Bauern, deren Hütten am Rande der Stadt Wei Pe lagen, ihre Steuern nicht bezahlen konnten, ließ Li Dsing sie gefangennehmcn und in die Keller seines Palastes werfen. Die Frauen der Bauern kamen zu dem Mandarin, neigten die Stirnen in den Staub und flehten um Erbarmen. Unter den fü»f Bauern war der junge Kung, der einen schmalen Streifen Landes von seinem Pater ererbt hatte; er wandte alle seine Kräfte an das magere Stück Erde , doch reichte die Ernte kaum für ihn selbst, geschweige denn für eine Frau und die Kinder, von denen Kung träumte. Er liebte Liau Tschen, ein junges Mädchen, das Augen von unergründlicher, dunkler Tiefe hatte und Hände, die weicher und zarter waren, als die Lotosblüten in den ersten Tagen des Frühlings. Auch Lian Tschen ging zu dem Mandarin, auch ihr Antlitz mit den dunklen Augen, in denen Kung alle Seligkeit der Welt erschaute, berührte den Boden. Erst wollte Li Dsing die Frauen aus dem Palast peitschen lassen, dann besann er sich anders. Auf dem kleinen Lacktischchen neben seinem Lager stand eine silberne Schale mit Kirschen. Er nahm eine Kirsche, aß sie, holte den Kern zwischen den Zähnen hervor und hielt ihn zwischen zwei Fingern empor. „Ich schenke euren Männern die Steuern", sagte er,„aber ich lasse sie erst frei, bis dieser Kern Keime geschlagen und der Baum, der aus ihm wächst, seine ersten Früchte getragen hat. An dem Tag, an dem die ersten Kirschen dieses Baumes hier vor mir in dieser Schale liegen werden, öffnen sich die Kerker eurer Männer. Nicht eine Stunde früher." Die Augen der Frauen folgten dem Mandarin, der sich erhob, ans Fenster trat und den Kern in den Hof warf, der mit großen Steinfliesen belegt war. Der Kern rollte ein paar Schritte, dann sank er in einer Ritze zwischen Steinen in den Staub. Die Frauen blickten ihm stumm nach. Zwischen den Ritzen der Steine keimte fahles, schütteres Gras— wie sollte hier ein Kirschbaum wachsen, blühen, Früchte tragen? Von neuem baten sie um
Bo» Fritz Rosenfeld Gnade, doch das Gesicht deS Mandarins war nur eine starre MaSke abweichenden Lachens: „Ich habe die Freiheit eurer Männer in den Boden gepflanzt", sagte er,„seht zu, daß sie schnell wächst. In eurer Hand liegt das Schicksal eurer Männer. Bin ich nicht gnädig?" Die Frauen gingen sort, in ihre Hütten. Sie saßen vor den leeren Tischen, aus ungehobeltem Kiefernholz, der Hunger starrte ihnen aus den Augen ihrer Kinder entgegen, in den Vorratskammern lag kein einziges Reiskorn mehr, keine Handvoll Mehl. Wenn die Männer fehlten, schwand alle Hoffnung, ein wenig Nahrung aufzutreiben. Liau Tschen hockte am Fenster in ihrer Hütte, ihre Augen waren rot von vielem Weinen, di« Tränen tropften auf ihre Finger, sie brannten wie flüssiges Erz. Da erhob sich Liau Tschen und ging in die Hütten der anderen Frauen, rief sie zusammen und führte sie in den Hof des Palastes, an die Stelle, an der der Kirschkern lag. Sie trugen in ihren Händen ein wenig Erdreich herbei und legten es um den Kern, damit die Wurzeln des künftigen Baumes Nahrung hätten. Ihre Tränen netzten die Erde, und da eine heiße Sehnsucht in ihnen war und unendliche Verzweiflung, und da sie aus der tiefsten Tiefe ihres Herzen kamen, geschah das Wunder, daß der Kirschkern über Nacht Wurzeln trieb und am nächsten Morgen, als der Mandarin ans Fenster trat, um in den Hof zu blicken, ein winziges Bäumchen, kaum eine Elle hoch, sich zwischen den steinernen Fliesen schwach und ängstlich emporreckte. Die Frauen kamen, ihre Herzen jubelten. Aber dann dachten-sie an den Hunger ihrer Kinder und an die Qual ihrer Männer in den Kerkern des Mandarins; sie weinten viele Tränen, die auf das Erdreich fielen. Das Bäumchen wuchs — eine geheime Kraft entfaltete seine Blätter und lockte seinen Stamm Tag für Tag ein kleines Stückchen der Sonne entgegen. Sie betrügen mich, dachte der Mandarin. Ein Magier hat ihnen ein Zauberwort verraten. Und Li Dsing ließ die Frauen, als sie wieder in den Hof seines Palastes kamen, zu sich führen. „Ihr treibt kein ehrliches Spiel", sagte er.„Nie ist ein Kirschbaum in der Provinz Tse-Tschaun und im ganzen Reich so schnell getvachsen. Aber ich werde euch den Zauber verderben I Von heute an darf niemand den Hof des Palastes betreten. Ich stelle Wachen um oas Bäumchen, und wer sich ihm nähert, wird mit dem Tode bestraft." Li Dsing erteilte fünf seiner besten Schützen den Befehl, sich mit ihren Waflen im Kreis um das Bäumchen zu stellen. Da standen sie, hoch und mächtig, den Speer in der Faust, das Schwert an der Seite, und die Frauen wagten sich nicht in die Wurfweite ihrer Waffen. AuS der Ferne sahen sie, wie daS Bäumchen verdorrte; seine Zweige hingen schlaff herab, der Stamm neigte sich zur Erde,
die Blätter wurden grau von Staub und Hitze. Eine große Traurigkeit überfiel di« Frauen. Sie hockten in ihren Hütten und klagten: nie werden wir unser« Männer wieder sehen, sie werden in den feuchten Kerkern deS Mandarins hinsterben wie krank« Tiere in einem Winkel. Die Tränen der Frauen fielen auf den derben, knarrenden Bretterboden. Da geschah es, daß der Sohn des Himmels sich erhob von seinem Thron in der Kaiserstadt Pe-King und eine große Reise antrat, die ihm durch alle Provinzen und auch in die Stadt Wei Pe in Tse Tschuan führte. Der Mandarin Li Dsing gab zu Ehren des Kaisers ein großes Gastmahl. Als die Speisen abgetragen und die Flöten verklungen waren, trat der Kaiser ans Fenster und erblickte daS Bäumchen, um das fünf Krieger in vollen Waffen standen. Der Kaiser lächelte, dann fragte er den Mandarin: „Warum läßt du ein armseliges Bäumchen von fünf Wächtern beschützen? Ist eS dir so kostbar? Fürchtest du, daß Räuber«S enfführen könnten?" Hätte der Mandarin dem Kaiser di« Wahrheit gesagt, so wäre er lächerlich geworden in den Augen des Sohns des Himmels, und der Kaiser hätte wohl einem Narren nicht länger die Macht in Wei Pe anvertraut. So nahm der Mandarin seine Zuflucht zu einer Lüge: „Es ist ein kostbares Bäumchen, mag eS auch kaum eine Elle hoch und halb verdorrt sein", sagte er, mit einer tiefen Verneigung, und alle? Blut wich aus seinen Wangen.„Bor einigen Wochen erschien mir im Traum ein Gott, er gab mir einen Kirschkern und sagte, die Früchte, die der Baum tragen wird, zu dem sich dieser Keim enffaltet, schenken die Gabe deS ewigen Lebens. Da pflanzte ich daS Bäumchen in den Hof meines Palastes, um es stets unter den Augen zu haben, und bestellte fünf meiner Krieger als Wache." „ES hat dürftigen Boden", erwidert« der Kaiser,„aber wenn ein Gott es gesegnet hat, wird es wohl gedeihen. Eine Weile dacht« der Kaiser nach, dann fuhr er fort; sein« Stimme klang so hart, daß der Mandarin erschrakt„Die erste Ernte dieses Baumes gehört mir. Sende mir die ersten Kirschen, die der Baum trägt, aber betrüge mich nicht! Ich lasse einen meiner Räte hier, er muß mir mit seinem Kopf dafür bürgen, daß die Kirschen, die du mir schickst, von keinem anderen Baum statninen, als von diesem". Der Kaiser wählte unter seinen Räten. Die Wahl fiel auf Wu Fan, den der Kaiser haßte, weil er flüger war, als der Sohn deS Himmels selbst. Wu Fan war ein uraltes Männlein, griesgrämig und mürrisch, mit einem dünnen, grauen Bärtchen und langen, knochigen Fingern. Nun war der Mandarin in der Falle gefangen. Der Kaiser zog ab.