Wu Fan aber richtete sich in dem Palast ein, als wäre er der Herr des Hauses. Er befahl dem Koch, die teuersten Speisen zu bereiten, er ließ sich die kostbarsten Teppiche aus dem Schlafgemach des Mandarins bringen und hatte für Li Dsing jeden Augenblick einen anderen Auftrag. Tag und Nacht jagte der Mandarin im Palast umber, denn er wagte es nicht, auch nur einen Wunsch seines hohen Gastes unerfüllt zu lassen.
Das Bäumchen aber gedieh nicht. Es war ein Jahr der Dürre, seit Monaten war fein Tropfen Regen gefallen, die Brunnen waren erschöpft, das laue Wasser in den Tonnen fast verbraucht. Li Dsing befahr wohl, das Bäumchen jeden Morgen zu begießen, aber die Sonne saugte die paar Tropfen Wasser sogleich wieder auf und das Erdreich zerfiel zu fahlem Staub. Wu Fan schüttelte den Kopf, fraulte mit seinen knochigen Fingern in dem dünnen, grauen Bärtchen und lächelte.
,, Lange wird der Sohn des Himmels auf die Kirschen warten müssen“, sagte er zu Li Dfing. ,, Aber Ti Lu Wong ist kein geduldiger Herrscher."
Da bekam Li Dsing Angst. Er fandte nach den fünf Frauen und fuhr sie hart an: * ,, Ihr habt mit eurem Zauber den Baum wachsen lassen, nun laßt ihr ihn verdorren. Der Haß gegen euren Herren ist größer als die Liebe zu euren Männern. Ich aber bin euch überlegen. Wenn der Baum nicht blüht, und sei es als einziger in der ganzen Provinz, Tasse ich eure Kinder in den Brunnen werfen und lege euch die Köpfe vor die Füße."
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Eine der Frauen brach ohnmächtig zusammen; die anderen mußten sie aus dem Palaste tragen. Groß war die Klage der Frauen, sie wußten feinen Rat und feinen Ausweg. Da fam am Abend eine uralte, verwitterte Frau zu ihnen, sie hatte keine Zähne mehr und ihre Haut war wie vertrocknetes, schimmliges Leder.
,, Nur einer kann helfen", sagte die Alte. Ihr müßt den Gott des Großen Berges bitten, er möge eine Regenwolke senden, jeden Tag; eine kleine Wolke, gerade genug, um den Palast zu überschatten und die Wurzeln des Baumes mit fruchtbarem Regen zu nähren".
Wo wohnt der Gott des Großen Berges, fragte eine der Frauen; und was fordert er als Preis, klagte Liau Tschen.
,, Der Gott des Großen Berges wohnt in den Wolken, die um den Gipfel des Dschei Tun in der Provinz Kan Su freisen; wenn ein Mensch ihn um eine besondere Gnade bits tet, muß er ihm als Preis das Licht seiner Augen opfern."
Die Frauen erstarrten. Das Licht ihrer Augen? Das bedeutet: sie sollten die Welt nicht mehr sehen, den Himmel und die Sonne, ihre Kinder, ihre Männer, die Tiere vor dem Haus und die Felder, die in einem glückliche ren Frühling wieder grünen werden. Schweis gen war in der Hütte. Liau Tschen aber sprach:
,, Ich werde gehen. Ich werde dem Gott des Großen Berges das Licht meiner Augen darbringen. Kung liebt mich. Er wird mich auch lieben, wenn die Sprache meiner Augen verstummt sein wird, denn er hört die Sprache meines Herzens. Und ich werde ihn ewig vor mir sehen, wie in der Stunde, in der er mir zum ersten Mal entgegentrat und ich fühlte, daß ich ihm angehöre bis zum Ende meiner Tage."
So machte sich Liau Tschen auf den Weg; eine Frau begleitete fie, denn auf dem Rückweg würde das Licht ihrer Augen ja erstorben
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sein. Der Weg führte an verbrannten Dörfern Zu dieser Stunde aber langte Wu Fan vorüber, am Rand der Straße lagen die Kör- am Hofe des Kaisers an. Der Kaiser besah per verdurfteter Tiere, die Schreie der Hun- die Kirschen von allen Seiten, er hob sie ins gernden Menschen erfüllten Liau Tschens Ohr. Licht, er roch an ihnen, er hatte Angst, sie Am Fuße des Berges Dschei Tun in der Pro- könnten vergiftet sein. Der Mandarin Li Dsing vinz Kan Su blickte Liau Tschen nochmals ist schlau wie sollte der Kaiser feststellen, zurück, auf die Felder, Häuser, Menschen; ob die Kirschen wirklich das ewige Leben dann begann der Weg, der sich endlos und steil schenkten? Kurze Zeit sann er nach, dann ließ zwischen Felstrümmern und Schluchten em- er Wu Fan Holen, der sich eben, müde von porwand bis zu den Wolken. Liau Tschen warf der langen Reise, auf seinem Lager ausges sich vor dem Antlitz des Gottes, das in den streckt hatte. Wolfen verborgen war, nieder und sprach ihre Bitte aus:
,, Sende eine Wolfe mit Regen Tag um Tag über den Palast des Mandarins Li Dsing in Wei Pe in der Provinz Tse Tschuan, so lange, bis das Kirschbäumchen im Hofe des Palastes blüht und Früchte trägt. Und nimm das Opfer des Lichtes meiner Augen entgegen als Dank für deine Gnade und als Zeichen, daß du meine Bitte erfüllst".
Liau Tschen erhob den Kopf, ein schwerer dunkler Schleier verhüllte die Welt, Liau Tschen fühlte den steinigen Boden unter ihren Füßen, sie hörte einen Raben frächzen im Gezweig eines Baumes, sie fühlte den falten Gipfelwind um ihren Körper streichen; aber sie wußte nicht mehr, ob Tag oder Nacht war. Sie erschrat, als eine Hand sie berührte; es war die Frau, die Liau Tschen Schritt für Schritt über den gekrümmten Weg ins Tal hinab und durch die Provinzen nach Hause führte. Liau Tschen sah auf diesem Weg nicht mehr die verbrannten Dörfer, die Körper der verdur steten Tiere am Rand der Straße, sie sah nur Kung, der ihr die Arme entgegenstreckte, sie fühlte, wie seine Stirn in Liebe ihre Stirn berührte.
Als sie nach Wei Pe kamen, hallte der Gesang der Flöten wider von den Mauern der Häuser. Der Mandarin gab ein Fest, denn am Morgen war eine Wolfe gekommen, dunkel und trächtig, und hatte eine Flut kostbaren, warmen Regens verströmt auf die Fliesen des Hofes und den kleinen Kirschbaum. Der Baum hatte sich erhoben, er hatte sich aufgeredt wie ein Mensch nach einem langen, tiefen Schlaf, und alle seine Blätter wandten sich wieder der Sonne entgegen.
Wu Fan stand am Fenster und betrach tete mit scharfen Blicken das Wachstum des Baumes. Als einige Wochen vergangen waren, sprossen die ersten Blüten, bald fielen sie ab und rote, reife Früchte hingen an den Zweigen. Wu Fan sammelte sie ein, mit seinen eigenen Händen, und füllte sie in eine große, goldgetriebene Schüssel. Dann reiste er an den Hof des Kaisers zu Pe King.
Li Dsing ließ nun die fünf Bauern frei. Aber er schärfte ihnen ein, daß er nur noch dieses eine Mal Gnade üben wollte, und sie die Steuern, die sie schuldig waren, im näch sten Jahr nachtragen müßten. Er befahl seinen Schreibern, genau zu verzeichnen, wieviel die fünf Bauern ihm schuldeten.
Als Kung erfuhr, daß Liau Tschen das Licht ihrer Augen geopfert hatte, für ihn und für die Frauen und Kinder, wollte er zuerst solange in die Sonne blicken, bis auch das Licht seiner Augen erloschen wäre. Doch Liau Tschen zog seinen Kopf an ihre Schulter, sie legte ihre Hände über seine Augen, mit den weichen, schmalen Fingern, die zart waren wie die Lotosblüten in den ersten Tagen des Frühlings, dann berührte sie die geschlossenen Lider mit ihrem Mund. Da wußte er, daß er das Licht seiner Augen bewahren mußte, für Liau Tschen und für sich und für die vielen, glücklichen Tage, die ihnen noch bevorstanden.
,, Du bist alt, Wu Fan", sagte der Kaiser. ,, Diese Früchte schenken das ewige Leben. Koste sie, sie werden dir die Jugend wieders bringen".
Wu Fan weigerte sich anfangs; er set müde des Lebens, sagte er, sein Weg sei vollendet, das Tor des Himmels öffne sich bereits vor seinen Blicken.
Wenn die Kirschen wirklich das ewige Leben schenken, dachte der Kaiser, dann muß Wu Fan gefeit sein, auch gegen den Hieb meines Schwertes. Er befahl Wu Fan, die Kirschen zu kosten. Wu Fan aß, drei, fünf, fieben. Da erhob der Kaiser sein Schwert und hieb zu. Der Kopf Wu Fans, mit dem grauen, dünnen Bärtchen, rollte wie eine Kugel auf den Boden.
wöhnliche Kirschen, wie sie Betüger, dachte der Kaiser. Es sind ges Bäumen in meinem Reiche wachsen. Li Dsing an abertausend soll mir für seine Lüge büßen. Wer seinen Kaiser belügt, ist nicht wert, das Licht der Sonne zu sehen, den Himmel, dessen erhabe ner Sohn ich bin.
Der Kaiser sandte einen General mit tausend Soldaten nach Wei Pe. Sie umstell ten den Palast des Mandarins, der zitterte, als er die Soldaten kommen sah; er hatte, seit Wu Fan die Stadt verließ, keine einzige Nacht mehr geschlafen. Der General befahl, Li Dsing zu fesseln, er ließ über dem offenen Kohlenbecken eine Speerspiße bis zur Hoch glut erhißen und in die Augen des Mandarins bohren. Li Dsing brüllte vor Schmerz, er biß in die Hände der Soldaten, die ihn hielten, sein Körper warf sich in unerträglichen
Schmerzen hin und her.
Sein Schrei ging über die Stadt Wei Pe bin und rollte wie Donner über die ganze Provinz. Die Bauern verschlossen die Türen ihrer Hütten und verhängten die Fenster; sie fürchteten, Li Dsing quält einen der ihren, weil er mit den Steuern im Rückstand geblie= ben, und morgen könnte es ihnen ebenso ers gehen.
Als der Schrei des Mandarins aber an das Ohr Liau Tschens drang, die in der Hütte Kungs saß und an die Stunde dachte, da sie dem Gott des Großen Berges gegen= übergestanden hatte, geschah es, daß die Dunkelheit von ihr abfiel wie ein alter, zerriffener Mantel. Erst sah sie ihre Hände, dann die bunten Blumen, die auf ihr Kleid gestickt waren, dann den farbigen Fächer aus Papier, den Kung gekauft und neben sie gelegt hatte, damit sie in den Stunden des Mittags sich ein wenig Kühlung fächeln könnte. Pochenden Herzens erhob Liau Tschen die Augen, sie wanderten über die Mauer bis zum Fenster, das groß und hell war, ein goldener Fleck in der Welt. Sie trat an das Fenster und blickte hinaus; breit Tagen die Felder da, in der Ferne dämmerten die Berge. Und dort kam Kung, den großen, schmuziggelben Basthut auf dem Kopf. Liau Tschen preßte, stumm vor Freude, beide Hände ans Herz und lief ihm entgegen.