BUNTE WELT

Nr. 29

Grete Livius:

Unterhaltungsbeilage

Bartei egal...

langtveilt ein: ,, Nun ja, irgendetwas muß man doch studieren. Das gehört doch dazu. Im Grunde interessiert mich die Juristerei einen Dred." Fabrikant Holt zuckte zusammen. Er liebte es nicht, wenn sein Sohn auf gelassene Art ordinär sprach. Doch fuhr er sanft fort: Wir bielten es aber für das Beste nach ge­meinsamer Ueberlegung. Ich glaubte, du seist mit deiner Wahl zufrieden. Und du hast doch neben deinem Studium Abwechslung genug. Du treibst Sport, bist ein guter Tänzer, hast neulich sogar einen Preis beim Tango- Turnier im Alcron- Hotel gewonnen und verkehrst in den besten Häusern. Wenn du mit deinem Studium fertig bist, wird hoffentlich auch die Krise ein Ende haben. Dann trittst du in die Fabrik ein, später setze ich mich zur Ruhe, du übernimmst allein die Leitung. Du wirst heiraten, Kinder haben und keine Langeweile mehr baben."

1935

türlich wurde die ganze Angelegenheit nach außen vertuscht, Stefan verkehrte weiterhin bei den besten Familien der Stadt, flirtete mit deren Töchtern bis zur Grenze des in jenen Kreisen Erlaubten, trieb Sport, tanzte, war ein gesuchter junger Mann. Mit Stefan fonnte man am Barrandov schwimmen, im Baum­garten reiten und auf der Letná tennisspielen. einer legte einen besseren Blue" auf die schimmernde Tanzfläche des Parketts als er. Keine Leidenschaft, fein Ehrgeiz erschütterte das Gemüt dieses jungen Mannes seiner Zeit. Jezt hätte er nicht einmal mehr soviel Emo tion aufgebracht, als sie der Entschluß zum Selbstmord erfordert.

Er hieß Stefan Holt, war 24 Jahre alt, eigener Wunsch- Jura." Stefan warf ge- der Alte mußte, wohl oder übel, zahlen. Nas hatte ein hübsches banales Gesicht, blondes Haar, grane Augen, die kühl ohne Begeisterung in die Welt blickten. Groß und gut gewachsen, trieb er allerlei Sport, spielte Fußball, Tennis, führte schwierigste Tanzschritte mit läffiger Gewandtheit aus. Den Mädchen gefiel er, sie flirteten gern mit ihm, und er ließ es sich ge­fallen. Ansonsten hatte Stefan, einziger Sohn des nordböhmischen Fabrikanten Holt, keine Passionen. Bereits mit einundzwanzig fand er die eigene Eristenz recht überflüssig und be­ging einen Selbstmordversuch. Man rettete ihn zur rechten Zeit und war nach seiner Genes fung auf große Gefühlbergüsse und schrecken­erregende Geständnisse gefaßt. Doch nichts von allebem erfolgte. Mit hungrigem, vom Aus­pumpen bes Giftes allzuleeren Magen erschien Stefan am nächsten Tag beim Frühstückstisch und mit selten gutem Appetit eine stattliche Bahl Honiggestrichener Butterbrötchen. Die Eltern sahen ihm gerührt zu. Dann bat der Fabrikant seinen Sohn ins Privatkontor und fragte bort, ernst, milde, die Stimme noch sits ternd von ausgestandener Angst, was Stefan denn um des Himmels willen beranlaßt habe, den Eltern, die ihn über alles liebten, der artiges antun zu wollen. Der junge Mann rekelte sich im Sessel, rauchte bereits mit Ge­nuß wieder die erste Bigarette nach der Auf­erstehung und erklärte lafonisch: Nichts be­sonderes. Ich finde nur alles fo langweilig."

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Da verkrachte die Firma. Die gute alte väterliche Firma. Und jetzt war es Fabrikant Holt, der das Dasein unerträglich fand. Er erschoß sich. Vier Wochen später erlitt bie Witwe einen Herzschlag. Stefan Holt stand Spöttisch sah der Sohn auf den Vater. allein in der Welt. Sechsundzwanzig Jahre ,, Glaubst du nicht, daß allein dies schon langs alt. Blond, schlank, gut gewachsen. Sein Aus­weilig ist das Programm seines Lebens sehen, ein paar tausend Kronen, eine gedies fig und fertig vorgesezt zu bekommen? Sozu gene Garderobe waren alles, was er besaß. sagen bis zum seligen Ende? Keinerlei Ueber- Die Volontär- Stelle gab er auf. Das raschungen mehr zu erwarten haben?" Der war nichts mehr für ihn. Die Rolle des ver­Fabrikant senkte den Kopf. Bei ihm, dem wöhnten reichen jungen Mannes war ausges Alten war es anders gewesen. Keiner hatte spielt. Biji tam und fragte, ob er sie nicht seine Wege geebnet. Er hatte sich selbst jeden heiraten wolle. Bis er Verdienst gefunden, Schritt bahnen müssen. würde sie ihm helfen. Das Kind war nun Stefan gähnte. Nach einem mißlungenen schon anderthalb Jahre alt. Sie sah ihn flehent Selbstmordversuch fühlt man sich müde. Papa, lich an mit ihren glänzend- sinnlichen Augen. ich lege mich jetzt ein bißchen schlafen. Hab Stefan lachte, strich ihr übers Haar, dankte teine Angst. So was macht man nicht ohne mit Rein". Dazu hatte er denn nun doch weiteres zum zweiten Mal. Unter uns gesagt, teine Lust, zu enden in trivialem Kleinbürs das Magenauspumpen war abscheulich. Hast gerdasein. du nicht' n alten guten Cognat?" Holt schenkte seinem Sohn schweigend ein. Dann legte sich Stefan zu Bett. Schlief fest bis zum späten Nachmittag. Fuhr abends nach Prag . Nahm das gewöhnliche Leben wieder auf. Ergeben in sein Schicksal, das ihm bestimmt hatte, nicht vorzeitig aus dieser Welt, in der er sich lang­

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Der Fabrikant war entsetzt. Diese Ant­wort hatte er nicht erwartet. Niemals war ihm das Leben langweilig erschienen. Er hatte dazu einfach teine Zeit gehabt. Holt entfann fich selten und nicht gern geschah dies bag er aus fleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, es durch Glück, Fleiß und ungeheure Rücksichtslosigkeit, die ihn nichts und nieman den verschonen ließ, zu etwas gebracht hatte. Die Hoffnung, sich im Alter zur Ruhe seßen zu können, mit dem guten Gewissen und der behaglichen Sicherheit gefüllter Brieftasche und stattlichem Bankkonto, sah er allerdings au weilte, zu scheiden. feinem Leidwesen schwinden. Denn an die Stefan Holt bestand das Staatsexamen Krise hatte er in den Zeiten der großen Ge­winne nicht gedacht. Jetzt gab es Sorgen, Aerger, Aufregungen, um so mehr, da der ein­zige Sohn und Erbe wenig Talent und Bes gabung zur Führung eines großen Betriebes zeigte.

Der Fabrikant Holt starrte betrübt zum Fenster hinaus. ,, Als ich so alt war wie du, fühlte ich feine Spur von Lebensüberdruß. Jch war ein kleiner Angestellter, der sich nichts sehnlicher wünschte, als Erfolg zu haben und vorwärts zu kommen. Das kostete Arbeit und noch mal Arbeit."( Was es noch gekostet hatte, verschwieg der Alte dem Sohn wohlweislich.) ,, Wenn ich bedenke, wie gut du es hast und noch hast. Niemals kanntest du Sorgen bis zum heutigen Tag. Als Kind hielt ich dir die besten Erzieher, später besuchtest du das Gym­nasium, heute studierst du es war dein

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Was wollte er eigentlich? Er entsann sich seiner gesellschaftlichen Beziehungen zu den angesehensten Familien der Stadt. Jedoch in den meisten Häusern empfing man ihn über­haupt nicht. ,, Die Herrschaften bebauern". die Herrschaften find verreist" ,,, der Herr hat leider keine Beit", die Gnädige Frau empe fängt erst nächste Woche". Wo man ihn dens noch einließ. gab es unverbindliche Ratschläge. mit genügend". Was ihm selbst ebenfalls oder kühles Achselzucken. ,, Lieber Stefan", völlig genügte. Der Alte hatte besseres gehofft. fagte sich der junge Mann, als er nach all Doch jah er bald ein, daß in bezug auf seinen seinen mißlungenen Bittgängen, die Hände Sohn sich keine Hoffnung erfüllte. Ein großes in den Hosentaschen, durch die Straßen schlen. Industrie- Unternehmen der Hauptstadt nahm derte ,,, bei denen zählst du nicht mehr mit. Stefan schließlich als Volontär auf. Gegen Auf die kannst du pfeifen". Und er pfiff in geringes Taschengeld, wie es so üblich war. der Tat hell, hart, böse vor sich hin. Es hatte Mühe genug gekostet, den jungen Sein Geld ging rasch zu Ende. Menschen, Mann bei der Firma mit dem großen Namen an Ueberfluß gewöhnt, lernen das Einschräns dieser allein ein sicherer Wechsel auf die ten erst, wenn sie nichts mehr haben. Stefan Zukunft- unterzubringen. Doch wozu war Holt verließ die teure Pension, suchte sich eine man Fabrikant Holt und hatte überall seine billige Bude. Ueberlegte, auf fleckigem Plüsch­Beziehungen? sofa sitzend, die Zukunft. Plötzlich packte ihn, was er bisher nie gekannt: der Ehrgeiz! Er war unten, ganz unten, das Leben hatte ihn aus jenem heiterem Himmel sehr unsanft hina abbefördert auf die triviale Erde. Mit einem Mal verspürte er Lust, sich zur Wehr zu setzen. Ich will wieder nach oben, foste es, was es

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Das erste, was Stefan Holt in dem neuen Lebensabschnitt anfing er begann ein Tech­tel- Mechtel mit einer Kontoristin des Betries bes. Sie war achtzehn, hatte glänzende schwarze Augen, neugierig finnlich- fragend und hieß Biši. Stefan machte Biži ein Kind, und