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Versicherungen— das kennen wir von früher. Nein, danke, wir kaufen lieber, so lange's noch was zu kaufen gibt. Erzähl deiner Großmutter, daß die Meldung nicht stimmt. Die glgubt's vielleicht. Wir nicht." Der Kriegsruf auS dem Aether sah fest in aller Denken. Männer im militärpflichtigen Mter sahen sich schon einrücken. Frauen rangen bereits die Hände. Kinder weinten grundlos. Nur weil sie den Kunimer der Erwachsenen sahen. Gendarm Havliiek überlegte. Je länger er nachdachte, desto sonderbarer und unglaubwürdiger erschien ihm die Geschichte. Er entschloß sich, die Gendarmerie-Station auzurufen und vom dem Vorgefallenen Mitteilung zu machen. „Quatsch", tönte es gleichgültig zurück,„ihr spinnt wohl bei euch im Dorf? He, die Hitze hat euch wohl ein bihchen durchgedreht?" Schon hing der andere an, ärgerlich über die Störung. Gendarm Havliöek wußte, was sich für einen pflichttreuen Beamten gehört. Unerschüttert ließ er von neuem läuten. Erklärte dem wütend Schnauzenden, daß die Dorfhonoratioren, der Herr Doktor, der Herr Apotheker , der Herr Gemeindevorsteher und auch die Frau des Schlächters Kola! seine Worte bestätigen könnten. Jetzt wurde der Vorsteher der Gendarmerie-Station\ aufmerksam. Meinte:„Das muß ein Schwarzsender gewesen sein. Falls er sich wieder meldet, werden wir die Radio-Ueberwachungsstation benachrichtigen." Am nächsten Tag wartete das ganze Dorf gespannt auf die.Zeitungen. Es stand nichts darin. Wohl wurde von drohender Kriegsgefahr in Abessinien gesprochen, doch von augenblicklicher Kriegsgefahr in Mitteleuropa war nicht die Rede. Schon atmete alles erleichtert. Ein dunkler Spuk war über das Dorf hinweggegangen. Nun hellte er sich auf. Doch— am Nachmittag wiederholte sich das gleiche wie am Tag vorher. Und auch am folgenden. Stets zur selben Zeit. War das erste- mal noch mancher, ungläubig zu Haus geblieben, jetzt ließ sich keiner mehr halten. Stürmte zu. Cibulka , kaum konnte dieser verhindern, daß man ihn plünderte. Die ganze Ortschaft deckte sich ein mit Mehl für Buchten und Knödel. Cibulkas Kassen füllten sich bis an den Rand. Er konnte zufrieden sein. Gendarm Havliöck rief den Leuten vergebens zu, sie seien das Opfer der schwindelhaften Meldung eines Schwarzsenders. Weniger noch als am ersten Tag hörten sie auf ihn.„Ihr werdet ja noch merken, wie ihr an der Nase herumgeführt worden seid", rief er drohend und verärgert. Sie höhnten ihn. Er zuckte die Achseln.„Werdet ja sehen. Wir wollen's euch beweisen." Eine Stunde darauf, nachdem zum drittenmal der Kriegsruf aus dem Aether :^Achtung! Kriegsgefahr— kauft Semmeln" verhallt war, fuhr vor dem Laden des Bäckermeisters L. Cibulka ein Auto vor. Heraus sprangen zwei Herren in Zivil und Gendarm Havliöek. Rücksichtslos bahnten sie sich einen Weg durch die ängstlich und staunend zurückweichende Menge. Cibulka , gerade schwer beschäftigt, das Gesicht gerötet vor Anstrengung, bekam plötzlich wieder seine alte käsige Farbe, als er die Fremden in Begleitung des Gendarmen erblickte. In seine listigen Aeuglein trat Entsetzen. Die Hände zitterten. .Kommen Sie ins Hinterzimmer, Meister Cibulka", befahl einer der Herren kurz,„wir müssen mit Ihnen sprechen." Cibulka folgte. Wortlos.„Um es rund heraus zu sagen, wir werden bei Ihnen Haussuchung halten. Hier, unsere amtliche Legitimation."—„Warum denn?" stammelte Cibulka ,„ja warum denn nur, meine Herren?"—„Das werden Sie
ebenso gut wissen wie wir. Machen Sie keine Geschichten. Ist überflüsiig." Auf dem Boden, zwischen altem Gerümpel, fanden die Beamten der Radio-Ueberwachungs- Station was sie gesucht hatten. Einen primitiven, aber immerhin doch einen Schwarzsender. Die Beamten schmunzelten. Der eine meinte:
Schließlich muß mich auch eine Mutter geboren haben. Ich weih es nimmer. Ich bin heimatlos, habe nie auf Erden einen treuen Freund gefunden. Kein einsames Bett verweint in ewi« ger Erinnerung an die paar kleinen Mädel, die mich auch sobald wieder verlassen. Keine Frau ziert mein karges Nachtmahl mit mütterlichen Rosen. Ich habe meine schönsten Verse, Märchen, Erzählungen als Kind geschrieben. Sie wurden alle.von einem wütenden Vater vernichtet^ denn ich sollte ja lernen, um was Tüchtiges zu werden. Mein Rektor Metschnabel nannte mich immer einen windigen Dichterling. Meine Jugend war unsäglich einsam. Ich habe sie zu Salzburg verbracht,. das immer wieder lockt, mich dort begraben zu lassen. Meine einzige Freude war ein Klavier. Ich wurde als Wunderkind bestaunt. Aber ich bekam oft Ohrfeigen, denn der Vater wollte seine Zeitung in Ruhe lesen. Mein ganzes Leben war ein furchtbares Aufschreien. Weinen. Ich habe all mein Leid, mein Unglück in meine Dichtung gepreßt. Wer mein Leben finden will, lese sie. Ich wundere mich, daß ich noch leben darf. Ich habe über dreißig Werke geschrieben, aber man schickt mir seit Jahren die Gendarmen auf den Hals, denn:„A so a Rotzbua ko do koa Schriftstella sei, a Schriftstella muaß do a Geld habn, aber der Tepp Hot do koa Geld." Die Gendarmerie rät mir immer, eine nützliche Arbeit zu ergreifen. Aber ich bin krank, ich kann nicht wie früher Lastträger, Ausgeher, Fabrikarbeiter sein. Meine Gemeinde möchte mich ins Irrenhaus stecken. Sie fürchtet, ich könnte ihr eines Tages zur Last fallen. Es sind nicht zehn Menschen in Deutsch land und Oesterreich, die um mich wissen. Ich bekomme oft monatelang keinen Brief, keine Ansichtskarte. Meine Einsamkeit würgt und steinigt mich jede Sekunde. Wenn ich doch einen' schönen Traum hätte. Ich liege im Spital. Betrachte die Tage her mit hilflosen Kinder- und Greisenaugen, di« grauen Wände des Zimmers und die grauen Wolken des Himmels. In den Augen schlürfen uralte Männlein und Weiblein. Ein Handwerksbursche, der ein paar Tage bleiben darf, pfeift sich ein Lied. Ich möchte heulen wie ein Hund. Und das Leben könnte so schön sein... II. Ich bin geboren im März..-. Meine Eltern sind schlichte Leute. Der alte Vater läuft heute noch rum ums tägliche Leid und Brot. Immer, wenn mich die große Sehnsucht— bloß ein Stündlein heimtreibt ins kleine Gartenwirtshaus, sagt die Mutter:„.-,. jetzt hast d' noch dein schäbigen Mantel..." Und der Vater schimpft:„. ,. Was tut denn der Lump schon wieder da.. Ja, wie schön haben meine Eltern geträumt — halt wie alle Eltern träumen. Und sie haben sich's vom Mund abgespart — und mich auf die Schule geschickt—„damit sich der Bub nicht so plag'n braucht wie unsereins,
»,Na, großes Unheil konnte das Ding aber nicht anrichten. Weit übers Dorf hinaus ging dieser Kriegsruf nicht." Doch das war von Meister Cibulka auch gar nicht beabsichtigt gewesen. Denn für seine Konkurrenz hatte er den Schwarzsender schließlich nicht erbaut...
und daß er vielleicht später— wenn et Beamter oder Pfarrer ist,— für seine alten Leut was übrig hat. Aber der Bub ist kein Pfarrer geworden^ sondern ein Taugenichts, der dem lieben Herrgott den Tag stiehlt. Drüber all die Fleißigen spotten. Wie oft hat er gelogen:„Mutter, wart', ich will euch schon ein kleines Häusl erarbeiten, daß du'r und der Vater auch noch schön habt"— aber es sind„Sprüche" geblieben— wie mein ganzes Leben und Irren. O Mutter, ich fühl's ja, wie's bitter ist, wenn dich der Herr Stadtrat fragt:„Was ist doch Ihr Sohn?" und du mußt das kummervolle Haupt senken und schweigen. Und du, armer Vater, wie müd du in den Cafös der kleinen Städte die Witzblätter liest— enttäuscht über alles lächelnd, du hast mich oft verleugnet— und doch, wenn ich elend im Krankenhaus lag— kamst du— von drüben— aus der fernen Heimat— mit seligem Weihnachtsleuchten und hast geweint: „Armer Bub, wenn du gesund bist, darfst du heim!" Aber der ewige Bub ging nicht heim! Er mußte matt vor Gasöfen, in Glasschmelzereien, Verbrecherspelunken an die Frühlingszeit der „andern" denken, ans blonde Birkenhaar einelieben, guten Kindes— das längst vorüberging — oder saß in traurigen Sonntagsanlagen,' so unsäglich einsam— wo man fühlt, wie alt man geworden, daß man übrig, und wo alle Viertelstündlein fragen: warum ist dir bloß alles versagt? Es hätt' oft so schön sein können, da wollten alle Sterne mir helfen, da sank ich selig ins Knie— aber immer ritz mich die Hölle— oder ein Gott?— wieder in grauenhafte Not. Wie rannte ich dann durch die Novembergaffen in meine grüne Totenmansarde und las von Kolumbus , Sokrates , Galilei — von ihren Fesseln und tausend Martern, dir ihnen hartherzige, verblendete Menschen angetan. Weinte — über den Erfinder der Dampfmaschine, den sie ins Irrenhaus sperrten, über van Gogh, den elendig, zerknirscht, in unsagbaren Himmelsfarben aufschrie und von nichts lebte als seiner Not. Oder träumte von Napoleon , wie er den greisen Grenadier zum Obersten trommeln ließ und all seine Orden dem Glücklichen geschenkt. ... und las die Zeitungen, daß Menschen verhungern und sich erschießen... Da harfte Hölderlins unsterbliche Liebe an mein mondlos Bett— oh, wieviel Tränen stürzten und ich dachte nimmer, wie klein ich und arm — das waren schöne, paradiesisch« Briefe, die ein sanfter Todesengel brachte. Und da flötete Schlaf mir goldene Fontänen, ich lag im saphirnen Park der Schwermut — spielte mit Kinderball und den süßen Ampeln des Abends.— Wenn ich so recht unglücklich, denk ich an die guten Freunde, die mir begegnet, und wie sie alle sich— ach zu bald— enttäuscht von mir wandten. Ich könnt' mich ja