LT
BUNTE
1935
2tr. 42
UnterOaltana^eilaoe
Maud im Unterhaus B»« Grete Liviu»
Maud Mason ist ein kleines Mädchen von zwölf Jahren. Es hat lange blonde Locken, die ihr di« Mutter durchaus nicht zu kurzer Pagenfrisur abschneiden will. MaudS Mama, ein« Witwe, liebt dies« Locken zärtlich. Sie haben die gleiche Farbe wie daS Haar ihres John, der vor drei Jahren an einem Lungenleiden, geholt im Krieg, starb. Auch die blauen Augen hat Maud von ihrem Vater, die zarte, ein bistchen mit Sommersprossen durchtupfte Haut. Doch im Gegensatz zu ihrem schmalen, kleinen, fast etwas gebrechlicher Körper, steht des Mädchens heller, lebhafter Geist.„Sie ist ein Kobold", behauptet di« Mutter mit Stolz. Die beiden leben in Manchester . Eine graue rauchige Stadt. Der Rauch erstickt den Wind der nahen Irischen See. Textilfabriken, Stahl- und Eisenwerke, umliegende Kohlengruben machen die Luft so schlecht. Hätte John wo anders leben können als hier, denkt die Witwe ost, wer weist, vielleicht gäbe es ihn dann heute noch. John konnte jedoch nicht fort. Bis zum letzten Augenblick arbeitete er in der Textilfabrik. Jetzt bezieht Mauds Mutter ein« klein« Rente. Sehr bescheiden. Immerhin besser als nichts. Mrs. Mason ist sehr sparsam. Sie versteht mit dem wenigen Unmögliches möglich zu machen. So besucht Maud z. B. die beste Schule der Stadt. Dafür hungert die Mutter. Aber es fällt ihr nicht siitzver. Maud geht immer nett angezogen, erhält Milch und Obst. Sonntags fahren die beiden aus der Stadt hinaus, manchmal mit der Tram, manchmal auch mit der Eisenbahn und gehen in den kleinen papierdünnen Wäldern spazieren. Auch am Meer war Maud schon einmal. Bei Verwandten des verstorbenen Vaters. Maud spricht noch immer davon begeistert, ihre lebendige eigenwillige Phantasie malt das Erlebnis des Gesehenen und Gehörten tausendmal grostartiger aus, als es in Wirklichkeit war. Jetzt gerade wieder erinnert fie sich daran. In der Schule hat ihnen der Lehrer die Aufgabe erteilt, über eine Ferienreise zu schreiben. Und Maud erzählt nun mit glühender Be- geisterung von den Ferien an der See.„England ist das schönste Land der Welt", kritzelt ihre kleine Hand in das blaue Heft. Damit schliestt Maud den Aufsatz, gibt ihn am nächsten Tag dem Klassenlehrer Mr. Smith. Mr. Smith prüft nach Schulschlust die Aufsätze seiner Schülerinnen. Eines der letzten Heft«, das er ergreift, ist jenes von Maud Mason. Entzückt liest Mr. Smith immer wieder und wieder den Satz: England ist das schön st e Land der Welt! Was für «in Kind, diese kleine Maud. Wie stark ihm sich heute schon das Nationalgefühl ausprägt. Mr. Smith ist Nationalist durch und durch. Er gehört der englisch -fascistischen Partei des Sir Oswald Mosley an, die Herrn Hitler in allem und jedem zu kopieren sucht. Mr. Smith treibt Sport, angelt, rudert, boxt, und spielt Fustball . Es hat rötliches Haar und wasserhelle Augen.
Uebertrieben gescheit wirkt er nicht. Was ihm an Intelligenz fehlt, versucht er durch persönliche Schneid zu ersetzen. An Stell« des Geistes tritt die Kraftmeierei. Es scheint ihm dies auch wesentlich notwendiger für die kriegerische Auseinandersetzung, die nach seiner Ueberzeugung bald kommen must, und in der es darum gehen wird, den Gedanken des völkerverbindenden internationalen Marxismus auszurotten. Mr. Smith hastt die Roten . Er sieht in ihnen das Unglück der Welt. Und darum hastt er auch den Direktor seiner Schule, Mr. Barry, einen fortschrittlichen, freiheitsliebenden Mann, in allem das Gegenteil von Mr. Smith. Smith kann an Barry nicht denken, ohne sich vor Wut auf die Lippen zu beihen. Die Tur zum Klassenzimmer wird geöffnet. „Noch hier, Mr. Smith?"—„Jawohl, Herr Direktor. Ich habe zu tun. Ich korrigiere Aufsätze meiner Klaffe." Barry mag den Smith ebensowenig wie dieser ihn. Aber er bemüht sich trotzdem, sachlich und korrekt zu bleiben. Tritt näher heran.„Sind Sie mit den Leistungen Ihrer Schülerinnen zufrieden?" In Mr. Smiths kleinen wässerigen Augen funkelt es böse auf.„Ja. Diesmal besonders. Maud Mason hat eine Arbeit geliefert, die alle meine Erwartungen übersteigt. Sie beglückt mich geradezu." Der Direktor sah nur die Begeisterung auf dem Gesicht des Lehrers. Nicht das böse Funkeln seiner Augen.„Es freut mich sehr, dast gerade die kleine Maud Mason so gut vorwärtskommt. Ihre Mutter ist Witwe und bringt die schwersten persönlichen Opfer, um das Kind unsere Schule besuchen zu lassen. Wollen Sie mir, bitte, den Aufsatz zeigen?" Smith hatte nur darauf gewartet.„Natürlich, Herr Direktor, selbstverständlich, sehr gern." Und er reichte dem anderen das Heft. Mr. Barry, der Direktor des Mädchen- Lyzeums von Manchester , war, obwohl ein echter Engländer, dennoch ei» Gegner übertriebener Formalitäten. Sein Lebensstil war äusterst schlicht, und auch jetzt hatte die Bewegung, mit der er sich halb auf eine Schulbank setzte und das ein« Bein in der Lust baumeln, liest, etwas Jungenhaft-Burschikoses an sich.■ Mr. Smith konnte«S nicht sehen, ohne dast ihm jeder Nerv weh tat.„Dieser Kerl ist mir zuwider bis auf die Knochen", dachte er. Inzwischen, die freundlichen Gedanken des Lehrers nicht ahnend, las der Direktor den Aufsatz der zwölfjährigen Maud Mason. Er fand ihn frisch geschrieben, einfach und naiv. Dann aber kam der letzte Satz:„England ist das schönste Land der Welt." Mr. Barry runzelte die Stirn. Sah auf. Sein Gesicht war jetzt ernst. Es konnte sich mitunter überraschend schnell verändern. Konnte in dem«inen Augenblick, hell, fröhlich, in dem anderen streng, hart, entschlossen sein.„An sich, lieber Mr. Smith",— seine Stimme klang jetzt kühl, sachlich—„habe ich nichts gegen die Arbeit der Schülerin Maud Mason einzuwen- den. Der Aufsatz ist sehr nett und lebendig ab-
gefastt. Nur der letzte Satz gefällt mir nicht! „England ist das schönste Land der Welt." Dies scheint mir denn doch übertrieben." Er lächelte.„Ich kann mir wirklich etwas Schöneres vorstelle» als unsere nebelfeuchte Insel und unser rauchgeschwärztes Manchester . Wen« ich an Italien denke, an die Schweiz , den blaue« Himmel rind die schneebedeckten Berge, nun, da klingt doch die Behauptung der kleinen Diaud reichlich übertrieben. Das Kind hat es gewih gut gemeint und sich nichts Böses dabei gedacht. ES kennt ja auch nichts anderes als das Stück Meer, von dem es hier so schwärmerisch erzählt. Der Erzieher aber hat die Pflicht, solche Illusionen, die leicht zu späterer chauvinistischer Einstellung führen können,- schnell und restlos zu zerstören. In diesem Sinn bitte ich Sie, mit Maud Mason zu sprechen." Der Direktor sah den Lehrer erwartungsvoll an. „Das werde ich nicht tun", anüvortete Mr. Smith leise, aber bestimmt. Mr. Barry nahm — dies tat er immer, wenn er entrüstet war, die Brille mit einem Ruck ab.„Was soll da- heisten?" fragte er scharf.„Nichts", antwortet« Smith gleichmütig.„Rur , dast ich so, wie Si« es wünschen, mit meiner Schülerin nicht rede« will. Im Gegenteil: Ich werde ihr vor der gesamten Klasse ein Lob für ihre nationale Gesinnung erteilen, die nach meiner Austassung" — jetzt, jetzt konnte er es dem Berhastten endlich geben—„die Gesinnung jedes anständige« Engländers sein sollte." Mr. Barry, der Direktor, antwortete nichts. Drehte sich um, ging mit schwerem Schritt aus dem Klassenzimmer. Der Lehrer Smith sah ihm triumphierend nach. Er fühlte sich als Sieger. Am gleichen Abend fand in Manchester eine Sitzung der Ortsgruppe von Sir Oswald Mosleys fasciftischer Partei statt. Voll Hohn und Spott berichtete Mr. Smith dabei über de« Fall Maud Mason und- über die Auseinandersetzung, die er deswegen mit seinem Direktor gehabt hatte. Einmütig beschlost die gesamt« Ortsgruppe, diesen„Fall" grotz aufzuziehe«. Man sandte einen ausführlichen Bericht an Morley, der wiederum trug die Angelegenheit im Unterhaus vor. Die Konservativen stellte« sich auf seine Seite. Er gab eine erregte Debatte. Die Tories verlangten gemeinsam mit den Fascisten, dast Schuldirektoren wie Barry, „die die Seelen der Kinder international vergiften, entlasten werden. Für jedes englische Kind müsse England das schönste Land der Welt sein.„Wohin kämen wir?" rief einer der Herren mit dem Zylinderhut pathetisch, wenn ein englischer Boy, ein englische? Girl fremde Erde schöner fände als die eigene Heimat?" Der Zylinderhut wackelte ihm dabei vor gut gespielter Erregung auf dem Kopf.„Zieht daraus die politische Konsequenz!" brüllte es am Abend mit grohen Lettern aus Lord Rothermeres hit- lerfreundlicher„Daily Mail".„Kämpft gegen den internationalen marxistischen Geist, der hier schon in der Seele des Kindes Unheil stifte« will." Gemähigter verhielten"sich die„Times",