BUNTE WELT
Nr. 52
Grete Livius:
Unterhaltungsbeilage
Ernös Tagebuch
Aufzeichnungen eines Dreijährigen
Beitungsmeldung: Vor| Fabrit fertig bin, komm ich zu dir. So gegen fünf, ja? Und bitte, zieh den nilgrünen Py an, mit dem tiefen Rückenausschnitt."- Bapa hat den Hörer aufgelegt. Ich blättere weiter in meinem Bilderbuch. I wo, ich hab gar nichts verstanden. Alter Knacker, denke ich, als Papa das Zimmer verläßt, nicht ohne mir vorher einen väterlichen Kuß auf die Stirn zu drücken. Das bei setzt ihm die Jlonka Hörner auf nach Strich und Faden. Bözsi hat es neulich in meiner Gegenwart unserer Köchin Marischka erzählt. Die Bözsi aber wiederum ist mit dem Stubenmäd
einigen Tagen wurde auf die chirurgische Klinik in Debrezin ein Dreijähriger eingeliefert, der nach dem Befund des leitenden Arztes als abnormal entwickelt und überreif bezeichnet wird. Ein operativer Eingriff ist nötig, um das Kind wieder zum Kind zu machen. Der ausgebildete Schädel unterscheidet sich kaum von dem eines Erwachsenen, ihm entsprechen auch die geistigen Fähigkeiten und Interessen, was sich namentlich im Instinktleben des Knaben äußert und erschütternde Grotesken zeitigt.
Mezökövesd, den 3. Dezember 1935.
Fast ein Jahr führe ich nun dieses Tagebuch. Meine Mutter schenkte es mir zum letzten Weihnachtsfest. Ich bin jetzt drei Jahre und zwei Monate alt. Ich muß gestehen, daß mich die Welt bisher sehr enttäuscht hat. Allzuviel habe ich mich zivar noch nicht in der Fremde getummelt, aber das, was sich in meiner nächsten Umgebung abspielt, rechtfertigt meine pessimistische Einstellung zum Leben. Da ist die Ehe meiner Eltern. Wirklich, ein unerfreuliches Kapitel. Jeder geht seine Wege. Papa hat unzählige Freundinnen, Mama ebensoviele Flirts. Beide können sich absolut nicht daran gewöhnen, daß ich bereits erwachsen bin;( ebenso wie Bözsi, mein Kindermädchen, die übrigens bemerkenswert schöne Beine hat. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit kneife ich sie in die Waden.) Bözsi ruft immer: ,, Wo biste denn, Kleiner, tomm doch her!" Dabei stehe ich in meiner ganzen Größe vor dieser Person. Vergebens suche ich ihr flar zu machen, sie solle auf gleich und gleich mit mir verkehren und die läppische Redeweise unterlassen. Es gelingt mir nicht. Und wie gesagt, bei Papa und Mama ist es dasselbe.
Zum Beispiel: ich size nach Tisch im Klubsessel und rauche meine Zigarette, die ich mir jeden Tag aufs neue schiver erkämpfe. Mama hat sich in ihr Boudoir zurückgezogen zu einem Nickerchen. Diesen Augenblick benutzt Papa, um
Trotzdem!
Ein Jahr versinkt im Strom der Zeit Ein Jahr ertrinkt in Not und Leid, Am fernen Himmel blüht kein Licht, Trotzdem! Ist unser Weg auch weit, Endlos, Genossen, ist er nicht!
-
-
Ein Jahr entflieht von Not umgellt, Der Hunger zieht durch seine Welt, Ihn stillt kein freundlich fattes Wort, Und doch: Was war, zerbricht, zerfällt, Was kommt, wirkt in die Zukunft fort!
-
Der Glocken Ruf wird Hammerschlag! Wer Leben schuf, erfüllt den Tag! Ein neues Jahr! Wir treten ein Wenn Ihr nur wollt, wird Sarkophag Dies Jahr für alle Feinde sein!
-
E. D.
chen der Ilonka befreundet. Ja, ja, in so einer Kleinen Stadt wie Mezökövesd, spricht sich eben alles leicht herum.
Und Mama? Kein Haar ist diese Dame mit seiner Freundin Ilonka zu telephonieren. besser. Meine Eltern sind einander würdig. Ilonka ist Schauspielerin am Stadttheater. Mama zählt bereits achtunddreißig Jahre, ihr Groß. dick und wenig reizvoll. Ich verstehe Papas Geschmack nicht. Was Frauen anlangt, sind wir sehr verschieden. Papa ist aber in seine Ilonka schwer verschossen. ,, Täubchen", sagte er gestern wieder zu ihr, nachdem er vorher an der Tür gehorcht hatte, 05 Mama schon schnarcht, „ Täubchen, du sollst das Diamanten- Kollier haben. Wieviel kostet es denn?"-Pause. Papa
schien die Spucke wegzubleiben. Dann:„ FünfSchließlich:„ Gut, Ilonfachen, gut. Du bekommst tausend Bengö? Hm." Papa atmete schwer. es zu Weihnachten, mein süßer Schneck, mein Buzikam. Ob ich allein zu Hause bin? Aber ja. Nur der Kleine sizzt in einem Eckchen und sieht sich sein Bilderbuch an. Ach wo, der hört nicht Hin. Und wenn, was versteht so ein dreijähriger Schlingel davon. Pugifam, wenn ich in der
Liebhaber jedoch nur einundzwanzig. Er ist Student an der landwirtschaftlichen Hochschule und hofft, durch Mama später mal einen Posten in unserer Fabrik zu erhalten. Papa besitzt nämlich eine der größten Fabriken Ungarns . Sie produziert landwirtschaftliche Maschinen. Der Student Emmerich schläft nur aus Berechnung mit meiner Mama. Arme Mama! Manchmal tut sie mir direkt leid, und ich würde gern freundjetzt schon das Bild vor mir, wie sie mich empört schaftlich mit ihr darüber reden. Aber ich sehe verhaut. Na, sie wird ja sehen, was sie von dem Lümmel hat. Jedenfalls Emmerich stellt der Bözsi genau so nach wie Papa; auch wenn ich dabei bin, lassen sie sich gar nicht stören. Sie denken eben, ich merk's nicht. Haben die' ne Ahnung. Außerdem Teide ich Qualen der Eifers
1
1935
sucht. Ich selbst liebe Bözsi und kenne ihren Körs per besser als alle anderen. Zieht sie sich doch jeden Abend unbefangen vor mir aus! Ach, diese ganze Komödie der bürgerlichen Liebe, Ehe und Moral. Wenn ich denie, daß das immer so weiter gehen soll. Und rings um mich, in unserem Freundes, Verivandten und Bekanntenkreis sieht es nicht anders aus.
6. Dezember.
Gestern nachmittags waren wir bei Pros feffor Fekete, dem berühmten Psychiater und Chirurgen, zum fife o'clock tea. Der Professor ist ein sehr sympathischer Mann, eine Frau ist eine Ziege. Man sagt aber, sie habe sehr viel Geld gehabt und dadurch ihrem Mann die Gründung von allerlei Laboratorien und einer Klinik zu Forschungszwecken ermöglicht. Pros feffor Fekete interessiert sich sehr für mich und unterhält sich stets lange mit mir, wo wir uns auch begegnen. Mit seiner Frau kann ich mich nicht unterhalten. Sie ist zu dumm und redet von nichts anderem als vom Kochen, Kindern und Kleidern. Pinkepite muß sie wirklich genug mitgebracht haben. Die ganze Einrichtung hat natürlich ein Innenarchitekt besorgt. Möbel, Teppiche, Bilder, Porzellan, Vasen, Silber, alles äußerst stilvoll zusammengestellt. In jedem Raum Blumen Panzen. Unsere Villa wirkt dagegen, sowohl innen wie außen, direkt powlig. Allerdings bei der Bewirtung geht es durchs aus nicht so verschwenderisch zu. Wir geben älteren und besseren Kognak zum Tee, und Papas Zigaretten ziehe ich ebenfalls denen des Herrn Professors vor.( Er selbst raucht aber im stillen Kämmerlein höchstwahrscheinlich die gleiche gute Sorte wie Papa.)
-
"
-
-
oder
ge=
Es ist zum Lachen: mir wollten sie zuerst gewürzlose Säuglingskost" vorsetzen. Ich mußte findisch zu schreien beginnen, ehe man mir Tee mit einem ordentlichen Schuß Rum sers vierte. Wenn ich nicht energisch protestiert hätte, wäre ich von einer alten Tante, einer entsetzlich vertrockneten Jungfer, an die Brust bielmehr das, was sie so dafür ausgab nommen worden. Als sich endlich alle vollgestopft hatten mit Sandwiches, Pralinés und Lifören, begannen fie ,, Konversation" zu machen. Sie erzählten von ihren Reisen und Erlebnissen. Die Frau Professor sagte, sie verbringe das Frühjahr immer in Aegypten . Im vorigen Jahr sei sie in Florida gewesen, aber da habe es ihr nicht besonders gefallen. Im Sie weile am liebsten in ihren Gärten und übrigen sei sie für ein stilles, bescheidenes Leben. Treibhäusern. Kunststück, dachte ich, wenn man gekommen ist. gerade aus Amerika oder aus Afrika zurück
Ich sah mir die ganze Gesellschaft der Reihe nach an. Sie waren alle rund und wohlgenährt. Die Schauspielerin Jlenka, die auch da war, hatte den größten Buien von allen Frauen. Wenn sie Mamas Blicken begegnete, lächelte fie stets zuckersüß. Sicher aber sagte die eine von