BUNTE WELT

Nr. 7

Unterhaltungsbeilage

In der Matratzengruft

Zum achtzigsten Todestag Heinrich Heines   am 17. Feber

Das bekannteste Bild so beginnt Bruno Wille   eine kurze Biographie Heines zeigt diesen Dichter im Profil, wie er, durch sein Leiden vergeistigt, den sinnenden Kopf auf die Hand stützt. Das Bild stammt aus der Zeit der..Matraßengruft", in die Heine durch sein lähmendes Nervenleiden biele Jahre gezwungen war. Daß uns nur die eine Seite des Gesichts gezeigt wird, hängt vielleicht mit der Tatsache zusammen, daß die andere Gesichtshälfte gelähmt war. Der Stranke hat seufzend darüber gescherzt: Ich fann nur auf einer Seite, nur mit einem Auge weinen, ich bin nur noch ein halber Mann. Nur meine linte Seite tann noch ge­fallen. O Frauen, werde ich in Zukunft nur Anspruch auf die Hälfte eures Herzens haben?"

Im Mai 1848 war Heine   zum letzten Male ausgegangen. Wie wehmütig sein Bericht:

..Nur mit Mühe schleppte ich mich bis zum Louvre( dem großen Pariser   Museum), und ich brach fast zusammen, als ich in den erhabenen Saal trat, wo die hochgebenedeite Göttin der Schönheit, Unsere liebe Frau von Milo, auf ihrem Postamente steht. Zu ihren Füßen lag ich lange, und ich weinte so hefs tig, daß sich dessen ein Stein erbarmen mußte. Auch schaute die Göttin mitleidig auf mich herab, doch zugleich so trostlos, als wollte sie sagen: Siehst du denn nicht, daß ich keine Arme habe und also nicht helfen fann?"

Wenige Wochen später, am 7. Juni, schrieb Heine   an seinen Verleger Campe:

..Seit acht Tagen bin ich ganz und gar gelähmt, so daß ich nur im Lehnstuhl und auf dem Bette sein kann; meine Beine wie Baumwolle, und werde wie ein Kind ge= tragen. Die schrecklichsten Krämpfe. Auch meine rechte Hand fängt an zu sterben, und Gott weiß, ob ich Ihnen noch schreiben kann, Diftieren peinigend wegen der gelähmten Kinnladen. Meine Blindheit ist noch mein geringstes Uebel."

Voll verstehender und mitfühlender Be­wunderung schreibt Franz Mehring   in seiner Heine- Biographie über das qualvolle und doch an dichterischen Schöpfungen so reiche Leben des kranken Heine:

..Acht Jahre hat der Dichter dann noch in seiner Matraßengruft ausgedauert, mit einem Heldenmut, der zwar nicht die boden­lose Nichtswürdigkeit seiner Verleumder zu entwaffnen vermocht hat, aber jedem, der die Tragit menschlichen Lebens zu empfinden vermag, selbst das Wort der Bewunderung auf den Lippen ersterben läßt. Es ist schlechthin ohne Beispiel in der Weltliteratur, daß ein Dichter in einem Alter, wo auch großen Poeten schon die Schöpferkraft zu bersiegen beginnt, unter den fürchterlichsten Leiden mit voller Heiterkeit der Seele wei­ter zu schaffen und Werke zu vollenden ge­wußt hat, die an reifer Fülle und Schönheit

fast noch alles übertreffen, was ihm in sei­nen gesundesten Jahren gelungen war."

die nachfolgende Schilderung der Mühen Mehrings Heine- Biographie ist auch des dichterischen Schaffens des langsam Da­hinsiechenden, die Heines Sekretär Karl Hillebrand   gab, entnommen:

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..Heines Gehör war geschwächt, feine Augen geschlossen, und nur mit Mühe konnte der abgemagerte Finger die müden Augen­lider hinaufschieben, wenn der Poet etwas zu sehen verlangte. Die Beine gelähmt, der ganze Körper zusammengeschrumpft, so ward er alle Morgen von Weiberhand er konnte keine männliche Bedienung ver­tragen auf den Sessel gehoben, während das Bett gemacht wurde. Nicht das geringste Geräusch fonnte er erdulden! Seine Leiden waren so heftig, daß er, um nur etwas Ruhe, meist nur vier Stunden Schlafes zu er= langen, Morphium in drei verschiedenen Ge­stalten nehmen mußte. In seinen schlaf­lofen Nächten dichtete Heine dann wohl seine wunderbarsten Lieder. Den ganzen Ro­manzero" hat er mir diktiert. Das Gedicht war jedesmal ganz fertig am Morgen. Dann aber gings an ein Feilen, das stundenlang währte."

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HEINRICH HEIME

1936

In der Matraßengruft hatte der schon sterbende Dichter sein leptes großes Liebes­erlebnis.

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mann Wendel sprechen Zwar liebte er wir lassen jetzt Hers Armes Lamm" Mathilde, die ,, engelsüße noch immer sein Person", deren Stimme tönender Balsam für seine wunde Seele war, und die auf Erden schutzlos zurückzulassen den schlimmsten seiner Abschiedsschmerzen ausmachte. Aber wenn ihn ein ganzer Chor von parfümier­ten Erinnerungen" mit Kastagnetten- und Bimbelflang umsprang, erwachte bisweilen der Wunsch in ihm, noch einmal beseligt um Frauenhuld zu werben. Die Erfüllung fam vier Monde vor seinem Ende, da sich eines Tags man wußte nicht recht, woher Elise Krieniz, oder wie sie sich nannte: Cas milla Selden, etwas abenteuerlichen Sinnes an seinem Schmerzenslager einfand und bes glückt aufgenommen wurde. In späteren Jahren berichtete sie mit eitler Selbstgefäls ligkeit von ihren Beziehungen zu Heine   und noch später hatte sie als brave und bürgers liche Ehefrau eines Oberlehrers in Rouen  eine zimperliche Scheu davor, durch ihr bes rühmtes Verhältnis ins Gerede der Leute zu kommen, aber dem sterbenden Dichter bedeutete das Wesen mit dem ,, schwäbischen Gelbveigleinsgesicht" die letzte Blume seines trübseligen Herbstes. In den..Florentinis schen Nächten" hatte er sich einst als ver­träumten Knaben geschildert, der in ein totes Steinbild verliebt ist; jetzt in der Matraßen­gruft liebte er, ein Toter, eine lebendige Frau mit einer Leidenschaft, die durch den Zwang der Not eine Seelenliebe bleiben mußte.

Doch als der Tod, der weiße Schnees mann im unendlichen Nebel", ganz dicht an seinem Lager stand, galten des Dichters letzte Wünsche nicht der Frau und nicht der Freundin, sondern der großen Aufgabe seis nes Lebens, durch das geschriebene Wort seine Gedanken geltend zu machen: seine ers faltenden Lippen noch riefen nach Papier und Bleistift. Beides wurde ihm gereicht. aber der Stift entfiel der Hand; einige Stunden später stand das Herz still; am 17. Feber 1856. Drei Tage danach trug man ihn, ohne Kadosch und ohne Messe, aber im Beisein einiger der berühmtesten fran zösischen Dichter, zu Grabe, nach seinem leb ten Willen auf dem Friedhof der Vorstadt. Montmartre  , unter deren Bevölkerung er sein liebstes Leben gelebt hatte.

So ruhte sein Leib nicht, wie er ges träumt, unter deutschen Linden oder süd­lichen Palmen, sondern mitten im Brodeln der Weltstadt Paris  . Sein Geist aber be= gann, wie er scherzend vorausgesagt, über der Erde zu spuken, nicht in furchtbar un­glücklich deutscher Weise, sondern als eins gallisch heiteres Gespenst!