BUNTE WEIT Nr. 12 Unterhaltungsbeilage 1936 Bosnische Idylle Der Moslim trinkt während eines Viertels feines langen Lebens Kaffee. Ein Dorf mit drei Häusern hat drei Kafanas. Ueber einer ein­samen Hütte am Wegrand, die Zweifel erregt, ob sie wohl für Menschen bestimmt sei, glimmt auf einem verwitterten Holzbrett das Wort Kasan «. Drinnen stehen ein wackliger Tragherd und zwei Bänke, auf denen zur Not sechs Per­sonen Platz finden. Keine prunkvolle Mangala sammelt die Gäste um ihr« breitausladende reichziselierte Messingplatt«, auf deren Rand die Schälchen sich reihen, während in der Mitte Holzkohlen geschichtet sind, auf deren Glut in der Djezva, dem türkischen Kaffeekännchen aus Kupfer oder Messing, das Wasser mit dem fei­nen Kaffeeftaub singt. Es ist ein langwieriges Geschäft, den Kaffeestaub so klein zu bekommen in den langen Messingzylindern, die doch nichts anderes sind alS eine südliche Metamorphose unserer biederen behäbigen Kaffeemühlen. Auf den Kaffee folgt des öfteren«in Gläschen Ra- kija, das mit einer-Art völkischen Stolzes ge­priesene Bolksgift aus Zwetschgen, daS aber in mir trotz höflichen Bemühens kein anderes Ge­fühl zu ertvecken vermochte als daS des Brech­reizes, genau so wie der französische Marc oder sonst irgendeine nationale Abart Slivovitz oder Trebernbranntwein. Etwas mehr Verständnis konnte ich für Buza aufbringen, unter der sich der unwissende Leser eine etwas gegorene süß«, dünne Mehl­suppe vorstellen möge. Gute Dienste leistet die Limonade der zahlreichen Limonadenverkäufer, die ihre Ware in einem Vielgliedrigen Turm am Rücken spazieren tragen, aus dem bei Be­darf eine Verbeugung des Verkäufers das Rast entquellen läßt, das sich in einem geschickt ge­leiteten langen Strahl, der einem medischen Mundschenk' zur Ehre gereicht hätte, in das Glas ergießt. Doch kann man in Sarajewo mit purem Trinkwaster recht gut auskommen, denn diese Stadt erfreut sich des Rufes, das beste Trinkwasser unter allen europäischen Städten zu besitzen, ja, darin sogar Wien zu übertreffen. Gemäßigt war meine Begeisterung bei Baklaba und den vielfältigen ähnlichen Süßig­keiten in supersüßen dicken Zuckerwassern. Sie entfachte sich an Lonac, dem gedünsteten Fleisch­und Gemüsemischmasch, und brannte in hellen Flammen bei Cevapcici, den kleinen faschierten gewürzten Fleischwürstchen, deren zehn eine, mittlere Portion auSmachen, und angesichts der Rajnjici, die auf dem Miniaturspieß von den Ausmaßen einer größeren Stricknadel, auf dem fle gebraten wurden, dem Gast gereicht werden. Cevapcici kann man auch bei Straßenverkäufern erwerben; fie braten fie auf einem primitiven Rost über einem kleinen Holzkohlenfeuer und reichen die leckeren Dingerchen in eines der flqchen gerillten bosnischen Brote eingelegt, die stch biegen und ziehen lasten wie ein Gummi­badeschwamm. Von Dr. Anton Sleberer Tisch«, auf denen ganz« oder halbe gebratene Schafe die Vorüberwandelnden anlocken, ein Biertelkilo stehend in den fettriefenden Mund zu führen. Das ist ein billiges Vergnügen, denn ein ausgewachsenes lebendiges Schaf be­kommt man in dem Land schon für 40 bis 80 Dinar, das sind ungefähr 6 Schilling, zu kau­fen. Der armselige Besitzer treibt ein halbes Dutzend seiner Schützlinge einen halben Tag weit zum Markt, manchmal sieht man zer­lumpte Bäuerlein mit zwei, ja mit einem ein­zigen Schaf, stundenweit auf der Landstraße spazieren. Aber auch für den billigen Preis finden sich manchmal nicht die Käufer, denn Jugoslawien hat blutwenig Geld, viel zu we­nig, um seine eigenen Lebensmittel zu kaufen. Doch kehren wir zu unseren Schäfchen zurück, die, mit Säulein, Oechslein und unge­schirrten Pferdlein abwechselnd, die Landstraßen bevölkern. Befährt man mit Auto oder Motor­rad Bosnien , so taucht selten ein ebenbürtiger Gegner auf. Das ist güt so, denn auf diese Weise ereilt uns selten die gerechte Vergeltung für die Staubwolken, in die wir Mensch und Tier auf unserer Bahn einwickeln. Man kann getrost auf der falschen Straßenseite flott um Kurven fahren, ohne befürchten zu müssen, daß man einem Sportfreund in die Arme ltzuft. Kann man aber sicher sein, daß kein Auto hin­ter« Eck steht, so steht dort wahrscheinlich ein Ochs, ein Muli oder ein verschlafenes Bauern- wagerl. Am unproblematischesten. gestaltet stch das Aufeinandertreffen von Schaf und Auto. Das Schaf hat vom ersten Augenblick an besin« nungSlose Angst und rennt, waS es kann. DaS Muli unterscheidet sich vorteilhaft vom Pferd, denn es ist ungleich kaltblütiger, tut mit ein paar Schritten daS Richtige. Das Pferd ist zweifellos am nervösesten,«S ist unberechenbar; wenn«S am Halfter gehalten wird, tanzt es nach riickwärtS. Ein herzloser Fahrer kann stch das Vergnügen leisten, ein verängstigtes Tier­chen bis zur Erschöpfung kilometerweit vor sich herzutreiben, bis es bei einer Kurve endlich ge­radeaus läuft. Ochsen scheinen zu wissen, daß daS knatternde Vieh da vor ihnen höchstper­sönliches Interesse hat, ihnen nicht Weh zu tun; denn sie bleiben unerschütterlich stehen. Doch ist es hier nicht der Stoizismus der Dummheit, wie er bei Gänsen und Menschen so häufig ist, die ihren Mut damit beweisen wollen, daß- sie erst im letzten Augenblick langsam ausweichen. Ist man aber einen Meter nur mehr vom Ochsen entfernt, dann kriegt es auch er mit der Angst zu tun. Schwerfällige Koloffe entwickeln eine Behendigkeit, die man ihnen nicht zugetraut hätte. Elegant bugsieren sie ihre paar Zentner über weite Gräben. Es gibt unter den Auto­fahrern Freunde der Geflügeljagd. Ihnen ist eine Fahrt durch Ungarn , Slavonien und Bos­ nien zu empfehlen. seinen Wagen vor allem mit einen« extrastar­kem Signalhorn aus. Belustigend ist die Wirkung auf die ju­gendliche Bevölkerung. Während das Viehzeug von der Straße weg seinen Lauf lenkt, stürmt die Jugend der Straße zu. Man hat Angst, so ein kleiner dreckiger Piepmatz könnte beim Ren­nen seine Füße Verlieren; so groß ist sein Eifer. Winken und heitere Zurufe der neugieri­gen, gutinütigen, unabgestumpften Gesichter heitern die Seele auf. Die zahllosen Steinklopfer auf den Schot­terhaufen ziehen die Beine ein, die richtigen Stratzenarbeiter gehen ausnahmslos freundlich grüßend ihrer Freude Ausdruck über die Tat­sache, daß ein richtiger Herr die von ihnen ge­pflegte Straße würdigt. Es erfrischt das Westeuropäerherz, sich einmal in der unverweichlichten Atmosphäre dieser niaschinenlosen Primitivität zu baden. In bosnischer Ursprünglichkeit gewinnt Bosnien sein Getreide. Was läuft dort die Koppel Pferde in langsam verengendem Kreis um den Pflock in der Mitte, mit dem sie ein Strick verbindet? Sie treten die Körner aus dem Stroh. Um es aber von Spreu zu befreien, mutz man auf Wind warten. Dann wird ge­worfelt. Von der Schaufel hochgeworfen, fal­len die Körner zu Boden, während der Wind den leichten Mist zur Seite bläst. Wozu dienen die schwärzlichen Pfahl­häuschen am Flußufer, manche von ihnen so klein wie ein verschwiegenes Oertchen? Eine Stange führt durch ihren Boden; an ihrem unteren Ende sitzt waagrecht ein kleines Schau­felrad, auf das einseitig Master rinnt. Jahrhunderte der Fortentwicklung scheinen spurlos an den Bauern der Herzegowina vor­übergegangen zu" sein, die ohne Pflug die wi­derspenstige Scholle großer Felder aufreißen. Zwanzig, dreißig Männer, eng n«b«neinander in einer geraden Linie,^en Dezimeter um Dezimeter vor, schwingen, wie von einer Kraft angetrieben, ihre schweren Hauen hoch und lasten sie in der nächsten Sekunde wie e i n Mann in die dürre Erde fallen. Sie bearbeiten die Felder im großen Polje nicht anders als die winzigen roten Erdoasen auf dem Grunde der Dolinenkeffel. Spinnend treiben Bauernfrauen ihre Zie­gen und Schaf« vor sich her, an der rechten Hand den Rocken, links die Spindel. Wenn sie nicht spinnen, stricken fie an den unmäßig dicken Wollstrümpfen und-socken. Richt der Kälte, sondern den Schlangen zuliebe sind sie so dick. Ziegenhütende Spinnerinnen stoischen den reliefgeschmückten, mannshohen Steinklötzen eines uralten Bogumilenfriedhofs, der ohne Umfriedung auf dem weitgedehnten dürre,« Grasboden steht: Wir vergessen unsere hurtige Zivilisation und atmen Luft des 16. Jahr­hunderts. Zu Dutzenden aber stehen bei Wochenmärk­ten in den Straßen bosnischer Städte kleine Am schwersten ist aber der jugoslawische Kutscher zu behandeln. In dem Land könnten ein paar Dutzend Ohrenspezialisten viel Gutes wirken. Wer nach Jugoslawien fährt, statte