BUNTE WELT

Nr. 16

Unterhaltungsbeilage

Mord in Manhattan  

/ Von A. B. Schifrin  

*

1936

Der Nachmittag ging zu Ende. Die Straße war ruhig. Die Frauen mußten in ihre Woh­mungen zurück, um ihren von der Arbeit oder von der Suche nach Arbeit zurückkehrenden Männern das vegetarische Essen vorzubereiten. Die Kinder, müde vom Ballspielen in den Straßenrinnen, waren zu Hause und warteten auf das Effen.

Vor Kirschenbaums Koscher"-Fleischerladen| Rubin   lief davon, wie eine Frau, die mit ihrem[ ießt sicherheitshalber ans Fenster und schaute gingen einige Frauen hin und her. Es waren Liebhaber ertappt wurde. Drei Straßenhunde hinaus. Sein Gesicht glänzte von Zufriedenheit. meistens alte Kunden. Auf dem breiten Schau- verzehrten das foschere Festmahl gerade vor dem Er wird es ihnen schon zeigen, diesen Frauen. fenster des Ladens hatte der ortsansässige Fleischerladen, während Herr Kirschenbaum Schildermaler den Kopf und die Stielaugen böse zusehen mußte. einer Kuh sotvie mehrere Kücken gemalt. Der- In seiner blutbeschmierten Fleischerschürze felbe Maler hatte auch die Plakate gezeichnet, stand er hinter dem Pult mit der Marmorplatte. die die Frauen vor dem Laden des Fleischers Er roch immer nach geschlachtetem Vieh. Er war trugen. Die Frauen hielten Streifposten. Sie ein Mann mit einem Doppelkinn, ohne Haare kämpften gegen die hohen Fleischpreise. Sie auf dem Kopf und mit einem Hängebauch, wie wußten nicht ganz genau, warum die. Preise ein Elefant. Um zu zeigen, daß er keine Angst stiegen. Sie waren aber überzeugt, daß ettvas vor den Frauen hatte, kam er von seinem Platz nicht stimmte. Alle waren sie Hausfrauen. Sie hinter dem Verkaufstisch hervor und stellte sich kannten ihre Küchen und sie kannten den Appe- auf die Türschwelle. Seine Stirn zeigte etivas unterging und die Abendkühle die Luft erleich­Jezt am späten Nachmittag, als die Sonne tit ihrer Männer und Kinder. Sie kannten wie Anstrengung. Er vergaß sein langes und texte, ging nur eine Frau vor Kirschenbaums gleichfalls die Kapazität ihrer Geldbeutel. scharfes Fleischermesser im Laden abzulegen, er Irgendwo mußte eine Verschwörung gesponnen hatte es bei sich und spielte sorglos damit, wie Frau. Sie hatte teine Kinder. Sie war erst acht Fleischerladen hin und her. Es war eine junge worden sein, um sie um jeden ersparten Gro- ein Pirat. Er war wütend. Er machte keine Monate verheiratet. Es war aber leicht zu mer­schen zu bringen. Gut, sie werden sich's also Geschäfte und wußte nicht genau, was er anken, daß sie nicht mehr lange kinderlos sein nicht gefallen lassen. Sie werden kämpfen und fangen sollte. gegen die Fleischermeister streiken. Sie werden würde. Ihr Mann arbeitete in einer Karton­ Herr Kirschenbaum", rief eine Frau aus nagenfabrik und während des Fleischstreits protestieren und das Zeug nicht essen, che nicht einem Fenster, das gerade über seinem Stopf holte er seine Frau auf dem Weg nach Hause die Preise herabgesetzt werden. ab und sie pflegten zusammen wegzugehen. Es fie nach Hause kamen, half er ihr das Nacht­war ein glückliches Paar. Jeder liebte sie. Als mahl vorbereiten und später half er ihr beim Geschirrwaschen. Als Kirschenbaum sie allein paradieren sah, kam er heraus, um mit ihr zu sprechen. Er hatte die junge Frau gern. Er fannte sie von klein auf, noch als sie Schulmäd= chen war. Er hatte Kücken und Fleisch an ihre Mutter verkauft, die jetzt schon tot war. Als das Mädchen heiratete, hat er ihr zum Hoch­zeitsmahl drei ganze Stücken geschickt.

Die Frauen verteilten sich in drei Schich­ten. Wenn eine Hausfrau keinen Sinn für Ver­antwortlichkeit gegenüber ihren Nachbarn hatte und sich dem Fleischerladen mit einem Einkaufs­forb zu nähern wagte, wurde sie schnell von den Streitposten angehalten. Sie wurde freundlich angesprochen, oder mit quietschenden Stimmen überschrien, oder mit reichhaltigen und furcht­baren Flüchen überschüttet. Es hing vom Wider stand ab, den sie dem freundlichen Zureden der Streitpostenfrauen leistete.

,, Verlaufte Streifbrecherin", rief man ihr zu.

..Bu Tode sollen Sie ersticken beim ersten Bissen, den Sie machen, Sie nichtsnußiges Pack.

,, Ein schwarzes Jahr sollen Sie haben." ,, Und Ihre ganze Familie."

Eine würdig aussehende Frau schlich sich zwischen den Streikposten durch und betrat Kirschenbaums Laden. Das war Frau Rubin. Ihr Mann hatte ein Delikatessengeschäft und der Sohn studierte Ingenieur. Frau Goldberg, einer der Streikposten, guckte durch die Ein­gangstür und sah, wie Frau Rubin zwei Pfund Steat, ein Pfund Leber und ein Pfund Kalbs­fottelets faufte. Dann kam Frau Rubin heraus.

., So, Sie wollen unseren Streik brechen, Sie?", fragte Frau Goldberg und griff nach dem Fleisch.

., Sie sollten sich schämen", sagte Frau Finkel. Eine Frau wie Sie, deren Sohn auf dem Kolleg ist."

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Frau Finkel schlich hinter ihr her. ,, Frauen wie Sie", sagte Frau Cohen, der dritte Streifposten ,,, müßten nur auf Krücken gehen. Wenn Sie mal eine Schwiegertochter haben, soll sie niemals Kinder bekommen."

Frau Finkel machte plötzlich einen Griff von hinten und, bevor noch die verblüffte Frau Rubin wußte, was geschah, war der Korb mit dem Fleisch in ihrer Hand. Ein schallendes Ge­lächter erklang aus den Fenstern auf den bei­den Seiten der Straße. Die erniedrigte Frau

war.

Er beugte sich hinaus und sah nach oben Die Frau spie ihm ins Gesicht. Es war ein ge­lungener Streich und die Zuschauer aus den Fenstern auf beiden Seiten der Straße schrien vor Vergnügen auf.

Der Fleischer wurde wild. Er lief auf den Bürgersteig hinaus. Wütend drohte er mit sei­ner Faust der Frau im ersten Stock, was die Zuschauer nur noch zu einem gesteigerten Lachen aufreizte. Verärgert stieß Herr Kirschenbaum mit seinem großen Körper einen Streikposten an.

"

Sie sollen tot umfippen", sagte die Frau. ,, Warum stoßen Sie mich?" Ein Dußend Stimmen beschimpfte ihn. Der Schweiß lief auf sein weiches rundes Gesicht hinunter. Seine Backen bewegten sich. Dann murmelte er böse: ..Ich werde euch schon zeigen", und ging drohend in den Laden. Die Frauen sahen, wie er das Telephon abnahm und sehr gereizt hineinredete. Als er das Gespräch beendet hatte, kam er nach vorn, aber diesmal nicht zur Tür. Er stellte sich

Weg und Ziel

Wenn du plötzlich aus des Waldes Tiefe In der Sonne bunte Garben trittst, Ist es dir, als ob dich jemand riefe Und als ob du jetzt ins Leben schrittst...

Dunkler Weg, um den die Schatten sinken... Alles auf der Höhe wärmt das Licht, Tausend Hände scheinen dir zu winken, Und die Wand, die dich umgab, zerbricht..

Ganz allein und allen dich verbunden Wird die Welt ein winzig Stück von dir, Und du trägst an allen ihren Wunden, Und dein Glück ist nur das Glück von ihr...

Pierre.

Frau Rastin", begann er. tete sie. ., Sprechen Sie mich nicht an", antivor­

,, Hören Sie meinen Rat, Frau Raskin", fette er mit freundlicher Stimme fort ,,, und gehen Sie nach Hause. Es wird bald Krach. geben."

,, So, was denn? Was habe ich denn ge­tan, daß ich Angst haben soll?"

,, Ich sage es Ihnen zu ihrem eigenen Wohl."

Er wollte noch weiter sprechen, aber gerade in diesem Moment raste wie ein Blitz ein großes grünes Lastauto aus der Seitenstraße donnernd heraus und stoppte vor dem Fleischer­laden. Herr Kirschenbaum wurde bleich, duckte sich zusammen und eilte in den Laden. Zwei grob aussehende Männer stiegen aus dem Wagen und betrachteten wie Wächter die Straße. Einer von ihnen ging in den Laden, um mit dem Fleischer zu sprechen. Der andere Ankömm [ ling näherte sich Frau Raskin: Sie sollten besser von hier weggehen, Frau, wenn Sie wissen was für Sie gut ist."

Frau Raskins Gesicht wurde weiß, fie blieb aber auf ihrem Plak stehen. Sie begriff, wer die Männer waren und warum sie famen. Sie hatte schon solche Geschichten gehört.

"

,, Sie! Gehen Sie weg von mir!", sagte sie. ,, Es ist nicht gesund, hier in der Gegend so zu schreien", sagte er ,,, und wenn wir Sie noch einmal hier erwischen, so werden Sie alle Ihre