BUNTE WELT
Nr. 17
Unterhaltungsbeilage
Zwischenstation
Es war schon dunkel geworden, als ich nach von selbst durch all den Wirrwarr der Straßen Yanger Wanderung, in Mailand antam. Die und Gassen nachgefolgt. Mich überkam seine Glocken der Kirchen läuteten zur Messe. Der Hast; zumal ich mir sagte: ,, Wo so ein armer Wind pfiff. Und in dem Frost, der die Straßen Teufel zur Nacht hingeht, wird auch ein Platz verglaste, schien mir das Licht der Bogenlam- für mich sein!" Wir überquerten jetzt Gassen, Fen mondkalt. Ich war so müde, so abgewan- deren verivahrloste Fassaden mir nicht mehr dert, daß die Muskeln und Sehnen in meinen fremd zu sein schienen. Ab und zu überkam mich Beinen brennend schmerzten. Mein letzter die Erschöpfung, so daß ich wimmerte im GlauTagesmarsch war fast sechzig Kilometer lang ben, es nicht mehr aushalten zu können. Einmal gewesen; und ich ließ mir noch nicht mal Zeit bekam ich Lust, mich, trotz der Kälte, einfach hinzur Rast. So hatte ich mich auf Mailand ge- zusetzen. Aber meine Beine gingen im Takte der freut... Krücken weiter. Manchmal schlossen sich meine Mailand war für mich ein hoher Begriff Augen; aber plötzlich erschrat ich bis in die geworden, wie etwa der Palmengarten meiner Knochen; ich hörte die Krücken nicht mehr. VerBaterstadt. Ich hatte ihn zwar noch nie gesehen, zweifelt schaute ich um und sah gerade noch, weil mir meine Eltern das Geld zum Eintritt| daß sich eine alte Haustür hinter ihm schloß. Da nicht geben konnten. Aber aus all dem, was ich fühlte ich den Frost stärker, so von innen her. über ihn gehört hatte, stellte ich ihn mir pracht Die Angst hetzte mich an die Tür. Und ich flopfte voll vor. Daher war ich, troß meiner Armut, an. einmal hingegangen, um wenigstens die Freude des Weges zu erleben. Denn der Palmengarten war für mich die Vorstellung einer schönen und vornehmen Welt, wie auch das verlockende Wort ., Mailand ", das mich, trotz aller Strapazen der großen Landstraße und trotz des unheimlichen Schneeſturmes anzog, der mich, als ich über den Brennerpazz kam, von meinem Wege abbringen
wollte.
Mit einem Male merkte ich, daß ich, ohne es beabsichtigt zu haben, vom breiten Korso abgegangen war. Ich ging in einer düsteren Seitenstraße an einem Kanal entlang; dann bog ich nach rechts ab, dann nach links, bald nach rechts, bald nach links und geriet immer mehr und mehr in die dunklen Schluchten armer Gassen. Sie waren still und leer. Manchmal tappte ich an ein Fenster heran, um hineinzuhorchen. Aber ich
hörte da nur meine Kiefer, die klapperten. Und mich benahm die Müdigkeit derart, daß ich glaubte, ich träume, ich habe mich in eine end
Eine Greisin öffnete mir. Sie war in ein dunkles, zottiges Kopftuch vermummt. Sie duckte sich zusammen und murrte mit unverständlichen Worten gegen die Kälte, indem ihr mißtrauisches Gesicht ganz nahe an meine Augen herantam. Jch biß auf die Zähne, um das Geflapper meiner Kiefer zu verhehlen. Da fragte sie mich barsch, was ich wolle. Ich stammelte meinen Namen und schaute über ihre Schulter nach dem finsteren Hintergrund. Sie gab mir einen Wink. Ich trat ein. Und hinter mir quietschte die Tür.
Es war so dunkel um mich, wie ich es noch nie erlebt hatte. Die Luft roch unterirdisch. Ja, die Beängstigung, die mich seit meiner Ankunft in Mailand leitete, regte sich nun derart, daß ich nicht mehr an meine Müdigkeit dachte. In meinem Gesicht spürte ich die Pulse zucken. Und ich
1936
hörte mein Herz. Die Alte, die hinter mir stand, schob mich an der Schulter vor sich her. Einmal faßte ich aus meiner Angst zur Seite in die Finsternis. Sie fühlte es an meiner Schulter und flüsterte mir zu: ,, Der Weg ist frei; geh nur.." Und während ich, so Schrittchen auf Schrittchen, weitertappte und die Knie hob, wie oben auf dem Brennerpaß , als der Schneesturm mir den abgründigen Weg vor den Augen verwehte, trat ich plöglich auf ein Bein, das da lag, oder auf einen Arm, oder auf eine tote Kaße, oder auf einen Kopf. Der Schrei des Entsetzens löste sich aus mir. Und aus dem Dunkel antworteten Seufzer und Flüche; und einer rief erschreckt nach Ruhe. Die Greisin tappte an mir vorbei. Und der Raum wurde durch die armselige Gasflamme, die sie anzündete, sichtbar. Die Wände stammten aus altem Geröll. Der erdige Fußboden war hart. Und auf dem groben Maisstroh, das zu beiden Seiten der Wegfurche lag, nächtigten zerlumpte Menschen, die auf mich wirkten, als seien sie umgekommen und nur provisorisch so hingebettet worden. Und vor mir an der Wand stand mein Schatten... Die Alte fagte zu mir, ich könnte mich dazwischen legen; es foste zivei Soldi. Es war nicht möglich, ihr zu sagen, daß ich kein Geld habe. Ich erwiderte ihr nur: Nein!" Sie drehte das Licht ab, nahm mich an der Hand und sagte:„ Auf den Matraßen kostet es aber fünf..." Ich schwieg...
Sie führte mich durch mehrere dunkle Abteilungen. Ich merkte es, indem mich die Türpfosten anstießen. Plößlich schmetterte eine blenis Tebte die Unruhe wieder auf. Sie ließ meine Band los und sagte, es sei das Zeichen für die Ankunft gewesen; sie müsse öffnen gehen. Sie ließ mich stehen, wo ich stand. Und da glaubte ich, das Geficher eines Mädchens wahrzunehmen, es flang taum hörbar, als halle es, so aus der
cherne Glocke. Und allenthalben in der Finster
loſe Altstadt verlaufen. Und ich ging und ging; Todesahnung im Kerker Ferne, in mir wieder. Ich hielt den Atem an.
zumal ich nicht mehr die Entschlußkraft besaß, den Trott meiner Beine aufhören zu lassen. Es war mir, als wandere ich steil bergab, woselbst bei aller Müdigkeit das Einhalten mehr an strengt als das Hinuntergehen. Plötzlich hörte ich eine Kirchenuhr schlagen. Aber ich fonnte mir nicht ausdenken, ob es ein biertel vor Voll oder ein viertel nach, oder halb, oder ob es wirklich schon nach Mitternacht war. Und indem ich, so im Weitergehen, dem verklungenen Glockenschlag nachlauschte, erschreckte mich ein Licht, das aus dem Dunkel vor mir aufbrannte. Es ließ mich die schattenhafte Gestalt eines Menschen erken nen; und ich sah durch den Schein eines Zündhelzes, das in der Mulde brannte, die zwei Hände bildeten, ein bärtiges Gesicht. Aber just, da ich mich näherte, ließ er das Bündholz fallen. Und während es auf dem Pflaster noch fladerte, gewahrte ich, daß ihm ein Bein fehlte. Sein Körper begann zu pendeln. Die Krüden waren lebendig geworden. Ich hörte sie auf das Pflaster flopfen, erst langsam, dann hastend. Ich roch seine Bigarette. Und es schien mir, als habe ich ihn irgendwo schon mal schwischen den Krücken so pendeln sehen, auf der Landstraße, oder vielleicht im Traum, oder gar in dieser Stadt. Und plöglich war es mir, als wäre ich ihm so ganz l
Das Dunkel ist viel tiefer als die Nacht, der Abgrund vor mir düstrer als ein Schacht, der Schlund des Kerkers stummer als der Tod, kein Wellenschlag berührt dies Charonsboot. Die welke Haut, die mir der Bunker bleicht, sie wird mir kalt und wie ein Bahrtuch leicht. Auf meinen Wunden, die die Fessel rieb, gerinnt das Blut. Bon jedem Beitschenhieb ist eine tiefe Rune eingebrannt, ich tast sie ab mit meiner dürren Hand. Bei jeder Regung hart die Kette klirrt, das Echo zitternd durch die Räume irrt. Was sprichst du, Kette? Habe ich geklagt? Ich site still; ich hab auch nichts gesagt.
Unsichtbar hält die Schattenhand mich fest, ich spür, wie sie mich in die Krallen prest. Ich fürcht mich nicht, mag sie mir noch so drohn, jenseits von Grau'n sprech ich dem Tode Hohn. Gehör ich ihm, könnt ihr mir nicht mehr an! Doch was ihr mir an Schmach und Qual getan, bleibt mit dem letzten Hauch im Dunkel stehn; es wird euch nicht mehr aus dem Wege gehn. Ballt sich zum Schrei, zum urteilsschweren Wort: Mord! Mord! Und immer wieder: Mord!
Hornung.
Auf einmal faßte mir eine Hand ins Gesicht. Ich duckte mich und hörte die Greisin, als frene sie sich darüber, zu mir sagen: ,,' s schneit..
"
Da dachte ich wieder an meinen Weg über den Berg... Sie ergriff meine Hand und flüs sterte: Baß auf; jetzt geht's hinunter..." Ich jedoch stand da, wie damals, hoch oben in dem weißen Sturm, der auf dem berwehten Bas, auf dem ich bis an die Knie im Schnee stat, an mir zerrte, um mich in Helle Verzweiflung oder in den unsichtbaren Abgrund zu treiben. Ich sträubte mich, so gut ich es noch konnte. Und aus Angst, ich könne umkommen, hielt ich mich, da ich sonst keinen anderen Halt hatte, frampfhaft an meinen Hosenbeinen fest. So stieg ich abwärts und dachte an ,, Mailand "... Und mit einem Male hörte ich, statt des heulenden Sturmes, die Mädchenstimme ganz nahe; und statt des vielen Schnees, der wie Seifenschaum gliberte, sah ich nunmehr in dem Dunkel vor mir lichtgelbe Rizen. Und, da erst merkte ich, daß falte Tropfen an meinem Gesicht herunterfickerten. Ich wußte nicht, ob es der Schweiß der Angst oder schon Tränen waren.
-
Der Raum, in dem ich nun anfam, war spärlich beleuchtet. Im Dunste des Hintergrune des lagen die Matraßen. In einem offenen