BUNTE WELT

Nr. 24

Jiří Wolker  :

Unterhaltungsbeilage

1936

Vom Rauchfangkehrer

Der Rauchfangfehrer trägt nicht nur eine Leiter und ein schwarzes Gesicht. Der Rauch fangkehrer trägt auch das Glück. Das wissen alle Leute und hauptsächlich die, die Knöpfe am Rocke   haben. Wenn er vorübergeht, gleich grei­fen fie nach einem und denken an das, wonach sie sich sehnen. Und tatsächlich geht ihnen das in Erfüllung, weil die Menschen es so schon seit langem machen und es so machen werden, so lange Rauchfangkehrer durch die Straßen gehen werden. Wenn es nicht wahr wäre ficher würden sie es nicht machen.

So seht ihr: alle Menschen können auf ihre Art glücklich sein. Sie brauchen dazu nur einen Knopf und einen Rauchfangkehrer.

Das wußte auch Jenit, der kleine Waisen­junge. Weil er ein armer Teufel war, der von einem Tag auf den andern auf dem Pflaster der Vorstadt lebte, hatte er viele schöne Wünsche. Er konnte sich sehnen nach einem Kipfel, nach einer Ringelspielfarte, nach der verstorbenen Mutter oder nach einem Apfel, den die Weiber in den Strohschüsseln auf dem St. Jakob- Plak ver­fauften. Weil er nichts hatte, war das Maß sei­nes Glückes groß.

Aber es war da ein großer Fehler: der Kleine Jenif hatte auf seinem zerrissenen Rod und an seinem zerfransten Hosen nicht einen einzigen Knopf. Die Hosen und den Rock hatte er von guten Leuten bekommen, aber ihr wigt ja, daß nicht einmal die guten Leute ihr Bestes hergeben. Deshalb, als er sie von ihnen als Ge­schent erhielt, waren sie schon ordentlich abge schunden und alle Knöpfe waren weg. Die Wohltäter, die ihm die Kleider gaben, dachten nicht, daß ein so fleiner Junge Knöpfe brauchen würde. Es genügte, daß sie seine Blöße zuded­ten. Auch Jenif ist es anfangs nicht einmal auf­gefallen, daß seinen Kleidern etwas fehlte. Erst als er das Geheimnis vom Rauchfangkehrer, dem Knopfe und dem Glück erfuhr, dachte er traurig:

Ich kann nicht glücklich sein, weil ich kei­nen Knopf habe.

Es betrübte ihn sehr, weil er sich wünschte glücklich zu sein. Und wer würde sich das aus nicht wünschen! Seit dieser Zeit dachte er an nichts anderes als daran, wie er einen Knopf erlangen könnte. Für die übrigen Kinder wer das nichts schweres, aber für Jenif war das teine kleine Arbeit. Mit einem Knopf ist immer ein Vater verbunden, der ihn kauft, und eine Mutter, die ihn annäht. Und diese zwei Voraus segungen fehlten Zenit ganz und gar.

Jenif wollte Geld für einen Knopf verdie= nen. Er trug einer Frau Wasser in den fünften Stock, einer anderen führte er Kohle in einem Kleinen Wagen mit einem zottigen Hund, er ging ins Dorf um Milch und machte überhaupt alles, was ein Junge in seinem Alter vermag.

Aber er verdiente sich dennoch nicht das Geld für einen Knopf. Die Leute dachten: wozu einem so kleinen Jungen Geld geben, das er nicht versteht und das er wahrscheinlich nur ver­naschen würde! Wir geben ihm lieber etwas zu effen das hilft ihm mehr,

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Und sie gaben ihm. Da Brot, da Käse, da einen Teller Suppe oder einige Reste vom Mit­tagessen. Wenn Jenit sich dann angegessen hatte, verfiel er in eine solche Seligkeit, daß er auch auf den Knopf vergaß und glaubte, daß er sein Glück auch ohne ihn erringen werde.

Wenn er aber abends ordentlich verdaut und nichts als Hunger in der Tasche hatte, da entfloh ihm alles Selbstvertrauen, alle Straft; der ersehnte Knopf fing ihm vor den Augen zu tanzen an mit allen seinen wunderbaren Eigen­schaften. Besonders wenn er an einem Knopf­laden vorüberging, wo hinter der Auslage ganze Haufen verschiedener Knöpfe waren. Da waren militärische, da wieder Zivilfnöpfe. Die einen ganz aus Gold mit schönen eingerigten Buch­staben, die anderen Matrosenknöpfe mit dem bläulichen Schimmer des Meeres. Bei manchen waren vier Löcher sichtbar, bei anderen waren die Löcher verborgen unter einem schimmernder Metallmantel. Ueber alle glänzte eine Reihe großer Perlmutterknöpfe, die Jenifs Augen wie Magnete anzogen.

Die bringen bestimmt das größte Glüd, dachte Jenik. Aber ich werde mich wohl kaum iemals an sie herantrauen können. Die find ficher tüchtig teuer.

Er schaute aber doch auf sie hungriger und hungriger, bis die Frau im Laden ihn beobach­tete und, da sie seine flackernden Augen nichi begriff, ihn wegjagte.

,, Schau, daß du fort kommst, dreckiger Junge! Es schaut dir nichts Gutes aus den Augen."

Sie dachte, daß er ihr etwas stehlen wolle, und Jenif ging beschämt weg.

In der Nacht dann, wenn er in dem Zim­merchen über dem Keller auf Haderfeßen mit zehn noch unglücklicheren Leuten schlief, schweb­ten der Perlmutterknopf und das mißgünstige Gesicht der Verkäuferin in seinen Träumen.

Als er sich so lange und lange vergeblich sehnte, geschah es ihm einmal, daß er auf der Straße ein Mädchen sah, das auf seinem Rode gerade jenen schönen Perlmutterknopf hatte, den er im Laden gesehen hatte. Aber nicht nur das merfte Jenit; er bemerkte auch, daß der schöne Knopf nur an einem Faden hängt und daß er bald abreißen wird. Das Herz zitterte ihm bei dem Gedanken, daß ihn das Mädchen verlieren und er ihn finden könnte. Da wäre sein Schmerz zu Ende. Schon morgen könnte er dann das haben, woran er nur denken würde.

Deshalb machte er unbemerkt hinter ihr fehrt und folgte ihr. Wonach er sich soviel sehnte

das geschah auch. Gerade als das Mädchen in die Tür eines niedrigen Hauses trat, riß der Knopf ab und blieb auf dem Pflaster liegen, ohne daß sie es merkte. Es war das ein sehr un­achtsames Mädchen, wenn man überlegi, daß das der einzige Knopf war, den sie hatte, und daß sie durch seinen Verlust auch um alles Glück gebracht wurde, das sich an ihn geheftet hatte.

Jenit jauchzte. Vorsichtig hob er den Kopf auf und hielt ihn in der Hand. Er glänzte in der Sonne wie ein Edelstein. Schnell steckte er ihn in die Tasche und schaute sich um.

Das Mädchen war schon weg und hatte nichts bemerkt.

Jenit verschwand hinter der nächsten Ede. Sorgfam trug er ihn nach Hause. Er zog den Rock aus und borgte sich eine Nadel. Einen Faden zog er aus den Hadern, auf denen er schlief, und gleich begann er zu nähen, damit er früher fertig werde, bevor es zu dunkein bes ginnt.

Aber jest erinnerte er sich an etivas. Er erinnerte sich an das Mädchen, das irgendwo einen wird, weil es den schönen Knopf vericien hat. Möglich, daß es gar nicht wußte, was für Freuden es durch ihn erlangen konnte. Wen es gewußt hätte, was ein Knopf und ein Rauchs fangkehrer alles vermögen, wäre es sicher vors sichtiger gewesen. Eines Tages wird es dics sicher erfahren. Aber der Knopf wird schon weg sein. Möglich, daß es niemals mehr einen zwei­ten bekommen wird, denn es ist schwer, einen Knopf zu bekommen. Es hat ihn verloren und er hat ihn genommen. Genommen nicht gefuns den. Soll er ihn ihm zurückgeben?

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Nein, das brachte Jenit nicht über sich, weil er viele schwere Tage sich nach ihm gesehnt hatte.

Bis mir der Knopf Glück gebracht haben wird, dann gebe ich ihn ihm zurück und viel­leicht gebe ich noch etwas dazu, dachte er sich.

Aber werde ich es dann wieder finden? Die Hände zitterten ihm ein wenig, aber er nähte und nähte.

Am nächsten Tag ging er aus mit dem Knopfe wie mit einem Stern. Es war ihm aber so, als of die Leute allzusehr nach ihm gafften, als ob si ihn nur allein auf seinem zerrissenen Rocke sehen würden. Deshalb verbarg er ihn etwas mit der Hand. Er fürchtete auch, das Mädchen von gestern zu treffen.

Er ging, ging und suchte einen Rauchfangs tehrer. Er dachte auch darüber nach, was er sich wünschen sollte. Er entschied sich für ein gol­denes Schloß auf einem gläsernen Berg und eine Pomeranze.

Gegen Mittag erblickte er einen Rauch­fangkehrer. Er war schwarz wie ein Neger, nuc die Augen hatte er blau wie Veilchen. Schnell lenkte er seinen Schritt auf den Gehsteig, auf dem der Rauchfangkehrer ging, und packie den Knopf fester.

Glode.

Das Herz schlug ihm in der Brust wie eine

Der Rauchfangfehrer näherte sich. Er ging ruhig und lächelte. Jenif war blaß und umschloß mit eisigen Händen den Knopf mehr und mehr.

Bis er auf fünf Schritte zu mir gekommen sein wird, werde ich meine Bitte flüstern, dachte er sich.

Der Rauchfangkehrer war bei ihm. Unter dem schwarzen Bart lag ein stilles, weißes Lächeln.

,, Jetzt!", sagte sich Jenif und stieß halblaut aus sich hervor:

,, Ein Schl- und eine Po- me-" Krach!

Der Knopf, der mit einem alten Faden angenäht und allzusehr von Jenifs Hand ge