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langsam an ihm vorüber, wartet. Nein, denkt Edgar, heute nicht, schade.

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Auch er muß aufstehen. Er könnte ja hier bleiben, bald wird es wieder dunkel sein, und er ist geborgen. Aber da müßte er zur Kassa gehen und eine neue Karte taufen und dort stehen sie gewiß und lauern. Da ist es flüger, mit den anderen durch eine der Türen zu ent­wischen den Hut tief ins Gesicht gezogen und den Mantelkragen hochgeschlagen

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Drei Türen rechts, drei Türen links. Aber plößlich iſt es ganz gleichgültig, durch welche er geht. Plöblich vergißt er, die Gefahr abzumessen. Seine Schritte sind schwer, er lenkt sie nicht mehr selbst, sein Körper hat sich von seinem Willen losgefagt, er sieht nur, daß eine Treppe da ist, noch vor ihm, dann liegt sie hinter ihm, und dann geht er zwiſchen Glasscheiben, hinter denen Photos aus Filmen hängen, und dann fühlt er die Regenluft und hört die Signale von Hundert Straßenbahnwagen und die Hupen von tausend Autos, es ist, als hätten sie sich alle vor dem Ausgang des Kinos versammelt, um ihn zu empfangen.

Er blickt um sich niemand- kein Feind nur die ungezählten Namenlosen der Straße, die ihn nicht beachten. Da geht er weiter, und zum erstenmal weiß er, daß auch über dieser Stadt mit ihren steinernen Häusern ein Him­mel hängt, daß über den grauen, regennaſſen Dächern Weite ist ein dunkler, großer, offe­ner Raum, in dem man atmen kann und in dem die Blide fich verlieren wie in einem Wald, wie am Rand des Ozeans. Da fällt die Angst von ihm ab. Er zögert nicht mehr, wenn eine Stra­Benede fommt, er bleibt sogar vor einer Aus Tage stehen, betrachtet in einem Spiegel feinen neuen Hut. Er haßt die Hüte mit schmalem Band, er hätte doch ein breiteres wählen sollen. Nun fann er den Hut wohl nicht mehr umtau­schen, der Regen hat ihn durchnäßt.

Er- könnte in ein Café gehen, aber dort ist Lärm. Die Theater haben bereits begonnen. Ein Kino? Wieder die Angst? Wieder die Türen zählen? Wieder die unbekannten Rüden, Köpfe, fahlichimmernden Hände? Es war furchtbar dort unten im Dunkel- Zu einem Freund gehen? Er hat feinen Freund. Das mußte er Paul versprechen.

Es ist gut, daß der Himmel da ist, die offene Weite über den Dächern. Man kann Stunden und Stunden gehen und der Himmel verändert sich nicht. Er ist gleich über allen Straßen. Und die Straßen sind alle gleich, in allen Städten der Welt, wenn sie auch Namen tragen. Kleine, bunt gerahmte Schilder an den Häusern Ziffern

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Da greift eine eiskalte Hand an sein Herz. Die Straße, in der er wohnt. Das Haus, das er nie wieder betreten darf. Drüben ist das Fen­fter- Licht blinkt hinter den Scheiben. Seine Hand fährt in die Tasche, er fühlt das blanke Blatt, seine Finger spüren die beiden Löcher im Papier. Sofort verschwinden. Gefahr. Revolver. Feinde. Paul. Der Mann. Die junge Frau. Ihre Mutter. Durch das Gesicht der jungen Frau bricht riesengroß die Nummer des Hauses. Paul hält ihm ein Blatt Papier entgegen, weist auf zwei Löcher deren Ränder verbrannt sind. Durchschossen! Er blidt um sich. Neben ihm muß doch der alte Mann mit der Brille fißen, der das Paket Zeitungen unter dem Arm trägt. Und das junge Mädchen ist es schon forigegangen, ehe der Film zu Ende ist?

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Aus dem Haustor tritt ein Mann. Edgar kennt ihn. Er war drüben, hinter jenem Fenster. Edgar hat ihn photographiert. Er hat das Bild Paul zugeschoben, in dem schmußigen, lärm­bollen Café, es ist eine Woche her, er weiß es genau. es hat auch damals geregnet. Die Augen des Mannes richten sich stahlhart auf Edgar.

Er weiß genau: es ist zu spät. Nie in seinem Türen sind erloschen. Sonderbar: das groß; e, ganzen Leben hat er etwas so sicher, so unab- weite weiche Dunkel stürzt auf ihn ein, als wäre wendbar bestimmt, so felsenfest und klar gewußt es der Himmel, der sich niederſentt. Warum wie jetzt dieses: Zu spät. Dennoch greift er sum wird es denn nicht Licht? Sie haben mich wohl Revolver. Ehe seine Hand das kalte, harte Ding hier vergessen? in seiner Tasche berührt, fühlt er einen Schlag. Da stodt sein Herz. Seine Augen werd: n Das bin nicht ich, denkt er. Dumner Kerl, groß und glasig. Dieses Dunkel hat keine Türen, warum warst du so unvorsichtig. Jezt kommt will er noch fagen, ganz laut, daß alle es hin. die ganze Bande hinter Schloß und Riegel. Wie Aber in seiner Kehle ist Blut, und er sieht n oft habe ich diesen Film schon gefehen? Es ist Himmel nicht mehr, obgleich er mit weiten, immer dasselbe: Drei Türen links, drei Türen grauen Nebeln wie die Schleppe einer Fee über rechts. Sonderbar: die kleinen Lampen über den ihn hinſtreicht.

Kapitän Doktor

Na, Steuermann Wittstock " fragte der Kapitän der Bremer Viermastbart Nomia" einen Zweiten, was fehlt Ihnen denn? Sie sehen ja ganz gelb und grün aus! Sie sind mir doch am Ende nicht krank?"

Käpten Himme, der seit vielen Jahren mit feinem guten Schiff die Gewässer des Atlan­ tischen und des Stillen Ozeans pflügte und dessen grimmiger Humor in den Hafenstädten der Segelschiffahrt an der Salpeterküste Chiles ebenso wie in den australischen Weizenhäfen be­kannt und berühmt war, sprach mit seinen untergebenen Offizieren grundsäßlich ein aus­gewähltes Hochdeutsch. Mit den Herren Matros fen war das freilich nicht möglich. Die mußte man je nachdem englisch oder deutsch in ihrer eigenen Mundart anreden, sonst verstanden sie einen überhaupt nicht.

Nam hinzu, daß der Käpten endlich wieder einmal eine Gelegenheit witterte, feine vor vielen Jahren vorm Seeamt in Bremen durch eine bestandene Prüfung betwiesenen medizi­nischen Kenntnisse an den Mann zu bringen, daß er seinen zweiten Steuermann, der auf die ser Reise zum ersten Male an Bord war, nicht besonders gut leiden mochte und hoffte, ihn ein bißchen kräftig berarzten zu können furz, Käpten Himmes rauhes Seemannsorgan tönte bei seiner teilnehmenden Frage so sanft und liebevoll, daß der Steuermann Bittstod ganz erstaunt bom. Kompaß aufschaute, wo er eben den Mann am Ruder einen neuen Kurs ein­steuern ließ.

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Diawoll, Koptein" erwiderte er mürrisch und verdrossen, wie es seine Art war, ich weiß selbst nicht, was mit mir is. Ich muß da irgend was falsches im Bauch haben, was da nicht raus will."

,, Sehen Sie mal an", schmunzelte Käpten Himme in freudiger Erwartung, da müssen wir gleich was gegen tun. Wenn Ihre Wache um ist, dann kommen Sie sofort zu mir und ich werde Ihnen eine Portion Rizimusöl geben. Sie follen mal sehen, wie das helfen tut."

Um Gotteswillen kein Rizinus, Koptein", schrie der Steuermann. Das verdammte Zeug kann ich mit der Gewalt nicht vertragen. Das fann und kann ich nicht runterschlucken. Eher will ich sonst was erleben."

Erleben werden Sie wohl nig, Herr Wittstock", brummie der alte Himme trocken, aber direkt sterben können Sie an verdrängter Verdauung. Das lassen Sie sich von mir gesag sein. Ich muß das wissen. Ich habe das Doktor­egamen."

,, Koptein, ich kann nun einmal fein Rizinus bertragen. Geben Sie mir nachher ein Klistier. Das wird sicher helfen."

Der Kapitän spuckte in großem Bogen braunen Tabatſaft über die Leereeling in den fristallsauberen Ozean: Also dann kommen Sie man nachher zu mir in die Kajüte. Ich werde die Ballerbüchse fertig machen."

Käpten Himme verschwand unter Deck. Barte nur, du Lorbas" dachte er bei sich.

willst du von vorn nicht, denn so komme i dir von achtern." Und lud das gut drei Liter faffende Blechinſtrument zur Hälfte mit Waffer und zur Hälfte mit Rizinusöl.

Nach geschehener Prozedur, bei der 23 ohne gräßliches Fluchen des mißhandelten Steuermanns nicht abging, verschwand dieser in Erwartung der kommenden Explosion in seiner Kammer. Aber nach kurzer Zeit schon sprang er wütend auf von seiner Koje, rannte zur Kajüte und schrie feinen dort friedlich fizenden Kapitän an, ohne auf die vorgeschriebene Dienſts etikette die geringste Rücksicht zu nehmen: Koptein, Sie sind ja ein ganz gemeiner Menich! Sie haben mir ja doch Rizinusöl eingepumpt!

Und auf das erstaunte Aufbliden des Fas pitäns mit vor Born bebender Stimmne: ch weiß es ganz genau. Ich schmede es bereits auf der Bunge." Danach mußte er plößlich hinaus­stürzen, um seinem Ingrimm und gleichze: rig seinem Bauchweh freien Lauf zu laſſen. Näpten Himme aber hielt sich den Bauch vɔr

Lachen.

Die Nomia" hatte drei Wochen gebraucht, bis sie mit gebrochener Vormaststange durch schwere Sturmzeiten um Kap Horn gesegelt war. Kommt eines Tages der Bootsmann zum Kapitän und meint: Käpten, möchten Sie nicht mal nach dem Leichtmatrosen Frib sehen. Der Junge fcheint ein bißchen frank zu sein. Ich habe ihm schon ein paar Maulschellen gegeben, aber das hat nichts geholfen. Er liegt in der Koje und kann nicht aufstehen."

Räpten Himme geht nach vorn zum Mann schaftslogis, unterm Arm das Buch des Dr. Rohlf über die Behandlung von Krankheiten an Bord von Schiffen, die feinen Arzt mitführen. In diesem Buch steht vorn eine lange Abhand­lung drin, wie man einen Kranken zu unters suchen und was man ihn zu fragen hat. Wenn man herausgefunden hat, was für eine Krant­heit den Patienten befallen hat, so muß man hinten im Buch nachsehen, welche Medizin das gegen angewendet wird. In der Kajüte steht die zu dem Buch gehörende Medizinkiste, in der sich neben Verbandszeug Flaschen mit Arznei, Pul­verschachteln, Pillendosen und Teufelweiß was für Medikamente befinden. Alles ist genau numerieri, und im Buch steht drin, daß man bei der Krankheit soundso von der Medizin Nr. soundso geben muß. Das alles ist sehr einfach und praktisch, nicht wahr?

Käpten Himme machie also mit dem Leicht­matrosen Friz das beschriebene Kranteneramen und fand heraus, daß der Junge, der sehr elend aussah und hohes Fieber hatte, entweder Lun­genentzündung oder Herzklappenbereiterung oder, was ihm am wahrscheinlichsten schien, Magenkrebs hätte. Der Teufel soll sich in dem verdammien Doktorbuch auskennen. Krank, schwer frank war der dumme Lümmel auf alle Fälle. Das konnie jeder gewöhnliche Matroie sehen.

Dazu brauchte man teine medizinische Prüfung beitanden zu haben. Kapitän Himme stapfte gedankenverloren

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