und ist auch nicht zu dem traditionellen weißen Häubchen verpflichtet. Doch legt sie es gerne an aus Koketterie, obwohl sie behauptet, es ge­schehe aus Bescheidenheit. Immerhin ist sie außergewöhnlich hübsch. Ja, es scheint mir manchmal, daß sie selbst nicht weiß, wie schön fie fein kann. Denn gerade zum Bewußtsein der ei tenen Schönheit gehören Muße und eine ge­wise materielle Unabhängigkeit. Es scheint mir manchmal, daß ihr Mann sagen müßte:

,, Hören Sie, Madame Annette!( oder auch nur: ,, Annette!") Ihre schwarzen Haare, Ihre Hellgrauen Augen und Ihr braungelber Teint find eine seltene Komposition der Natur! Ob­

-

2-

-

Kino gewesen sein, da ja der Film in New   York Madame Annette ein hochgeschlossenes dunkles spielt!" Kleid trug, das sie blaß machte, ihren Mund noch Hierauf bat ich- aus einer ettvas zu röter- und eine Schnur falscher Perlen, die haſtigen, zu ehrlichen Reaktion gegen die einen bläulich- silbernen Widerschein auf die Branche" Madame Annette in ein gutes untere Partie ihres braungelben Gesichtes war­Restaurant zum Abendessen. Hier und dort saß fen. Wichtiger erscheint es mir zu betonen, daß ein Gast aus dem Hotel. Hie und da traf sie mit dem Besteck besser umzugehen wußte als Madame ein werbender Blid, kein erkennender die paar paar Herren vom Film, in deren Ge­denn ein richtiger Herr glaubt niemals, daß ſellschaft ich hie und da Gelegenheit hatte, zu in dem Lokal, in dem er speist, ein Zimmermäd- Abend zu essen oder wie sie selbst sagten: zu then fizzen könnte. Nur nebenbei erwähne ich, daß ,, soupieren".

wohl Sie nur am Mittwoch, an Ihrem freien Ein Bücherwurm

Tar, feidene Strümpfe tragen, sieht man auch fonit den reizvollen Schwung Ihrer Beine, einen sanften, leise abschwellenden Uebergang vom Muskel der Wade zu den Sehnen des Fuß­gelentes, Glauben Sie ja nicht, daß man Ihren schmalen Hüften, Ihrer kleinen Brust und Ihren träftigen, verarbeiteten, aber schönen Händen aniehen muß, daß Sie nicht zu der Gesellschaft gehören, die Sie für die gute halten. Sie fön­nen ohne Zweifel wie eine Dame aussehen, selbst wenn Sie einen Befehl entgegennehmen, die hellen Augen auf den Gast gerichtet und boch noch in die leere Luft hinter seinem Rüden, Ihren schmalen, merkwürdig roten Mund( für den Sie Ihres Teints wegen einen etwas helle­ren Stift brauchen müßten) feſt geſchloſſen, wie zur Abwehr jeglicher Unart und das weiche Kinn ein wenig gehoben, als wäre es der Sit der Aufmerksamkeit, aber auch des Hochmuts. Es ist tein Zweifel, daß Sie schön sind, Annette!"

...

sehr selten in ein Kino gegangen, nur hie und

Ein Bücherwurmba au einer Arbeiterverſammlung. Wenn er

freie Zeit hatte, verbrachte er sie stets in Gesell­Der Bücherwurm lebte in   Prag und starb schaft seiner Bücher. Er zündete die kleine Be= erst bor kurzem. Von ſeiner dahingeſchiedenen iroleumlampe an und saß bis spät in die Nacht Eriſtenz erfuhr ich durch einen Bekannten, der bei einem Buche: er las und schrieb Notizen... hörte, daß in   Žižkov ein Mann verstorben war, Auf unsere Frage, ob sie noch diese Notizen der eine sehr schöne Bibliothek hinterlassen hatte. besitze, antwortete sie bitter: Hier, diese zwei Die Witwe wolle angeblich die Bücher verkau- Stiften find noch voll mit diesem Geschreibsel! fen. Wir beſchloſſen, die Witwe aufzusuchen Sechs Kisten waren mit diesen Papieren voll, Wir waren neugierig geworden. aber bier Kisten habe ich schon verbrannt und bei dem nächsten Waschtag kommen diese Kisten an die Reihe. Unnüßes Zeug, fein Mensch braucht es, fein Mensch will dafür etwas geben; und wieviel Geld nur d3   Papier gekostet hat...! Den Wutausbrut; der Witwe unter­brach die Heimkehr der Tochter. Als sie den 3wed unseres Besuches erfuhr, machte sie eine verächtliche Handbewegung gegen die Bücher. Mein Begleiter fragte sie etwas schüchtern:

Die Wohnung lag in einem dunklen Kel­ler. Wir dachten zuerst, daß man sich mit uns einen Spaß hatie machen wollen, indem man uns eine falsche Adresse gab. Aber der Name auf der Türe stimmte und als die Witwe erschien, bestätigte sie, daß ihr Mann viele Bücher be­sessen hatte. Ja, hier, in dieser Kellerwohnung hatte der Mann gelebt, und zwar seit vielen Jahren. In der Wohnung saben wir zuerst nichts von den Büchern; unsere Augen mußten sich erst der Dämmerung anpassen, um die Gegenstände wahrnehmen zu können. Allmählich entdedten wir die Sihouetten einiger Bücher­regale, die an den Wänden sich hinzogen.

indem sie uns zurief: Meine Herren, sehen Sie hier dieses dide Buch; es iſt mindeſtens ein Kilo schver. Wollen Sie es nicht laufen. Ich gebe es Ihnen für 10...!

Aber wir gingen, ohne eitwas zu sagen,

Gefallen Ihnen vielleicht diese Bücher nicht, Fräulein?" Da nahm sie eine Kampfstellung Das dürfte man ihr leider nicht gesagt ein und antwortete höhnisch: So einen Mist haben. Die Spiegel, vor denen fie gerne stehen lese ich nicht! Meine Mutter hat sie auch nicht bleibt, sind gefällig, aber stumm. Und die Zeit ist gelesen! Aber wir lesen auch Bücher flint und kurz. Annette hat zwar eine oberfläch­Als die Witte erfuhr, was uns zu ihr sie griff rasch in eine dunkle Ede und hielt liche Nebung im Aufräumen. Der Waschtisch geführt hatte, bekamen wir sehr bald die ganze vor unsere Augen ein Buch aber solche dauert fünf Minuten, das Bett drei, der Zisch Bibliothek vor unsere Augen, die Frau machie Bücher und nicht solche, was der Vater gehabt atvei. Herren Tassen gerne Anzüge über Stühle Licht und führte die kleine Petroleumlampe hat!"-Wir sahen auf das Buch: ein Unter­hängen. Das ergibt Komplikationen. Ferner langsam von einem Regal zum anderen. Wir haltungsroman der übelsten Sorte... Bapiere, Bücher, Briefe auf dem Schreibtisch. waren erstaunt. Es waren Bücher nicht nur Darauf fonnten wir nichts erwidern; unser Die Hausordnung verbietet eine Veränderung einige, sondern alle, die kaum sobald ein Sprachvermögen war in diesem Augenblick ver­der von den Gästen auf den Schreibtischen hin- wohlhabender, gebildeter Mann zusammengetra- schwunden; wir waren niedergeschmettert: Bater terlaffenen Unordnung. Gesäubert aber müſſengen hätte. Man fand da sozialwissenschaftliche und Tochter! Wir sahen uns gegenseitig an und fie werden! Jeder Zettel muß in ſeiner Lage Bücher von Marg, Engels,   Lenin, Trotti, gingen wortlos zur Türe... Als die Witwe berharren. Das dauert manchmal ztvanzig Mi­Krapotkin,   Lissagaray; alles, was von diesen sah, daß der Bücherverkauf ins Wasser fallen nuten. Dann muß man die Mädchen kontrollie Autoren in der tschechischen Sprache erschienen fönnte, wollte sie uns zum Ankauf animieren, ren. Sie schwaben. Signale leuchten, grün und ist. Aber neben diesen Werken fanden wir den dauerhaft, und die Mädchen rühren sich nicht. Großen Brehm und fanden wir viele Beschrei­Annette ermuntert fie. Sie arbeitet von ztvölf bungen von Entdeckungsreisen. Die schöne Lite­Uhr mittags bis neun Uhr abends. Eine Stunde ratur war durch Klassiker und Moderne vertre­Mittagspause. Unten, neben der Küche, an dem ten, durchwegs in tschechischen Uebersetzungen. langen Tisch fürs Personal, der an Mittags- Neben   Tolstoi.   Dostojevsky,   Turgenjev, Gon- ohne etwas zu kaufen.. tische in Waisenhäusern erinnert. Wenn Annette tscharov, Puschkin, neben   Balzac, Viktor   Hugo, noch fünf Jahre so arbeitet, wird sie bestimmt   Flaubert, Anatole   France die Modernen bis Wirtschafterinum weiterzuarbeiten. Bei einer Umfrage bei den Nachbarsleuten André   Gide; neben   Masaryk eine Reihe von erfuhren wir, daß die Frau des Verstorbenen tschechischen Autoren bis zu Karel   Čapek. eine notorische Alkoholikerin ist. Der Mann bat Es waren mindestens 2000 Bände, die 65 Jahre gelebt und davon war er 30 Jahre Sie betrachte die Bilder, Szenen aus reichen dieser furiose Mann sein Eigentum genannt mit dieser Frau verheiratet. Mit dieſer Frau, Milieus.( Denn nichts interessiert die Armen so sehr wie das Leben der Reichen.) Ich erlaubte hatte. Der Verstorbene hatte- falls er die die nie ein Buch aus dieser schönen Bibliothek mir, weil wir uns schon so lange kennen, fie Bücher auch gelesen und nicht nur gesammelt gelesen hat und jetzt diese Werke nach Umfang einzuladen. Bir sahen einen jener filme, die batte, einen feinen literarischen Geschmack ge- und Gewicht verkauft. Wie Kartoffeln. Es gibt stille Tragödien, die erschüttern= von der großen Internationale der Branche" babt, war zweifellos ein sehr gebildeter Mensch der find, als die bekanntesten Tragödien der feit zwanzig Jahren immer wieder als Zeugnis gewesen. für ihre soziale Gesinnung" hergestellt werden. Wir fragten die Witwe, was denn ihr Weltliteratur: Ein wissensbegieriger Arbeiter Es war einer jener Filme, in denen immer wie: Mann gewesen sei? Und waren nicht wenig er gerät in eine solche Ehe, von der er bis zu sei­der ein junger Mann aus besseren Sphären ein staunt, als wir erfuhren, daß er ein Metall- nem Tode nicht loswerden kann. Was hätte aus armes Mädchen aus niederen zu sich und zu arbeiter war. Also kein akademisch gebildeter diesem Manne vielleicht werden können, wenn er einem Souper emporzicht, bei dem es nicht weiß, Mensch, sondern nur ein einfacher Arbeiter. eine andere Frau gehabt hätte? Bei Proleten oh man Eiz mit der Gabel nimmt oder einen Dadurch wurde die Sache noch interessanter. spielt die Qualität der Frau eine viel größere Apfel mit dem Nußknader öffnet. Das Publikum Wir fragten die Frau, woher ihr Mann diese Rolle als in den meisten bürgerlichen Ehen. weiß es und wiebert der Filmindustrie zu. An vielen schönen Bücher hatte? Sie erzählte mit Freilich, vielleicht hatte auch er ein wenig ienem Abend wicherte es ebenfalls. Madame einer leicht wahrnehmbaren Verstimmung gegen Schuld, hatte sich nur um die Bücher gekümmert Anette meinte: Immerhin könnte das   Mäd- den Verstorbenen, daß ihr Mann jede Krone für und nicht um die Familie, nicht um das Leben. - unser Bücherwurm von   Žižkov... chen es nach den vielen Filmen schon gelernt die Anschaffung von Büchern verwendet hatte. Hans Wegrath. haben! Sie wird doch schon ein paarmal im Er hatte nicht geraucht, nicht getrunken, er war

Einmal, es war ein Mittwoch, traf ich sie vor dem Eingang zu einem der großen Kinos.