BUNTE WELT

Nr. 23

Unterhaltungsbeilage

Der Schlemihl

Der Kriminalfommissar Haniel tat einen fleinen Seufzer und schenkte sich ein. Nachdem er getrunken hatte, holte er eine neue Zigarre heraus und besah sie wehmütig: sie war natür lich auch wieder zerdrückt. Aber er konnte es sich nun einmal nicht abgewöhnen, sie offen in der oberen Rocktasche zu tragen.

"

Was bekümmert Sie fo?" fragte Ehret. Haniel leckte gerade ein Stückchen Zei­tungspapier ab. Er widelte es sorgfältig um das beschädigte Deckblatt, dann schnitt er die Zigarre ferbig ein, tat einen Zug und sagte:

..Es ist mir grad eingefallen, daß so viele junge Leute ihren Beruf verfehlen."

,, Dieser, wie Sie zugeben werden nicht ganz originelle Einfall ist Ihnen sicher nicht von selbst gekommen. Was bringt Sie darauf?" Sehen Sie mal in den Spiegel da drüben."

Ehret schaute in den Spiegel. Man über­blickte den größeren Teil des Lotals; es war ziemlich besetzt. Na, und-?"

,, Und? Achten Sie auf die hinterste Nische auf unserer Seite; der Tisch ist von hier aus nicht direkt zu sehen. Was halten Sie von den Beiden?"

..Hm. Ich sehe einen gutmütigen Provinz­onfel mit weißem Haar, roten Backen; sieht aber trok aller Gutmütigkeit ganz energisch aus. Uebrigens Provinz-da könnte ich mich irren; der Mann hat etwas Sicheres, Weltmäßiges an fich. Ich hab's! Er ist wahrscheinlich ein Ameri­laner.

Sie können Gift drauf nehmen", sagte

Haniel. Und der andere?"

., Durchschnittstyp, Normalgesicht, dreiund­dreißig bis fünfunddreißig Jahre, kaufmänni­scher Angestellter."

..Beinahe richtig: das sollte er sein; dazu hatte ihn die Vorsehung und sein Herr Papa bestimmt. Aber er bat, wie gesagt, seinen Be­ruf verfehlt; er hat sich anders entschieden, und in seiner selbstgewählten Profession ist er ein Murkser und Schlemihl."

-

und

..Was ist er denn geworden?" Tja, ſchwer zu ſagen. Summariſch gefaßt: Strimineller. Und ein verdammt ungeschickter. Ein Trottel, der in unserer Zeit, da auch in der Verbrecherlaufbahn nur Spezialisten zwar tüchtige!- Aussicht auf Fortkommen und gesichertes Auskommen haben, sich dilettantisch mit fleinen Gaunereien und gelegentlichen Die bereien durchschlägt. Er ist der größte Pechvogel, den wir in der Stadt haben. Wenn er in der Straßenbahn oder im Kino einem in die Tajche greift, erwischt er statt des Portemonnaies den Tabatsbeutel oder sein Opfer ist ein Kriminal­beamter und schnappt ihn. Er hat mir einmal gestanden, daß es in einem Geschäft, als er beim Wechseln eines Tausenders glücklich um einen Hunderier gemogelt zu haben glaubte, mit Zweihundert minus uöschloß. Entweder hatte er die Scheine verloren oder der Verkäufer hatte ihn beirogen."

..Not scheint der junge Mann ja gerade nicht zu leiden."

1937

,, Na er verhungert nicht. Ist der faule| Perlentette- und erwiſchte selbstverständlich Zweig einer Mittelstandsfamilie. Sein Vater die Imitation. Er wußte von jemand, der Bar­gab ihn seinerzeit in eine Bank. Dort war er geld in einer Schreibtischschublade hatte, stieg in zwei Jahre, dann beschloß er, reich zu werden, der Nacht ins Haus, wollte das Licht andrehen indem er auf einen Sched über Fünfzigtausend und brachte in Wirklichkeit einen Ventilator in den Namen eines Kunden des Geschäftes jebte. Gang, der zufällig ein so alimodisches Möbel Als er ihn einlösen wollte, erfuhr er vom Kaſſier, war, daß sein Brummen das halbe Haus auf­daß der Mann in der Nacht gestorben war. Der weckte. Dann beschloß er, die alte Geschichte mit Scheck war vom laufenden Tag datiert. Hätte den Ohrringen zu starten." er den Vortag draufgeſetzt, wäre alles in Ord nung gewesen. Diese Scheckgeschichte war sein Debüt. Er flog aus der Bank und ins Loch."

Haniel nahm befümmert einen Schluck, schaute gedankenvoll in den Spiegel und fuhr fort:

,, Einmal Haute er ein Auto. Natürlich wurde er erwischt, und natürlich nur weil er gemurkit hatte: er war zu schnell gefahren und wurde von einem Schußmann in einem kleinen Nest gestoppt. Er stahl einer Verwandten eine

Ohrringe?"

Es geht auch mit anderen Sachen, die paarweise auftreten, zum Beispiel mit wert­vollen Vasen etc. In diesem Falle also waren's Ohrringe. Er mietete ein feudales Auto, fuhr bei einem Juvelier vor und kaufte einen fabels haften Smaragd . Az Anhänger für eine Hals­fette feiner Frau, sagte er. Kostete ihn einen Tausender. Drei Tage später erschien er wieder: Seine Frau wolle den Stein lieber als Ohr­gehänge fassen lassen, und man möge ihm ein zweites, genau gleiches Stück beschaffen. Der Juwelier machte ihm wenig Hoffnung auf Er­folg, versprach aber, sein Möglichstes zu tun. Eine Woche später, als der Jüngling wieder nachfragte, erfuhr er, daß sich sozusagen ein Bunder ereignet hatte: es war gelungen, einen zweiten, genau passenden Stein zu beschaffen. Eine andere Firma hatte ihn an der Hand; wenn er ihn wolle- freilich sei er viel teurer: Zweitausendfünfhundert werde die Sache abgeschlossen. Natürlich wollte er. Der Juwelier berſtändigte feinen Geschäftsfreund, er solle den zermalmten im Wirbel von Fener und Stahl ab. Natürlich zu eben dieser zweiten Firma, um Stein für ihn erwerben, und unser Kunde fuhr

Vor zwanzig Jahren

Von Martin Grill

Ein Zug ohne Ende strömte das Heer, die Bölker marschierten zum Sterben, marschierten seid tausend Tagen und mehr hinein in das große Verderben. Ein König rief, ein Kaiser befahl, fchon plakten Schrapnells und Granaten,

Soldaten, Soldaten, Soldaten.

3wanzig Millionen? Dreißig Millionen? bie Völker marschieren, marschieren. Bierzig Millionen! Es gränsen die Drohnen, die noch an dem Krieg profitieren. Die Mütter ergrauen, die Kinder verkommen mit Hunger und Seuchen beladen. und immer noch segnen die Priester, die Soldaten, Soldaten, Soldaten.

frommen,

Ein Kaiser sagte Durch Kampf zum Sieg!" Da marschierten die Kinder, die Greiſe. D6 jung oder alt, es fra fie der Krieg

Und siegten bei Weibern und leckerem Wein alle auf gleiche Weise.

besternte Potentaten,

drauß auf den Feldern, da blieben allein

Soldaten, Soldaten, Soldaten.

*

Ihr habt es vergessen, schon ist es so weit, daß die Jungen vom neuen marschieren. Ein Kaiser damals, ein Führer heut, Den Weltbrandschürern war's ewig gleich sollen wieder Millionen krepieren? durch Blut und Tränen zu waten, für Frieden und Freiheit, Soldaten?! wann aber kämpfet ihr einmal für euch,

( Aus der Revue ,, Europäische Passion", die am Kreisarbeitertag in Teplitz uraufge­führt werden wird.).

-

ihr feinen Smaragd, auf den er ihr eine Option gegeben hatte, für zweitausend zu verkaufen. Gewinn: Tausend netto."

,, Na, das war doch bestimmt nicht ges murtit. Bumal alles, wenn ich nicht irre, durch­aus legal war; man konnte ihn für diesen Coup doch nicht einsperren?"

,, Dafür nicht. Aber zwei Tage später bes zahlte er mit einem falschen Tausender. Er schivor Stein und Bein, er habe ihn von der fommen; aber natürlich glaubte ihm kein Juwelierfirma Soundso für einen Smaragd be Schwein. Er wurde verknackt. Als sich später herausstellte, daß der Juwelier tatsächlich mit einer Falschmünzerbande in Verbindung stand und ihre Blüten" unter die Leute brachte, hatte er bereits anderthalb Jahre abgesessen."

,, Glück muß der Mensch haben", meinte Ehret und stopfte sich die Pfeife.

In diesem Moment brach Haniel in ein Pruster aus, daß die Asche seiner Zigarre in seinen Wein fiel. ,, Sehen Sie mal schnell hin", jagte er.

Ehret fab, wie der junge Mann seinem Bekannten eine Brieftasche hinhielt. Sie war geöffnet; er blätterte wie ein Kartenspieler über die Ränder der Banknoten hin, die heraus ragten. Er flappie sie zu und streckte sie dem Amerikaner mit entschiedener Bewegung hin. Der wies sie mit ablehnender Handbewegung zurück. Aber der andere bestand auf seinens

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