1996 as an even
Mussala
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Der höchste Berg der Balkanhalbinsel
Ticham- Koria,( Bulgarien ), Dienstag, 22. September.
Ich bin noch verfchlafen und überlege, ob wir aufbrechen ſollen. Man iſt ein wenig gemütlich geworden. Denn ich wohne bei Freunden, in einem mit allen Bequemlichkeiten ausgeſtatteten Haus, das auf der Anhöhe, sern von allem Geräusch, mitten in den Tannen von Tcham- Koria liegt. Und wenn man schon die Arbeit auf furze Zeit beiseite geschoben hat, dann will man eben gar nichts tun. Hinzu tommt, daß man meine Gefährtin und mich ein wenig eingeschüchtert hat: es könne sein, daß uns ein Bär begegne und dann zwei Frauen allein... Stürzlich erst hat man einen Bären in den Wäldern des Rilagebirges erlegt und nach Tscham- Koria hinuntergeschafft. Aber es fündet sich ein wundervoller Tag an, durch die Fenster meines Schlafzimmers brechen die ersten Sonnenstrablen, die Vögel zwitschen durch die morgendliche Stille. Ein mächtiges Sehnen erfaßt mich. Im Nu bin ich aus den Federn, laufe in das Zimmer meiner Gefährtin:„ Es ist eine Sünde, bei diesem Wetter zu schlafen, auf nach Musala!" Schnell hinein in die Touristenkleider und-Schuhe, die norwendigsten Vorbereitungen für das leibliche Wohl werden getroffen und nach kaum einer Stunde find wir auf dem Wege zum Muffala,
den ich noch nicht fenne.
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Bei dem Schloß Bistrita biegen wir linta ab und steigen den vorgezeichneten Weg hinan. Auf einer Tafel steht: Mussala 2925 Meter. Ich sehe meine Gefährtin ein wenig bedenklich an: werden wir es schaffen? Denn ich bin nicht trainiert. Aber je weiter und höher wir kommen, desto beflügelter, wenn auch langsamer wird unser Schritt. Schließlich wollen 2925 Meter ertlommen und fein Spaziergang sein! - Bir hören keine menschliche Stimme, teine Holzfäller mehr, nur das Raunen in den Wipfeln der mächtigen Tannenwälder. Gemaltige Schluchten tun fich auf, riesige Felswände sehen wir zu beiden Seiten, und eine kurze Strede ist der Weg so schmal, daß wir meinen, die Berge schließen sich über uns. Wir sind still geworden, die Sprache der Natur ist eindringlich und groß. In der Ferne blendet uns ettvas. Es scheint wie ein schwarzer Marmorfelsen. Aber es ist ein Wasserfall der tief unter uns rauschenden Bistrita , die sich reißend ihren Weg durch das steinerne Geröll bahnt.
An der Brücke, die über die Biſtriba führt, auf halbem Weg zur Muffalahütte, halten wir unser Picnic. Herumliegendes Papier stört den Eindruck der uns umfangenden Schönheit. Aber ärgern kann ich mich nicht. Die Größe und Stille der Einsamkeit zwingt mir eine philoſophiſche Ruhe auf gegenüber den Verunſtaltern
der Natur.
Wir kommen höher, der hohe Wuchs der Tannen ist niedrigem Gestrüpp gewichen, der Weg wird steiniger und schließlich breitet sich vor uns eine weite Ebene aus, die zu der Hütte unterhalb des Mussalas hinanführt und die wir mittags, nach knapp vier Stunden, erreichen. Nun sehen wir auch schon den Mussala, der sich von den um ihn herumliegenden Bergen gigan= tisch abhebt. Unser Mittagsmahl nehmen wir vor der Hütte ein, denn die Sonne scheint warm und über uns wölbt sich ein tiefblauer wolfen loser Himmel. Der erste der sieben Seen, an denen der Weg zur Muſſalaspiße vorüberführt, liegt in kristallklarer und pastellfarbener Pracht vor uns. Die Hütte, zirka 2500 Meter hoch, ift gut eingerichtet: mit warmer Küche sowie
Tagesraum, allgemeinen Schlafräumen und besonderen Zimmern mit guten Betten.
raffe, von der uns ein noch herrlicherer, von teinen Unebenheiten des Plateaus gehemmter Ausblick erfreut. Die Terrasse wird wohl, wenn die Pyramide infolge starken Schnees nicht bes steigbar ist, für die Messungen benutt.
Besondere Mühe macht die Wafferberiors Nach kurzer Ruhepause machen wir uns gung. Im Winter gewinnen die Bewohner daz auf, den Muſſala zu erklimmen. Der Weg iſt waſſer aus dem Schnee und im Sommer wohl steinern, aber nicht sehr beschtverlich, er müssen fie den steilen Weg bis zum fiebenten See hinunter und dort mit Hilfe eines Arbeiführt in Serpentinen bis zur Spike, horbei an den ſech3 anderen Geen, die wechſelnb das ters das Waſſer ſchöpfen. Dort wäſcht die graut dunkle Blau des Himmels spiegeln, das Ema- auch ihre Wäsche. Der Mann ist fürzlich beim ragdgrün des tiefen, klaren Grundes zeigen, Wafferholen abgestürzt; er konnte sich an einem das Silbergrau der Felsen und das schimmernde Felsen festhalten, bis ihm von der Muſſalas Weiß des ewigen Schnees wiedergeben. Die Fel- hütte, die seine Frau durch einen Schuß alars sen leuchten in dem Karen Wasser mit wunder- miert hatte, Hilfe zuteil wurde. Im Winter, bei hohem Schnee, ist es unmöglich, den Eers vollem Farbentviderſchein. mit Stiern steilabwärts, über die Felsen hins pentinentveg zu gehen. Der Mann läuft dann weg, was natürlich äußerst gefährlich iſt. Alle drei Monate bekommt er mit seiner Frau zebn Tage Urlaub für Sofia . Das ist in Anbetracht des gefahrvollen und entsagungsreichen Berufe3 eines Meteorologen nicht zuviel...
Heiliger Schauer erfaßt uns auf dem Wege durch dieses einzigartige Felsenreich, das an feinen Abhängen große Stellen nie schmilzenden Schnees birgt. Baghaft sehe ich nach der Spike, auf der die pyramidenförmige Beobachtung stelle deutlich sichtbar wird. Sie erscheint mir noch sehr weit. Aber der Weg führt schneller und bequemer binan, als wir vermuteten. Die riesigen Felsblöde liegen wie verloren da es fann wirklich mal einer herabstürzen. Die letzte Strecke zur Spiße ist sehr steil und führt auf schmalem Weg hinauf. Bu beiden Seiten tiefe Abgründe, der eine führt zu dem letzten See hinumier, der andere in ein Tiefenreich von schaurigdunkler Schönheit. Hölderlins Worte fallen mir ein: Ach, da hinunter strebte mein
Herz!
Die Sonne hat bald ihren Tageslauf bes endet und es wird für uns Zeit, hinabzuſteigen, damit wir vor Einbrechen der Dunkelheit die Hütte erreichen. Schon längst hat die Sonne die Täler verlassen und fäumt nun mit ihrem goldigen Abglanz die Gipfel der Berge. Auz unheimlichem Dunkel gähnen die Gründe zu uns herauf, in die die Herbstblätter leiſe fallen. Wir kommen uns auf dem schmalen Wege unier die sie ge halb der Spike wie zwei Silhouetten in der ges spenstischen Schönheit dieses gigantischen Steins meeres vor.
Wir sind oben, nach zwei Stunden auf der Balfanhalbinsel höchsten Spike, die 50 Meter höher ist als der Olymp in Griechenland . Wir können weit sehen, doch heute nicht bis zum Nach eineinhalb Stunden gegen fieben Ihr Aegäischen Meer, das bei ganz flarem Wetter sind wir wieder in der Hütte angelangt. Nach deutlich sichtbar wird. Im Spätnachmittags- dem Eſſen verbringen wir den Abend im Ges glanz liegen die Rodopen, das Balkan - und das spräch mit zwei in bunte Trachten gekleideten Rilagebirge unter uns, und in blauen Dunst Bäuerinnen, die morgen früh hinauf wollen. eingehüllt zeichnet sich der alpenartige Pirin in Sie fommen von ziemlich weit her; sie sind in zadigen Linien am rötlich getönten Horizont jedem Jahre nach Einbringung der Ernte für ab. Wir atmen die reine erquidende Luft und einige Tage Touristen. Eine erfreuliche Erlaffen die heilsame Sonne auf unseren Körperscheinung! In amüsanter Weise erzählt die brennen. Alles ist hingegeben an die große eine Bäuerin, wie sie einmal mit einem Bären Stille, an den wundervollen Frieden. Eine zusammengetroffen seien. Vor Schreck ſeien ſie ist sicher: Was in dieſer reinen Atmosphäre in den hinter ihnen fließenden Fluß geſprunden Menschen zu seinem Tun bewegt, das muß aufbauend für die seelischen Werte sein. Nur gen. Der Bär habe sie aber nur angebrummt in der Erhabenheit und Reinheit fallen die und sie dann ihres Weges ziehen lassen.- Bes Schladen ab, die den großen Regungen unserer bor wir uns schlafen legen, gehen wir noch ein Seele anhaften und ihnen die Flügel zu leuch mal ins Freie, um die Sternennacht zu schauen. tenden Zielen nehmen.. Wir tasten uns im Dunkeln zwischen den Felzs steinen bis zum See durch und blicken das
Naturwunder. Die Widerspiegelung des Siers nenhimmels in dem kristallklaren Grund_des Sees!
Mittwoch, den 23. September.
Die Beobachtungsstelle( Sternwarte) auf der Spike ist verbunden mit einem kleinen Wohnhaus für den Meteorologen, der mit seiner Frau hier oben lebt. Da meine Gefährtin die Frau kennt, werden wir eingeladen, mit hineinzugehen und einen türkischen Kaffee au ein wenig hart, ich drehe mich wohl einige zehnDas Nachtlager ist für verwöhnte Körper trinken. Der Wohn- und Schlafraum ist be= haglich eingerichtet. Man wähnt sich in diesem mal um. Wir hätten doch die guten Betten Zimmer mit den beiden übereinanderstehenden nehmen sollen. aber schließlich will man auf Betten in einer Schiffskabine. Der Meteorologe einer Wanderung billig leben. und seine Frau zeichnen eine große Ruhe und Sicherheit aus, die besonders im Winter nötig sind, wenn sie von Eis und Schnce fast acht Der flare Sonnenhimmel ist verschwun Monate lang eingesperrt werden. Durch Tele- den. Der Morgen badet sich im Nebel, der die phon und Radio sind sie mit der Außenwelt ver- Berge eindeckt, und es scheint fraglich, ob die bunden, wobei aber in Kauf genommen wer: Sonne sobald durchbricht. Wir benüßen des | den muß, daß diese Instrumente oft bei starken halb zum Abstieg nicht den berühmten Weg über Schneestürmen nicht funktionieren. Wir das Königsschloß Szokolet, sondern den alien, werden noch in eine ebenso gemütliche Küche und den wir heraufgegangen. Gegen Mittag jind in einen großen Vorratsraum geführt. In wir in Ticham- Koria und die Sonne strahlt einem andern Zimmer sind die Meßinstrumente, wieder. Einen Bären haben wir nicht gesehen, mit denen auf der neben der Hütte errichteten und nun sind wir auch nicht zufrieden; wir Pyramide die heliometrischen und in dem Haus die barometrischen Messungen vorgenommen hätten doch gern ein solches Abenteuer erlebta werden. An dem Hause befindet sich eine Ter
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Wellmann,