Ein

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belangloses Erlebnis

Mein Freund Carl erzählte:

Es ist ein gänzlich belangloses Erlebnis. Aber es ftimmt mich immer traurig, wenn ich baran dente.

Sommersonne begann, die russischen Sturm­wellen der ergangenen Nächte zu stinkender Fäulnis zu lochen.

Wenn der Wind von Osten kam, dann mußten wir uns erbrechen und konnten nichts mehr essen, bis er sich wieder drehte. Manchmal brachte er das erschöpfte Winseln verwesender Verstümmelter mit.

um dann in der Nacht schlecht zu träumen. Diese Träume verwendete sie dann schrifts stellerisch. Vielleicht hatte die Liebhaberei v. Auffenbergs denselben praktischen Grund. Er fühlte sich in den Kostümen seiner Helden beffer in deren Wesen und der von ihm zu schaffen den Gestalt ein. Bei dem Lustspieldichter Guftab b. Moser konnte dies aber keinestvegs Durch irgendeinen Zufall war ich in die der Fall sein, denn er war ein sehr geschickter Versammlung einer nationalistischen Jugend­Jongleur, ähnlich so war es auch bei Didens, gruppe geraten. Ein Greiz hodte hinter dem der gern Zauberkunststüde machte und damit Rednerpult und frächste über Das Gebot der weit über den Dilettantismus hinausragte. Stunde". Mit historischen, kulturpolitischen Sechzehn Nächte waren so verflossen, die Eine seltsame Liebhaberei war es auch von biologischen, ethischen und anderen Argumenten fiebzehnte verlief etwas anders. dem großen Illustrator Doré, Waldhorn zu bewies er die Unentbehrlichkeit des Krieges und Der Sturmangriff war gegen halb zwölf blasen. Das seltsame daran war nämlich, daß seinen Wert für die Höherenitvidlung des Men- zusammengebrochen, wie sonst wurde es ſtiller. er dies um Mitternacht tat. Der Philosophichengeschlechtes. Kräftiger Beifall unterbrach nur ein einziges russisches Geſchüz feuerte Schopenhauer hatte auch eine Art muſikaliſche oft seine scharfgeschliffene Rede und zeigte, wie weiter, in ziemlich regelmäßigen Zeitabſtänden Liebhaberei. Er besaß alle Rossinischen Opern . geschickt der verdorrte Berdränger es verstand, zwischen uns und die feindlichen Gräben für eine Flöte arrangiert, und spielte sie jedes lauter Blindgänger. Jahr einmal durch. Dagegen war Roffini ein feine jugendlichen Zuhörer zu beeinfluſſen. Nach dem Vortrag erschien, zur allgemei Stoch allerersten Ranges und ein Feinschmecker nen Verwunderung, ein junger Mensch auf der dazu. Sein Nachfolger Verdi züchtete gern Tribüne. Pferde und eine Raffe trägt seinen Namen.

Sehr selten war die Liebhaberei, die Ende des 19. Jahrhunderts ein Sonderling in Florenz hatte. Er fuhr nämlich gern mit : 36 Pferden um das Baptisterium, ein Ver­gnügen, das ihm die Polizei heute gewiß stören

würde.

Diese Liste ließe sich noch beträchtlich ver­mehren, aber sie genügt, um zu zeigen, wie viele seltsame Liebhabereien es gegeben hat und gewiß noch gibt.

Die Beichte

Nikolai ist ein armer Sünder. Schon dreimal hat ihn Väterchen Karmanosolo bom Kreisgericht hinter die Gitter geſtedt, aber Nikolai fann's nicht laffen, denn er ist der ge­schickteste hm, Taschenfünstler des ganzen Gouvernements Bjatta.

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Wieder kommt er mit einigen Uhren nach Hause, die das Klima anderer Taschen gewöhnt find. Aljana Pawlowna, sein Ehetveib, ist entsept: Sofort gibst du alles zurüd und gehst zum Popen beichten." Wenn janetschta

,, Dieser Herr", erklärte der Bersamm­lungsleiter, wünſcht einen Einwand gegen die Ansicht unseres verehrten Führers borzu­bringen."

Unwilliges Johlen und empörte Zurufe ließen ahnen, daß die hier versammelte Jugend diesem Unterfangen ziemlich ablehnend gegen überstand.

..Ich bitte, diesen Herrn ungestört sprechen zu lassen, dann werden wir wissen, wie wir uns mit seiner irrigen Meinung auseinander zusetzen haben."

Der tobende Protest wurde Schweigen, etliche hundert Jungen starrten diesem Herrn mit der irrigen Meinung Haß. Hohn, Ber achtung entgegen. Der begann:

,, Nicht weiß ich, ob die vielen Millionen Toten des Weltkrieges voll und ganz der gleis chen Ueberzeugung wären wie euer verehrter Führer. Aber sie sind schon lange verfault und haben nichts zu sagen.

Den Lebenden gehört die Welt. Es war in Polen.

Nacht für Nacht rannten die Russen gegen unsere Stellungen an. Meist kurz vor Miter nacht fahen wir sie über den Kamm der Ge

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uns das widerwärtige Kreischen allmählich auf Anfangs lachten wir darüber, dann fiel

die Nerven.

Zwei Minuten vergehen, und wieder das toutheulende Echrillen einer nichtkrepierten Granate.

Und wieder lauert das häßliche Schweigen. Und dann: Uiii

Wie eine aufdringliche, scheußliche Hallus gination, die man gern verscheuchen möchte man weiß genau, daß es nur ein Traum­gespenst ist und die unerbittlich notwendig immer wieder zurückkehrt und das übermüdere Hirn peinigt.

find.

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Wir warten, bis die atvei Minuten um

,, Wenn es bloß bald hell werden wollte!" Endlich dämmert der Morgen.

Und wir erkennen, wir erkennen, daß es feine Blindgänger sind, die so freischen. Cons dern ein Mensch.

Alle zwei Minuten sehen wir ihn, unges fähr 300 Meter vor unserem Drahtverhau.

Alle atvei Minuten sehen wir das, hörat grausame Qual ein Stüd über den Boden, waagrecht liegt er einen Augenblick in der Luft, krümmt sich und fällt nieder. Wie ein Fisch auf dem Trodenen.

wir

Aller zwei Minuten sehen wir das, hören den qualengellenden Schrei.

fchreit, pflegt Nikolai zu schweigen. Er geht ländewelle im Osten gleich schwarzen Fade Es ist nicht auszuhalten!" flüstert jemand

zum Popen und beichtet, lang und umständlich. Und fragt zuletzt, was er mit den gestohlenen Uhren anfangen soll.

,, Kannst du sie nicht zu dir nehmen, Väterchen?"

,, Ich? Was fällt dir ein? Du mußt das entivendete Gut wieder seinem Eigentümer zu­rüdstellen...

Nikolai ist unglücklich. ,, Das will ich ja", schluchzte er, aber...

huschen. Dann fladerten überall die stummen Hilferufe der roten Raketen empor, und schon rafte der Herenfabbat der Artilleriegeschosse über uns weg und entzündete 800 Meter bor uns eine funkenzudende Brandung des Verderbens.

getan.

Bisweilen zeigte eine Leuchttugel den Sappenposten, wie nachdrücklich das deutsche Sperrfeuer die Feinde zu Leichen zerhadte. Nach zwanzig, dreißig Minuten war alles Das Artilleriefeuer verstummte allmählich, ,, Aber?" ,, Einer der früheren Eigentümer, Väter- und nur noch vereinzeltes Knallen zielloser Ge­chen..." wehrschüsse oder mißmutiges Aläffen eines Maschinengewehrs störte die Stille des Schlacht­

,, Nun, mein Sohn?" ..Einer

nehmen."

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will die Uhr nicht mehr zurüd- feldes.

,, Hast du ihn schon gefragt?" ,, Ja, Väterchen.

Der Pope denkt nach. Das ist eine sonder: bare Geschichte.

,, Darf ich dann die Uhr behalten?" ..Ja, also, wenn du sie zurückstellen woll­test und der Eigentümer sie nicht annahm, dann darfst du sie wohl behalten."

Nikolai dankt, dann geht er nach Hause. Sein Gewissen ist beruhigt, er umarmt Iljana Pawlowna, seine Seelenretterin.

Und vor dem Schlafengehen zieht er die 1hr des Väterchens Popen auf, die dieser nicht haite nehmen wollen.

Peter Fabrizius.

Bald glühte hinter der feindlichen Linie die Morgenröte eines neuen Tages auf, und die Lago

Maggiore

Die Nacht war leicht und warm, einsamer Ruderschlag;

du lagst in meinem Arm;

wir wußten: dies war unser letzter Tag. bittersüßer Gang

durch braune, tiefe Nacht: ein kurzes Glück zersprang und brennend ward ein langer Schmerz entfacht.

May Barth.

von unserer Bedienungsmannschaft.

Ja, es ist nicht auszuhalten. Wir richten unser Maschinengewehr ein. Alle zwei Minus ten schießen wir.

Der ganze Abschnitt feuert schließlich auf den armen Ruffen.

Das Grauen ist kein guter Schüße, erst gegen dreiviertel fünf haben wir ihn getroffen. Die entsegliche Zeit der zwei Minuten war vorüber."

Die Augen der Jungen, die vorher so haßfroh und fanatisch gefunkelt hatten, waren anders geworden, nachdenklich oder erschüttert. Meinung:

Weiter sprach der Herr mit der irrigen

,, Eine Frage möchte ich an euch richten, ihr Jungens, die ihr noch ein Leben volier Hoff­nungen und Werte vor euch habt. Wenn ein jeder von euch genau wüßte, daß er morgen, daß er jemals in seinem Leben so sterben muß, wie jener Russe, hieltet ihr dann auch noch den Krieg für das Gebot der Stunde? Wenn ihr wüßtet-

Da zeterte die Krähenstimme des verehr ten Führers: Haut den Schurken!" Und sie hauten den Schurken.

Wie gesagt, ein belangloses Erlebnis, aber dennoch: Als diese jungen Menschen von dem Ende jenes fremden Russen hörten, da wurden ihre Augen nachdenklich. Bruno Vogel.