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Joseph Roth: Der Zauberer

Vor langen Jahren nannten sich die Zauberkünstler einfach Bauberer, mit der glets chen naw metaphysischen Selbstverständlichkeit, mit der die echten Zauberer heute noch in den Märchen auftreten. Damals erschien mir auch der Unterschied zwischen einem Kunststück, dessen Mechanismus nur geheim blieb, und einem echten Wunder, das ebensowenig erklärt werden fonnte, äußerst gering. Und das natürliche Be­mühen meiner Vernunft, das Geheimnis der Zauberei zu erraten, begleitete eine scheue unerklärliche Angst, ich könnte es eines Tages wirklich. Also ging ich in die Vorstellungen, die jedes Jahr pünktlich um dieselbe Zeit ein so genannter Zauberer veranstaltete, mit einem Herzen, in dem sich grenzenlose Neugier mit zurückhaltendem Respekt mischte. Denn mehr noch als die Furcht, der enthüllte Mechanismus würde mir das Leben um ein paar Grade fälter erscheinen lassen, schreckte mich das wahnwißige Grauen, das sich jenseits der Enthüllungen im Bereiche der Erkenntnis abspielte und die Strafe, die notwendig einen Menschen treffen mußte, sobald er einen Zauberer ertappt hatte. Es war mir, als könnte man zwar jedes Kunststück rationalistisch erklären, dürfe es aber keines­metaphysische

niederließ. Es war ohne Zweifel ein Page weib­lichen Geschlechts, fleine Brüste aus glattem Metall mit winzigen Kuppeln zierten den Ober­förper seines geflochtenen Panzers. Zwischen der kriegerischen Assoziation, die der Anblick des Panzers wachrief und der zweifellos weiblichen Anmut, die er deckte, bestand die reizvolle Span­nung, die zwischen Blut und Liebe vorhanden sein mag. Während der Zauberer mitten in der furchtbaren Schwärze seiner Nacht bunte Schlan­gen fliegen hieß und weiße Tauben, aus seinem Mund feurige Zungen entließ und aus irisieren­den zischenden Gefäßen hauchleichte Bällchen aus einem opalenen Material, glaubte ich natürlich, ihn genau zu beobachten. Aber obwohl ich jede Kleinste seiner Wunderhandlungen im Gedächtnis behalten konnte, sah ich doch, wie ich heute schon weiß, auf die Bühne nur mit den Augen, aber auf die Treppe, wo das Mädchen saß, mit der Seele. Damals freilich wußte ich noch nicht, daß der Zauber eines achtzehnjährigen Pagen wun derbarer ist, als das Wunder eines Zauberers. Vielleicht ahnte ich es nur einmal im Laufe des

Joan:

Abends. Das geschah, als der Alte anfing, mit feinem filbernen Kegelhut Bonbons herzustellen. Das Mädchen hatte nämlich auf nichts anderes gewartet, als auf dem Augenblick, in dem es anfangen sollte, durch die Reihen des Parketts zu gehen und das Zuckerwerk unter den Zuschaus ern zu verteilen. Sie erhob sich, sie begann unter uns zu wandeln, wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ein leiser Duft von Maiglöckchen erhob sich im Saal. Der Page kam an mir vorbei. Ich streckte die Hand aus. Er schenkte mir zwei Bon­bons, die ich nicht, sondern in der Tasche berbarg.

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Dann war die Vorstellung zu Ende, und ich ging nach Hause, um wieder ein ganzes Jahr zu warten auf den Zauberer, wie ich damals glaubte, auf das Mädchen, wie ich heute weiß. Es kam jedes Jahr wieder, bis ich alt wurde, die Bauberer ausstarben und ihr Erbe gewöhnlichen Zauberfünstlern hinterließen. Seit damals habe ich viele Magier gesehen, die bei grellem Scheinwerfer auftreten und äußerst foms plizierte Wunder vollbringen. Aber sie machten feinen Eindruck auf mich, ich warte nicht sehn­füchtig auf sie von Jahr zu Jahr und wahrs scheinlich bin ich auch ungläubig geworden.

wens. Denn einem Manne, der die melapide dan Der abergläubische Schuster

Welt auch nur mit erklärbaren Phänomenen zu zeigen imftande war, standen sicherlich auch metaphysische Kräfte jenseits der Region zu Ge­bote, in der sich seine Kunststücke abspielten. Also geartet war ich um iene Zeit, in der ich regel­mäßig jedes Jahr den Zauberer besuchte.

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( Aberglaube und Beruf)

Der Aberglaube ist der Dummheit liebstes| der eines Vertreters. In diesen Kreisen ist es Kind. Im Nachfolgenden soll nicht etwa der eine ausgemachte Sache, daß dem Betreffenden unzähligen alt- und allbekannten Symbole des das Glück nicht hold sein kann, wenn er einen Aberglaubens, wie es Glüdsschweinchen, Rauch- benützten Fahrschein der Elektrischen bei sich fangkehrer, Hufeisen und der vierblättrige Klee   trägt. ist, Erwähnung getan, sondern fast unbekannte abergläubische Sitten und Handlungen der ver­schiedenen Berufsarten aufgezeigt werden.

Wenn bei einem Schuster die Ahle zu Boden fällt und steden bleibt, bedeutet dies guten Ge­schäftsgang. Reißt dagegen der Knieriemen, dann gibt es Bank und Hader geschäftlich und privat.

Der Schneider ist untröstlich, wenn ihm ein Knopf am 3wirnfaden wieder aufgeh: Dann, so glaubt mancher von dieser Gilde, wird die Arbeit verdorben und es werden Aufträge wieder zurückgenommen.

Die Schausteller und Marktfahrer Hüten sich, mit einem Fuß aus dem Bett zu steigen. Nicht nur mit dem linken, auch mit dem rechten Bein darf man es nicht. Man muß, vornehmlich an den Tagen, wo Jahrmarkt oder sonst ein großes Geschäft in Sicht ist, mit beiden Füßen gleichzeitig aus dem Bett steigen.

Es war zweifellos kein gewöhnlicher Bau­berkünstler, wie man sie heute in jedem Varieté sehen kann. Seine Zaubereien waren vielleicht äußerst einfach, aber mit so viel Aplomb vor gebracht, dermaßen eingebaut in eine überfinn liche Szenerie, daß schon jede Bewegung seiner Hände, jeder Schritt, den seine Füße mit bor­fichtiger Gravität zurüdlegten, eine doppelte, dreifache, mystische Bedeutung zu haben schienen. Seine reale, leibliche Existenz war also nur die äußere Hülle seiner unbekannten, eigentlichen. Die Bühne war finster und schwarz drapiert, von einer dichten, greifbaren Finsternis erfüllt, gleichsam von dem Element Finsternis. Die Rampe war übersät von zahllosen, jedenfalls unzählbaren, sehr grellen Lichtern, offenen Gas­flämmchen, deren zarte Spizen bläulich züngel­ten, fleine betwegliche Dolche aus blauem Feuer, in der Mitte nur unterbrochen von einer drei­stufigen, schwarz ausgelegten Treppe, die, ob­wohl sie doch offenbar den Zweck hatte, eine Ver­bindung zwischen der Bühne und dem Zuschauer- Alle Bühnenangehörigen, an erster Stelle raum herzustellen, wahrscheinlich kein Mensch die Autoren und der Direktor, vermeiden es aus dem Publikum freiwillig betreten hätte. Der j ängstlich, im Theater zu pfeifen und achten Vorhang ging nicht in die Höhe wie bei gewöhn­lichen Vorstellungen, sondern teilte sich schnell und plötzlich wie eine Wolke, die der Wind in der Mitte zerreißt. Und schon stand auch im Innern der schwarzen Nacht der Zauberer, in weiße Gewänder gekleidet, einen filbernen Zuckerhut auf dem Kopf, mit einem langen weißen Bart. Wie der weiße Durchmesser der Finsternis ragte er in ihrer Mitte bis zur Decke. Dreimal schlug er mit einem silbernen Stab auf dem Boden. Dieser öffnete sich, und es entstieg ihm eine schmale Gestalt, ein filberner Page mit

blonden Locken.

Was von nun an auf der Bühne geschah, war ziemlich gleichgültig. Denn während ich noch glaubte, mich interessiere der Zauberer, war ich ausschließlich mit dem Pagen beschäftigt, der feine Zeit berlor, sondern sofort die drei Stufen hinunterging und sich bescheiden auf der letzten

strenge darauf, daß dies auch von anderen nicht geschieht. Das würde nämlich einen Durchfall des Stückes bedeuten und ist vom ausgepfiffen werden" abgeleitet. Früher wurde am Freitag feine Premiere angesetzt. Der bekannte ehe­malige Theaterdirektor Gabor Steiner   machte dem Aberglauben zum Trotz einmal das Gegen­teil. Dieses Wagnis machte sich sehr gut be­zahlt. Es wurde ein Bombenerfolg und unzäh­lige Ensuite- Aufführungen bewiesen, daß der Aberglaube Mumpit sei. Wie wirkte sich aber nun dieser Beweis aus? Seit jener Zeit werden die Premieren besonders gern an Freitagen angesetzt. Mit und ohne Erfolg. Der Freitag aber bleibt jest   weiter Glückstag wie der Aberglaube es evig bleiben wird.

Sehr abergläubisch sind gewöhnlich Men schen, die einem Beruf nachgehen, der von der Gunst des Wetters oder sonstwie vom Zufali abhängt. Ein solcher Beruf ist zum Teil auch

Kellner wieder achten darauf, daß niemand mit Papier   den Tisch abwischt. Das verdirbt das Geschäft. Dieselbe Geschäftsstörung fürchtet wieder der Ausflugswirt, wenn jemand im ges fchloffenen Lokal einen Regenschirm aufspannt.

Chauffeure glauben an einen schlechten Tag, wenn sie ein Mädchen, das sie hoffnungsa los lieben, in ihrem Wagen mitfahren lassen, Auch soll das Liegenlassen der Kappe am Lenka rad Unglück bringen.

Obwohl Einbrecher beileibe nicht zu den Berufstätigen gezählt werden dürfen, soll hier trotzdem auch ihr Aberglaube beschrieben werden. Die Herren Schränker verunreinigen immer vor dem Verlassen den Tatort. Sie wähnen sich das durch vor Entdeckung und Verhaftung gefeit.

Ein prominenter Wiener Borchampion läht sich von seinem Freunde vor jedem Kampf das Herenkreuz machen. Das Hegenkreuz" wird ausgeführt, indem man mit beiden gekreuzigit Beige und Mittelfingern dem Betreffenden über den Kopf streicht.

Es gibt Schriftsteller, welche es gerne haben, wenn ihnen ein Manuskript zu Boden fällt. Es wird dann gefallen, so reden sie sich's wenigstens ein.

Von den Fußballern ist bekannt, daß sia fast alle irgendein Maskottchen bei sich tragen. Ein Steinchen von irgendwo, aus irgendeinem Anlaß an sich genommen, ein Medaillon oder eine alte Münze.

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Auf den Rennpläßen suchen die Buchmacher die legalen wie auch die ,, wilden", von irgendeinem Besucher Feuer für ihre Zigaretten zu bekommen. Aber nicht mittels Zündholz oder Feuerzeug, sondern von des Fremden Zigarette selbst. Das soll Glück bringen. Viele alte Spieler glauben auch daran, ja noch mehr sie wähnen dem Feuergebenden das Glück sozusagen wegzus nehmen.

Die Zeppelinmannschaft nimmt auf allen ihren Fahrten ein fleines, weißes Räbchen al