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leisten. Dieser bumane Grundsatz ist nicht etwa die Erfindung einer modernen sozialistischen Schule, schon das Allgemeine Landrecht erkennt eine solche Pflicht des Staates ausdrücklich an. Es sagt:

Thl. II. 19 Tit.§. 1. Dem Staate kommt es zu, für die Er­nährung und Verpflegung derjenigen Bürger zu sorgen, die sich ihren Unterhalt nicht selbst verschaffen und denselben auch von anderen Pri­vatpersonen, welche nach besonderen Geseßen dazu verpflichtet sind, nicht erhalten können."

§. 2. Denjenigen, welchen es nur an Mitteln und Gelegenheit, ihren und der Jhrigen Unterhalt selbst zu verdienen, ermangelt, sollen Arbeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten gemäß find, angewiesen

werden."

§. 6. Der Staat ist berechtigt und verpflichtet, Anstalten zu treffen, wodurch der Nahrungslosigkeit seiner Burger vorgebeugt und der übertriebenen Verschwendung gesteuert werde."

Im Interesse jedes Einzelnen wie des Gemeinwohls fordern wir von der Geseßgebung, daß fie fortan die Wagschale zwischen den verschiedenen Gesellschaftsklassen nach Recht und Billigkeit hand­habe; wir fordern aber auch, daß sie das Unrecht wieder gut zu machen suche, welches sie selbst durch das frühere Schwanken der Wag­schale, durch Begünstigung der herrschenden und vermögenden Klassen, herbeigeführt hat. Insofern das soziale Elend der Gegenwart in der Verkehrtheit wandelbarer menschlicher Einrichtungen, nicht in der nothwendigen Ordnung der Dinge seinen Grund hat, dürfen wir mit Recht vorausseßen, daß auch die Heilung des Uebels nicht außerhalb der menschlichen Macht liegt.

Das Ziel ist fern; aber das Leben der Völker ist lang.

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Zur Berwirklichung der politischen und sozialen Freiheit reicht jedoch die Kraft eines einzelnen Volkes nicht aus: gemeinsame Ar­beit, das Zusammenwirken der Völker ist dazu erforderlich.

Jedes Bolk, jeder einzelne Volksstamm hat gleichen Anspruch auf Freiheit und Selbstbestimmung.

Anerkennung dieses Rechtes ist Bürgschaft des Völkerfriedens, ist das so lang gesuchte und nimmer gefundene politische Gleichgewicht

der Staaten".

Mißachtung der nationalen Gleichberechtigung, Stre­ben nach Oberherrschaft des einen Volkes über das andere, des einen Volksstammes über den anderen ist Ursache des Völkerkriegs und des nicht minder verderblichen Zustandes permanenter, Kriegs= bereitschaft, unter dessen Druck ganz Europa leidet.

Nichts hat der Volkspartei in Preußen mehr zum Schaden ge­reicht, als ihr unsicher schwankendes Verhalten gegenüber dem Selbst­bestimmungsrechte der Schleswig- Holsteiner und anderer deutscher Bun desstämme. Männer, die mit Eifer jahrelang die Rechte des Volkes vertheidigt, saben wir plößlich eine neue Fahne erheben; verleitet durch einen engherzigen Patriotismus" hat ein Theil der Partei für gut befunden, einstweilen den Kampf für Recht und Freiheit ein­zustellen, um dem Streben nach Ruhm und Herrschaft, nach nationalen Macht- und Gebiets- Erweiterungen Vorschub zu leisten.

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Einheit geht vor Freiheit! Trachtet allererst nach nationaler Macht und Größe, so wird Euch die Freiheit von selbst zufallen!" so lautet die neue Parole.

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Wir aber treu der alten Fahne halten fest an der Ueber­zeugung, daß Zwangs- Einheit eben so wenig eine Vorstufe zur Frei­heit", wie Herstellung großer Militärstaaten der Weg zum Rechtsstaate ist. Wir erachten es für ein verkehrtes Treiben, die Einheit und Größe einer Nation durch Freiheitsopfer erkaufen zu wollen: denn nur dem freien Manne steht Baterlandsliebe zu, und nur die auf Freiheit ge= gründete Macht hat Werth und Dauer. Rom wurde groß durch seine Herrschaft über die Bundesgenossen; aber die Freiheit des römischen Bürgers ging dabei zu Grunde und mit ihr auch die römische Größe.

Man hat der Fortschrittspartei den Vorwurf gemacht, daß ihre ganze Thätigkeit in nichts Anderem bestehe, als im Verneinen. Verträglichkeit, sagt man, sei der Angelpunkt des konstitutionellen Sy­stems: nur durch Rechnungtragen, durch gegenseitige Zugeständnisse könne man in der Politik Erfolge erzielen. Die Fortschrittspartei aber sei der Regierung überall schroff entgegengetreten, habe verweigert, was die Regierung gefordert, verworfen, was die Regierung vorge= schlagen, bloß weil die Regierung es vorgeschlagen. Wir könnten uns den Vorwurf schon gefallen lassen, wäre er nur besser ver= dient! Allein, man höre die Vertheidigung selbst der entschiedenen Parteimitglieder! Mit einer gewissen Selbstbefriediguug weisen fie darauf hin, daß sie der Regierung gegenüber es nie an der er­forderlichen Unterstüßung haben fehlen lassen daß sie die Regie­rungs- Vorlagen stets sorgsam geprüft, und allemal zugestimmt, so oft auch nur ein Körnlein Gutes darin enthalten, daß sie wiederholt weit vornübergebeugt die Hand zur Versöhnung geboten; gegen nichts verwahren sie sich eifriger, als gegen die Anschuldigung einer grundsäglichen, systematischen Opposition. Diese Verthei­

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digung offen herausgesagt in unseren Augen ist sie nicht viel besser als eine Selbstanklage der Partei. Wie will man den Gegner bekämpfen, wenn man ihm Vorschub leistet? wie ihn besiegen, wenn man ihm selber die Mittel zum Kampfe entgegenträgt?

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Wo es sich um ein Entweder- Oder handelt, um Gegensäße, so unversöhnlich wie Herrschaft und Freiheit, Militärstaat und Rechts­staat, was sollen die Ausgleichungs- und Vermittelungsversuche nüßen? Nicht durch halbe Zugeständnisse und Compromisse, nicht durch Indemnitätsertheilung und Gewähren von Provisorien wird die Frage zum Austrage gebracht, nur durch einen ernsten, mit der ganzen Gluth des Herzens, mit voller Hingebung und Begeisterung geführten Kampf fann der Siegespreis errungen werden. Mag immerhin aus einer grundsäßlichen, systematischen Opposition augenblicklich Nachtheil er wachsen, das Volk muß einsehen lernen, daß für das höchste Gut

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der Freiheit kein Opfer zu groß ist.

Fassen wir das Gesagte in Eins zusammen!

Die politischen, sozialen und nationalen Verhältnisse stehen in Wechselwirkung mit einander; sie bedingen nnd ergänzen sich ge­genseitig.

Die Volkspartei muß den demokratischen Grundsaß der Rechts­gleichheit Aller ebenmäßig auf den Gebieten des politischen, sozialen und nationalen Lebens zur vollen Geltung bringen.

Nur so kann sie das Ziel erreichen, das ihr vorgesteckt ist: Den Friedens- und Freiheitsbund der Völker Europas ."

Nachdem Jacoby seine von den lebhaftesten Beifallsbe dreifache Hoch auf ihn verhallt war, wurde von einem der zeugungen begleitete Rede beendigt hatte, und nachdem das Anwesenden eine Petition an das Abgeordnetenhaus um un terstüßung der nothleidenden Ostpreußen aus dem Staatschatz gestellt. Dagegen beantragte Buchhändler Alexander Jonas: In Erwägung, daß das Abgeordnetenhaus sich unfähig erwiesen, für das Recht und die Wohl fahrt des Staats zu sorgen, geht die Wählerver sammlung, obgleich fie fich fachlich mit ersterem Antrage einverstanden erklärt, zur Tagesordnung über." Herr Jonas sagte zur Begründung seines Antrags:

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,, Wenn überhaupt eine Besserung unserer politischen und sozialen Lage eintreten soll, so muß als erstes Zeichen dieser Besserung gelten, daß wir nicht da hoffen, wo alles hoffen vergeblich ist, daß wir nicht unsere Zuversicht dahin richten, woher uns kein Heil mehr kommen kann. Wir haben seit zwei Jahren viel ver loren die verbrieften Rechte der Nation fie find begraben; die natürliche Macht, die ihnen inne wohnt, die trop aller Spötter nicht gebrochen werden konnte, ohne Mithülfe der Volkss vertreter, diese Macht ist dahin; der National- Wohlstand ist tief unterwühlt- aber es ist auf Erden nichts so schlecht, daß es nicht auch' mal Nuzen brächt'", als Resultat dieser Epoche, in welcher die parlamentarischen Ereignisse keine glänzende Rolle gespielt, bat sich mit überwältigender Kraft die Erkenntniß Bahn gebrochen: Parlamente allein thun's nicht mehr!"( Lebhafter Beifall.) Diese Erkennt niß darf aber nicht abgeschwächt werden, indem wir durch unsere Hand lungsweise neue Illusionen erwecken. Man wird antworten: Wir müssen unsre Schuldigkeit thun, auch ohne Aussicht auf Erfolg. Ge wiß: was aber ist unsere Schuldigkeit? Man verwechsele nicht die Bersonen! Die Schuldigkeit des Volksvertreters, der mit einem bes stimmten Auftrag ausgerüstet ist, ist es streng nach dem vorgeschriebe nen Weg das unbedingte Festhalten an den Rechten des Volkes, die Wohlfahrt und die Freiheit desselben zu wahren und wenn er kann zu mehren.( Rauschender Beifall). Wir haben keinen Auftrag, wit find die Auftraggeber, in uns ruht der Ursprung jener Rechte und Freis heiten, unsere Schuldigkeit ist nur zu erreichen, wenn nicht durch, trof der Parlamente. Das ist praktische Politik für das Volk, eine Politik, die das Volk treiben darf, weil es nur sich selbst verantwortlich ist und allein die Folge zu tragen hat Wenn dies nun im Allgemeinen von den parlamentarischen Zuständen dieser Tage gilt, wenn wir von un serer Volksvertretung keine Hilfe zu erwarten haben, so tritt in de vorliegenden Fall für die Ablehnung der vorgeschlagenen Petition no ein verstärkendes Motiv hinzu. Meine Herren! eine Provinz des Staas tes hungert in den Schazkammern desselben Staates liegen Millio nen aufgehäuft Millionen sollen an besiegte, in Ueberfluß schwel gende Fürsten gegeben werden( rauschender Beifall), und das Boll soll seine Bolksvertreter erst auffordern, die Millionen für die hungern den Mitbürger flüssig zu machen? Nein meine Herren! wenn es dod möglich sein könnte, wenn die ausgestreckten Arme der Darbenden zu rückgewiesen werden könnten von denen, die sich Vertreter und Abge ordnete des Volkes nennen, lassen Sie sich auch das noch vollenden